36. Chaos Communication CongressTechnik, Politik und Freundschaft

Radikale Server-Kollektive stellen Infrastruktur für Aktivist:innen und vernetzen sich auf Veranstaltungen des Chaos Computer Clubs. Wir sprachen mit zwei Mitgliedern dieser Gruppen über ihre Arbeit sowie positives und negatives Chaos.

Schild mit Aufschrift "dezentrale"
Atmosphäre bei dem 36C3. CC-BY-NC-SA 4.0 Lennart Mühlenmeier

E-Mails, Chatserver, Mailinglisten, Blogs. All dies und mehr stellen radikale Server-Kollektive vor allem für Aktivist:innen bereit. Die Administrator:innen gehen gerne zu Veranstaltungen des Chaos Computer Clubs wie dem derzeitigen 36. Chaos Communication Congress (36C3) und reisen dafür von weit her an. Wir sprachen mit zwei Admins solcher Server-Kollektive: Per Mail mit einem von riseup.net aus Nordamerika und persönlich vor Ort mit Julius von immerda aus der Schweiz.

immerda: Zusammen an etwas Neuem arbeiten

netzpolitik.org: Julius, Du bist gerade bei dem 36C3. Seit wann circa gehst Du zu Veranstaltungen des Chaos Computer Clubs und wie ist es mit den anderen aus Eurer Gruppe?

immerda: Ich kann’s Dir nicht genau sagen. Seit fünf bis zehn Jahren gehe ich persönlich zu CCC-Veranstaltungen, aber andere von uns gehen wahrscheinlich schon länger. Ich weiß nicht genau, wer wie lange schon hingeht.

netzpolitik.org: Helfen Euch diese Events beim netzwerken und Euch als Kollektiv bei der Weiterentwicklung Eurer Arbeit?

immerda: Ja, sicher. Wir haben natürlich Freunde hier, es gibt andere Kollektive, man lernt weitere Menschen kennen. Und wir tauschen auch Ideen aus.

Zum Beispiel entwickeln wir auch hier weiter an onionmx. Damit probieren diverse Kollektive über Onion Services Mails zuzustellen. Dies läuft so, dass die Mails nicht über das öffentliche Internet laufen. Anstatt, dass wir nur auf TLS setzen, nehmen wir noch Tor hinzu. Oder auch Tor gänzlich anstatt von TLS, das ist schon ein Abwägen.

Das ist etwas, das kannst Du allein schon machen, aber das nützt dir nur im großen Netzwerk. Da müssen mehrere mitmachen und es muss gleich bei allen implementiert sein.

netzpolitik.org: Schaust Du Dir bei Chaos-Veranstaltungen Talks an oder bist Du eher für das Drumherum hier?

immerda: Ich mach beides. Normalerweise schaue ich einen Haufen an Talks, also mehrere pro Tag. Mich interessiert das ganze Security-Zeugs, aber auch das politische. Aber ich bin auch wegen den Menschen hier, um beispielsweise zusammen an etwas Neuem zu arbeiten.

riseup.net: Inspirierende ehrenamtliche Arbeit

Vorab per Mail sprachen wir mit einem Kollektivmitglied von riseup.net. Die Gruppe, die vorwiegend von und für den nordamerikanischen Raum arbeitet, ist nicht nur aufgrund der Distanz seltener bei Chaos-Veranstaltungen. Die Antworten erscheinen ungekürzt und übersetzt.

netzpolitik.org: Wart ihr schon einmal bei einem Veranstaltung des Chaos Computer Clubs? Wie fandet Ihr die Erfahrung?

riseup.net: Der Großteil des Kollektivs war noch bei keiner CCC-Veranstaltung. Zwei von uns waren einmal beim Congress, und drei von uns waren beim Camp.

Der Congress ist unglaublich schwer zu besuchen. Internationale Reisen während der Urlaubszeit sind sehr teuer. Die Reise geht meist über Nacht und Flughäfen sind in dieser Zeit von Menschen überflutet. Das ist eher die falsche Art von Chaos. Die Wahrscheinlichkeit, einen Rückflug zu verpassen, ist hoch, aufgrund des Wetters oder anderer Verspätungen … Einen teuren Nachtflug zu machen, um zu versuchen, ein paar Tage Wahnsinn zwischen den Ferien reinzupressen, ist einfach zu viel.

In Nordamerika bekommen wir Arbeitenden normalerweise nur 2 Wochen Urlaub im Jahr, plus Feiertage. Also wenn die Feiertage kommen, müssen wir diese Zeit wirklich nutzen, um aufzuladen, sonst schaffen wir es den Rest des Jahres nicht mehr. Der Kongress ist inspirierend und lustig, aber er ist nicht erholsam!

netzpolitik.org: Inwiefern verbessern Chaos-Veranstaltungen Eure Arbeit als Kollektiv? Zum Beispiel, um zu netzwerken oder auf dem Laufenden zu bleiben?

riseup.net: Die gestreamten Vorträge sind sehr nützlich! Sie sind so nützlich als wären wir tatsächlich vor Ort. Normalerweise schaffen wir es nicht zu den Vorträgen und so können wir sie im Nachhinein nachholen. Wenn wir wach sind und aufpassen können.

Ansonsten ist das Camp ein großartiger Ort, um gleichgesinnte Menschen zu treffen und sich weiter zu entwickeln.

Es stärkt soziale Bindungen mit Freunden, die in einem zweidimensionalen Online-Raum sonst nicht präsent sind. Wenn Menschen wie wir räumlich verteilt arbeiten, ist ab und zu ein persönliches Treffen entscheidend für ein besseres gegenseitiges Verständnis und um einander weniger misszuverstehen.

netzpolitik.org: Was würdet Ihr als einmalig für Chaos-Veranstaltungen betrachten?

riseup.net: Ich schätze es, dass Platz für Familien geschaffen wird und die inspirierende Menge an ehrenamtlicher Arbeit, die die Dinge so gut laufen lässt. Ich hoffe, dass die Veranstalter der Chaos-Events die Sicherheit für alle Teilnehmer verbessern, so dass die Leute, die ich kenne, die sich nicht wohl dabei fühlen, dort zu erscheinen, eines Tages kommen können!

Das Camp ist wirklich etwas Besonderes. Wir haben nicht diese Art von Festivalkultur, das ist sehr einzigartig. Die Mischung von draußen, mit Internet… das erinnert mich an ein Gedicht [von Richard Brautigan, das „All Watched Over by Machines of Loving Grace“ heißt, Anm.]:

I like to think (and
the sooner the better!)
of a cybernetic meadow
where mammals and computers
live together in mutually
programming harmony
like pure water
touching clear sky.

I like to think
(right now, please!)
of a cybernetic forest
filled with pines and electronics
where deer stroll peacefully
past computers
as if they were flowers
with spinning blossoms.

I like to think
(it has to be!)
of a cybernetic ecology
where we are free of our labors
and joined back to nature,
returned to our mammal
brothers and sisters,
and all watched over
by machines of loving grace.

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