Offene SoftwareKahlschlag bei Open Technology Fund bedroht Signal und Tor

Ein politisches Manöver der Trump-Regierung bedroht die Finanzierung vieler offener und freier Softwareprojekte. Über Nacht kam dem Open Technology Fund die langjährige Chefin Libby Liu abhanden, die eine Neuausrichtung hin zu geschlossener Software befürchtet. Darunter könnte das ganze Internet leiden.

Libby Liu
Die Ex-Chefin des Open Technology Fund, Libby Liu, bei einer Veranstaltung 2016. CC-BY-NC 2.0 DW/K. Danetzki

Die meisten Internetnutzer kennen offene Projekte wie den verschlüsselten Messenger Signal, den Anonymisierungsdienst Tor oder die Browser-Erweiterung NoScript. Weniger bekannt dürfte ein wichtiger Geldgeber solcher Initiativen sein, der sich plötzlich Sorgen um seine künftige Ausrichtung machen muss.

Seit Jahren unterstützt der Open Technology Fund (OTF), eine von der US-Regierung finanzierte Non-Profit-Organisation, unzählige Projekte, die sich der Internetfreiheit verschrieben haben. Erklärtes Ziel ist es, möglichst viele offene und freie Werkzeuge in die Welt zu setzen, um „repressiver Zensur und Überwachung“ entgegenzuwirken.

Rund zwei Milliarden Menschen nutzen laut Eigenaussage regelmäßig vom OTF unterstützte Tools. Damit überwinden sie Firewalls in China, entziehen sich Überwachung in Iran oder kommunizieren sicher in Russland. Seit der Gründung 2012 seien 450 Millionen US-Dollar angefordert worden, heißt es auf einer Übersichtsseite.

In einer unerwarteten Wendung droht dem OTF nun, selbst Opfer von Willkür und Repression zu werden. Die Kündigung der langjährigen OTF-Chefin Libby Liu am Mittwoch könnte nur der erste Schritt sein, befürchten viele.

Politischer Kahlschlag

Es gebe ernsthafte Sorge, macht die Initiative Save Internet Freedom geltend, dass das OTF zerlegt und dessen Budget umgeleitet werden soll: Zu einigen wenigen Anti-Zensur-Tools, die zudem nicht transparent und offen überprüft würden. „Darüber hinaus sind diese Technologien Closed-Source, was sie weniger sicher macht und die Anzahl der Menschen weltweit einschränkt, die darauf zugreifen können“, heißt es in einem Schreiben der Initiative an Mitglieder des US-Kongresses.

Dieser muss sich jetzt mit einem größeren politischen Kahlschlag beschäftigen. Neben Libby Liu, dem bisherigen OTF-Aufsichtsrat musste auch die Führung der ebenfalls von der US-Regierung finanzierten Sender Middle East Broadcasting, Radio Free Asia und Radio Free Europe/Radio Liberty plötzlich ihren Hut nehmen. Von einem „Mittwoch-Abend-Massaker“ sprachen laut CNN mehrere anonyme Quellen. Zuvor traten bereits die beiden Leiterinnen von Voice of America zurück, der internationalen Medienagentur der Vereinigten Staaten.

Hintergrund des Erdbebens ist die Neubesetzung des Chef-Postens der „US Agency for Global Media“ (USAGM) durch US-Präsident Donald Trump. Die Behörde finanziert den OTF wie auch die betroffenen Mediengruppen. Ihr neuer Kopf ist nun Michael Pack, ein rechtskonservativer Filmemacher und Aktivist, der unter anderem Steve Bannon, den ehemaligen Trump-Berater und Ex-Betreiber der Rechtsaußen-Postille Breitbart, zu seinen Verbündeten zählt.

Schon die Nominierung Packs vor zwei Jahren traf auf erbitterten Widerstand der Demokraten im US-Senat, auch einige Republikaner bremsten. Bislang gaben sich die Behörde sowie die von ihr finanzierten Projekte einen überparteilichen und von der Regierung unabhängigen Anstrich – eine Tradition, die mit der Bestellung des langjährigen rechten Aktivisten Pack kaum vereinbar ist. Anfang Juni gab die republikanische Mehrheit dem Druck aus dem Weißen Haus schließlich nach und bestätigte Pack trotzdem, ungeachtet eines laufenden Korruptionsverfahrens.

Breitseite gegen Mediengruppe

Zuvor griff Trump und sein Umfeld in einer „außerordentlichen Attacke“ Voice of America an. Dem Sender wurde fälschlicherweise unterstellt, im Zuge der Coronakrise chinesische Propaganda verbreitet zu haben. Der Verdacht liegt nahe, dass damit eine politisch genehme Berichterstattung erzwungen werden sollte.

