MPI-Gutachten zur Vorratsdatenspeicherung

Ihr erinnert euch an den Bundestags-Beschluss zur Vorratsdatenspeicherung? Die Opposition hatte erfolglos versucht, ihn zu verschieben, bis ein unabhängiges Gutachten des Freiburger Max-Planck-Instituts für Strafrecht zur bisherigen Speicherpraxis den Abgeordneten vorliegt. Denn bislang war recht unklar, wie häufig die Verkehrsdaten eigentlich benötigt werden und für die Verfolgung welcher Straftaten.

Das Gutachten ist nun in umfangreichen Auszügen beim AK Vorrat verfügbar (Update: Einen Tag später Bereits seit zwei Wochen ist das vollständige Gutachten beim BMJ verfügbar.)

Die MPI-Forscher haben die Akten aus 467 repräsentativ ausgewählten Ermittlungs- und Strafverfahren ausgewertet und damit erstmals eine saubere wissenschaftliche Studie zur Struktur und Effektivität der Telekommunikationsüberwachung vorgelegt. Heise hat eine Zusammenfassung:

Demnach hätte die umstrittene Pflicht zur sechsmonatigen anlassunabhängigen Protokollierung von Telefon- und Internetdaten nur in unter fünf Prozent der analysierten Fälle eventuell die Aufklärungsquote gesteigert.

Der AK Vorrat rechnet weiter (das steht im Gutachten-pdf, erste Seite):

Die Zahl von 4% bezieht sich auf Strafverfahren, in denen Verkehrsdaten angefordert wurden. (…) Danach werden 2005 etwa 15.000 Ermittlungsverfahren bundesweit die Erhebung von Verkehrsdaten zum Gegenstand gehabt haben. Wenn in 4% dieser Verfahren Anfragen mangels gespeicherter Daten ergebnislos blieben, beträfe dies etwa 600 Verfahren bundesweit. Gemessen daran, dass in den Jahren 2003 und 2004 jeweils ca. 4,9 Mio. Ermittlungsverfahren bearbeitet wurden, entspricht dies 0,01% aller Ermittlungsverfahren.

Um den möglichen Nutzen (…) zu Strafverfolgungszwecken zu ermitteln, müssen von den Verfahren, in denen Abfragen wegen fehlender Verkehrsdaten ergebnislos blieben, noch diejenigen Verfahren in Abzug gebracht werden, die auf anderem Wege aufgeklärt werden konnten. (…) Etwa ein Drittel der Verfahren mit erfolgloser Verkehrsdatenabfrage kann (…) auf anderem Wege aufgeklärt werden.

Weiterhin müssen von den Verfahren, in denen Abfragen erfolglos blieben, noch diejenigen Verfahren in Abzug gebracht werden, die im Fall vorhandener Daten ebenfalls eingestellt worden wären. Auch in dieser Konstellation leistet die Vorratsdatenspeicherung keinen Beitrag zur Verfolgung von Straftaten (…); hinzu kommen noch die gerichtlichen Einstellungen und Freisprüche. In etwa drei Viertel der Verfahren würde eine Vorratsdatenspeicherung mithin schon deshalb keinen Beitrag zur Strafverfolgung leisten, weil die Verfahren selbst bei Vorliegen der angeforderten Verkehrsdaten eingestellt werden würden.

Unter Berücksichtigung all dieser Umstände ergibt sich, dass die Verfolgung von Straftaten zu gerade einmal 0,002% durch eine Vorratsspeicherung von Verkehrsdaten effektiviert werden könnte.

(Hervorhebungen von mir)

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30 Ergänzungen

  1. Juchee… ich dachte ja bis jetzt, dass das Kennzeichen-Scanning die schlechteste Effizienz aufweist, aber 0,01% sind ja mal richtig übel. Bei den Kosten, die die Vorratsdatensp. verursacht wäre das ja glatt noch ein Fall für das Schwarzbuch des Bundesrechnungshofes…

    aber klar, da ist der „Kampf gegen den Terror“ nicht drinne in den Zahlen höre ich unser aller Oberparanoiker sagen^^

  2. Nun könnte man ja der Meinung sein, daß jede Maßnahme, die zu einer Steigerung der Aufklärungsquote führt (und sei sie noch so klein) gerechtfertigt sein.
    Gibt es eigentlich eine Gegenüberstellung aus der man ersehen kann welches Maß an Einschränkungen man erfährt, um diese Quote zu erreichen – also wenn die Quote der Nutzen ist, dann müssen dem betriebswirtschaftlich gesehen ja auch „Kosten“ gegenübergestellt werden können. D. h. wieviel Einschränkung kostet es den Bürger damit die Justiz den Nutzen der höheren Quote hat?

