Targeted AdvertisingDie EU scheitert am Datenschutz im Netz

Seit Jahren verfolgt die EU den Plan, eine ePrivacy-Verordnung zu verabschieden. Das Gesetz sollte die digitale Kommunikation von Millionen Menschen schützen. Doch die Union hat das Vorhaben offenbar aufgegeben – und sollte nun gerade deshalb groß denken. Ein Kommentar.

Eine Person lin kangen, dunklen Haaren sitzt vor dem Laptop und fasst sich mit beiden Händen an den Kopf
Seit Jahren zum Haareraufen: Datenschutz im Netz – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Elisa Ventur

Nur noch wenige Wochen bis zum Geburtstag der Datenschutzgrundverordnung: Am 25. Mai wird die DSGVO fünf Jahre alt. Vertreter:innen der Europäischen Union werden zu diesem Anlass einmal mehr Lobeshymnen auf den weltweiten „Goldstandard“ in Sachen Datenschutz anstimmen. Was bei den Feierlichkeiten wohl eher nicht zu hören sein wird: Dass die DSGVO unvollständig ist – und zwar von Beginn an. Denn eigentlich sollte sie eine Schwester-Verordnung erhalten, die sich explizit dem Cookie-Chaos im Internet und dem Schutz privater Kommunikation widmet: die ePrivacy-Verordnung.

Anfang 2017 hatte die EU-Kommission die ePrivacy-Verordnung vorgeschlagen, im Jahr darauf sollte sie eigentlich in Kraft treten. Während das Parlament es trotz einer erheblichen Lobbykampagne der Datenindustrie geschafft hatte, in weniger als 12 Monaten einen eigenen Entwurf für die Verordnung zu beschließen, brauchten die Mitgliedstaaten dafür vier ganze Jahre. Erst 2021 konnten sie sich auf eine Position einigen, seitdem steckt das Vorhaben im Trilog zwischen den EU-Institutionen fest. Ein Bericht meines Kollegen Alexander Fanta zeigt: Dabei wird es wohl auch bleiben. Dass die ePrivacy-Verordnung jemals über den Entwurfsstatus hinauskommt, wird immer unwahrscheinlicher.

Dabei sind die Probleme alles andere als gelöst. Bis heute müssen wir uns im Netz mit unfreiwilligem Tracking und untergeschobenen Einwilligungen herumplagen. Die ePrivacy-Verordnung hätte das ändern können. Sie war von Beginn an als Ergänzung zur DSGVO gedacht, die mit ihren überaus allgemein gehaltenen Regeln keinen ausreichenden Schutz für die besonders wichtigen Kommunikationsdaten bietet. Wäre es nach dem EU-Parlament gegangen, hätte die Verordnung beispielsweise verhindert, dass die Betreiber von Messengern wie WhatsApp oder Telegram die Daten ihrer Nutzer gegen deren Willen für Werbung auswerten. Außerdem sollte sie ein Recht auf verschlüsselte Kommunikation festschreiben. Vor allem aber sollte sie es für Nutzer:innen leichter machen, sich mit ein paar einfachen Einstellungen im Browser vor Werbeüberwachung im Netz zu schützen. Do not Track – aber rechtsverbindlich.

Mehr Daten für alle

Für Nutzer:innen hätte das bereits vor Jahren nicht zuletzt zu einer deutlichen Verbesserung geführt: Keine nervigen Cookie-Banner mehr! Ein Horrorszenario hingegen für all jene, die mit personenbezogenen Daten und Online-Werbung Geld verdienen. Denn auch wenn die sogenannte Ad-Tech-Branche nicht müde wird, uns etwas Anderes weismachen zu wollen: Wenn Menschen die Wahl haben – und zwar nicht eine Pseudo-Auswahl à la „Friss Cookies oder stirb“, sondern eine reelle Wahl – dann würden sie sich gegen die Überwachung ihres Online-Verhaltens und zielgerichtete Werbung entscheiden. Die Werbeindustrie hätte also wohl oder übel ihr Geschäftsmodell umstellen müssen.

Deshalb hat sie die ePrivacy-Verordnung bis aufs Blut bekämpft. Und zwar nicht nur die üblichen verdächtigen Datenkonzerne wie Google, Meta und Co. Sondern auch Telefonkonzerne wie Telekom, Vodafone und o2 Telefónica sowie ein Großteil der hiesigen Zeitungsbranche, von der FAZ bis zum SPIEGEL. Im Ringen um die Verordnung war dieser unheiligen Koalition kein Argument zu absurd, kein Vergleich zu weit hergeholt. Die EU werfe mit der Verordnung eine Atombombe auf das Internet hieß es etwa. Oder dass es ein Angriff auf die Pressfreiheit sei, wenn Internetnutzer:innen einfach selbst darüber entscheiden können, ob ihre Daten für Werbezwecke gesammelt werden.

