YouTube, Netflix, GamingSchweizer Parlament will Internet voller Alterskontrollen

Video- und Gamingseiten sollen in der Schweiz künftig das Alter ihrer Nutzer:innen kontrollieren. Bürgerrechtsinitiativen befürchten den Startschuss für eine generelle Ausweispflicht im Internet. Nur ein Referendum kann das Gesetz jetzt noch stoppen.

An Streamingportale anmutende Logos und Comiczeichnungen.
Die Schweiz will Minderjährige von Unterhaltungsmedien fernhalten. (Symbolbild / Prompt: border control, netflix, youtube ​logo, Comic) – generiert mit Stable Diffusion

Die Schweiz schwächt die Anonymität im Netz: Das geplante „Bundesgesetz über den Jugendschutz in den Bereichen Film und Videospiele“ verlangt, dass zahlreiche Seiten Altersschranken hochziehen, darunter fallen dürften etwa YouTube, Netflix und weitere Anbieter für Streaming und Gaming. Der Grund: Jugendschutz.

Das Besondere an dem Gesetz ist: Es verlangt pauschal eine Alterskontrolle vor der erstmaligen Nutzung – und damit von allen Menschen, die solche Dienste in der Schweiz aufrufen wollen. Dabei ist die Alterskontrolle nicht auf bestimmte Inhalte wie Pornografie oder Gewaltdarstellungen beschränkt, sondern wird generell verlangt. Zum Schutz von Minderjährigen sollen also alle Nutzer:innen Daten preisgeben.

Welche Form die Alterskontrolle haben soll, geht aus dem Gesetz zunächst nicht eindeutig hervor. In den dazu gehörigen Erläuterungen wird jedoch als Beispiel eine „Kopie des Personalausweises“ genannt. Das wäre eine Art der Alterskontrolle, bei der Nutzer:innen besonders viel sensible Daten – und ihre Identität preisgeben müssten. Ausdrücklich geschützt werden zumindest in diesem Gesetzestext jedoch nur die Daten von Minderjährigen.

Auszug aus dem Gesetzestext
Das Gesetz schützt ausdrücklich nur die Daten von Minderjährigen. - Fedlex

Gegner:innen des Gesetzes befürchten, dass die Einführung dieser Alterskontrollen der Startschuss zu einer allgemeinen Ausweispflicht im Internet in der Schweiz sein könnte. Zudem seien die übermittelten persönlichen Daten nicht genügend geschützt, da für Unternehmen im Ausland andere Datenschutzgrundsätze gelten würden. Außerdem könne das Gesetz zu Netzsperren, also der pauschalen Zensur von Anbietern führen, die das System nicht implementieren. Es sei unklar, ob Anbieter überhaupt ein solches Kontrollsystem für den relativ kleinen Markt der Schweiz einführen würden.

Referendum kann Gesetz noch stoppen

In einem Artikel beim Schweizer Tech-Magazin DNIP warnt Autorin Adrienne Fichter vor einem „der internetfeindlichsten Gesetze Europas“. Netflix und YouTube könnten theoretisch alle Daten eines Passes von jeder Schweizer Nutzer:in angezeigt bekommen, so Fichter.

Die Ausweispflicht für legale und jugendfreie Inhalte erleichtere den Unternehmen ein lückenloses und ständiges Tracking der Nutzer, schreibt Pascal Fouquet, der für die Schweizer Piratenpartei bei dem Bündnis für das Referendum mitmacht, auf Anfrage von netzpolitik.org.

Das Gesetz wurde bereits im Parlament verabschiedet. In der Schweiz lässt sich danach noch ein Referendum ergreifen. Hierfür müssen innerhalb von 100 Tagen Unterschriften von 50.000 stimmberechtigten Bürger:innen zusammenkommen. Wenn diese Hürde erreicht ist, gibt es eine nationale Abstimmung über das Gesetz. Gegen das Vorhaben hat ein zivilgesellschaftliches Bündnis bereits ein Referendum angestrengt, bei dem man als Schweizer:in hier unterschreiben kann. Die Frist für die Unterschriften endet am 19. Januar.

