Ten TenDas Handy-Walkie-Talkie

Aus Frankreich kommt eine neue Social-Media-App, die auch hierzulande populär wird. Kritiker*innen befürchten mehr Stress für Jugendliche und Einschnitte in die Privatsphäre. Die Entwickler halten dagegen.

Walkie-Talkie
Auch in Deutschland sind Handy Walkie-Talkies im Kommen CC-BY 2.0 unmatched value

Eine neue Kommunikations-App aus Frankreich sorgt derzeit für Diskussionen. Mit über fünf Millionen Downloads erfreut sich Ten Ten dort großer Beliebtheit, besonders unter Jüngeren. Die Sprecherin des französischen Innenministeriums Camille Chaize warnt deshalb auf X (ehemals Twitter) öffentlich vor der App.

Auch die Jugendpsychologin Margareta Reinecke kritisiert: „Ten ten verhält sich, als sei jede Kommunikation ein Notfall, was den Druck erhöht, ständig erreichbar zu sein.“

Funktionen der App

Bei Ten Ten handelt es sich um eine Walkie-Talkie-App fürs Handy. Die App wurde vom französischen Duo Jule Colmar und Antoine Baché entwickelt. Mittlerweile sind beide in der Leitung der Firma hinter Ten Ten. Sie hatten die Idee, mit Freunden und Familie so reden zu können als wäre man im gleichen Raum, ohne sich in der Nähe zu befinden.

Ten Ten funktioniert wie eine Sprachnachricht, nur dass man die Nachrichten nicht später annehmen kann. Ist das Handy mit dem Internet verbunden ist, wird die Nachricht sofort abgespielt – selbst dann, wenn das Handy gerade gesperrt ist.

Wenn man eine Nachricht aufnimmt, verbindet man sich zuerst mit dem Handy der Person, für die diese Nachricht gedacht ist, und spricht dann in der App drauflos. Derzeit kann man auf diese Weise mit bis zu neun Kontakten sprechen. Jeder Nutzer der App hat einen eigenen PIN-Code, den Freunde und Bekannte hinzufügen können. Wenn man keine Nachrichten bekommen will, kann man Freunde stumm schalten oder auch sein Handy auf „Nicht stören“ stellen. Wenn man überhaupt nichts mehr von der App mitbekommen möchte, muss man das Handy vom Internet trennen.

Mikrofon durchgehend aktiv

Wir testen die App in der Praxis: Beim ersten Starten muss man einen Account erstellen. Dabei hat man die Wahl, dies mit Google, TikTok oder einer E-Mail einzurichten. Dann kommt die Frage nach der Erlaubnis, das Mikrofon nutzen zu dürfen. Wenn man diesem nicht alle möglichen Rechte gibt, kommt diese Frage nach jedem Öffnen der App erneut.

Nun möchte die App, dass man die Erlaubnis erteilt, immer im Hintergrund zu laufen. Wenn man dem Mikrofon das Recht gegeben hat, immer zu laufen, wenn die App läuft, bedeutet das, dass das Mikrofon durchgehend aktiv ist. Kritiker*innen befürchten deshalb, dass es Datenschutzprobleme gibt. Doch die einzigen Daten, die in der App bei Nutzung nicht gespeichert werden, sind die Sprachnachrichten selbst. Diese werden nach dem Abspielen gelöscht. Zudem werden diese Nachrichten Ende-zu-Ende-verschlüsselt gesendet. Alle anderen Daten, bis hin zu den Kontakten und favorisierten Kontakten, werden gespeichert.

Das Start-up stellt dazu klar:  „All eure Gespräche sind flüchtig, wir können eure Gespräche nicht abhören, da wir sie nicht einmal speichern!“ Ten Ten betont auch, dass sie als französisches Unternehmen an die Datenschutz-Grundverordnung gebunden sind. Dennoch schreiben sie in ihren vorläufigen Datenschutzbestimmungen, dass die Daten einen weiten Weg gehen, da die Server in den USA stehen, und dass eine komplette Sicherheit ihrer App nicht gewährleistet werden kann. Auch möchte Chef Jule Colmar sich bis jetzt nicht dazu äußern, wie die App in Zukunft Geld machen möchte.

Wie ohne Anklopfen ins Zimmer kommen

Kritik bekommt die App in den Medien vor allem aufgrund der Befürchtungen, wie sie sich auf Kinder und Jugendliche auswirken könnte. Es wird befürchtet, dass sie zum Mobbing genutzt werden könnte. Und tatsächlich: Wenn man eine Nachricht bekommt und diese sofort anfängt abzuspielen, fühlt es sich an, als ob jemand ohne anzuklopfen ins Zimmer kommt. Dies könnte beim Mobbing einen massiven Einfluss auf Betroffene haben.

