Ars Electronica – Digital Communities

Gestern kam ich leider nicht mehr dazu, die Ars Electronica besuchen zu können. Ganze 8h brauchte ich von Berlin nach Linz, da Air Berlin „nur“ zwei Stunden Verspätung hatte und sich der Umstieg in Wien immer weiter hinausverzögerte. Aber Abends in Linz angekommen, konnte ich mal die offenen Hotspots ausprobieren – und sie klappen. Meistens jedenfalls und es kommt auch ganz darauf an, wo am Hauptplatz man sitzt. Sowas wünsche ich mir auch für Berlin, im Park sitzen und WLAN haben.

Hier startet jetzt der heutige Tag und in einer ersten Session werden die Preisgewinner des Prix Ars im Bereich „Digital Communities“ vorgestellt. Dieses Jahr musste die sechsköpfige Jury aus 350 Projekte die Gewinner auswählen. Letztes Jahr ging es noch um die volle Bandbreite an Communities. In der zweiten Runde in diesem Jahr ist die Latte etwas höher gelegt worden. Nur eine Community haben reicht diesmal nicht, sondern der soziale Impact auf die Gesellschaft wurde dieses Mal mit in die Wertung eingerechnet. Und die Bedeutung für den Erhalt und Ausbau von Meinungsfreiheit.

Das Ambiente ist wirklich nett, viele Beamer, etwas festlich und angenehmes Licht. Überhaupt finde ich die ganze Ars Electronica, bzw. den kleinen Teil, welchen ich bisher gesehen habe (Anscheinend gibt es sechs verschiedene Festivalorte in Linz) sehr ansprechend. Viele interessante Multimedia-Installationen und draussen ist Sommer. Später gibts Bilder. Meine Kamera zeigt mir leider im Moment an, dass ich neue Batterien brauche, die ich erst am Nachmittag holen kann.

Die Gewinner des Prix Electronica sind:

* Akshaya (Goldene Nica)
* Free Software Foundation
* Telestreet / New Global Vision
* BitTorrent (Sonderpreis)

Das Akshaya-Projekt ist das erste grosse „e-literacy“-Projekt in Indien. Im Malappuram Bezirk des indischen Bundesstaates Kerala wurde eines der grössten WLAN-Netze der Welt aufgebaut. In einem Testprojekt wurden 600 Telecenter in Dörfern angeschlossen. Das Ziel ist, 600,000 Haushalte mit mehr als 3.6 Millionen Menschen in weniger als sechs Monaten den Zugang zum Internet zu ermöglichen. Jedes der Telezentren hat mindestens 5 Computer, einen Drucker, Scanner und Breitbandnetz. Die Telecenter sind geographisch so angelegt, dass möglichst alle Häuser im Umkreis von 3km liegen. Die bisherigen Erfolge werden hier aufgelistet.

Muss ich noch was über die Free Software Foundation schreiben? Wenn eine Organisation diesen Preis verdient hat, dann eindeutig die FSF mit ihrer 20-jährigen Geschichte und ihrem grossartigen Beitrag zur Entwicklung Freier Software. Die Vision und Ausdauer über 20 Jahre spielten eine grosse Rolle bei der Auswahl. Die Ethik der Freiheit dahinter und die Pionierarbeit für Offene Standards waren richtig ausschlaggebend.

Telestreet / New Global Vision sind Community-TV Projekte auf Basis Freier Software und p2p-Software. Mein Italenglisch (Englisch mit starkem italienischem Akzent) ist leider nicht besonders trainiert, so dass ich hier für die nähere Beschreibung auf die Ars-Seite zurückgreifen kann. Jetzt spricht gar einer nur auf Italienisch, hab mir leider kein Übersetzungstool geholt, um jetzt über Kopfhörer was zu hören. Die gezeigten Videos und Tools sehen aber cool aus und sind ein guter Weg, in Berlusconi-Land mit Bürger-Medien eine kritische Öffentlichkeit abseits der gleichgeschalteten Massenmedien zu schaffen.