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27 Ergänzungen

  1. Vorletzter Absatz „Ausweichpflicht“ … musste sehr schmunzeln, den nicht anderes wäre dieses Gesetz ja für UserInnen, die keine Lust darauf haben ;) … lg

  2. Wie soll daß denn bitte in der Praxis (verläßlich und sicher im Sinne der preisgegebenen Daten) funktionieren? Mir fallen auf Anhieb mind. ein Dutzend Gründe ein, warum das a.) völlig realitätsfern und b.) praktisch unumsetzbar ist! Abgesehen davon, würde das die lückenlose und totale Überwachung eines jeden Nutzers im Netz ermöglichen.

    1. „Abgesehen davon, würde das die lückenlose und totale Überwachung eines jeden Nutzers im Netz ermöglichen.“

      Ein erfreulicher Nebeneffekt, wie es der Zufall eben so will ;-)

  3. Auch da dürfte es wohl darum gehen die Bürger möglichst unmündig zu halten indem diese nur noch Zugriff auf obrigkeitlich genehmigte Inhalte erhalten… Ständige Passkontrollen würden zudem im Internet das Gefühl entstehen lassen keinesfalls nirgends unbeobachtet zu sein. Die Folge ist dann doch der Einstieg in den Digitalen Obrigkeitsstaat.

    Fehlt am Ende dann nur noch das Social Scoring wie in China !

    1. Und in Deutschland schwafelt ein „Cyberkriminologe“ seit Jahren straffrei darüber, dass wir Polizeistreifen im Internet bräuchten. Vorgeblich zum „Kinderschutz“:

      https://www.morgenpost.de/berlin/article216996335/Experte-fordert-digitale-Polizeistreifen-fuer-das-Internet.html

      https://www.morgenpost.de/berlin/article216996431/Cyber-Experte-Das-Netz-ist-ein-Kriminalitaetsort-geworden.html

      Die Great Firewall of China ist bekanntlich auch vorgeblich gegen „Pornographie“.

  4. So ein Gesetz wäre sicher auch im deutschen Bundestag mehrheitsfähig — und das wohl vollkommen unabhängig von Parteien und deren Prozenten, allein aufgrund der Altersstruktur! Und dazu noch ohne die Möglichkeit das ganze hinterher durch ein Referendum zu kippen.

  5. Als deutscher Flüchtling in der Schweiz frustriert mich dieses Gesetz so unglaublich. Egal wohin man geht, überall geht es nur noch um den Abbau von Freiheitsrechten und den Ausbau des Überwachungsstaates. Ich hoffe wirklich, ein Referendum kann dieses Gesetz noch stoppen.

    Ich kann bei diesem Gesetz selbst beim besten Willen keine guten Absichten erkennen. Wo kommt plötzlich der unerträgliche Handlungszwang her, diese völlig überzogenen Maßnahmen unerlässlich machen soll? Das Gesetz eignet sich nicht einmal als getarnte Wirtschaftsförderung lokaler Anbieter. Hier kann es einzig und allein nur um den perversen Überwachungsfetisch gehen, der allgegenwärtig zu sein scheint.

    1. Es handelt sich womöglich doch um längerfristige Wirtschaftsförderung, beziehungsweise um die digitale Transformation des Kapitalismus. Immer mehr wird ja in der Politik von verschiedenen Parteivertreter*innen davon gesprochen, dass „Wir ein neues Verständnis von Datenherausgabe/Datennutzung/Privatsphäre“ oder ähnliches brauchen.

      Dabei scheint es vor allem darum zu gehen, bislang unerschlossene oder nicht ausreichend zugreifbare Daten der Menschen nutzbar zu machen, sie regelrecht zur Datenherausgabe zu animieren, wo jetzt noch Menschen zögern und daraus dann wirtschaftsrelevante Profite zu schlagen (neben den PR-tauglichen Versprechen, die Daten auch für andere, wohlklingendere Zwecke zu nutzen). Auch das Gerede von einer „inklusiven Digitalisierung“ ist dahingehend entlarvend, wenn damit gemeint ist, dass alles und jede*r in die neue digitale Wirtschaft inkludiert und verwertet werden soll.

