Polizeiliche KriminalstatistikFaeser wirbt für Vorratsdatenspeicherung

In einer Pressekonferenz stellte Innenministerin Faeser die neue Polizeiliche Kriminalstatistik vor. Demnach sind 41 Prozent der Verdächtigen bei sogenannter Kinder- und Jugendpornografie minderjährig. Und auch wenn die registrierten Fälle insgesamt anstiegen, steht das tendenziell für etwas Positives: die Aufhellung eines Dunkelfelds.

Iris Spranger, Holger Münch und Nancy Faeser bei der Bundespressekonferenz
Bei der Vorstellung der Polizeilichen Kriminalstatistik ging es viel um sexualisierte Gewalt gegen Kinder. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Metodi Popow

Nachdem die Kriminalität in der Pandemie gesunken war, ist sie nun etwas gestiegen. Das geht aus der jährlichen Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) hervor, die Bundesinnenministerin Nancy Faeser, die Berliner Innensenatorin Iris Spranger und BKA-Präsident Holger Münch heute gemeinsam vorstellten. Demnach wurden 2022 bundesweit rund 5,6 Millionen Straftaten registriert, das sind rund 3,5 Prozent mehr als 2019, also vor der Pandemie.

Ins Auge sticht in der Statistik ein Anstieg bei tatverdächtigen Kindern bis 14 Jahren (plus 35,5 Prozent) und Jugendlichen (plus 22,1 Prozent). Laut BKA-Präsident Münch handle es sich hier vor allem um sogenannte Eigentumskriminalität wie Diebstähle. Aber auch in anderen Bereichen gibt es auffällig viele junge Verdächtige und Täter:innen.

Aufhellung des Dunkelfelds

Ein Fokus bei der heutigen Pressekonferenz lag auf dem Anstieg bei sogenannter Kinder- und Jugendpornografie. Hier verzeichnet die PKS eine Zunahme von Fällen um 7,4 beziehungsweise 32,1 Prozent. Dafür gibt es mehrere Ursachen. Faeser sprach von einer Aufhellung des Dunkelfelds. Das heißt: Es gibt nicht notwendigerweise mehr entsprechende Straftaten, sondern sie werden zunehmend erkannt. „Besonders wichtig sind für mich die Meldungen des NCMEC“, sagte die Innenministerin. Man sei auf diese angewiesen.

NCMEC steht für „National Center for Missing and Exploited Children“. Die US-Organisation ist eine wichtige Quelle für Zahlen rund um sexualisierte Gewalt gegen Minderjährige im Netz. Sie sammelt unter anderem von Plattformanbietern Hinweise zu derartigen Aufnahmen und leitet sie an die zuständigen Ermittlungsbehörden weiter.

Ein weiterer Grund für den Anstieg ist „der Trend, dass vor allem Kinder und Jugendliche ohne Kenntnis eines strafrechtlichen Hintergrundes kinder- und jugendpornografische Bilder in Gruppenchats … teilen und somit verbreiten“. 41,1 Prozent der Tatverdächtigen sind jünger als 18 Jahre. Es handelt sich dabei also nicht zwingend um Darstellungen sexualisierter Gewalt durch Erwachsene, sondern teils um auf dem Schulhof geteilte Aufnahmen oder einvernehmliches Sexting.

Faeser sieht hier vor allem Bedarf bei der Prävention, damit Jugendliche mit entsprechenden Bildern sorgsamer umgehen. Außerdem seien Gesetzesänderungen in der Diskussion, damit die Verbreitung etwaiger Fotos unter Jugendlichen künftig nicht mehr als Verbrechen verfolgt werden muss. Das forderte etwa Johannes Fechner, parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Fraktion im Bundestag.

Werbung für Chatkontrolle und Vorratsdatenspeicherung

Faeser nutzte die Vorstellung der Kriminalstatistik auch dazu, um für die geplante EU-Chatkontrolle-Verordnung und die Vorratsdatenspeicherung von IP-Adressen zu werben. „Sexualisierte Gewalt gegen Kinder kennt keine Grenzen“, deshalb verhandele man „mit Hochdruck“ die EU-Verordnung zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern. Das werde „erstmals europäische Instrumente schaffen“. Man wolle ein EU-Zentrum „ähnlich wie NCMEC“ aufstellen.

Um die Position des Innenministeriums in den Verhandlungen zur EU-Verordnung gab es in den vergangenen Monaten immer wieder Streit. Zwar hat das Innenministerium sich mittlerweile klar dazu bekannt, verschlüsselte Kommunikation nicht angreifen zu wollen. Aus einem vergangenen Positionspapier geht hervor, dass Faesers Haus offenbar an anderen problematischen Maßnahmen festhielt, beispielsweise dem serverseitigen Scannen von unverschlüsselter Kommunikation und Cloud-Speicher.

Ebenso sorgt das Thema Vorratsdatenspeicherung für Streit in der Bundesregierung. Während Justizminister Marco Buschmann (FDP) sich von der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung verabschieden will, beharrt Faeser darauf, dass IP-Adressen massenhaft gespeichert werden sollen. In der heutigen Pressekonferenz fragte sie betont emotional: „Finden sie es wirklich richtig, dass wir uns als Sicherheitsbehörden wegducken?“ Sie müsse im Zweifel mit den Opfern und den Eltern der Opfer reden und erklären, „warum wir diese Daten nicht haben“. Einen Teil der Straftaten könnten die Ermittlungsbehörden nicht aufklären, weil keine IP-Adressen mehr vorhanden seien. Der Koalitionsvertrag ist unterdessen klar und lehnt eine anlasslose Speicherung ab.

