Werbeverbot für ungesunde LebensmittelAb jetzt nur noch Saures

Ein Gesetzesvorschlag „für mehr Kinderschutz in der Werbung“ verfolgt ein hehres Ziel, doch lässt viele Fragen offen. Denn Online-Werbung lässt sich nicht mit den gleichen Regeln wie Werbespots im Fernsehen regulieren.

Viele bunte Süßigkeiten in einer Warenauslage
Dies ist keine Süßigkeiten-Werbung (Symbolbild) – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Vinicius „amnx“ Amano

Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) will gesunde Ernährung fördern und Übergewicht bei Kindern vermindern. Dazu legte das Ministerium von Cem Özdemir (Grüne) Ende Februar einen Gesetzesvorschlag „für mehr Kinderschutz in der Werbung“ vor.

Der Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft kritisierte den Vorschlag als „Totalverbot für Lebensmittelwerbung“, andere wie der Verbraucherzentrale Bundesverband lobten das BMEL für seine konsequente Haltung, um ungesunde Ernährung bei Kindern zu bekämpfen.

Kern des BMEL-Vorschlags: An Kinder gerichtete Anzeigen, die nach WHO-Klassifizierung ungesunde Lebensmittel bewerben, sollen verboten werden. Laut Branchenvertretern würde dieses Verbot rund 80 Prozent der Lebensmittel betreffen. Vom Werbeverbot betroffen wären Werbungen für ungesunde Lebensmittel laut BMEL, wenn diese „Nach Art, Inhalt oder Gestaltung, […] aufgrund des Werbeumfeldes oder des sonstigen Kontextes“ an unter 14-Jährige adressiert seien.

Auch online sollten die Regulierungen umfassend umgesetzt werden; so etwa bei Influencer-Marketing in sozialen Medien, Werbeclips vor Online-Videos oder Werbebannern auf Websites. Doch anders als Zeitschriften, Baustellenplakate und Fernsehsendungen ist das Netz international zugänglich und nur schwer zentral regulierbar. Für wen sollten die neuen Beschränkungen also gelten, und wer soll sie durchsetzen?

Viele offene Fragen

Wir haben beim BMEL nachgefragt, wie ein solches Verbot konkret ausgestaltet werden sollte. Besonders die Rechtsdurchsetzung eines Verbots könnte im internationalen digitalen Raum eine Herausforderung werden. Auf Anfrage teilte eine Sprecherin mit: „Neben der behördlichen Überwachung soll auch eine zivilrechtliche Rechtsdurchsetzung durch Mitbewerber und Verbände möglich sein“. Welche Behörde die Aufsicht haben solle, welche Verbände und wessen Mitbewerber hier gemeint seien, konnte das BMEL auf Nachfrage jedoch nicht beantworten; ebenso nicht, ob das geplante Verbot auch für unbezahlte Werbung gelten würde.

Auch wie Kinder in Deutschland vor im Ausland produzierten Inhalten geschützt werden sollen, konnte das BMEL auf Nachfrage nicht beantworten. „Die Regulierung soll durch Bundesgesetz erfolgen, sodass der Geltungs- und Anwendungsbereich des nationalen Rechts gilt“, teilte das Ministerium auf Anfrage mit.

„Das Internet kennt keine Ländergrenzen“

Der Bundesverband Digitale Wirtschaft e.V. (BVDW) fürchtet dadurch Nachteile für nationale Anbieter. Ein Wegfall von Werbung würde lediglich die heutigen Marktanteile zementieren und damit auch Innovationen hemmen, schreibt der BVDW auf Anfrage. Ein Sprecher erklärt: „Das Internet kennt keine Ländergrenzen, nationale Überregulierung wird eher Wettbewerbsvorteile für internationale Anbieter schaffen“. Es sei fraglich, ob diese sich in der gewünschten Weise an deutsche Werbeverbote halten würden.

Die digitalen Kanäle sorgten bereits jetzt für einen signifikanten Teil der Werbung. Das schließe die Kommunikation über soziale Medien von Influencer und Creators ein, die derzeit einen geringen Anteil an den gesamten digitalen Werbeausgaben hätten. Allerdings unterscheide sich die Bedeutung der Kanäle je nach Unternehmen und Produkt. Die Lebensmittelbranche nutze bislang weniger Online-Werbung als andere Branchen.

