Sensible Daten von Aktivist:innenDie letzte Datenschutzgeneration

Sensible Daten von Aktivist:innen nicht zu schützen, geht überhaupt nicht. Denn diese Daten können nicht nur in die Hände des Staates fallen, sondern auch auf rechte Feindlisten gelangen. Doch die Letzte Generation deswegen zu verteufeln ist falsch, denn ohne ihren organisierten Aktivismus wäre die Klimakrise weit weniger Thema. Ein Kommentar.

Menschen in Warnwesten sitzen auf der Straße, im Hintergrund ein Polizeiauto
Blockade der Letzten Generation im Januar in Aalen. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / onw-images

Mit einigem Getöse hat Springers „Welt am Sonntag“ am vergangenen Wochenende eine Recherche mit dem Titel „Inside Letzte Generation“ (€) veröffentlicht, die einen Einblick in die derzeit wohl wirkmächtigste und sichtbarste außerparlamentarische Gruppe des Landes geben soll. Neben viel Geraune und Anspielungen, einer emotionalen Personalisierung und dem Versuch, die gut organisierte Gruppe zu diskreditieren, enthält die Recherche Informationen über den höchst fragwürdigen Umgang mit den Daten von Aktivist:innen.

Die Letzte Generation hatte sensible Datensätze von über 2.200 Menschen, die neben Kontaktdaten auch Anmerkungen über den psychischen Zustand oder die politische Einsatzbereitschaft enthielten, einer recht großen Gruppe mittels Google Drive im Netz zugänglich gemacht. Der Kreis war offenbar so groß, dass sogar Springer-Journalisten Zugriff auf diese Daten hatten. Das macht deutlich, dass die Letzte Generation fahrlässig mit den Daten von (möglichen) Aktivist:innen umging und offenbar auch überhaupt kein Problembewusstsein dafür hat, dass solche Daten gefährlich für die Aktivist:innen und die Organisation als Ganzes sind.

Im Fokus der Auseinandersetzung

Denn klar ist: Die Letzte Generation befindet sich in einer erhitzten politischen Auseinandersetzung, in der sie als „Klima-RAF“ bezeichnet wird, in der hochrangige Vertreter:innen des Staates ihre Aktionen öffentlich verurteilen, in der sich der Verfassungsschutzchef zu ihnen äußert und nicht zuletzt Strafverfolgungsbehörden wegen „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ ermitteln. Die außerparlamentarische Gruppe steht wie keine andere derzeit im Fokus emotional geführten medialen, politischen und rechtlichen Auseinandersetzung – und ist darüber hinaus Lieblingsfeindbild von Rechten und Rechtsradikalen.

Nun könnte man aus dem Selbstverständnis der Gruppe heraus natürlich sagen, dass sowohl das Anliegen, die Ziele als auch die Aktionsformen angesichts der Klimakrise legitim sind – und man deswegen nichts zu verbergen habe. Denn das scheint ja irgendwie der Kern hinter dem laxen Umgang mit den Daten zu sein.

Natürlich ist es richtig und wichtig, dass ziviler Ungehorsam mit offenem Visier kämpft – aber doch nicht mit den Daten einzelner Aktivist:innen! Denn das „Nichts zu verbergen haben“-Argument war schon bei vollkommen rechtstreuen, braven Bürger:innen kein Gutes und ist allein angesichts möglicher staatlicher Überwachung und Repression einer Gruppe, die nach eigenen Angaben mehr als 1.250 Straßenblockaden in einem Jahr organisiert hat, absolut fahrlässig. Die Letzte Generation macht sich dadurch unnötig angreifbar. Und das gleich auf mehreren Ebenen.

Leicht zu diskreditieren

Neben der staatlichen Überwachung, die so einen Einblick in die Organisation, das Mobilisierungspotenzial und die Schlagkraft der Gruppe bekommt, birgt die Liste auch Anhaltspunkte für einen Journalismus, der die Gruppe diskreditieren will. Dass Medien auch einzelne vollkommen unbekannte Aktivist:innen in den Fokus nehmen können, um der Klimabewegung als Ganzes zu schaden, ist mindestens nach der „Bali“-Geschichte der Bild-Zeitung klargeworden. Dazu kommen mögliche rechtsradikale Gewalttäter, die es ja bekanntermaßen mögen, Feindes- und Todeslisten anzulegen.

