Studie: Journalismus in der Berliner Republik

Das Netzwerk Recherche hat die Studie „Journalismus in der Berliner Republik – Wer prägt die politische Agenda in der Bundeshauptstadt?“ veröffentlicht. Auf 86 Seiten gibt es einen Überblick, wie Agenda-Setting und überhaupt der Hauptstadtjournalismus funktioniert. Basis waren Experteninterviews mit 33 Journalisten, Pressesprechern und Kommunikationsberatern im Berliner Politikbetrieb.

Vereinfacht und fehlerhaft gesagt lesen die auch nur Spiegel-Online.

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Hie rmal ein kurzer Ausschnitt:

4.2.4. Agenda Setting: ZusammenfassendeThesen

Die Prinzipien des Agenda Setting im Hauptstadtjournalismus haben unter dem Eindruck des technologischen Wandels einen wesentlichen Transformationsprozess durchlaufen. Die neuen publizistischen Determinanten stellen nicht nur eine Herausforderung für die tägliche journalistische Arbeit dar, sondern auch in der Frage nach der Rolle der Leitmedien im politischen Diskurs: Die Analyse hat deutlich gezeigt, dass sich traditionelle Rollenzuweisungen auflösen und neue Medien, vor allem das Internet, für die Themensetzung an Bedeutung gewinnen.

Das Agenda Setting ist von hohen Verfallsraten und volatilen Themenkarrieren gekennzeichnet. Die Nachrichtenlage ändert sich mehrmals täglich, was die Hauptstadtjournalisten dazu zwingt, Ereignisse von kurzfristiger Relevanz zu berücksichtigen und nachhaltige Themen zu vernachlässigen. Eine Folge ist die um sich greifende politische Detailberichterstattung, die der Orientierungsleistung für den Mediennutzer entgegensteht.

Bemängelt wird eine übermäßige Kollegenorientierung, die unter den Hauptstadtjournalisten teilweise zu Verunsicherung bei der Bildung eigener Überzeugungen und Meinungen führt und die (nachrichtliche wie kommentierende) Berichterstattung beeinflusst bzw. tendenziell vereinheitlicht. Ähnliches gilt für die verstärkte inhaltliche Ausrichtung an der Themensetzung und Themenaufbereitung der wenigen Leitmedien, die eine zunehmende Selbstreferentialität mit sich bringen.

Die Politikberichterstattung ist einem gestiegegen Exklusivitätszwang ausgesetzt, weshalb auch vermehrt Boulevard-Themen aufgegriffen werden. Das liegt zum einen an der wachsenden Bedeutung auflagen- bzw. quotenstarker publizistischer Zugpferde, die eine ausgeprägte Affinität zu Personalisierung und Sensationalisierung aufweisen (v. a. Bild, allgemein das Fernsehen); zum anderen wird dem Privatleben von Politikern – zum Beispiel bei Liebesaffären oder Krankheiten – immer häufiger politische Relevanz zugeschrieben, so dass sich selbst die Qualitätsmedien solchen Themen oft nicht verschließen können bzw. wollen.

Die gedruckten Leitmedien (v. a. FAZ, SZ, Der Spiegel) nehmen weiterhin ihre Funktion als überregionale Agenda Setter wahr. Hinzugekommen ist Spiegel Online als Leitmedium neuen Typs, das den Alleinstellungswert der traditionellen Presse in der Themensetzung erheblich schmälert. Zum ‚Bildschirmschoner’ in den Amts- und Redaktionsstuben der Hauptstadt mutiert, hat Spiegel Online die Führung beim stündlichen Agenda Setting übernommen und macht damit sogar den Agenturen große Konkurrenz, die deshalb – ergänzend zu ihrem üblichen Nachrichtenportfolio – inzwischen auch Kommentare und Analysen anbieten. Fernsehen und Radio haben als Taktgeber dagegen enorm an Bedeutung verloren: Während nach Aussage der Befragten insbesondere die politische Talkshow stetig an Relevanz eingebüßt hat, wird nur noch den Nachrichtenformaten der öffentlich-rechtlichen Fernsehveranstalter hoher Einfluss auf das Agenda Setting zugesprochen; beim Radio übt diese Funktion ausschließlich der Deutschlandfunk aus.

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