Influencer reagieren zurückhaltend auf BMEL-Vorschlag

Einer der Kanäle, auf denen Online-Werbung für Lebensmittel läuft, ist „Eatthis!“. Mit rund 700.000 Seitenaufrufen im Monat, knapp 200.000 Followern auf Instagram und fast 4 Millionen monatlichen Aufrufen auf Pinterest ist es einer der größten und bekanntesten deutschen Foodblogs. Über manchen der bunten Rezeptbilder auf der Startseite ist der Schriftzug „Werbung“ eingeblendet. Ob bei Cheesecake-Apfelstrudel oder Donauwelle, die Creators Jörg Mayer und Nadine Horn werben etwa für Supermarkt-Ketten und Teighersteller.

Wie würde das geplante Werbeverbot die beiden treffen? Sie versuchen, positiv zu bleiben: „Da wir keine im speziellen an Kinder gerichteten Rezepte veröffentlichen, sind wir vorsichtig optimistisch“, schreiben sie uns auf Anfrage. Noch könnten sie nicht absehen, welche Folgen ein solches Werbeverbot für sie als Content Creators hätte. Lebensmittelwerbungen seien für sie die größte Einnahmequelle: „Wir entwickeln Rezepte und stellen diese kostenlos ins Netz. Da wir keine klassische Display-Werbung, also Werbebanner schalten, müssen wir uns über direkte Werbekooperationen finanzieren“, erklärt uns Jörg.

Jenny Kuschel betreibt den bekannten Account „food8family“ mit fast 200.000 Followern auf Instagram und knapp 400.000 Followern auf TikTok. Dort gibt sie unter anderem Tipps, wie man lecker und günstig kochen kann. Falls das Werbeverbot gemäß BMEL-Vorschlag umgesetzt würde, müsse sie verstärkt andere Werbepartnerschaften eingehen, sagt Kuschel.

Doch sie sei anpassungsfähig, schließlich sei Social Media dafür bekannt, dass sich Trends und Interessen jederzeit ändern können, erzählt sie uns. Kuschel fährt fort: „Ich sehe es nicht als Verbot, sondern als eventuell notwendige Maßnahme, um andere gesundheitlich schützen zu können. Ich bin zwar der Auffassung, dass jeder essen sollte, was er will. Doch wenn nachweislich die Gesundheit beeinträchtigt wird, gibt es vielleicht auch keine andere Möglichkeit“. Da sie als Content Creator auch eine Vorbildfunktion habe, wäre sie auch bereit, „Content und die Werbung in Zukunft anzupassen“.

Zweifel an Wirksamkeit von Werbeverboten

Neben zahlreichen offenen Fragen, die die Umsetzung des Gesetzesvorschlags betreffen, wird auch seine Sinnhaftigkeit kritisiert: Unter anderem der Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft e.V. (ZAW) kritisiert den Vorschlag Özdemirs als nicht-evidenzbasiert.

Das Ministerium verweist, auch auf unsere Anfrage hin, stets auf die Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Kinder besser vor Lebensmittelwerbung zu schützen. Die WHO begründet ihre Empfehlung mit zahlreichen Studien, die 2022 im Zuge einer großangelegten, von der WHO beauftragten Meta-Studie berücksichtigt wurden.

Forscher:innen sahen sich für eine Meta-Studie mehr als 30.000 Studien und wissenschaftliche Artikel an. Von diesen wurden 96 wissenschaftliche Arbeiten identifiziert, die systematisch ausgewertet werden konnten. Die Studie kommt zum Ergebnis, dass Essenswerbung mit dem Nahrungsverzehr und Vorlieben zusammenhänge. Aber für eine Beeinflussung von Käufen sei nicht klar belegbar, für Auswirkungen auf Zahngesundheit oder Körpergewicht habe es nur wenig Hinweise gegeben. Dennoch unterstützt die Studie die Forderung, Kinder weniger Werbung für ungesunde Lebensmittel auszusetzen.