Die Sache ist also einigermaßen katastrophal, und die Letzte Generation scheint aus den Fehlern der Klimagruppe Extinction Rebellion nicht gelernt zu haben. Diese wollte vor gut drei Jahren exakt solche Daten mittels Online-Formular abfragen, hatte den Fragebogen nach Kritik dann aber zurückgezogen. Auch damals war unter anderem abgefragt worden, ob Protestierende bereit seien, ins Gefängnis zu gehen. Das ist einfach keine gute Idee.

Kein Grund, die Letzte Generation zu verteufeln

Der Umgang mit den Daten ist nun aber auch kein Grund, die Letzte Generation als Ganzes zu verteufeln. Denn wie keine andere Organisation hat es die Gruppe geschafft, das Thema Klimakrise in den Mittelpunkt der (medialen) Debatte zu schieben und auch mit Nachdruck dort zu halten. Es geht der Gruppe dabei offenkundig nicht darum, Freund:innen zu gewinnen und mehrheitlich anschlussfähig zu sein, sondern darum, den normalen Ablauf der Verdrängungsgesellschaft zu stören. Diese Strategie hat deren Sprecherin Carla Hinrichs in einem hörenswerten Interview bei Piratensender Powerplay eindrücklich erklärt. Danach weiß man, warum die Aktivist:innen so handeln – und warum das strategisch auch ziemlich klug sein könnte.

Gerade weil die Letzte Generation so schlagkräftig ist und den Diskurs mit immer neuen Aktionen mitformt, ist sie die Gegnerin aller, die trotz der Klimakrise einfach so weitermachen wollen. Denn plötzlich steht den fossilen Interessen  – man verzeihe mir das Stereotyp – nicht mehr ein Plenum zotteliger Linker entgegen, das sich schon in endlosen Richtungsstreits und Nebenschauplätzen alle Schlagkraft genommen hat, sondern eine gut organisierte Gruppe, die nicht nur redet, sondern handelt – und die Zulauf bekommt und ständig in Aktion ist. Eine Gruppe, die obendrauf noch eloquente Vertreter:innen in Talkshows schickt, die immer wieder den dort bräsig herablassend auftretenden Männern (und Frauen) des Status Quo diskursiv und vor Millionenpublikum die Hosen ausziehen. Das hat eine neue Qualität, der Welt-Artikel zeichnet dieses planvolle Vorgehen der Letzten Generation als irgendwie gefährlich nach. Als dürften außerparlamentarische Akteure nicht strategisch, professionell und handlungsfähig sein.

Individualisierter Klimadiskurs

Die Aktionen der Letzten Generation haben es vermocht, der im letzten Jahr ratlosen Klimabewegung neuen Drive zu geben. Seit Lützerath steht diese heterogene Bewegung in ihrer ganzen Bandbreite ziemlich geschlossen da. Und unter extremer Beobachtung: Denn im Gegensatz zu Otto-Normalbürgerin und Otto-Normalunternehmen wird von den Aktivist:innen vielfach verlangt, dass sie jene ethisch-moralisch überflügeln sollen, die sie kritisieren.

Im Fokus ist nun ein Diskursmittel, welches das aktivistische Individuum und dessen privates Leben, Tun und Haltungen streng in Haftung nimmt, aber die Vertreter:innen des Staates, von Unternehmen und den die Umwelt verpestenden Normalos von einer solchen gern ausnimmt. Doppelmoral, das gibt es nur bei Aktivist:innen.

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21 Ergänzungen

  1. Also ich verstehe nicht das solche Daten überhaupt erhoben werden. Auch nicht warum man Sie dann nicht grundlegend verschlüsselt um Sie besser abzusichern !!!

    OpenSource Tools mit denen das einfach geht gibt es ja schließlich zu genüge !

    1. Die Daten waren wichtig zur Mobilisierung von Menschen.

      Verschlüsselung hätte nichts gebracht.
      Sie wurden durch eine Person entwendet, die sich unter Angabe falscher Motive in die Bewegung eingeschlichen hat.

