Letzte GenerationDer fossile Rechtsstaat rast gegen die Wand

Bei Mitgliedern der Letzten Generation gab es nicht nur Razzien, auch die Website wurde beschlagnahmt. Die Behörden missachteten dabei zunächst die Unschuldsvermutung. Und machten sichtbar, dass es offenbar vor allem um Abschreckung geht. Ein Kommentar.

Straßenblockade der Letzten Generation
Die Letzte Generation hat mit massiver Repression zu kämpfen. CC-BY 2.0 Hintergrund: Stefan Müller

Wer gestern die Website der Letzten Generation aufrufen wollte, bekam zeitweise von der Generalstaatsanwaltschaft München und dem Bayerischen LKA folgenden Hinweis: „Die Letzte Generation stellt eine kriminelle Vereinigung gemäß § 129 StGB dar!“ Ausrufezeichen, wichtige Durchsage. Dahinter folgte ein Satz, der sich als kaum versteckte Drohung an Sympathisierende der Klima-Aktivist:innen lesen lässt: „Achtung: Spenden an die Letzte Generation stellen mithin ein strafbares Unterstützen der kriminellen Vereinigung dar!“ Weiteres Ausrufezeichen.

Die amtsmäßigen Verteidiger:innen des Rechtsstaats scheinen besorgt um die Rechte von Fossilfreunden. „Aufgrund zahlreicher Strafanzeigen aus der Bevölkerung“ habe man Ermittlungen eingeleitet, hieß es in der gemeinsamen Pressemitteilung. Es drängt sich der Gedanke auf: Weil der öffentliche Druck wächst, etwas gegen die renitenten Klimakleber:innen zu tun und die Fahrt frei zu machen, werden nun Wohnungen durchsucht und Konten eingefroren.

Verbal runtergeschaltet

Weniger besorgt schienen die bayerischen Teile des Staatsgetriebes hingegen um eines der Grundprinzipien des Rechtsstaates: die Unschuldsvermutung. Es geht um einen Anfangsverdacht, den das Amtsgericht München bejaht. Daran mussten sie offenbar erst von der Presse erinnert werden, sodass sie die obigen „Hinweise“ schließlich aus der Beschlagnahmebotschaft entfernten.

Denn kein Gericht hat bisher geurteilt, dass es sich bei der Letzten Generation um eine kriminelle Vereinigung handelt. Sie öffentlich als solche zu bezeichnen, ist nicht „missverständlich“, wie ein Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft München dem BR sagte. Es ist ein krasser Bruch mit einem rechtsstaatlichen Prinzip.

Und es ist Benzin im Feuer derer, die ihre Aggression gegen die friedlich Demonstrierenden offenbar nicht mehr bremsen können und auf die Festgeklebten eintreten.

Es sind nicht die ersten Durchsuchungen bei den Mitgliedern der Letzten Generation, auch der Vorwurf einer kriminellen Vereinigung ist nicht neu. Aber Konsens ist er deswegen noch lange nicht. Paragraf 129, der sogenannte Schnüffelparagraf, ist ein kommodes Werkzeug für Ermittelnde und öffnet ein ganzes Arsenal an Überwachungsoptionen – vom Wühlen in Privatwohnungen bis zum Abhören von Gesprächen. Zu rechtskräftigen Verurteilungen kommt es am Ende oft nicht.

Wer den Verbrenner schützt, verbrennt sich daran

Dass die Letzte Generation eine kriminelle Vereinigung sein könnte, zweifeln nicht nur solidarische Klimabewegte an, sondern auch die Berliner Staatsanwaltschaft. Die Neue Richtervereinigung nennt die Einstufung „alles andere als selbsterklärend“. Und die Berliner Justizsenatorin Felor Badenberg redet ungelenk von zu prüfenden Einzelfällen. Abgesehen davon, dass schon die Rechtsvorschrift selbst umstritten ist, da sie bei relativ geringen Hürden weitreichende Ermittlungsbefugnisse erlaubt.

Dienen die Razzien und Beschlagnahmen wirklich vorrangig der Beweissuche bei einer Gruppe, die so offen agiert, dass es manchmal schon irritiert? Oder ist das Ziel vielmehr die Abschreckung von Unterstützer:innen und Unterstützungswilligen? Die Drohung, sich schon mit einer Spende potenziell strafbar zu machen, wiegt schwer.

Vielleicht hält sie nicht diejenigen ab, die seit langem überzeugt gegen selektive Ignoranz der Bundesregierung in der Klimapolitik kämpfen. Aber doch jene, die selbst andere Kämpfe austragen und die Letzte Generation dennoch mit fünf, zehn oder fünfzig Euro unterstützen wollen. Etwa, weil sie die Ziele der Gruppe teilen, wie eine Tempobeschränkung auf Autobahnen oder ein dauerhaftes 9-Euro-Ticket. Diese Ziele sind von Kriminalität wohl so weit entfernt wie eine Ladesäule in so manchem Dorf der Mecklenburgischen Schweiz.