Bei der App handelt es sich um eine weitere Social-Media-App, bei der man hinterfragen kann, ob man sie auf seinem Handy braucht. Sicherer wäre auf jeden Fall ein echtes Walkie-Talkie. Statt einem Verbot, wie es jetzt einige fordern, wäre man aber wohl besser beraten mit mehr Aufklärung über Datenschutz, Mobbing und soziale Medien.

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5 Ergänzungen

  1. Zu „wäre man aber wohl besser beraten“: Bildung und Aufklärung ist immer sinnvoll. Doch die Frage ist, ob das hier etwas ändern kann oder sogar soll. Kommunikation ist ein Grundbedürfnis. Jeder Mensch braucht das und natürlich hat die Industrie das erkannt. Menschen zahlen dafür, um das zu tun während gleichzeitig der Partner einem gegenüber sitzt und im schlimmsten Fall auch gerade das Smartphone malträtiert. Es ist eine generierte Sucht.

    Zu diesem sozialen Problem kommt, dass einem die eigene Kommunikation und Geräte förmlich entrissen werden. Der Benutzer entscheidet nicht mehr, welche Daten sein Gerät verlassen, welche Programme oder Web-Präsenzen autark und unkontrolliert was ausplaudern oder tun. Programme laufen nicht mehr auf den Geräten der Nutzer sondern irgendwo auf einer Serverfarm in der Cloud. Niemand kann wissen, was die alles tun. Niemand kann sie abschalten. Niemand kann mehr Einfluss nehmen. Wohlgemerkt: Einfluss auf die eigene Kommunikation! Es sei denn, sie wirft den Hightechkram in die Tonne.

    Nun kommt sicher: Aber bei mir ist das nicht so. Ich kann jederzeit … und ich habe die Kontrolle … Ein typisches Suchtverhalten.

    Während Windows 11 ohne dein Zutun deine sogenannten „Eigenen Dateien“ in die Wolke schiebt, damit MS ein noch genaueres Bild von dir bekommt, weiß, wann es dir Tampons anbieten soll der Kopfschmerztabletten, weiß ob Trump oder Biden oder ein Avatar der beiden gewählt wird, ob man besser Stimmung gegen gegen Scholz oder für VdL machen sollte und wie man noch mehr Einfluss in der Welt gewinnt.

  2. PArt II, denn offensichtlich hat NP die größeren Eingabefelder nicht bezahlt und kann außerdem immer noch nicht Zählen bzw programmieren… (Sorry, ihr seit die Guten – ernsthaft!)

    Ich sagt dir was: Ich mecker gar nicht. Das missversteht ihr. Ich verrate dir nur das Geheimnis, wie man mit der Naivität der Menschen und mit Sprüchen wie „don’t be evil“ und Marktmanipulation zur reichsten Firma der Welt wird. Aber achte darauf: immer ist der Benutzer verantwortlich und niemals die „Firma“. Für jeden Klick, jeden Like, jeden Post und sogar für die privatesten Daten. Wir ™ waschen die Hände in Unschuld.

  3. „Sicherer wäre auf jeden Fall ein echtes Walkie-Talkie“ Ähm… nein, ganz sicher nicht. Würden diese Dinger wieder „in“, könnte jeder in Reichweite, auf der richtigen Frequenz, das Gespräch mithören. Erinnert sich noch jemand an den „Sextalk“ aus American Pie, als alle Männer der Umgebung mit Walkie-Talkie ins schwitzen kamen!? Zumindest sicherheitstechnisch war das plausibel.

    Ohne selbst irgendeinen Bezug zur App zu haben… aber die App ist zumindest, lt. Angaben des Autors, verschlüsselt und jeder kann entscheiden, wem er seine Pin gibt.

  4. Der Vergleich mit Walkie-Talkie ist schief – bei einem Walkie-Talkie (oder auch bei CB Funk) wissen die Anwender, dass jeder im gleichen Band und Bereich mithören kann.

    Bei Ten Ten werden sie gedacht („genuged“), dass alles verschlüsselt ist – aber die Metadaten nach eigener Auskunft von Ten Ten eben nicht – und wie sagte schon einmal jemand aus USA: “ We kill on meta data“.

    Wie schön wäre es wenn die Apps in den Stores vor Veröffentlichung alle automatisch eine „Freigabe“ durch die Datenschutzbehörden bekommen müssten – quasi eine Art Zertifikat – aber dazu müssten die DS Behörden halt wirksam digitale Prüfvorgänge etablieren können – und das ist bei der (gewollten) mikrigen Budgetausstattung wohl Träumerei.

    Selbst „wirksame“ – sprich kritische nicht-digitale Präsenz – wie Herr Kelber werden ja augenscheinlich einfach abserviert – bedrückend.

    1. > alles verschlüsselt – aber die Metadaten eben nicht

      Das ist übrigens bei verschlüsselter Email auch so, wobei der immer unverschlüsselte Betreff ebenfalls zu den Metadata zählt.

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