OZG 2.0Verwaltungsdigitalisierung im Gänsemarsch

Das Bundeskabinett hat heute den Gesetzentwurf für ein Onlinezugangsgesetz 2.0 beschlossen. Laut Innenministerin Nancy Faeser soll er die Digitalisierung der Verwaltung „einen großen Schritt“ nach vorne bringen. Doch es regen sich Zweifel wegen fehlender Vorgaben, Zuständigkeiten und Fristen.

Nancy Faeser, Bundesinnenministerin, lächelt auf Kabinettssitzung
Bundesinnenministerin Nancy Faeser auf der Kabinettssitzung vom 24. Mai zum OZG 2.0 – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Political-Moments

Frisch in die Stadt gezogen oder einen Hund als neues Familienmitglied eingeführt – das heißt in Deutschland, erst einmal aufs Amt zu gehen. Sich umzumelden oder eine Hundesteuer zu beantragen, das geht nur dort. Und dafür brauchen Bürger:innen einen Termin. In Berlin bedeutet das mitunter monatelange Wartezeit. Und unter Umständen müssen die Betroffenen dann auch noch ans andere Ende der Stadt fahren.

Die angespannte Verwaltungslage soll das Onlinezugangsgesetz entschärfen. Künftig sollen Bürger:innen alle wesentlichen Verwaltungsleistungen von Zuhause aus in Anspruch nehmen können. Das 2017 beschlossene Gesetz sah vor, dass das schon ab Oktober vergangenen Jahres möglich sein soll. Doch die Frist verstrich, ohne dass das Ziel einer flächendeckenden Digitalisierung der Verwaltung erreicht wurde.

Heute hat das Bundeskabinett daher einen Gesetzentwurf zur Änderung des OZG von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) beschlossen. In dem ebenfalls heute veröffentlichten Eckpunktepapier gibt Faeser nun das Ziel aus, bis zum Jahr 2024 immerhin 15 priorisierte OZG-Leistungen bereitzustellen – und zwar „möglichst flächendeckend und vollständig digital (Ende-zu-Ende)“. Zu den Leistungen zählen unter anderem Kfz-Anmeldung, Ummeldung, Baugenehmigung und Elterngeld.

Ausbleibende Trendumkehr

Dass damit die Verwaltungsdigitalisierung wirksam beschleunigt wird, bezweifelt unter anderem der Normenkontrollrat (NKR). Er weist vor allem auf die  „Lücken“ im Gesetzentwurf hin. „Ins Gesetz aufgenommen wurde, was im Vorfeld zwischen Bund und Ländern schon so gut wie Konsens war“, sagt der NKR-Vorsitzende Lutz Goebel.

Goebel begrüßt zwar, dass der Entwurf die Once-Only-Generalklausel enthält. Sie besagt, dass Bürger:innen, während sie einen Antrag stellen, entscheiden können, ob Behörden benötigte Nachweise bei anderen Behörden abrufen dürfen. Positiv sei zudem, dass das Bundesinnenministerium (BMI) relevante Standards und Schnittstellen an zentraler Stelle veröffentlichen will. Softwarehersteller können so relevante Informationen schnell finden und interoperabel gestaltete Software erstellen. Auch begrüßt Goebel den sogenannten Schriftformersatz. Demnach sollen handschriftliche Unterschriften in vielen Verwaltungsverfahren künftig nicht mehr notwendig sein.

Keine Gesamtstrategie erkennbar

Insgesamt aber bleibe aus Sicht des NKR die notwendige Trendumkehr aus. Der Rat spielt damit auf die zentrale Kritik an, die Expert:innen am OZG und dem Vorläuferpapier des Entwurfs geäußert hatten: Zum einen fehle es an Standards und Schnittstellen, zum anderen an einer IT-Architektur, über die Bund und Länder Basiskomponenten, Onlinezugänge und Fachverfahren bereitstellen.

Dafür bräuchte es eine umfassende Gesamtstrategie, so der NKR. Diese müsste sich unter anderem der Frage widmen, wie eine Basisinfrastruktur inklusive Standards und Schnittstellen definiert sein soll. Solche Vorgaben seien im Gesetzentwurf aber nicht zu finden.

Statt auf das Backend konzentriert sich das BMI auf die BundID und damit nach wie vor auf die Benutzeroberfläche. Dem Entwurf zufolge soll die BundID zum bundeseinheitlichen Bürger:innen- und Organisationskonto werden. Für einige Bundesländer bedeutet das, eigene Portale aufgeben zu müssen. Gleichzeitig gilt nun, dass die Länder dafür sorgen müssen, die Kommunen an den Portalverbund der BundID anzuschließen.

