Kreml-LeaksRussland will Millionen Accounts in sozialen Netzwerken automatisch überwachen

Interne Dokumente des Putin-Regimes zeigen: Russland baut die automatische Überwachung von sozialen Netzwerken weiter aus. Im Fokus sind dabei vor allem die besetzten Gebiete.

Ein illustrierter Putin schaut über einer Mülltonne hervor
Russland entwickelt sich unter Putin immer weiter zu einem totalitären Regime. – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Don Fontijn

Geleakte Geheimdokumente aus dem Kreml zeigen, wie Putins Machtapparat ein ausgeklügeltes System von nach innen gerichteter Propaganda und Wahlbeeinflussung aufbaut. Ein Teil des Programms ist auf die Erstellung von regimefreundlichen Inhalten konzentriert, wobei ein „Institut für Internetentwicklung“ (IRI) eine zentrale Rolle spielt. Ein anderer Teil des Programms ist auf Internetüberwachung und Zensur ausgerichtet.

Über die Geheimdokumente haben verschiedene europäische Medien berichtet, unter ihnen der Spiegel (€), der Standard, das ZDF und sehr ausführlich die englischsprachige Publikation VSquare, die auch Teile der Dokumente veröffentlicht hat. Die sogenannten Kreml-Leaks enthalten Dokumente, die von 2020 bis Dezember 2023 datiert sind.

Automatische Kontrolle von Social-Media-Profilen

Laut den Unterlagen wird im Zusammenhang mit den Präsidentschaftswahlen in den besetzten Gebieten ein spezielles System zur Kontrolle des Internets finanziert, berichtet VSquare. Nach seiner russischen Abkürzung heiße das System ASBI oder „Automatisiertes System der Internetsicherheit“ (автоматизированная система безопасности Интернета). Es untersteht dem „Zentralen Russischen Funkfrequenzzentrum“.

Laut dem Bericht erhielt das ASBI im vergangenen Jahr zehn Millionen Euro für den Erwerb von Ausrüstung und technischen Verbesserungen, um „der Verbreitung verbotener Informationen entgegenzuwirken, verbotene Inhalte in neuen Gebieten zu blockieren, das Funktionieren des russischen Segments des Internets zu gewährleisten und externen Bedrohungen und Angriffen zu widerstehen“. Die staatlichen Mittel für ASBI belaufen sich auf insgesamt 89,6 Millionen Euro und wurden laut den Dokumenten an die Regierungsorganisation CISM (ЦИСМ – Центр изучения и сетевого мониторинга молодёжной среды) zugewiesen, welche soziale Netzwerke und die Stimmung von jungen Menschen überwacht.

Den Dokumenten zufolge muss CISM dafür sorgen, dass mindestens 85 Prozent der Social-Media-Profile der Bewohner:innen der besetzten Gebiete überwacht werden. Dabei soll laut dem Bericht ein „multimodal neuronales Netzwerk“ eingesetzt werden. Ziel des Programms sei es, frühzeitig „über aufkommende Bedrohungen und neue destruktive Erscheinungen zu informieren“. Nach Angaben der CISM könnten mit der Technologie mehr als 52 Millionen Social-Media-Profile überwacht werden. 1,6 Millionen seien bereits in eine Datenbank mit „destruktiven Konten“ aufgenommen worden und würden ständig überwacht. Russland hat etwa 143 Millionen Einwohner:innen.

Zunehmende Kontrolle des Internets

Russland arbeitet seit Jahren an einem russischen Intranet, das vom Internet abgekapselt ist. Weil das noch nicht gelingt, werden zunehmend Seiten, Medien und Dienste in Russland zensiert. So wurden Facebook und Instagram als „extremistisch“ verboten und Dienste wie Google News zensiert. In Russland weiterhin operierende Plattformen unterwerfen sich wie Yandex oder TikTok Putins Kontrollregime, indem sie bestimmte Inhalte nicht mehr anzeigen.

Gleichzeitig zieht Russland die Daumenschrauben auf allen Ebenen weiter an, es verabschiedete im letzten Jahr ein Gesetz, das die namentliche Registrierung bei der Nutzung des Internets und von Plattformen festschrieb.

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9 Ergänzungen

    1. Nein, bei der Chatkontrolle geht es vor allem um Messengerkommunikation, bei dem russischen Überwachungstool um die Überwachung öffentlicher Social Media Profile. Bei beiden Vorhaben geht es zwar um Überwachung, aber doch sind sie in ihrer Anlage grundverschieden. Äpfel mit Birnen vergleichen hilft niemand weiter.

      1. Ehrlich gesagt sehe ich keinen Äpfel-/Birnen- Vergleich.
        Im Prinzip geht es um die staatliche Überwachung der Internetaktivität Ihrer Bürger, ob dies nun eine 1:n Kommunikation mittels Social Media Profil oder eine 1:1 Kommunikation via Chat/Messenger ist, ist dabei erstmal unerheblich.
        Einzig und allein die Intention unterscheidet sich, die EU möchte damit, was sehr erstrebenswert ist, vermeiden dass rechtswidrige Inhalte verbreitet werden. Putin hingegen möchte mit dieser Überwachung seine Macht ausweiten und sichern.