      1. oohh da hat sich irgendwer eingeschlichen. und auch noch unter falschen angaben. das entschuldigt natürlich alles — Nein tut es nicht.
        verschlüsselung bringt immer etwas, evtl. müssen alle menschen im umgang damit geschult werden. trägt auch dazu bei das menschen sich besser kennenlernen und hilft vlt. faule äpfel zu sortieren.
        so haben alle menschen die auf der „liste“ standen nun ganz andere probleme als das sie geoutet wurden „als zu ängstlich für nen knast“ oder körperlich zu eingeschränkt für aktivismus der „anderen art“.
        meine hoffnung ist das es wenigstens einen lernprozess in gang bringt wo am ende vielleicht so altmodische sachen wie mailinglisten für verschieden arten der mobilisierung herauskommen, oder sogar noch spannendere sachen.
        bis dahin
        munter bleiben
        und
        kämpfe verbinden!

      2. Ich kann nicht ganz folgen.

        Der heise.de Artikel spricht von „die sie frei zugänglich im Cloud-Dienst Google Drive führte“ was für mich danach klingt, das ein Einschleichen nicht nötig war.

        Und zur Mobilisierung …

        Heise.de: „Die Letzte Generation führte zudem Buch etwa über die Furcht einer „Deportation im Falle einer Festnahme“ oder die mangelnde Bereitschaft, „das Studium zu schmeißen“. Zitat Ende.

        Natürlich kann hier falsch berichtet worden sein, aber die Letzte Generation sollte mal ein bisschen am eigenen Menschenbild arbeiten, bevor Sie andere mobilisiert/aktiviert. Wer über die vermeintlichen Schwächen von Mitgliedern Buch führt, hat Grundgesetz Artikel 1 nicht vollständig verstanden.

        1. Äh, nein.

          Wenn ich Aktionen und Einsätze plane, möchte ich natürlich wissen, wer zu was bereit oder nicht bereit ist, wem was zugemutet werden kann, wer wann zu schützen ist.

          1. Ich ja, aber andere wollen es halt auch wissen. Vgl. Eintrag zur Religion. Deswegen sollte man sowas anders machen.

          2. „Tja, das „sollte“ ist oft der Unterschied zwischen „machen“ und „reden“ 8)“

            Das ist auch oft der Unterschied zwischen Populist und Demokrat, oder zwischen Betrug und Profession (usw. usf.). Das sollte man besser machen.

          3. „Tja, das „sollte“ ist oft der Unterschied zwischen „machen“ und „reden“ 8)“

            Wetten hier stehen nachher 12 Schmähantworten?

            Also reden vs. machen: d.h. man redet über Datenschutz, macht aber das Wichtige, richtig? Ist das wirklich nachhaltig?

            Was inzwischen alles so unter „reden statt handeln“ fällt… Denken, Pazifismus, Fundamentalkritik, Verfassungstreue, Modellierung, Risikoabschätzungen, Folgenabschätzungen… Das muss sie sein, die finale Zivilisation!

          4. Jaja, die Fehlerlosigkeit der Mittel zum Zweck ist halt wichtiger als die Erreichung der Ziele. Das ist super praktisch: volle moralische Überlegenheit (ich will ja) ohne unbequeme Konsequenze (aber ich kann nicht).

            Und so sieht Deutschland dann auch aus, nicht nur beim Thema Klimakrise.

            Und auch deswegen sind die „klassischen Linken“ nicht mehr Teil der Lösung und konsequent kaum noch Teil der Parlamente.

          5. >>>

            Jaja, die Fehlerlosigkeit der Mittel zum Zweck ist halt wichtiger als die Erreichung der Ziele. Das ist super praktisch: volle moralische Überlegenheit (ich will ja) ohne unbequeme Konsequenze (aber ich kann nicht).

            Und so sieht Deutschland dann auch aus, nicht nur beim Thema Klimakrise.

            Und auch deswegen sind die „klassischen Linken“ nicht mehr Teil der Lösung und konsequent kaum noch Teil der Parlamente.
            <<<

            Nein, Superhirn. Die andere Hälfte will handeln – leider nur falsch, bzw. gelenkt von Dritten bis Fünften. Alleine schon das Religionsregister als Beispiel für Machen vs. Reden nehmen – so wahr, so dumm.