Fehlende Zuständigkeiten und Fristen

Diese Mammutaufgabe wird zusätzlich dadurch erschwert, dass Faesers Gesetzesentwurf eine klare Definition verschiedener Rollen und Zuständigkeiten unterlässt. Neben der Komplexität der Mittelvergabe ist das bislang ein wesentlicher Grund dafür, warum Digitalisierungsprojekte in der Vergangenheit so schleppend vorankamen. Laut NKR hätte die Föderale IT-Kooperation (FITKO) als Standardisierungsorganisation eingesetzt werden müssen, während der IT-Planungsrat die Leitung des Großprojekts Verwaltungsdigitalisierung übernimmt.

Im Gesetzentwurf fehlt zudem der gesetzliche Auftrag, was Bund, Länder und Kommunen bei der Verwaltungsdigitalisierung jeweils umsetzen müssen. Das betreffe auch das „gescheiterte Einer-für-Alle-Prinzip“ (EfA). Es sollte erleichtern, dass beispielsweise unterschiedliche Bundesländer Softwareprodukte entwickeln und anderen Ländern bereitstellen.

Die größte Hürde für eine rasche Verwaltungsdigitalisierung liegt aber vermutlich in fehlenden Fristen. Denn das OZG 2.0 macht keinerlei Vorgaben, bis wann die Digitalisierung bestimmter Leistungen abgeschlossen sein soll. Die Behörden können die Digitalisierung damit auch weiterhin schleifen lassen, ohne Sanktionen fürchten zu müssen. Einen Rechtsanspruch der Bürger:innen auf digitale Verwaltungsleistungen sieht Faesers Entwurf bislang ebenfalls nicht vor.

Der Bund verpasst die Chance, Länder und Kommunen ausdrücklich in die Pflicht zu nehmen. Der von Faeser versprochene „große Schritt“ reiht sich damit ein in den hierzulande wohlbekannten Gänsemarsch der Verwaltungsdigitalisierung. Wer sich also im kommenden Jahr nach einem Umzug ummelden muss, wird das dann wohl wie bisher auf dem Amt tun müssen.

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11 Ergänzungen

  1. >> Laut Innenministerin Nancy Faeser soll er die Digitalisierung der Verwaltung „einen großen Schritt“ nach vorne bringen. Doch es regen sich Zweifel wegen fehlender Vorgaben, Zuständigkeiten und Fristen.

    Frau Faeser hat ganz andere Prioritäten. Sie will die Landtagswahlen in Hessen gewinnen und ist gerade damit beschäftigt die Gewaltentrennung im Hinblick auf die „Letzte Generation“ zu ignorieren. Wenn Staatsanwaltschaften dazu angehalten werden, eine als lästig empfundene Jugend zu Terroristen zu stempeln, dann braucht es schon die vollste Aufmerksamkeit und führt ganz zwangsläufig zu mentaler Überlastung. Da geraten Fristen schon mal aus dem Blickfeld.

  2. Es gab Meldungen, dass auch ein „email Postfach für alle Bürger“ vorgesehen sei? Das hätte das Potential für DE-mail 2.0, diesmal zwangsweise…

    1. Auf jeden Fall stimmt, dass das Postfach Teil des Nutzerkontos für Bürger:innen (BundID) ist. Es soll künftig verstärkt die bidirektionale Kommunikation mit den Behörden regeln.

  3. Klar ist eine BundID (nicht Bandit) notwendig für eine sinnvoll digitalisierte Verwaltung .
    Dennoch lehne ich sie beim gegenwärtigen Stand strikt ab.
    Was spricht gegen die BundID im aktuell real existierenden Deutschland?
    A) der Mangel an Datenschutz und
    B) der Mangel an Sicherheit.
    An beidem trägt Schuld, dass fast überall M$-Monokultur herrscht.
    Erstens lauscht M$ und die anderen amerikanischen Anbieter bereits im Regelbetrieb mit; schon der bloße Einsatz von Win-10 oder -11 (wenn es nicht eine Enterprise-Version mit abgeschalteter Telemetrie ist) verstößt gegen die DSGVO. Siehe https://www.bundestag.de/resource/blob/796102/ea53ffe8e08a9ab11e270719263d8c53/WD-3-181-20-pdf-data.pdf
    Zweitens führen die Sicherheitslücken in M$ und anderen proprietären US-Produkten (in Potsdam war es Citrix) dazu, dass die Systeme angreifbar sind und persönliche Daten unkontrolliert in die Hände von Cybergangstern gelangen können. Solange diese beiden Datenabflüsse drohen, lehne ich eine BundID grundsätzlich ab.

    Die einzige Heilung besteht darin, nach Vorbildern wie Dänemark oder Estland die Verwaltung auf allen Ebenen* auf FOSS aufzubauen, mit Dienstleistungen und Diensten (Cloud) im eigenen Land. Public Money, Pubic Code!