      Man erreicht mit solchen Gesetzen wie in der Schweiz oder auch der Chatkontrolle der EU schließlich eine Gesellschaftstransformation, hin zu einer Post-Privacy-Gesellschaft, in der sich Menschen immer beobachtet und kontrolliert fühlen, dies als Normalzustand oder „Folge des Fortschritts“ wahrnehmen und damit bereitwillig beim Datenkapitalismus mitmachen und sich zudem an die Bedürfnisse von Staat und Märkten angepasst verhalten (zur Not dann mit Scoring und daran gekoppelte Nudges).

      1. Naja, eine solche Gewöhnung gibt es aber vielleicht nicht. Ähnlich wie die reachts-reaktionäre Schwachstelle der Menschheit, wäre das Training hier bzgl. der Menge der Menschen artifiziell aufgesetzt. Wäre ironisch hier in die Falle zu tappen, die man sonst den nachwachsenden Parteien zu stellen gewohnt war.

      2. Oder andersherum: ständiges Bewusstsein wird fehlschlagen. Nicht umsonst haben die „sozialen Medien“ viel Mühe darauf verwandt, die Nutzer im dunkeln zu lassen, ihnen „alternative Erzählungen“ anzudienen oder zu ermöglichen. (Teils auch mit ironisch zu nennenden Effekten. Wer da jetzt weitermacht… warum mit Nürnberg warten, bis es wieder vom Baum fällt?)

  6. Ein Vorbild für den Deutschen Jugendschutz und ein Steilvorlage für die Sicherheitspolitiker der BRD ist die Schweizer „Vorzeigedemokratie“, da bin ich sicher.

    1. Bitte „Jugendschutz“, die unterlassen wohlweislich jegliche wissenschaftliche Evaluation ihrer Absichten oder ihres Tuns.

      Es geht um Diskurshoheit, Informationskontrolle und Etablierung von Überwachungs- und Blockadeinfrastrukturen.

  7. Gibt es eigentlich noch irgendein Land auf der Welt, welches man als „Leuchtfeuer der Demokratie“ bezeichnen kann, ohne vor Scham rot zu werden? Wenn man die gesamte EU (Chatkontrolle), die Schweiz (Ausweispflicht), Norwegen (Bargeldabschaffung wie im restlichen Skandinavien) und die Five Eyes (selbsterklärend) rauszählen muss, welche „demokratischen“ Staaten bleiben da noch übrig?

  8. Haben sich das die Schweizer ausgedacht? Oder Youtube & Co?

    Denn letztere haben ein großes Interesse daran, die „Kunden“, die sie ihren „Werbepartnern“ vermitteln, möglichst gut zu kennen. Eine Ausweispflicht für jedes Konto wäre da ein echter Durchbruch – alle Konten perfekt validiert, zusätzlich Geburtsdatum und aktuelle Adresse.

    Und da Konzerne ihre neuen Marketingideen gerne auf kleinen Märkten testen, bevor sie sie global einführen, ist es durchaus denkbar, dass die Idee von Youtube stammt und nicht von der Schweizer Regierung. Zumal die EU und die US-Regierung mit Sicherheit kein Problem mit einer Ausweispflicht fürs Internet hätten.

    1. Nicht auszuschließen. EU-Urheberrechtsreform u.a. waren ja auch schon Beispiele für genehme Ergebnisse (im Vergleich zum Restmarkt).

  9. ein alptraum, die persönlichsten daten in form von ausweiskopien/daten an sowas wie youtube&co zu übergeben. wenn das mal abhanden kommt, mal abgesehen von der totalüberwachung&tracking abgesehen…der reinste horror!

    1. Ich las: „…der reinste Humor!“

      Um ein paar zu retten, was man auch anders tun könnte, werden alle ausgeliefert. Zudem werden die Daten im Zweifel in der Masse gegen euer Land eingesetzt. Das sollte man strategischer sehen, als es vielleicht (noch) ist. Einfach auch aus Selbstachtung.