Gehör fand die Datenindustrie bei den Mitgliedstaaten der EU. Statt den Sumpf des Online-Targetings trockenzulegen, wollten diese lieber dafür sorgen, dass endlich auch europäische Firmen mehr Profit daraus schlagen können. Während EU-Kommission und -Parlament vor sechs Jahren im Geiste der Datenschutzgrundverordnung stets den Grundrechtsschutz betonten, hat sich der datenpolitische Wind inzwischen gedreht. Auch die Kommission und die Mehrheit der EU-Abgeordneten kennen im Jahr 2023 nur noch eine Losung: more data! Und zwar für die Forschung, den Staat und die Industrie gleichermaßen.

So soll beispielsweise der Data Governance Act dafür sorgen, dass der Gesundheits-, der Energie oder der Mobilitätssektor in neuen „Datenräumen“ besser Daten austauschen können. Mit dem Data Act, der sich gerade ebenfalls im Trilog befindet, werden bald auch die Daten aus dem Internet der Dinge zur Ware. Das ist per se nichts Schlechtes. Denn unter bestimmten Bedingungen können Daten für das Gemeinwohl und auch für Geschäftsmodelle genutzt werden. Doch damit Risiken minimiert werden und Menschen Vertrauen in die Datenökonomie haben können, müsste auch der Datenschutz weiterentwickelt werden. Das Scheitern der ePrivacy-Verordnung zeigt jedoch, dass die EU diesen Anspruch offenbar aufgegeben hat.

Wenn der Markt regelt

Denn zumindest bei der Online-Werbung überlässt die EU das Feld inzwischen den Konzernen. Ganz nach dem Motto: Der Markt regelt das. Die bittere Ironie der ePrivacy-Blockade ist jedoch, dass künftig wohl noch weniger Werbegelder in Europa landen. Denn inzwischen haben die Browser-Anbieter Google und Apple von sich aus entschieden, dass die Tage der Tracking-Cookies gezählt sind.

Beide Konzerne und auch Meta arbeiten derzeit an einem neuen System für Online-Werbung. Es soll Menschen genau so gut – oder schlecht – beeinflussen können wie das derzeitig eingesetzte Targeting, ohne dass dafür Nutzer:innendaten quer durch das Internet geschickt werden. Das neue System dient aber vor allem dazu, die Konkurrenz auf dem Werbemarkt auszuschalten. Gezielt beschränken die großen Konzerne deren Zugang zum Targeting, gleichzeitig schließen sie so kleinere Akteure vom Werbemarkt aus.

Die erzwungene Marktkonzentration dürfte ausgerechnet jene Medien besonders hart treffen, die sich in den vergangenen Jahren allzu bereitwillig vor den Lobby-Karren der Datenindustrie spannen ließen. Sie werden aller Voraussicht ebenfalls sinkende Werbeeinnahmen verzeichnen. Einzig die europäischen Telekommunikationskonzerne haben noch eine Chance, sich auf dem Werbemarkt zu halten. Denn auch sie arbeiten unter Hochdruck an einer eigenen Lösung, mit der sie die Telefonnummer ihrer jeweiligen Kunden in eine Art Super-Cookie verwandeln, um so deren Online-Verhalten zu Werbezwecken auszuwerten.

Angesichts dieser Verschiebungen sollt die EU das Scheitern der ePrivacy-Verordnung als Weckruf verstehen. Statt weiteres Stückwerk sollte sie nun den großen Wurf wagen. Denn mit einem einfachen Verbot von Profiling oder Überwachungswerbung ist es nicht getan. Stattdessen muss die Union den Online-Werbemarkt und seine überwachungskapitalistische Logik als Ganzes in den Blick nehmen und demokratisch regulieren. Und es braucht Transformationshilfe für eine Industriebranche, die sich nicht vorstellen kann, wie ein Internet ohne Targeted Advertising aussehen könnte. Der Geburtstag der Datenschutzgrundverordnung bieten einen guten Anlass, um groß zu denken.

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8 Ergänzungen

  1. Was ist denn an personalisierter Werbung so schlimm, außer dass sie dafür sorgt, dass nicht das komplette Internet hinter Paywalls verschwindet, wovon vor allem die Großen wiederum profitieren würden. Springer & Co haben starke Marken, kleiner Angebote können wahrscheinlich dicht machen.

    Operation gelungen, Patient tot.

    1. Thomas D: „Was ist denn an personalisierter Werbung so schlimm…“

      Die personalisierte Werbung an sich wäre, ausser dass sie nervt, nicht so schlimm, wenn die Daten nur bei den Anbietern blieben, die die Werbung schalten. Das Problem sind erstens die mangelhafte Kontrolle, was mit den Daten geschieht und zweitens die nicht mehr vorhandene Eintscheidungsfreiheit der User, was sie von wem sehen möchten und was nicht bzw. wohin die welche Daten sonst noch gelangen.

      Und dann sind da noch solche Missstände wie der Patriot Act und andere. Das alles reicht, um gegen diese Form von Werbung zu sein.

