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Vom Tiger zum Teppichvorleger: Die Dual Use-Verordnung wurde zum frustrierenden Kompromiß. Überwachungstechnologie wird derzeit unkontrolliert aus der EU exportiert – auch an autoritäre Regime. Lena Rohrbach von Amnesty International schrieb einen spannenden Gastbeitrag und argumentiert, inwiefern der Gesetzesentwurf ausbaufähig ist. Überwachung und Unterdrückung von Journalist:innen und Menschenrechtsaktivist:innen könnte ein Ende gesetzt werden, doch steht bis dahin noch viel Arbeit bevor.

Sicherheit durch Verschlüsselung und Sicherheit trotz Verschlüsselung: Staatliches Mitlauschen soll ermöglicht werden und Anbieter sicherer Kommunikationslösungen werden dies ermöglichen. Der EU-Ministerrat will verpflichtende Hintertüren von Anbietern sicherer Kommunikationslösungen für Behörden. Doch dies öffnet ebenfalls technische Sicherheitslücken – Mißbrauch wäre geradezu vorprogrammiert. Kritik kam aus Zivilgesellschaft und Wirtschaft gleichermaßen. Anna Biselli fasst verschiedene Kommentare und Kritikpunkte gegenüber des Abschwechens verschlüsselter Kommunikation zusammen.

Der Beschluss des Landgerichts Bonn ist ein Erfolg für 1&1 und eine Schlappe für Ulrich Kelber. Das Landgericht Bonn stutzt die Strafe zusammen, die der Bundesdatenschutzbeauftragte 1&1 auferlegt hatte. Eine Strafanzeige wegen Stalking führte zu einem Bußgeldverfahren gegen 1&1 aufgrund von DSGVO-Verstoß. Der Internetanbieter schützte die Daten seiner Kund:innen zwar nicht gut genug, doch es sei nur ein Fall bekannt, in dem dies zu Problemen geführt habe. So wurden mal eben aus den vorgesehenen 9,55 Millionen „nur“ 900.000 Euro Bußgeld.

Verbraucher:innenrechte und Datenschutz

Au revoir WhatsApp und Telegram: Das Bundeskartellamt hat eine Sektoruntersuchung von Messenger-Apps eingeleitet. Vermutet wird, dass Nutzer:innen systematisch ihrer Rechte beraubt werden. Das Bundeskartellamt wird in den kommenden Monaten Expert:innen interviewen und sichere Messenger-Dienste fördern. Das Vorhaben soll zukünftige Verbraucher:innenrechte bei Messengern verbessern.

Das Ankreuzen einer Zustimmung zur Datenspeicherung muss aktiv durch Nutzende selbst erfolgen, hat der Europäische Gerichtshof in einem Urteil klargestellt. Auslöser war Orange România, denn der Mobilfunkanbieter setzte in den Verträgen der Kund:innen die Häckchen bezüglich der Speicherung einer Ausweiskopie im Vorhinein. Zugleich wurde nicht ausreichend darauf hingewiesen, dass die Zustimmung in diesem Punkt von Kund:innen nicht für den Vertragsabschluss erforderlich ist. Solche irreführende Vertragsfloskeln sind, im Sinne der Wahlfreiheit, zukünftig nicht mehr gestattet.

Das Bundesgesundheitsministerium hat eine Informationsplattform gestartet um Desinformationen im Netz entgegenzuwirken. Bei Suchanfragen zu Krankheiten soll das sogenannte Knowledge-Panel unseriöse, fehlerhafte und bedrohliche Artikel bereits herausfiltern. Informationen erscheinen demzufolge nicht bei der Kombination von Begriffen wie „Brustkrebs“ und „Homöopathie“, da die vermeintlich alternativen Behandlungsmethoden für Krebspatient:innen tödlich enden können. Das Nationale Gesundheitsportal steht bisweilen noch in der Kritik, unter anderem in Sachen Datenschutz.

Die EU-Staaten stehen womöglich vor einer Einigung über die ePrivacy-Reform. Die neue Verordnung soll ungewolltes Tracking durch Cookies beim Surfen im Netz einschränken. Eine alte EU-Richtlinie für die Privatsphäre bezüglich elektronischer Kommunikation wird reformiert. Der private Austausch von Anrufen und Nachrichten via Whatsapp und Co. und gewöhnliche Telefonate werden demzufolge vor kommerziellen Zwecken geschützt. Einigungen auf Kompromisse, wie beispielsweise Ausnahmen bei Presseverlagen, sind noch erforderlich, damit die Verhandlungen fortgeführt werden können.