New Global Vision und Telestreet sind Projekte, die gegen die Monopolstellung der großen TV-Stationen auftreten. Bürger können eigene Fernsehprogramme gestalten. Durch wechselseitige Verlinkung und Zusammenarbeit erreichen beide Projekte zusammen eine optimale Kombination der Medientechnologien Fernsehen und Internet.

Telestreet hat einen Weg gefunden, mit relativ geringem Aufwand so genannte „Straßen-TV-Sender“ zu gründen. Auf diese Weise wurden in Italien bereits 250 Mini-Sender ins Leben gerufen, die jeweils von 10-15 Menschen betrieben werden. Mit Hilfe von Antennen auf privaten Häusern wird ein Sendebereich von jeweils etwa 300 Metern abgedeckt. Werden mehr Antennen zusammengeschaltet, vergrößert sich dieser Bereich entsprechend.

Telestreet ermöglicht erstmals einen einfachen Zugang zum Medium Fernsehen. Beiträge können von jedem gestaltet und auch gesendet werden – eine Videokamera und ein PC reichen als Ausrüstung.

New Global Vision ist das erste frei zugängliche Archiv Italiens, das unabhängiges Videomaterial abseits der großen TV-Sender und Medienkonglomerate zur Verfügung stellt. Es wurde von einer Gemeinschaft von Künstlern, Web-Designern, Videokünstlern, Technikern und Hackern geschaffen, die ihr Fachwissen und ihre Erfahrungen einbrachten. Das Projekt entstand unmittelbar nach den Ereignissen von Genua im Jahr 2001. Es gab eine große Menge an Videomaterial von Demonstranten, das jedoch von den Massenmedien weitgehend ignoriert wurde. Eine Vielzahl freier politischer Gruppierungen fühlte sich zensiert – das Bedürfnis nach einer Plattform, auf der man unabhängig Videomaterial einer breiten Öffentlichkeit zur Verfügung stellen konnte, erwachte. New Global Vision bietet nun auch Amateurfilmern die Möglichkeit, ihr Material schnell zu publizieren.

Den Sonderpreis der Jury in der Kategorie „Digital Communities“ bekam BitTorrent. Die p2p-Software revolutioniert wie kaum eine andere Technik vorher die Distributionswege digitaler Medien.

Letztes Jahr gewannen übrigens u.a. Creative Commons und die Wikipedia den Prix Ars Electronica.

Nach der Preisverleihung und einer kleinen Pause fand der Table Talk zum Thema „Welche Bedürfnisse und Interessen treiben eine Community an?“ im selben Saal statt. Diesen fand ich sehr angenehm, nicht nur wegen der bequemen Sessel, die um einen Tisch herum aufgestellt waren. Ist mal etwas anderes als die typische Podiumsdiskussion, wo man die Diskussionspartner immer nur von der Seite sieht und frontal zum Publikum sitzt. Ich hatte vorher gefragt, ob ich livebloggen darf. Allerdings sass letztes Jahr an derselben Stelle Joi Ito und tat genau das und es wurde eher als kontraproduktiv empfunden. Also habe ich nur ein paar Fotos gemacht, das Notebook in der Tasche gelassen undmich geärgert, dass ich noch keine Zeit hatte, mir einen brauchbaren MP3-Player zum aufnehmen zu kaufen, um die Diskussion aufzunehmen und zu podcasten (Nochmal danke an all die Kommentare in meinem Beitrag dazu).

Auch die Teilnehmer waren sehr interessant. Georg Pleger von Creative Commons Österreich berichtete über ein Jahr Creative Commons Lizenzen in Österreich und wie mühsam es ist, bei Entscheidungsträgern sehr niedrigschwellig Bewusstsein für Open Content zu schaffen.