Auf eine parlamentarische Anfrage der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag hin, musste das BMEL im Dezember 2022 zugeben, dass dem Ministerium keine klaren Belege für eine Wirksamkeit von derartigen Werbeverboten in Hinblick auf die Verbesserung der Gesundheit von Kindern vorlägen: „Die der Bundesregierung vorliegenden Erkenntnisse lassen derzeit noch keine quantifizierten Rückschlüsse auf die Auswirkungen der […] Werbeverbote in anderen Ländern auf das Ernährungsverhalten bzw. die Übergewichts- und Adipositasprävalenz von Kindern zu“, antwortete eine parlamentarische Staatssekretärin des BMEL.

Gegenüber Netzpolitik.org schrieb eine Sprecherin des BMEL jedoch: „Es ist wissenschaftlich nachgewiesen, dass sich Werbung für unausgewogene Lebensmittel nachteilig auf das Ernährungsverhalten gerade von Kindern auswirkt“ und verwies auf die Webseite der WHO.

Die Kritiker des Gesetzesvorschlags aus der Werbeindustrie sehen die Verantwortung eher bei den Erziehungsberechtigten als bei sich selbst. So kritisiert der ZAW: „Plattformen wie Facebook, Instagram und TikTok dürfen nach ihren Nutzungsbedingungen nicht von Unter-13-Jährigen genutzt werden, YouTube ist ohne elterliche Freigabe erst ab 16 Jahren erlaubt. Sie werden in der Realität von jüngeren Kindern genutzt, aber es liegt in der elterlichen Verantwortung, den Medienkonsum ihrer Kinder, unter anderem in den sozialen Netzwerken, zu steuern“.

Besonders Influencer-Marketing beeinflusst Kinder

Ein Einfluss von Werbung auf Kinder und Jugendliche ist laut der Landesanstalt für Medien NRW nicht von der Hand zu weisen: Kinder seien eine relevante Zielgruppe für Online-Werbung, weil sie leichter zu beeinflussen seien als Erwachsene. Zudem hätten sie auch großen Einfluss auf die Kaufentscheidungen ihrer Eltern. Wie Kinder Werbung wahrnehmen, sei stark von ihrem Alter abhängig. Kinder im Grundschulalter könnten häufig noch nicht zwischen Werbung und anderen Inhalten unterscheiden, träfen aber bereits ab diesem Alter eigene Kaufentscheidungen.

Subtile Werbung von Influencern sei für Kinder besonders schwierig zu durchschauen: „Influencerinnen und Influencer fungieren als greifbare und authentische Vorbilder. Kinder lernen erst im Laufe ihrer Entwicklung, dass auch Influencerinnen und Influencer oft ‚Kunstfiguren‘ sind und vieles, was in sozialen Netzwerken dargestellt wird, nicht der Realität entspricht“, erklärt ein Sprecher.

Zudem identifizierten Kinder sich mit Influencer, weshalb sie diesen und ihren Werbebotschaften vertrauten. „Daher nimmt das Influencer-Marketing im Zusammenhang auf mögliche Beeinflussung von Kindern und Jugendlichen eine besondere Rolle ein“, lautet die Schlussfolgerung.

Auch Begriffe wie „Produktplatzierung“ oder „Anzeige“ verstünden vor allem jüngere Kinder oft noch nicht. Fehlten diese Werbekennzeichnungen gänzlich oder würden sie an schlecht sichtbaren Stellen eingeblendet, fiele es Kinder noch schwerer, zwischen bezahlten und redaktionellen Inhalten zu unterscheiden.

Kinder müssen über Online-Werbung aufgeklärt werden

Um Kinder wirksam gegen die Beeinflussung von Werbung zu schützen, sei es wichtig, ihnen schon früh einen reflektierten Umgang mit digitalen Medien beizubringen; das schließe auch den Umgang mit Social Media ein.

Eltern sollten das Gespräch mit ihren Kindern suchen und nachfragen, ob ihrem Kind bereits Werbung im Netz aufgefallen sei. Eltern und Kinder sollten sich beispielsweise gemeinsam die Werbekennzeichnungen bei Kooperationen von Influencer mit Unternehmen ansehen. Kindern sollte zudem stets signalisiert werden, dass Sie bei Unsicherheiten immer auf ihre Eltern als Ansprechpersonen zukommen können.