  10. Es gibt doch schon überall Alterskontrollen, wieder mal ein erdachter Bullshit der nicht umsetzbar ist.

  11. Ich stell mir gerade vor, wie Tor-Nutzer die Real-Adresse/ID des Entry-Knotenbetreibers herauskriegen müssen, um eine ausgedruckte Kopie ihres Persos dahin schicken zu müssen (*lach*)

    Ok, Sarkasmus mal beiseite:
    Selbst die Briten haben es nicht geschafft, sowas durchzusetzen (via angebl. Alterverifizierung per ID („Zwangsregistrierung“ für Pornogucker) ).
    Ich persönlich denke, dass das ein Testballon für die EU ist, da die Schweiz ohnehin schon wirtschafts- und sicherheitspolitisch eng an die EU gebunden ist.
    Und -imho- sollen am Ende natürlich keine Perso-Kopien verschickt werden, sondern die digitalen Möglichkeiten des E-Persos verwendet werden.

    Aber -Sarkasmus wieder an- wirklich Sorgen mache ich mir nicht. Denn mit Hintertüren in jeder Verschlüsselung wird es immer Möglichkeiten geben, sich das anzuschauen, was man will.

    1. „die digitalen Möglichkeiten des E-Persos verwendet werden. “

      Bitte nicht die Möglichkeiten, nur nicht die Möglichkeiten!
      Datensparsame Modelle (Anonyme Verifizierung, minimale Verifizierung z.B. nur Name nur Staatsbürgerschaft und Ü21 etc., endlich nützliche in die Zukunft gedachte Hardware für alle (Perso eingesteckt + Nahfeld zahlen mit Handy, was aber nur mit Perso geht, als Default – vorbereitet für sinnvolle Technologien und Protokolle, immer mit Display und eine Variante ohne Touch aber mit Tasten/Zahlenfeld). Dabei wartet man nicht auf die Industrie… Wettbewerbe gerne. (Wasserfest, schockfest, ESD, …). Die HW darf auch mit Bankkarte funktionieren, aber dafür ein Protokoll, dass ohne Lizenzquatsch und Drittpatente auskommt, wobei die Karte gerne einen Tunnelmodus zur Bank haben darf, d.h. aber auch, dass Drittanbieter für Zahlungen an der Stelle raus sind (usw. usf.). Und per Gesetz festlegen, dass die keine Entschädigungen kriegen (indirekt), dann hier geht es um das Gemeinwohl.

  12. Ja, wird das deutsche Fernsehen dann am Ende auch noch altersverifiziert?
    Was die des Nachts so veranstalten… da fragt man sich was die Jugendlichen mit 16 dann schon so alles rekordiert haben könnten. Dann noch Tausch über Datenträger, o.ä…

    Ach klar, das liegt nicht am Fernsehen. Es benötigt einen jederzeitigen Medienscan, also die Low-Power-Verfügbarkeit aller Datenträger über Funkprotokolle, sowie die stetige Verfügbarkeit der Router und Geräte für die Abarbeitung. KI kann dann immer Exzerpte schreiben, wo es sich lohnt zu prüfen. So eine Art Spindkontrolle für den Zivilisten!

  13. Erst kürzlich wurde zum konnte in der Schweiz durch ein Referendum eine absurde Halb-Privatwirtschaftliche Umsetzung der E-ID verhindert werden. Es gibt weiterhin einige, welche Privatunternehmen am Identitäts-Geschäft profitieren lassen wollen. Durch das Referendum, wurde die Bevölkerung bei dem Thema vorsichtig. Absurderweise haben mehrheitlich jene, welche damals die Notbremse gezogen haben, diesmal diesen neuen Vorstoss befürwortet und umgekehrt. Da es noch keine Schweizer staatliche E-ID gibt, wird der Nutzer trotzdem wieder dazu gedrängt, bei verschiedenen Privatunternehmen Umfangreich Ausweiskopien und andere Personalien für die Altersverifizierung zu hinterlegen.
    Es zeigt sich, Sie wissen nicht was sie tun.

  14. Das Referendum ist Zustande gekommen also wird über das Gesetzt in naher Zukunft in der gesammtrn Schweitz abgestimmt.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.