Karte verloren? Kein Problem, denn Banken haften für illegal getätigte, kontaktlose Zahlungen, beschließt der Europäische Gerichtshof. Aber nur, wenn der Verlust rechtzeitig bei der zuständigen Bank gemeldet wird. Ursache für die Änderung ist ein Gerichtsverfahren aus Österreich: Die DenizBank enthielt rechtswidrige Klauseln in ihren AGB, demgemäß die Bank keine Haftung für kontaktlose Kleinbetragszahlungen nach Verlust der Karte übernahm. Dieser Grauzone wurde nun ein Ende gesetzt.

Hass, Hetze, Terror, Verschwörung

Heute diskutierten die EU-Innenminister bei ihrem Treffen vor allem über die jüngsten Terroranschläge in Europa. Der Resolutionsentwurf des EU-Ministerrats sorgte bereits für viel Aufruhr, da Verschlüsselung zukünftig dadurch abgeschwächt werden soll. Die Bereits bestehenden technischen Möglichkeiten sollen ausgeweitet werden, beispielsweise anhand von Vorratsdatenspeicherung. Die Verpflichtungen sozialer Medien sollen zudem verschärft und Verantwortliche bestimmt werden. Das „Plattformgesetz“ soll die macht großer Konzerne, wie Facebook einschränken. Die Erklärung betont, man wolle entschlossen gegen Terrorismus vorgehen, ohne u.a. die Freiheit, Menschenwürde und Demokratie einzuschränken – die bisher erwähnten Vorhaben widersprechen dem jedoch zum Teil. 

Facebook setzt im Kampf gegen Verschwörungsideologien, Hass und Hetze Gruppen auf Bewährung. Bedrohliche Facebook-Gruppen, die vermehrt negativ aufgefallen sind werden unter 60-tägige Bewährungsfristen gesetzt. Ungeschulte Freiwillige Gruppenmoderator:innen werden nun in die Pflicht genommen: Sie sollen manuell richten über Veröffentlichungen von Beiträgen. Die Gemeinschaftsrichtlinien des Unternehmens müssen bei Entscheidungen strengstens beachtet, ansonsten wird die Gruppe endgültig von der Plattform gelöscht. Anlass für diese Änderungen sind Verschwörungserzählungen über die US-Wahl und Corona-Pandemie.

Das Friedel54 in Berlin wurde 2017 Opfer einer Falschmeldung der Polizei. Der linksalternative Kiezladen ging mit dem Fall vor Gericht, aber ohne Erfolg. Die Polizei habe frühzeitig eine Richtigstellung der Lüge auf Twitter veröffentlicht und die Twitter-Meldung der Polizei (die bis 2019 online war) ist mittlerweile gelöscht, ist die Begründung des Richters. Doch Richtigstellungen erlangen bekanntlich weniger Aufmerksamkeit als die ursprüngliche Falschaussage. Es sei der richtige Fall zum falschen Zeitpunkt.

Es bleibt spannend bei Off The Record: Dieses mal mit Ingo Dachwitz, Marie Bröckling und ehemalige Praktikantin Jana Ballwerber. Die aktuellste Episode der Podcast-Reihe beschäftigt sich mit Vorratsdatenspeicherung, Netzsperren und Altersverifikation bei Pornoportalen. Zudem wird über Janas Kommentar zu einem Beitrag des Hessischen Rundfunks über Pandemie-Skeptiker Sucharit Bhakti gesprochen. Der Artikel sähte und erntete zugleich viel Kritik. Aufgrund vieler Beleidigungen und herablassenden, sexistischen Kommentaren wurde unter dem Artikel erstmals die Ergänzungsspalte geschlossen. Jana Ballwerber erzählt, wie es ihr damit ging und wie sie heute auf den Artikel blickt.

Was wäre ein Wochenrückblick ohne Uploadfilter?

Die Bundesregierung wagt in Sachen Uploadfiltern einen Spagat zwischen Datenschutz und Überwachung. Einerseits werden verpflichtende Überwachungsmaßnahmen zur Entfernung terroristischen Materials gestrichen, andererseits werden bestimmten Anbietern Uploadfilter aufgezwungen, also „technische Mittel, um terroristische Inhalte aufzuspüren, zu erkennen und zügig zu entfernen.“ Anbieter sollen sich hierfür ein automatisiertes Werkzeug aus verschiedenen Filtertechnologien wählen. Der Verordnungsentwurf befindet sich derzeit in Trilog-Verhandlungen zwischen Kommission, EU-Mitgliedsstaaten und dem Parlament.