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14 Ergänzungen

  1. „Sie müsse im Zweifel mit den Opfern und den Eltern der Opfer reden und erklären, warum wir diese Daten nicht haben“

    Die Antwort sollte klar sein – aus dem selben Grund aus dem wir selbst Terroristen nicht auf die Folterbank spannen und wortwörtlich „ausquetschen“: Grundrechte und Menschenwürde. Wir sind eben eine Demokratie und kein Polizeistaat! Erstaunlich, dass dies auch immer öfters aus der politischen Mitte heraus bedauert zu werden scheint.

    1. „Die Antwort sollte klar sein – aus dem selben Grund aus dem wir selbst Terroristen nicht auf die Folterbank spannen und wortwörtlich „ausquetschen““
      Schlechtes Beispiel. Bei der Vorratsdatenspeicherung werden überwiegend rechtstreue Menschen überwacht.

      1. Das Beispiel diente zur Veranschaulichung wo das alles enden könnte. Die systematische Überwachung von Unschuldigen verstößt eben genau so sehr gegen jegliche demokratischen und rechtsstaatlichen Grundprinzipien wie Folter. Wir sollten sie nicht aus naivem Pragmatismus aufgeben oder auch nur im Geiste dazu bereit sein.

  2. Spranger & Faeser, das dystopische Duo der SPD-Innenpolitik.

    In Berlin geht die SPD in ihrer Wunschrolle als Kellner der CDU auf, sieht also schlecht aus für Iris Spranger. Aber als baupolitische Sprecherin der SPD mit der Bebauung des Tempelhofer Feldes sicher ausgelastet, und im AWO Vorstand ganz klassisch abgesichert 8)

    1. wow

      Die Berliner SPD stellt in einer CDU-geführten Regierung den Innensenator.

      Die SPD hat damit offiziell anerkannt die CDU rechts überholt.

      Chapeau!

      Bau haben sie auch, können sie das Tempelhofer Feld also persönlich zubetonieren.

    2. Oh, die SPD hat Berlin unter der CDU das Bau- und das Innenresort.

      Kann Spranger also die A100 durch den Prenzlauer Berg prügeln und Giffey das Tempelhofer Feld planieren lassen.

      Zu dem Baggerbiss wird die gesamte Führung von Union und FDP eine Jahrhundert-Party feiern 8)

      Halbes Jahr später wechselt Scholz dann auch auf den Posten des Finanzministers unter Kanzler Merz.

  3. „Aber auch in anderen Bereichen gibt es auffällig viele junge Verdächtige und Täter:innen.“

    Ja, das hat bestimmt auch gar nichts mit Bildung zu tun. Oder? Aber da ist die Bundesministerin des Innern und für Heimat der Bundesrepublik Deutschland offenbar nicht zuständig. Statt dessen kriminalisiert sie lieber Kinder (bzw. will die Kriminalisierung ein wenig entschärfen).

    Aus meiner Freude, als Faeser Innenministerin wurde ist nun das Gefühl geworden, sie könne nun es locker mit Ursula von der Leyen aufnehmen. Und das adelt sie nicht gerade.

    @netzpolitik.org: Das „National Center for Missing and Exploited Children ist ist eine private gemeinnützige Organisation (siehe Wikipedia). Wie bewertet man es, dass Sicherheit und Schutz von Kindern an private Organisationen delegiert werden und sich die Innenministerin dafür ausspricht, sich das als Vorbild zu nehmen (ganz unabhängig von der Qualität der NCMEC)?

    Nur wozu brauchen wir dann noch ein Innenministerium, wenn wir primäre Aufgaben so einfach privatisieren können? Ich finde, besser kann man sein Versagen nicht mehr belegen.

    1. Ich fürchte die Vorbilder sind austauschbar, und noch viel viel schlimmer, wenn man weit genug blättert.

      1. Das sollte ‚Verkohlakten‘ heißen, konsequent mit der Zeit gegangen. Historisch kommt es bzgl. der anderen Richtung allerdings schon auch irgendwie hin, und Kohl war ja immerhin Historiker, oder nicht?

  4. „Finden sie es wirklich richtig, dass wir uns als Sicherheitsbehörden wegducken?“
    > Vor dem gültigen Grundgesetz müssen sich alle ducken, Auch Sie, Frau Faeser!

    1. Nö, muss sie offensichtlich eben nicht.

      So wie die anderen Innenminister vor ihr auch nicht: keiner von denen hat wegen Verfassungsbruch irgendwelche Nachteile erfahren. Die Wähler haben es akzeptiert.

      Politker haben gelernt, dass Scham völlig fehl am Platze ist. Also ausser den Grünen, bei denen die Form wichtiger als das vermeintlich angestrebte Ergebnis ist, solange es nicht um persönliche Privilegien geht.

    2. Sicher, dass es bei Berührung nicht doch zu Staub zerfällt?
      In dem Moment, in dem wir nicht mehr die Prinzipien abwägen sondern nur den toten Text, können wir es vermutlich als abgehakt betrachten (vgl. USA).

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