OZG 2.0Normenkontrollrat kritisiert fehlende „Trendumkehr“

Der Nationale Normenkontrollrat tadelt das Bundesinnenministerium für Versäumnisse bei der Verwaltungsdigitalisierung. Um den Druck auf die Bundesregierung zu erhöhen, fordert der Rat eine klare Frist im OZG-Änderungsgesetz. Doch auch an dieser Forderung entzündet sich Kritik.

Lutz Goebel, Vorsitzender des Normenkontrollrats vor Aktenstapeln und Paragraphen-Zeichen
Bereits auf der Pressekonferenz zum Jahresbericht 2022 hatte Lutz Goebel, der Vorsitzende des Normenkontrollrats, Forderungen für ein OZG 2.0 formuliert. – Alle Rechte vorbehalten Aktenstapel: IMAGO / Lutz Wallroth; Lutz Goebel: IMAGO / Chris Emil Janßen; Montage: netzpolitik.org

Der Nationale Normenkontrollrat (NKR) kritisiert das Bundesinnenministerium für Versäumnisse bei der Digitalisierung von Verwaltungsleistungen. Anlass dafür bietet der Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Onlinezugangsgesetzes (OZG). Den Entwurf hatte das Innenministerium (BMI) unter Nancy Faeser (SPD), das für die Verwaltungsdigitalisierung zuständig ist, im vergangenen Dezember vorgelegt. Die erforderliche „Trendumkehr“ sei darin aber nicht zu erkennen, urteilt der NKR in seinem Positionspapier.

Das OZG trat 2017 in Kraft. Es habe laut NKR zwar dazu geführt, dass Bund, Länder und Kommunen in den vergangenen Jahren die Digitalisierung intensiver vorantrieben. Die Fortschritte seien aber vor allem der Frist zu verdanken, die das Gesetz nennt. Demnach sollten bis zum Oktober 2022 wesentliche Verwaltungsleistungen digital bereitstehen. Allerdings seien nach Fristablauf gerade einmal circa 33 von insgesamt 575 Leistungen bundesweit online verfügbar gewesen. Damit hätten die Verantwortlichen das zentrale Ziel einer flächendeckenden Digitalisierung aller wesentlichen Verwaltungsleistungen weit verfehlt, moniert der NKR.

Aktuell drohe die Bundesregierung, ein weiteres Digitalisierungsziel zu verfehlen. Denn die Single-Digital-Gateway-Verordnung (SDG) der Europäischen Union sieht vor, 73 der genannten 575 Verwaltungsleistungen noch in diesem Jahr zu digitalisieren. Die SDG trat 2018 in Kraft und soll ein einheitliches digitales Zugangstor zur Verwaltung in der EU schaffen. Bereits anlässlich der Präsentation seines jüngsten Jahresberichts von 2022 im vergangenen Dezember beklagte der NKR-Vorsitzende Lutz Goebel, dass „Deutschland bei der Digitalisierung immer weiter abgehängt werde, wenn wir jetzt einfach so weiterwurschteln“.

Keine Frist mehr vorgesehen

Dass der neue OZG-Entwurf aus dem Innenministerium nun keinerlei Frist mehr vorsieht, moniert der NKR insbesondere mit Blick auf die Verbindlichkeit der geplanten Vorhaben. Eine Frist sei schon deshalb notwendig, um einem „Vertrauensverlust“ bei den Bürger:innen entgegenzuwirken. Gemeint ist ihr Vertrauen „in den Modernisierungswillen und die Handlungsfähigkeit von Verwaltung und Politik“.

Es brauche daher Umsetzungsfristen und einen „klaren gesetzlichen Auftrag, was durch Bund, Länder und Kommunen bis wann zu realisieren“ sei. Für Verbindlichkeit sorgten zudem Anreize – positive für gute Umsetzungsleistungen, negative für das Versäumen von Fristen. So schlägt der NKR vor, einen Rechtsanspruch auf digitale Leistungen in das Gesetz einzubauen. Dieser könnte – vergleichbar mit dem Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz – Schadenersatz vorsehen, wenn er gegenüber Bürger:innen nicht eingehalten wird.

Für das Prinzip Einer-für-Alle – nur anders

Grundlegende Kritik äußert der NKR in Bezug auf die IT-Landschaft der Verwaltungen. Aus Sicht des Rats sei das Prinzip Einer-für-Alle (EfA) zu vernachlässigen. Das EfA sieht vor, dass ein Land eine digitale Verwaltungsleistung entwickelt und die Lösung dann anderen Ländern und Kommunen zur Nachnutzung bereitstellt. Viel wichtiger sei es, dass Bund, Länder und Kommunen das Prinzip auf der Ebene von Standards und Basiskomponenten umsetzten. Das würde dazu beitragen, die Interoperabilität von IT-Systemen und Softwareprodukten herzustellen.

Fehlende Grundlagen

Nachholbedarf sieht der NKR außerdem bei den architektonischen Grundlagen für einen funktionierenden föderalen IT-Verbund – aus Sicht des Rats der „eigentliche fachliche Kern des OZG“. Der Bund müsse hierfür einheitliche Architektur- und Standardisierungsvorgaben machen und Basisinfrastrukturkomponenten zur Verfügung zu stellen. Das OZG-Änderungsgesetz solle daher klar definieren, welche Aufgaben es gibt, wer für welche Leistungen verantwortlich ist, sowie wer in diesem Prozess entscheidet und wer diesen steuert.

Schließlich fordert der NKR einen App-Store, der Akteur:innen auf verschiedenen Ebenen des Verwaltungsapparates den Zugang zu OZG-Software erleichtert. Dafür soll das Innenministerium die Föderale IT-Kooperation (FITKO) stärken, indem es Vorgaben für Ausgestaltung, Trägerschaft und Betrieb des Stores gesetzlich absichert.

Kritik an der Forderung nach einer Frist

Ulf Buermeyer, Vorsitzender und Legal Director der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), hält die Forderungen des NKR zwar insgesamt für überzeugend. Allerdings erkennt er in der Forderung nach einer Frist einen möglichen Zielkonflikt: „Der NKR hat völlig Recht, wenn er kritisiert, dass drauflos digitalisiert wurde. Nur wird sich das vermutlich nicht ändern, wenn man nun den Zeitdruck hochhält.“ Denn der Prozess verzögere sich zwangsläufig, wenn die Bundesregierung zunächst Standards und Basiskomponenten schaffen sowie einen föderalen IT-Verbund aufbauen würde. Auf mittel- und langfristige Sicht sei das aber der einzig mögliche Weg, so Buermeyer gegenüber netzpolitik.org.

Die Forderung nach einer Fristsetzung bewertet Buermeyer daher als riskant, da auch sie falsche Anreize „für eine scheinbare Digitalisierung“ setze. Er schlägt daher vor, zeitliche Vorgaben konkret auf strukturelle Verbesserungen zu beziehen. Wichtig sei jetzt, dass die Weichen richtig gestellt würden – „mit bundesweit einheitlichen Zuständigkeiten und Standards“.

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Eine Ergänzung

  1. Fehlende Trendumkehr…
    ich dachte bei Verfassungsaushebelung und Bruch. Womöglich braucht man da gar keine Normen für…

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