Mit den brachialen Ermittlungsaktionen gegen die Letzte Generation fährt der Staat seine ganze, oft beschworene Härte auf. Und verstärkt den Eindruck, er würde den Verbrenner mehr schützen als unsere menschliche Existenz vor der Klimakatastrophe. Wer so handelt und dabei rechtsstaatliche Prinzipien missachtet, muss sich am Ende nicht wundern, wenn die Welt in Flammen steht.

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17 Ergänzungen

  1. Danke, dass ihr Fehler macht, denn von euren Fehlern lernen wir.
    Danke, dass ihr gleich den größten Fehler begeht, denn § 129 StGB ist nicht mehr zu toppen.
    Danke, für den ganz großen Angriff. Das macht uns nur noch stärker.
    Danke für den Überfluss an Aufmerksamkeit. Das hilft uns wirklich!

    1. Moin, schöne Folge (hellgrün).
      Eine Anmerkung als arme Sau, die mit dem Auto zur Arbeit muss: Ich muss pünktlich ankommen. Jede Verspätung ist abmahnbar und potentiell ein Kündigungsgrund. Das Wegerisiko liegt leider beim Arbeitnehmer. Wenn das anders wäre, würde ich meine Flöte rausholen und die Zeit nutzen. So riskiere ich meinen Arbeitsplatz an dem ich nunmal hänge. Meine Lebenszeit als Druckmittel für politische Forderungen zu nehmen trägt auch nicht dazu bei mein Verhalten zu ändern.
      Es gibt ja auch positive Anreize. Ich ersetze immer mehr Lebensmittel durch vegane Alternativen. Nicht aus Tierethik, Ekelbilder oder Klimaschutz. Das sind ha alles gute Gründe. Was mich bewegt idt dass der vegane Kram endlich gut schmeckt, bezahlbar und einfach zu bekommen ist. Positive Anreize funktionieren eben besser als Erpressung.

      1. Ja, ja. Das Leben ist voller Risiken. Der Hitzetod ist eines davon.

        Eine Kündigung durch Arbeitgeber wegen Verspätung durch Klimaprotest wäre eine Premiere in der deutschen Justizlandschaft, die gewaltigen Staub aufwirbeln würde. Shitstorms, PR-Schaden, Marketingdesaster.

        Das Mitgefühl aller wäre auf Deiner Seite, etwa so wie bei der Kassiererin, die einen liegengelassenen Pfandbon for 2,50€ einlöste. Eine profunde Abfindung durch den dümmlichen Arbeitgeber wäre zu erstreiten.

        Zudem wäre es eine Chance, einen neuen Arbeitgeber zu finden, der seine Mitarbeiter schätzt und behalten will. In naher Umgebung, das spart Nerven Zeit und Geld.

  2. interessant wäre auch: Wie lief diese nicht besonders erfolgreiche „Beschlagnahmung“ technisch ab? Kontrolle über die Domain hat die Staatsanwaltschaft ja offenabar nicht wirklich erlangt, da die Domin jetzt auf letztegeneration.org umleitet.
    Die neue und alte Domain liegen jetzt bei Cloudflare, ist die Frage, war dies vorher auch schon so?
    Gestern war durch IP Adressen zwischenzeitlich sichtbar, dass die Webseite offenbar bei dem Hoster Flokinet in Island liegt, zumindest jetzt. Schaut man sich diesen Hoster an, wird der wohl ohne erfolgreiches Rechtshilfeersuchen in Island nicht kooperiert habe.
    Bleibt also die Frage, wie lief diese Beschlagnahmung ab?

  3. Warum kommt so ein Kommentar erst jetzt? Es war von Anfang an klar, dass die Mittel der Einschüchterung gegen alle Gruppierungen angewendet werden, die geeignet sind, das Vertrauen in den Staat zu delegetimieren. Hat denn jemand wirklich erwartet, dass es nur rechtsoffene Querdenker betreffen wird?

    1. „das Vertrauen in den Staat zu delegetimieren“

      Sind wir nicht selbst der Staat? Und so werden wir behandelt!

      Ich glaube hier wird das „Aufrechterhalten von Mehrheitsmeinungen“ an erste Stelle gesetzt, und dann eben sanktioniert, wenn die Mehrheitsmeinung droht, von den für teures Geld „besorgten“ Umfragen abzuweichen. D.h. man demontiert den Staat, und wenn einer aufmuckt, haut man drauf!

      Nein/ja, im Ernst: Wenn das wenige Extremisten sind, greift hier naturgemäß die Verfassung im Sinne eines Minderheitenschutzes. Wie sollte es bei dem Einfordern von lebbaren Bedingungen anders sein?

      Unsere 20%-AFD leistet sich bei Lanz einen was war es noch, „klimapolitischen“(?), Sprecher, der ohne jegliche Ahnung Lügen und damit letztlich „Klimahetze“ verbreitet, während er fundierte Positionen und seriöse Wissenschaftler recht konkret angreift. Während wir in Talkshows gewohnt sind, jegliche Meinung und Schwachsinn von Regierungskräften der CDU und CSU zu hören, durchaus neben Vernünftigem bzw. irgendwie abwechselnd, so sind deren Einlassungen zwar oft wild suggestiv, aber dennoch allgemein nichthaftend genug, um nicht irgendwo real klebenzubleiben. Demgegenüber ist die AFD-Nummer konkrete Demagogie, vermutlich sogar nach wissenschaftlichen Kriterien, bis auf dass Angriffe auf Personen weniger im Fokus stehen, auch wenn der Mann sich solche selbst auf den im Raum sitzenden Klimaforscher nicht ganz verkneifen könnte. Daran sieht man allerdings, dass solche Talkshows durchaus wichtig sind, d.h. also auch das Äußern von Positionen und Meinungen. Nicht sehen tut man es an der Wahlurne, derzeit.