Sehr interessant war Roman Bleichenbacher von Codecheck.ch. Die Plattform war eigentlich die Diplomarbeit von Roman und wächst kontinuierlich. Die Idee dahinter ist ein System, wo Verbraucher ihren Barcode, bzw. die Ziffernfolge eingeben können und Produktinformationen erhalten. Die Produktinformationen werden in einem kollabrativen Prozess gesammelt. Jeder kann daran teilnehmen, man muss sich nur registrieren. Seine Ideen gehen mittlerwile weiter. Ein grosses Problem ist noch die digitale Spaltung, nicht jeder hat heute Zugang zum Netz. Eine Möglichkeit wäre, Codecheck mit einem Text-to-Speech System auszustatten, damit Konsumenten am Telefon die Ziffern eines Barcode diktieren können und das System die Informationen aus der Datenbank vorliest.

Franz Schmidtbauer war als Jurist und u.a. als Webmaster der österreichischen Richtervereinigung geladen. Seit 1995 arbeitet er daran, das Bewusstsein bei Richtern für den Komplex Technik & Gesellschaft zu erhöhen. Eine sehr mühseelige Aufgabe, wie er berichtet. Er plädierte u.a. für eine Neuausrichtung der Grundrechte im digitalen Zeitalter, inklusive eines Recht auf Anonymität, da die Entwickler unserer Verfassung das digitale Zeitalter und seine Probleme noch nicht voraussehen konnten. Er berichtete hauptsächlich über absurde Gesetzgebung in Österreich (Läuft genauso wie in Deutschland) im Bereich Bürgerrechte und Datenschutz. Ein passender Kommentar von ihm war, dass die Menschen, welche bei unserer Diskussion nach 10 Sekunden wegen zuvieler Fachwörter aussteigen würden, als Richter oder Politiker über die Zukunft des Netzes entscheiden.

Ich war hauptsächlich als „Blogger“ geladen und berichtete ein wenig über meine Arbeit und dieses Blog. Eine Frage an mich bezog sich auf das in Österreich eingeführte Telemediengesetz. Dies sieht eine Impressumspflicht für jede Webseite vor, d.h. auch jedes Blog ist verpflichtet, einen Realnamen und die Stadt anzugeben. Meine Position ist, dass es weiterhin Räume im Netz geben muss, wo man genau wie im realen Leben Anonymität ausleben kann. Dies ist gerade für eine freie Meinungsäusserung wichtig. Im Zeitalter von Google & Co werden Informationen vielleicht für immer gespeichert. Was ist beispielsweise mit Weblogs, wo Schwerkranke anonym von ihrem Leidensweg bloggen. Sollen diese durch eine Impressumspflicht und die Speicherung in Suchmaschinen für ihr Leben stigmatisiert werden? Wo sie gerade durch die (Pseudo-) Anonymität im Moment die Möglichkeit haben, offen über ihre Leiden zu berichten und Gleichgesinnte zu finden, ohne das ein Text eindeutig ihnen zuzuordnen ist? Das Beispiel kann auf beliebige Sachverhalte übertragen werden. Franz Schmidtbauer pflichtete mir bei, erklärte aber das dieses Gesetz komplett unnützig sei und niemand dafür belangt würde, wenn er/sie aufs Impressum verzichtet.

Donatella Della Ratta berichtete über ihre Arbeit als Journalistin bei einer unabhängigen italienischen Zeitung namens „Il Manifesto“. Die Zeitung gehört den Journalisten und existiert wohl seit 30 Jahren. Aufgrund des Berlusconi Medienmonopols ist es gerade in Italien für die Menschen wichtig, alternative Medien zu schaffen.

Eine Zusammenfassung der Diskussion wird am kommenden Sonntag, den 11.9. um 22:30 in der Sendung Matrix im ORF-Radio gesendet. Wer nicht in Österreich sitzt, kann den ORF Livestream übers Netz empfangen.

Mehr von der Diskussion stecken noch in meinem Kopf. Ich hoffe, ich komme später noch dazu, alles weitere niederzuschreiben. Jetzts chaue ich mir erstmal das Ars Electronica Center an, bevor es schliesst.

1 Ergänzungen

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