      3. Mobilisierungsfähigkeit über den Datenschutz aushebeln ist vermutlich kein schlechter Ansatz. Leider.

  2. „Denn das scheint ja irgendwie der Kern hinter dem laxen Umgang mit den Daten zu sein.“
    Das klingt nach einer unbegründeten Vermutung/Unterstellung. Gibt es eine öffentliche Stellungnahme der LG zum Vorfall?

    „Doppelmoral, das gibt es nur bei Aktivist:innen.“
    ?

    1. Der Text ist ein Kommentar, also ein Meinungsstück, und das mit der laxen Haltung eine Vermutung von mir. Genauso wie ich die Anspruchshaltung an Aktivist:innen in Sachen Doppelmoral beobachte, die an andere nicht gestellt werden.

      1. Selbst wenn die „letzte Generation“ keinen Anspruch an Datenschutz hat, ist der Titel immer noch super. Auch wenn er dann eigentlich auf die vorangegangene Generation besser passt, so ist doch jetzt „letztendlich“ der Moment, das festzustellen.

  3. Entschuldigung für diesen Stereotyp, aber wer von der LG hat schonmal ernsthaften Datenschutz betrieben? Die Mitglieder benutzen doch fast ausschließlich Windows, und nicht ArchLinux oder gar Whonix oder TAILS. Die benutzen Google-Dienste für ihre Organisation anstatt eine Tabelle von LibreOffice zur Verfügung zu stellen, welche nur mit einem Schlüssel, am besten per anonymisierten Yubikey, zugänglich ist. Chatten? Natürlich kein XMPP. Sondern Telegram oder Signal. Weils am einfachsten sei, weil alle das benutzen oder weil man nichts zu verbergen habe.

    Da helfen meiner Ansicht nach aber auch keine Ausreden, dass man nicht verstehe, wie man XMPP einzurichten hat. Oder dass kaum einer einen Yubikey daheim hat. Unter LG fehlen halt leider die echten Nerds, die eine sichere Architektur aufbauen können, ohne dass der Datenschutz in Mitleidenschaft gerät.

    1. Zum einen sind die Google-Dienste vermutlich keine so schlechte Wahl.

      Zum anderen aus der Erfahrung eines „echten Nerds“ und Infrastruktur-Aktiven der 90er: entweder es ist einfach genug für die Leute, die für die Sache aktiv sind, oder die verwenden etwas anderes. Die Keller der Welt sind voller Nerds mit tollen Lösungen, die praktisch keiner verwendet und die daher keinerlei Relevanz haben.

      1. “ Die Keller der Welt sind voller Nerds mit tollen Lösungen, die praktisch keiner verwendet und die daher keinerlei Relevanz haben.“

        Naja, so wie die Randbedingungen für privatsphärenaffine IT gesetzt werden, ist das auch kein Wunder. Dazu dann Hackerparagraph und der ganze andere verrückte Mist. Obwohl ich zugebe, dass das auch mein Kritikpunkt an jeglicher „elitärer“ Sichtweise auf Softwareentwicklung ist, dass die Superhelden eben nicht das machen, was benötigt wird, bzw. nicht an den richtigen Stellen oder doch nicht so richtig wartbar (usw. usf.), zudem nicht in genügender Anzahl vorhanden sind, und daran gemessen erst recht nicht an den wichtigsten Projekten dransitzen. Natürlich ist das auch eine Sache des Umfeldes und der Steuerung von Anreizen. Liquidierung von Privatsphäre ist zwar ein Anreiz, aber nicht so sehr für die hier bereits aufgewachsene Generation an IT-lern. Da bleibt am Ende nichts anderes Übrig als einen Zuckerberg zu klonen, nur dass wir auch da irgendwie 30 Jahre hinter sind.

  4. „Denn wie keine andere Organisation hat es die Gruppe geschafft, das Thema Klimakrise in den Mittelpunkt der (medialen) Debatte zu schieben und auch mit Nachdruck dort zu halten“

    Genau das passiert ja leider nicht – es wird, wie bei Lützerath (Dannenrod, Hambach, …), hauptsächlich über die Form und Legitimität des Aktivismus gestritten und geurteilt. Direkt um die Klimakrise und die tatsächliche Umsetzung klimapolitisch relevanter Schritte geht es Entscheidungsträger*innen doch immer noch nicht.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.