    *) Auf allen Ebenen heißt: a) auf allen organisatorischen Ebenen von der Kommune bis zum Bund, und b) auf allen technischen Ebenen von der Firewall bis zur Datenbank.

    1. Die deutsche Beamtenmentalität macht den Einsatz von FOSS in deutschen Behörden leider komplett unmöglich. Man müsste schon einen weiten Wurf wagen, und sowas wie den „öffentlich-rechtlichen Rundfunk“ für die Bereitstellung von FOSS (oder wenigsten die Entwicklung von offenen Schnittstellen) neu erschaffen.

      1. „ Bei der Bereitstellung der IT-Komponenten im Sinne des Absatzes 1, soll
        dort, wo es technisch möglich und wirtschaftlich ist, Open-Source-Software vor-
        rangig vor solcher Software eingesetzt werden, deren Quellcode nicht öffentlich
        – 8 –
        zugänglich ist oder deren Lizenz die Verwendung, Weitergabe und Veränderung
        einschränkt.“

        -> eine Bevorzugung von FOSS enthält der Entwurf. Ob ]init[, AKDB oder Dataport da mitmachen ist eine andere Frage…

    2. Gut, Bevorzugung von FOSS enthält der Gesetzesentwurf: „ Bei der Bereitstellung der IT-Komponenten im Sinne des Absatzes 1, soll dort, wo es technisch möglich und wirtschaftlich ist, Open-Source-Software vorrangig vor solcher Software eingesetzt werden, deren Quellcode nicht öffentlich zugänglich ist oder deren Lizenz die Verwendung, Weitergabe und Veränderung einschränkt.“

      Ob das dann von ]init[, Dataport, AKDB & Konsorten auch so gelebt wird – andere Frage…

    3. > Was spricht gegen die BundID im aktuell real existierenden Deutschland?

      c) fehlende Kompetenz

      Die „Digitalisierungs“-IT-Projekte der letzten Jahre erinnern mich als außenstehenden Laien an einen gewissen Werbeslogan aus den 90ern: „Vielleicht hätte er jemanden fragen sollen, der sich damit auskennt. Gelbe Seiten. Machen das Leben leichter.“

      d) grundlegend verkehrte Haltung zum Thema Digitalisierung

      Überall sonst im Leben heißt es: „Erst denken, dann handeln.“ Bei der Digitalisierung gilt das plötzlich nicht mehr. Da will man einfach *irgend*etwas hinrotzen, statt etwas Gescheites zu erarbeiten.

    1. Der gesamte Ansatz des OZG mit Bund-Id ist aus meiner Sicht abzulehnen, denn Personenkennziffern sind verfassungsrechtlich „problematisch“ oder besser gesagt nicht zulässig.
      Eine Diskussion zB auf technischer Ebene ist daher nicht mehr notwendig.

      Details dazu unter
      https://netzpolitik.org/2023/buerger-id-bundeslaender-fordern-personenkennziffer-fuer-alle/
      Oder https://netzpolitik.org/2020/registermodernisierung-eine-nummer-sie-alle-zu-finden/

  4. Was in der Diskussion über das OZG 2.0 häufig untergeht, für die Öffentlichkeit aber eigentlich interessant ist, ist die halbgare Ausgestaltung der § 5 EGovG-Entww. Diese generalklauselartige Regelung soll es allen Behörden im Rahmen der Bearbeitung von OZG-Verfahren die Identifikationsnummer (also letztlich Steuer-ID) zu verarbeiten. Soweit so nachvollziehbar, wenn man sich die Entstehungsgeschichte des Identifikationsnummergesetzes anschaut, ABER obwohl diese Behörden dann alle auf diese IdentNr zugreifen dürfen, müssen sie diese Übermittlung NICHT im Datenschutzcockpit transparent machen. Die Regelung in § 10 OZG umfasst zwar grundsätzlich alle öffentlichen Stellen, aber das Identifikationsnummerngesetz selbst sieht diese Verpflichtung nur für Register nicht für andere öffentliche Stellen vor. Das EGovG müsste also eigentlich an dieser Stelle, um den an sich vorgesehen Transparenzanspruch bzgl der IdentNr zu erfüllen, auch eine Verpflichtung für diese Behörden vorsehen. Das spart sich die Regierung aber an dieser Stelle und verkleinert die datenschutzrechtlichen Milderungsmaßnahmen aus dem Identifikationsnummerngesetz nochmals deutlich! Die Vorschaufunktion ist dabei kein gleichwertiger Ersatz, denn diese hängt nicht an der IdentNr und ist nur kurzzeitig verfügbar. Datenschutzrechtlich setzt das ein sehr bedenkliche Präzedenz für den weiteren Umgang mit der IdentNr. Nachvollziehbarkeit wird über kurz oder lang vollkommen auf der Strecke bleiben.

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