Keine Uploadfilter! Oder doch? Artikel 17 der Urheberrechtsreform lässt Plattformen kaum eine Wahl, denn er macht kommerzielle Plattformen für Urheberrechtsverletzungen der Nutzer:innen haftbar. Eine Pauschallizenz soll Unternehmen dabei helfen, der Haftung zu entgehen. Nur so können Anbieter auf die umstrittenen Uploadfilter verzichten. „Alle Uploads werden legalisiert – kurze Ausschnitte aus fremden Werken sollen dabei kostenfrei genutzt werden können, für lange Ausschnitte oder ganze Werke müssen die Plattformen eine gesetzlich festgelegte Pauschalvergütung zahlen. Wenn alle Uploads legal sind, wird der Einsatz von Uploadfiltern überflüssig.“

Die Wirtschaft

Self Preferencing: Ein Wettbewerbsverfahren gegen Amazon wurde eingeleitet. Vorwurf an das Unternehmen ist die Bevorzugung eigener Produkte gegenüber Produkten anderer Händler:innen. Amazon habe seine Marktposition in Deutschland und Frankreich bereits missbraucht, gemäß vorläufiger Ergebnisse einer Voruntersuchung. Konkurrenz wird, mithilfe von Datenanalysen aller Produkte des Online-Angebots in Echtzeit, preislich unterboten. Das Marktverhalten von Amazon wird nun global vermehrt von Wettbewerbsbehörden untersucht – Amazon soll zukünftig in seiner Marktmacht eingeschränkt werden.

Alibaba plant eine Logistik-Schaltzentrale samt Lagerhallen in Lüttich. Der milliardenschwere chinesische Amazon-Rivale möchte die Belgische Stadt zu seinem kontinentalen Epizentrum erbauen. Der Konzern verspricht den Bewohner:innen 900 neue Jobs, doch stößt trotz alledem auf Widerstand von Globalisierungsgegner:innen und Umweltschutzaktivist:innen. Zudem seien die Arbeitsplätze durch Alibaba von zu niedriger Qualität. Die belgische Regierung hofft jedoch auf einen Deal, denn wirtschaftlich würde das Land von den Plänen des Konzerns stark profitieren.

Und sonst so?

Der Beschluss des Staatstrojaners durch die Bundesregierung beschäftigt uns weiter. Dabei ist das Problem in vielen extremistischen Fällen nicht ein Mangel an Informationen, sondern mangelnde effektive Koordination. Dem fraglichen Nutzen gegenüber steht das hohe Missbrauchsrisiko des Gesetzesentwurfs. Der Jurist Dennis-Kenji Kipker und Michael Walkusz haben die Situation für uns eingeordnet.

Erinnerungspraktiken in Zeiten der Digitalisierung: Marie Bröckling veröffentlichte diese Woche zwei spannende und ergreifende Interviews über den Tod von geliebten Menschen und Trauer. Wie gehen Angehörige mit Bildern, Chatverläufen und Posts von geliebten Verstorbenen um? Im Gespräch ist Katrin, Mutter eines Mädchens, dass sich im Alter von 13 Jahren das Leben nahm. Katrin erkundete daraufhin private Nachrichten und Bilder ihres Kindes – auf der Suche nach Antworten. Eine digitale Schatzkiste an Erinnerungen. Soziologe Lorenz Widmaier leitete zu diesem Thema ein Forschungsprojekt über digitalen Nachlass ein: „Der WhatsApp-Verlauf ist für viele das Wichtigste„, stellte er hierbei fest.

Das Glyphosat-Gutachten durfte veröffentlicht werden und dies war rechtens. FragDenStaat veröffentlichte ein amtliches Glyphosat-Gutachten, da der bedenkliche Bestandteil von Unkrautvernichtungsmitteln schädlich für Umwelt und Gesundheit ist. Die Debatte um den Pestizid, der seit Jahrzehnten von Agrarkonzern wie Monsanto eingesetzt wird, ist nicht neu. Bei den Verhandlungen stellte sich heraus, dass das Gutachten seinen urheberrechtlichen Schutz bereits vor Veröffentlichung des Dokuments verloren hatte. Das Urteil ist jedoch noch nicht rechtskräftig und geht vermutlich vorerst in die nächste Instanz, denn das Bundesinstitut für Risikobewertung will gegen die Entscheidung des Landesgerichts in Berufung gehen.

Zu guter Letzt haben wir unsere Einnahmen und Ausgaben vom August in unserem aktuellen Transparenzberichtoffengelegt. Wir sind umgezogen, obwohl dies im Alltag noch nicht ganz spürbar wird. Die Dekoration bleibt vorerst in den Kartons und wir bleiben zuhause. Wir danken euch vielmals für die Unterstützung!

Ich wünsche euch im Namen der Netzpolitik-Redaktion ein schönes, erholsames Wochenende – Bleibt zuhause und bleibt gesund! 

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