  3. @3.: Wieso Schwarzbuch des Bundesrechnungshofes? Darin geht es doch im wesentlichen um Verschwendungen bei Bund, Ländern und Kommunen. Die Vorratsdatenspeicherung bezahlt doch aber keiner von denen, d. h. es werden auch keine Steuergelder verschwendet. Die Vorratsdatenspeicherung bezahlen doch bloß wir Verbraucher… Was im übrigen der noch viel größere Hohn ist, daß ich meine eigene Überwachung finanziere :(((((

  4. @7:
    Zumindest finanziell kann man das ja bereits ausrechnen.
    Einfach die Kosten der Provider nehmen, um einen ersten Anhaltspunkt zu bekommen. Laut einer Meldung von der CeBit 2008 belaufen sich diese auf 330 Mio. Euro. Bei 600 erfolglosen Auskunftsersuchen in einem Jahr macht das:

    330.000.000 € / 600 = 550.000 € pro Fall

  5. Vernichtend ineffizient, bleibt nur die Frage wie man Ineffizienz so stark auf legislativer Ebene fördern will?

    Es ist ja nicht so als ob man das Geld nicht auch woanders verwenden könnte …..

  6. Was soll das Update mit „einem Tag später“ ?
    Jetzt verlinkt schon fefe auf euch und tut so, als sei alles ganz aktuell. Ich weiß nicht wer hier weshalb pennt und warum der AK Vorrat nur Teile online gestellt hat, aber das komplette Gutachten hat DetlevT vom antiterror.blog.de hier schon am 02. März gefunden und verlinkt. Also seit über 2 Wochen steht das komplette Gutachten schon online als PDF zum download bereit.
    Also hier müssen einige mal dringend aufwachen, und vor allem aufhören Infos für sich zu behalten.
    Ich versteh grad echt nicht was hier abgeht und was das soll.

  7. @ corax: Danke für den Hinweis. Sag uns doch bitte nächstes Mal rechtzeitig bescheid. Vom AK Vorrat und von Netzpolitik.org hat sicher niemand Infos für sich behalten. Sobald wir etwas wissen, wird es veröffentlicht. Die Info, dass es das volle Gutachten beim BMJ gibt, kam erst heute auf der Liste des AK Vorrat, und ich habe es direkt hier als Update reingeschrieben. Wir alle haben nur begrenzte Ressourcen und kriegen nicht alles mit.

  8. @ Ralf Bendrath,

    ich bin doch auch bloß ein kleiner Leser. ;-)
    Der DetlevT hat öfter Sachen die andere noch nicht haben, oder die aus anderen Ursachen woanders untergegangen sind. Einfach bei ihm regelmäßig reinschauen. Das sollte grade auch nicht gegen Netzpolitik.org gehen. Mit „hier“ meinte ich alle die sich gegen die Vorratsdatenspeicherung etc einsetzen, niemand speziellen.
    Bloß, wieso findet beim AK anscheinend keiner Informationen die schon seit Tagen veröffentlicht sind, und ich mein damit halt so wichtige Infos wie das Gutachten. Und was mich besonders wundert, wieso tauchen auf einmal nur Auszüge auf. Das wirkt so konspirativ obwohl komplett alles veröffentlicht ist. Da hat doch „irgendjemand“ das komplette Gutachten gehabt/gefunden aber nur Teile davon rausgerückt, oder wie soll ich das sonst verstehen? Wer der „jemand“ ist, das müssen halt andere wissen.
    Deshalb war mein Tonfall so „barsch“. Ich war etwas genervt, dass von so einer Organisation wie dem AK Vorrat als Zentrale Anlaufstelle auf einmal nur Teile eines Gutachtens auftauchen, das man aber schon längst komplett einsehen kann.
    Aber heise scheint ja wohl auch „gepennt“ zu haben wenn ich das richtig sehe. Irgendwie ist da bei uns allen der Wurm drin. Ich hab mir jetzt mal die mailadresse aus dem Impressum notiert und werd demnächst alles posten was ich zum Thema find‘. ;-)

    Ne Zentrale email-adresse wo man alle Hinweise hin schicken kann wär mal ganz nett, anscheinend glaubt jeder der andere würde sich „kümmern“ und dann passiert sowas ärgerliches.

    Glück auf!

  9. @ corax nochmal:

    wieso tauchen auf einmal nur Auszüge auf. Das wirkt so konspirativ obwohl komplett alles veröffentlicht ist. Da hat doch “irgendjemand” das komplette Gutachten gehabt/gefunden aber nur Teile davon rausgerückt, oder wie soll ich das sonst verstehen?

    Einer vom AK Vorrat hatte das MPI-Gutachten per Post von jemandem aus dem Bundestag bekommen, hatte aber keine Zeit oder Ressourcen, um es komplett einzuscannen – zumal so ein Scan ja auch immens groß werden kann bei soviel Papier. Daher sind von uns zunächst nur die wichtigsten Seiten veröffentlicht worden.

    Als „zentrale Kontaktadresse“ zur VDS: kontakt@vorratsdatenspeicherung.de. Alle Fundstücke dazu und auch zu anderen Themen bitte auch an Markus, der – ganz genau – hier im Impressum steht, und/oder an mich (zwei Klicks von der unter meinem Namen verlinkten URL entfernt).

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