    2. Ernsthafte Frage?
      Antwort: Das dafür nötige Tracking ist schlimm.

      Das ist auch strategisch, die Daten sind Strategisch, das Ergebnis Manipulation von allem und jedem (vgl. Cambridge Analytica ~ „nur personalisierte Werbung“). Analysiert werden so auch Strömungen in Echtzeit, Anfälligkeiten usw. usf., es schadet also der gesamten Gesellschaft, nicht nur den nichts zu verbergen habenden Deppen. (Die, so in Zahlen vorhanden, an der Wahlurne dann doch ein Problem darstellen können.) Man muss diese Konzentrationen von Daten immer als Waffe sehen, die wahlweise ein Konzern, eine Clique oder eine Regierung entsprechend einsetzen können. Das geschieht ja auch bereits, absichtlich seitens des Konzenrs oder nicht.

      „Niemand“ baut eine funktionierende „finde mit meinen Eingaben, was ich suche“-Maschine, weil der Zweck hier ist, möglichst viele Werbeanzeigen anzubringen, nicht das beste Produkt oder sonst was zu finden.

      Die andere Alternative wäre dann noch, auf basis freier Software vorzugehen, das könnte man dann auch gesellschaftlich fördern.

      Das ganze Internet? Werbung ist ja nicht weg, sollte Nutzerverfolgung verboten werden. Allerdings auch jetzt schon, in der „guten personalisierten Welt, in der kleine Angebote nicht dichtmachen müssen“, sehen wir auf den ersten Ergebnisseiten immer nur Axel Springer & Co., die Urheberrechtsreform hat auf Deutschland bezogen auch nur wenige große Nutznießer, wie z.B. Axel Springer & Co. – und das ist das Ergebnis der großen werbegetriebenen Plattformen, sowohl deren Natur, als auch deren Lobbying.

      1. Das ironische ist ja, dass es dann heißt, die Unternehmen können das besser und der Markt regele das ohnehin [dass Sachen angeboten werden], mit dem unausgesprochenen Kalkül, von den Unternehmen Steuereinnahmen zu bekommen, gegenübergestellt der fiktiven steuerfinanzierten Open-Source-Plattform – ironisch, weil die Unternehmen ja zunächst über lange Zeit gar keine (lies: Null) Steuern bezahlt haben, wir also den doppelten Schaden haben (keine Steuern und keine Trackingfreien Plattformen und Dienste). Die Unternehmen sind der Korrekturphase [die ja noch nicht mal stattgefunden hat] längst entwachsen, so dass die schiere Größe eine gewisse Profitabilität bedeutet, auch wenn jetzt ein paar Steuern und Abgaben fällig werden. Die neuen Gesetze kanalisieren nun Geld zu Axel Springer und Co. hin, machen die großen Plattformen damit quasi letztgültig unverzichtbar, und torpedieren durch allgemeine Auflagen gleichzeitig alles Nachwachsende, inklusive denkbarer offener+freier Plattformen.

        Dass wir das totale Deppenstadl sind, hatte ich zunächst nicht im Fokus, sollte aber im Kontext „nur für Werbung“ vielleicht letztlich doch immer mit angesprochen werden. Insofern: Gas und altes Atom statt Trassen! „Erfolg“ first…

      2. >>>
        „Niemand“ baut eine funktionierende „finde mit meinen Eingaben, was ich suche“-Maschine, weil der Zweck hier ist, möglichst viele Werbeanzeigen anzubringen, nicht das beste Produkt oder sonst was zu finden.
        <<<

        Hier könnte man zum Spass noch mal einhaken, und den Vergleich zur KI bzw. LLMs usw. wagen.

        Bei KI gibt es mindestens zwei Hauptrichtungen:
        1. Ältere Geschäftsmodelle auf "targeted advertising" basierend, sind hiermit erst mal für den Moment kaputt.
        2. Open Source könnte eine Konkurrenz darstellen.

        Bei 1. bin ich nicht so sicher, ob das "nur jetzt im Moment" so ist, weil es technisch eine Umwälzung ist, und es aufgrund besserer Ergebnisse weniger Einstiegspunkte für Werbung gibt. Immerhin sind die Daten viel spezifischer, und auf der Seite der Auswahl von Produkten könnte auch eine Art Sprachmodell funktionieren. Was ist eine Dienstverbesserung eines unzurechenbaren, halluzinierenden Toasters? Da ist viel Potential für alles Mögliche mit Daten, allerdings ist das ad-hoc natürlich schon sehr fordernd, da offiziell das alles erst noch Zukunft ist. Einem Player wie Google kann man das allerdings nicht abnehmen, da die das intern längst auch bauen und das Szenario längst kennen müssen. Andererseits haben wir eine Menge an "Wirtschaft", die ob des Klimawandels nun nach "mehr Geld" ruft, als hätte man sich wieder mal "vorbereitet".
        Bei 2. sehe ich die integrierten Dienste als Gefahr insofern, als dass das einfach so konvenient ist, alles integriert zu haben, vielleicht sind da "social networks" im Vorteil gegenüber reinen Suchmaschinen (die es noch gibt?). KI-mäßig "good enough" wäre auf Open-Source-Seite natürlich schon interessant.

        (Der Zustand Heute ist ein Treppenwitz des Verhinderungskommerz. Statt strukturierte Standards zu etablieren, für ein strukturiertes kommerzielles Netz, nicht funktionierende Volltextsuche mit möglichst viel Werbung.)

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