        Auch wenn die Absicht der EU lobenswert ist, ist das Problem dahinter sehr groß. Um die Chats sauber überwachen zu können, muss die Verschlüsselung ausgehebelt werden, womit sämtliche Kommunikation analysiert und für weitere Zwecke ausgewertet werden kann.

    2. Typische Whataboutism-Pseudofrage. Made by Russian Thoughtcontroll. Und manche übernehmen diese Denke einfach und schaffen es so, dass man sich mit ihnen beschäftigt….

  1. Es geht in beiden Fällen um Überwachung, die aber grundverschieden sei, so schreibt Herr Reuter. Was ist damit gemeint? Ist die eine Überwachung besser als die andere? Oder ist es vielleicht so, dass alle Staaten ihre Bürger mehr oder weniger „überwachen“, um rechtzeitig systemgefährdende Tendenzen zu erkennen. Das oft praktizierte herausstellen der „bösen“ Russen oder Chinesen scheint mir allerdings wenig hilfreich für das Leben in einer Demokratie.

    1. Nein, es sind komplett verschiedene Überwachungskonzepte und wir bei netzpolitik.org begleiten beides mit kritischer Berichterstattung, wobei wir der Chatkontrolle in den letzten zwei Jahren fast 150 Artikel gewidmet haben. Diese ganze Whataboutism-Nummer ist einfach Quatsch. Nur weil die Chatkontrolle hier Grundrechte verletzen würde, macht das Putins Überwachung nicht besser. Und wenn Putins System Oppositionelle töten, foltern und vergammeln lässt, dann macht das Überwachung hier nicht besser.

      Der Kommentar hat eine klare Stoßrichtung gehabt: Er will letztlich Russlands Überwachung als weniger schlimm darstellen, indem er die nicht-beschlossene Chatkontrolle quasi als Mutter der neuen Überwachungsmaßnahmen in Russland darstellt. Und das ist eben Quatsch, weil das komplett unterschiedliche Überwachungstechniken und -ansätze sind und das System Putin Überwachung auch ganz ohne die EU hinbekommt.

      Etwas anderes ist, dass sich Putin bestimmt freuen würde, wenn die EU die Chatkontrolle bringen würde, denn dann gäbe es eine technische Grundlage für noch mehr Überwachung, die ein autokratisches System wie das von Putin selbstredend gerne übernehmen und ausweiten würde.

    2. Es geht jetzt aber nicht um andere. Es geht eben genau jetzt um das staatlich orchestrierte Vorgehen russicher Akteure, ob gegen das eigene Volk oder in anderen Ländern auf der ganzen Welt. Die Einflussnahme ist seit mehr als 10 Jahren zu beobachten. Besonders in Kommentarspalten vielfältiger Onlinemedien :-D Nur so langsam fällt es jetzt auch den letzten auf, mit Ausnahme von selbst ernannten Russlandverstehern, Relativisten, Querdenkern, Homophoben, „die schöne alte Welt mit ihren traditionellen Werte-Vertretern“ und allen ohne ein gewisses Maß an Ambiguitätstoleranz. Oder Menschen denen Veränderungen zu schaffen machen.
      Im Übrigen dienen solche Bemerkungen wie „und immer auf die bösen Russen“ usw. letzten Endes nur dazu im Deckmantel einer Art Selbstbezichtigung alles tun zu dürfen. Im besten Fall auch immer genau das, was man sich ohnehin selbst vorwirft bzw. vorgibt das eben Jenes einem vorgeworfen wird, damit man am Ende sagen: „seht her, habe ich es doch gleich gesagt“.
      Es muss einfach immer und immer wieder auf solche Muster hingewiesen werden.

  2. Oooooch…..wir haben ja nicht nur die Chatkontrolle, wir haben ja nun auch den DSA. Und außerdem kommt wohl noch die UN-Cybercrime-Convention. Also auch bei uns: alles bestens unter Kontrolle.

  3. Wenn es in verschiedenen Regionen Überwachungssyteme gibt, bedeutet das nicht dass beide gleichzusetzen sind, als zB beide gleich verwerflich.
    Es kommt auf den Zweck der Überwachung an. In (heute noch) relativ freien Ländern, wo man seine Meinung öffentlich kundtun darf, ohne dabei gleich um seine Existenz oder sein Leben fürchten zu müssen, geht es um Aufmerksamkeit, Tendenzen zu erkennen, die diese Freiheiten im Staat zerstören wollen und ein autokratisches Regime errichten wollen, in welchen Namen auch immer (Islamismus, Faschismus…). Toleranz hat eine Grenze.. gegen Intoleranz darf nicht toleriert werden!
    In bereits autokratischen Regimen geht es um genau das Gegenteil, nämlich jeden Keim von Opposition und Streben nach Freiheit und Toleranz im Keim zu unterdrücken.
    Ein Beispiel aus dem Leben: Ich kann Überwachungskameras verwenden, um Einbrecher oder Räuber rechtzeitig zu erkennen, oder sie bei frischer Tat zu ertappen. Andererseits können auch Gangster ihre potenziellen Opfer vorab überwachen, um den günstigsten Augenblick für den Überfall vorab planen zu können. Das ist doch ein fundamentaler Unterschied.

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