      1. Hier der Link zur Sendung:
        https://www.zdf.de/gesellschaft/markus-lanz/markus-lanz-vom-25-mai-2023-100.html

        Das Video ist ein wertvolles Dokument zur Analyse von Gesprächstechnik. So wie Steffen Kotré (AfD) sich gegen die „feindliche Vernehmung“ zu behaupten versucht, erinnert das stark an Methoden, die man nur beherrschen kann, wenn man sie zuvor ausgiebig trainiert hat. Es geht darum, sich nicht aus der Ruhe bringen zu lassen, und seine Sätze unbeirrt zu Ende zu sprechen. Dabei werden Gesprächspartner nahezu ausgeblendet, die Wahrnehmung nach außen weitgehend reduziert, der Fokus liegt völlig auf dem was man selbst zuvor auswendig, bzw. verinnerlicht hat, sich selbst versetzt in einen Zustand relativer Emotionslosigkeit, reduzierte Gesichtsmimik.

        Besonders interessant sind die Passagen, in denen er mit von Lanz mit Fakten überrascht wird, die Lanz selbst über Ohrknopf zugespielt bekam. Da schleudert Kotré gewaltig. Das sind Szenen, die Ermittler aus Befragungen bestens kennen dürften: Herr Kotré, sie sind überführt!

  4. Mehr als 500 Menschen haben am Abend in München gegen die Razzia bei Mitgliedern der „Letzten Generation“ demonstriert. Auch vor Ort: Astrophysiker Harald Lesch.

    Prominenter Teilnehmer des Protestzuges war der Astrophysiker Harald Lesch. Er sei „geschockt“ gewesen, als er in den Nachrichten gelesen habe, dass es eine Hausdurchsuchung bei der „Letzten Generation“ gegeben habe, erzählte er dem Bayerischen Rundfunk. In seinen Augen ist die Gruppe keine kriminelle Vereinigung. „Die erfüllen zwar den Tatbestand der Nötigung, aber die erfüllen nicht den Tatbestand einer kriminellen Vereinigung, die so gefährlich ist, dass der Staat dermaßen zuschlagen muss.“ Das sei „völlig übertrieben“ und „in keiner Weise verhältnismäßig“.

    Lesch ist eigenen Angaben zufolge „kein Fan davon, sich festzukleben“. „Aber ich finde, die haben das Recht, ihre Meinung zu äußern.“ Es gehe nicht, dass man den Leuten, die sich davontragen ließen wie Mahatma Gandhi, unterstelle, sie seien Verbrecher wie Al Capone. Die Aktivisten würden etwas richtig machen, sagte der Wissenschaftsjournalist: „Sie schauen sich die wissenschaftlichen Inhalte sehr genau an und sind sehr gut informiert.“

    https://www.br.de/nachrichten/bayern/nach-razzia-bei-letzter-generation-500-demonstranten-in-muenchen

  5. Grünen-Bundestagsfraktionsvize Konstantin von Notz schrieb: „Die entscheidende Frage, die jetzt rechtsstaatlich geklärt werden muss, ist, ob es eine illegitime politische Einflussname von Seiten der CSU auf die Justiz- und Strafverfolgungsbehörden gab.“

    Erwartungsgemäß hat die Generalstaatsanwaltschaft München dem bereits widersprochen. Doch wer die Szene kennt weiß, dass eine Weisung nicht nötig ist, wenn Politik und Justiz sich ohnehin so nahe stehen, dass es keiner formellen Weisung bedarf. Die CSU regiert in Bayern seit 1945, da werden selbst kurzlebigere Autokraten neidisch. Der Justizbetrieb in Bayern läuft sei Dekaden reibungslos ohne Weisungen.

    https://www.br.de/nachrichten/bayern/tabubruch-streit-ueber-razzia-bei-letzter-generation

    1. „Die CSU regiert in Bayern seit 1945“

      Wer erinnert sich an die Gräuelbilder aus dem Internet, die typischerweise mit „Orly?“ (Oh, really?) untertitelt waren?

      Oder um es anders zu formulieren: „Man muss das abstrakt sehen: Kontinuität über den Bruch hinaus!“

  6. Wenn eine Politiker.in über 20.000€ im Monat Steuergeld-Lohn bekommt, wird er/sie nicht mit Fahrrad in der Arbeit fahren.
    Nein, der/die fliegt von Wien nach Bratislava mit privat flug. Fahrt mit v8 Limousine im Parlament.

    Vergiss nicht, der erste lockdown hat uns gezeigt wie schnell die Erde sich erholt von uns, paraziten. ;)

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