Auch die nun entlassene Ex-OTF-Chefin Libby Liu, einstmals Präsidentin von Radio Free Asia, sah sich jüngst Angriffen ausgesetzt. In einer Talksendung von Steve Bannon forderte ein Gast den Rausschmiss von Liu, während Bannon eifrig mitnotierte. Der Zwischenfall soll dazu beigetragen haben, dass Liu kurz darauf ihren Rücktritt ankündigte.

In ihrer Abschiedsmail fürchtet sie um die Unabhängigkeit des OTF-Projekts. „Mir sind Lobbying-Bemühungen zu Ohren gekommen, die den neuen USAGM-Chef überzeugen sollen, in den Finanzplan für 2020 einzugreifen“, schrieb Liu, „und einige unserer Ressourcen zu wenigen Closed-Source-Tools umzuleiten“.

Zur Untermauerung hängte Liu einen Brief der „Lantos Foundation for Human Rights & Justice“ an. Darin schießt die Menschenrechtsorganisation scharf gegen bislang geförderte, offene Technologien, mit der sich Zensur im Internet umgehen lässt. Statt auf „kleine Peer-to-Peer und Privacy-First-Tools“ zu setzen, sollten lieber „große Umgehungs-Technologien“ Geld erhalten.

Fragwürdige Behauptungen

Adressiert an den zuständigen Minister Robert Destro sowie den US-Außenminister Mike Pompeo und USAGM-Chef Pack, nennt der Brief die Tools Freegate und Ultrasurf. Mit ihnen lassen sich Firewalls wie jene in China oder Iran überwinden. Aber beide legen ihren Quelltext nicht offen und sind lediglich für Windows verfügbar. Sie und zwei andere, quelloffene Programme sollen „umgehend“ 20 Millionen US-Dollar erhalten, fordert Katrina Lantos Swett, Präsidentin der Lantos Foundation, in dem Brief.

Deutlicher wurde Lantos Swett jüngst in einem Zeitungskommentar. Seit 2012 seien die USAGM und der OTF die zwei wichtigsten Vehikel dabei, Tools zur Überwindung von Firewalls zu finanzieren, etwa für chinesische Bürger. „Unglücklicherweise haben die beiden Organisationen fast ein Jahrzehnt lang eine ausreichende Finanzierung solcher Technologien unterbunden“.

Stattdessen sei ein Großteil des Geldes in Konferenzen, Fellowships, Forschung und Entwicklung sowie Inkubator-Fonds geflossen, schreibt Lantos Swett – Behauptungen, die sich angesichts der zahlreichen geförderten und weit verbreiteten OTF-Projekte nur schwer halten lassen. Über 75% des Geldes soll laut der Unterstützer von Save Internet Freedom bei der Entwicklung und Implementation sicherer Kommunikationstechnologie gelandet sein.

Sollte die US-Regierung die Finanzierung aber tatsächlich hin zu proprietärer Software verlagern, dann wäre dies nicht nur für den OTF bitter. Darunter leiden würden vor allem jene, die in autoritären Staaten leben – und letztlich das ganze Internet.

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9 Ergänzungen

  1. Es wird immer alles schlimmer, doch die Hoffnung stirbt zuletzt, d.h. im November. Denn auch wenn Biden Präsident wird, sehe ich für den OTF nicht unbedingt eine Kehrtwende, hat er gegenwärtig keine technologischen Berater. Dazu kommt, dass er im SOPA/PIPA-Debakel einer der loyalsten Verfechter Hollywoods war und nicht für die Öffentlichkeit eingetreten war.

  2. Gibt es eine analoge deutsche oder europäische, aus Steuermitteln finanzierte Organisation zum „Open Technology Fund (OTF)?

  3. Das wäre doch mal ein Anreiz dazu das die Community mehr TOR Server betreibt. Ein non-exit TOR Relay lässt sich ja recht risikofrei selbst auf einem günstigen V-Server betreiben. Da sollte such doch was machen lassen.

    Betreibt Netzpolitik.org eigentlich einen TOR Server ?

    1. Und zuzätzliche Nodes finanzieren das Tor-Project, oder welche vermeintliche Logik lässt sich aus deinem Resümee nun ableiten?
      Ich vertraue Tor schon jetzt nicht und das was da nun kommen wird sollte eher dazu veranlassen nodes abzuschalten.

  4. Die Demokratie müssen WIR Menschen, die die Demokratie wollen, immer wieder neu erarbeiten.
    Dazu gehören genau diese digitalen Projekte, Werkzeuge und Tools.
    Auch Staaten, die sich demokratisch nennen, sind immer wieder in Gefahr.
    Ich werde gerne dafür regelmäßig Beiträge spenden.

    1. Und das ist auch die einzige Lösung, wer sich auf Staaten verlässt, der ist verlassen.
      Privater Spender müssen die Stütze für demokratische Projekte sein.
      Wichtig ist aber, dass das jeweilige Projekt alle Spenden offenlegt und seien diese auch noch so klein.

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