Wenn etwas nicht so läuft, wie gedacht: einfach draufhauen. Bumm, zack, Rübe ab! So funktioniert das Prinzip Ohrfeige, das als Erbe der sogenannten Schwarzen Pädagogik nach wie vor ganze Familien traumatisiert und zugleich Grundlage für Law-and-Order-Politik ist.
Nach diesem Prinzip will Australien nun das Problem angehen, dass soziale Medien vielen Kindern und Jugendlichen Schwierigkeiten bereiten. Was tun, wenn auf Sogwirkung optimierte Feeds den Jugendlichen die Zeit wegfressen? Wenn auf Radikalisierung abzielende Hetze in Jugendlichen Angst, Wut und Hass heraufbeschwört? Wenn propagierte Ideale von Schönheit, Macht oder Reichtum bei Jugendlichen Kummer und Selbstzweifel auslösen?
Die Antwort der australischen Regierung (verpackt im Online Safety Amendment Bill 2024) lautet: Einfach eine Altersgrenze draufklatschen und unter 16-Jährige rausschmeißen. Bumm, paff, basta – und den Kindern geht es wieder gut. Warum haben wir das nicht gleich mit harter Hand gelöst?! Die Tränen werden schon versiegen.
Das wird sowas von nicht funktionieren.
Alles, was Kindern schaden könnte, wird sie dennoch erreichen. Ins Visier genommen hat die australische Regierung nach eigenen Angaben unter anderem TikTok, Instagram, Snapchat, Facebook und X. Das Internet ist aber voller Dienste, die weiterhin frei zugänglich sein werden: Weniger bekannte Plattformen, Imageboards, Messenger. Orte mit weniger Inhaltsmoderation und weniger Schutzmaßnahmen. Es dürfte sich auch rasend schnell herumsprechen, wie man jegliche Sperren kinderleicht umgeht, etwa mit VPN-Software.
Einige Dienste lässt das Gesetz ausdrücklich außen vor. Ausgenommen sind etwa Messenger und Gaming-Portale. Offenkundig haben Regierung und Gesetzgeber also begriffen, dass Kommunikation, soziale Kontakte und Spielen durchaus Grundbedürfnisse von Kindern sind, die man ihnen nicht wegnehmen sollte. Auch YouTube soll keine Alterskontrollen erhalten – mit der Begründung, dass es dort Bildungsinhalte gibt. Es wurde also auch begriffen, dass Kinder ein Recht haben, sich selbstständig zu informieren.
Kinder stärken statt aussperren
Wer das konsequent weiterdenkt, müsste gleich das gesamte Gesetz verwerfen. Denn auch auf den vom Gesetz betroffenen Plattformen wie TikTok und Instagram gibt es Bildungsinhalte und Messaging-Funktionen. Und auf den ausgenommenen Plattformen wiederum lauern ebenso Gefahren für Kinder und Jugendliche. Also was jetzt?
Wer Kinder und Jugendliche vor den Schwierigkeiten des Internets schützen will, muss sie stärken statt aussperren. Für den Umgang mit den Unwägbarkeiten des Internets brauchen Minderjährige Erfahrung, Übung, Medienkompetenz und vertrauenswürdige Menschen, mit denen sie sprechen können. Sie brauchen Zuwendung statt Verbote. Sie müssen Stück für Stück befähigt werden, bald selbst mit allem klarzukommen.
Inhalte sollten dem Entwicklungsstand angemessen sein, nicht dem biologischen Alter. Und gerade Kinder, die in der Klasse Ausgrenzung ertragen müssen – sei es, weil sie queer sind, neurodivergent oder einfach nur in einem komischen Rollkragenpullover zur Schule geschickt wurden – gerade diese Kinder brauchen Orte im Netz, an denen sie Gleichgesinnte und ein Zuhause finden können.
Ein Social-Media-Verbot für alle unter 16 Jahren gibt Kindern und Jugendlichen nichts davon. Im Gegenteil.
Das Social-Media-Verbot verhängt ein Tabu über Dinge, die junge Menschen so dringend brauchen: digitale Erfahrungen sammeln, digitale Verbindungen knüpfen. Also werden sie es heimlich tun. Während Eltern, Politik und Plattformen dem Irrtum erliegen, das Problem sei gelöst, man müsse sich um nichts mehr kümmern, treiben sich die Kinder an weniger regulierten Orten herum. Mit weniger Begleitung.
Mit scharf gestellten Alterskontrollen können Plattformen wie TikTok und Instagram sogar ihre sonstigen Jugendschutzmaßnahmen zurückfahren, Inhaltsmoderation ist teuer. Wer dann doch verbotenerweise im Erwachsenen-Internet herumlungert: selbst schuld.
Der australische Social-Media-Bann macht das Internet zu einem weniger sicheren Ort für Jugendliche. Und für Erwachsene.
Alterskontrollen für alle = schlecht für alle
Denn die Kehrseite der strengen Altersgrenze für Jugendliche sind strenge Alterskontrollen für alle. Millionenfach. Immerhin sollen die Plattformen prüfen, dass ihre Nutzer*innen wirklich erwachsen sind. Die Menschen in Australien werden es noch lieben lernen, fürs Betrachten von Kochrezepten auf Instagram den Ausweis zücken zu müssen.
Wie die Alterskontrollen genau ablaufen sollen, lässt das Gesetz offen. Wahrscheinlich werden mehrere Methoden zur Auswahl stehen. Immerhin soll es Alternativen zu Ausweiskontrollen geben, und die anfallenden Daten sollen nicht für andere Zwecke genutzt werden.
Wer sich nur flüchtig damit befasst hat, könne meinen: Ach, das klappt schon irgendwie. Tut es aber nicht.
Eine Übersicht der denkbaren Methoden für Alterskontrollen zeichnet ein finsteres Bild. Einigermaßen zuverlässige Alterskontrollen gibt es nicht ohne bedeutsame Nachteile. Viele Methoden erhöhen die Gefahr von Datenschutz-Katastrophen. Viele Methoden schließen vulnerable Gruppe von digitaler Teilhabe aus – etwa Menschen ohne Papiere. Wie man es dreht und wendet, unter den strengen Kontrollmethoden gibt es keine, die nicht schwere Bauchschmerzen bereitet.
Und es wird nur eine Frage der Zeit sein, bis die sprichwörtlichen Schweine zum Trog kommen und jemand sagt: Hey, lasst uns die millionenfach eingesetzten Alterskontrollsysteme doch für ein kleines bisschen Massenüberwachung nutzen, mindestens um Terrorist*innen zu schnappen. Und Einbrecher*innen. Und Falschparker*innen. Und alle, die laut irgendeiner als „KI“ verkauften Analyse-Software seltsame Klicks machen. Und so weiter.
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