Deine Spende für digitale Freiheitsrechte

Wir berichten über aktuelle netzpolitische Entwicklungen, decken Skandale auf und stoßen Debatten an. Dabei sind wir vollkommen unabhängig. Denn unser Kampf für digitale Freiheitsrechte finanziert sich zu fast 100 Prozent aus den Spenden unserer Leser:innen.

4 Ergänzungen

  1. „Neben zahlreichen offenen Fragen, die die Umsetzung des Gesetzesvorschlags betreffen, wird auch seine Sinnhaftigkeit kritisiert: Unter anderem der Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft e.V. (ZAW) kritisiert den Vorschlag Özdemirs als nicht-evidenzbasiert.“
    Verstehe ich das richtig, die Wirksamkeit von Werbung wird nicht in Frage gestellt, aber das Fehlen eben dieser Werbung schon?

    Entweder hat Werbung einen Einfluss oder nicht. Wenn Werbeverbote keinen Einfluss haben sollten, können sich demnächst mehrere Unternehmen Werbung komplett sparen, da der Effekt zu hoch angerechnet wird.

  2. „Dessen ungeachtet könnte sich das seitens des BMEL gewünschte Bundes-Werbeverbotsgesetz aufgrund Unionsrechts in der praktischen Anwendung ohnehin löchriger erweisen als so manches Käseprodukt, dessen Bewerbung es zu untersagen trachtet. Denn für Internet-Diensteanbieter mit Sitz in anderen EU-Mitgliedstaaten gilt das Herkunftslandprinzip nach Art. 3 Abs. 2 E-Commerce-RL (s.a. § 3 TMG). Werbung für Softdrinks und Schokoriegel in den bei Kindern beliebten Sozialen Netzwerken wie Facebook, YouTube, Twitter, Instagram und TikTok ist von dem BMEL-RE-Werbeverbot von vorneherein grundsätzlich nicht betroffen, da die Plattformbetreiber ihren Sitz in Irland haben. Für audiovisuelle Mediendienste und Videosharing-Plattformen können Mitgliedstaaten wie Deutschland zwar strengere Bestimmungen als die auf Selbstregulierung bezogenen AVMD-RL-Vorgaben für Lebensmittelwerbung umsetzen – aber eben nur für „Mediendiensteanbieter, die ihrer Rechtshoheit unterworfen sind“ (vgl. Art. 4 Abs. 1, 9 Abs. 4 AVMD-RL). Die reichweitenstärksten und bei Kindern beliebten Angebote von Diensteanbietern mit Sitz in anderen EU-Mitgliedstaaten dürfen weiter werben – die in Deutschland (noch) ansässigen Medienunternehmen ggf. nicht mehr.“
    https://community.beck.de/2023/03/13/gummibaerchen-im-nachtprogramm

  3. Außerdem ist das Werbeverbot ein Kampf an der falschen Front. Viel einfacher und wirksamer wäre es, auf die ungesunden Lebensmittel direkt einzuwirken, damit sie eben weniger ungesund werden. Wie das geht? Beispielsweise ganz simpel mit einer Zuckersteuer, wie uns unsere britischen Nachbarn vormachen. Aber das geht mit der gegenwärtigen Regierung nicht, weil die entscheidenden Ministerien (Justiz, Finanzen) in der Hand der Bremser von der Lobbypartei F.D.P. sind, dem Schwanz, der mit dem Hund wedelt. So kann Cem Özdemir es nur „hinten herum“ indirekt über ein Werbeverbot versuchen. Das wird aber nicht funktionieren, weil der Ansatz falsch ist. Es wird Zeit, dass die Regierung platzt, damit die „besser falsch regieren als gar nicht“ Partei von der Bildfläche verschwindet.

  4. Im Kontext zum letzten Paragraphen kann https://der-newstest.de eventuell als Einstieg für ein Eltern-Kind-Gespräch dienen.

    Der Test stammt von der Medienanstalt Berlin Brandenburg und wird laut eigener Aussage von der Medienanstalt Berlin-Brandenburg, der Bundeszentrale für Politische Bildung/bpb und der Landesanstalt für Medien NRW weiterentwickelt.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.