KW 3Die Woche, in der wir uns fragten, wie netzpolitisch Lützerath ist

Die 3. Kalenderwoche geht zu Ende. Wir haben 17 neue Texte mit insgesamt 231.734 Zeichen veröffentlicht. Willkommen zum netzpolitischen Wochenrückblick.

Fraktal, generiert mit MandelBrowser von Tomasz Śmigielski

Liebe Leser:innen,

in unserer Redaktionskonferenz stellen wir uns oft die Frage: Ist das überhaupt ein Thema für netzpolitik.org? Ist es Netzpolitik, wenn in Lützerath die Polizei mit Härte und Gewalt gegen Demonstrant:innen vorgeht? Ist es Netzpolitik, wenn die Pressefreiheit in einem anderen Land eingeschränkt wird? Oder das Versammlungsrecht? Sind militärische Drohnen netzpolitisch? Ist es Netzpolitik, wenn Aktionskünstler:innen überwacht werden? Oder wenn das Informieren über Abtreibungen bestraft wird? Die Meinungen darüber gehen auseinander  – in der Redaktion und in der Leser:innenschaft.

In der Praxis hat sich in den vergangenen Jahren herausgebildet, dass wir trotz unseres Namens, der das grundsätzliche Thema sehr klar vorgibt, gerne auch mal das Feld weiter aufmachen. Dass wir öfter bewusst ausdehnen, was Netzpolitik ist. Einer der reichweitenstärksten Artikel auf netzpolitik.org befasste sich mit dem bayerischen Polizeigesetz. Und dann sind wir einfach am Thema drangeblieben, haben alle folgenden Polizeigesetze beleuchtet. Wurden Expert:innen darin und bleiben auch heute am Ball. Plötzlich bilden sich redaktionelle Traditionen heraus und wir berichten weiter – weil wir doch „immer schon“ über Polizeigesetze berichtet haben.

Manchmal sieht man sehr schön, dass Berichterstattung etwas auslöst, wie beim Versammlungsgesetz in NRW. Da gab es nur sehr wenige Medien, die berichteten und wir haben mit unseren Artikeln – die keine klassische Netzpolitik behandelten – den Debattenraum erweitert. Kann man sich als Medium für digitale Grund- und Freiheitsrechte wirklich nur auf das Digitale beschränken oder sollte man die Reichweite nicht auch nutzen, um Grund- und Menschenrechte generell auf die Agenda zu heben? Ist es nicht vielleicht sogar unsere Pflicht als reichweitenstarkes Bürgerrechtsmedium? Oder vernachlässigen wir dann das digitale Kernthema?

Wir haben dafür keine klare Regel in der Redaktion. Im Zweifel versuchen wir bei all unseren Geschichten die netzpolitischen Aspekte hervorzuheben. Wenn alle über Lützerath schreiben, dann finden wir einen Weg, über das „Netzpolitische“ von Lützerath zu berichten. Wie im Interview mit Caja Thimm, in dem es um die Nutzung der sozialen Medien bei den Protesten geht. Vielleicht ist heute – wo unser Leben ohnehin ganz selbstverständlich ständig online stattfindet – eine Trennung in Netz und Nicht-Netz wenig sinnvoll.

Für uns ist klar: Grund- und Freiheitsrechte in der Digitalpolitik sind der Kern unserer Berichterstattung. Und an Themen wie der Chatkontrolle oder an Staatstrojanern bleiben wir so nah dran wie kein anderes Medium. Aber es gibt Grauzonen und spannende Geschichten, die Redakteur:innen bei uns bewegen. Und Menschenrechte lassen sich nicht aufs Digitale beschränken – heute noch viel weniger als noch vor ein paar Jahren. So werden wir in der morgendlichen Redaktionskonferenz immer wieder die Frage stellen: Ist das Netzpolitik? Wie würdet ihr als Leser:innen diese Frage beantworten?

Genießt das Wochenende.

Herzliche Grüße

Markus Reuter


 


Neues aus dem Fernsehrat (94)Liebe auf den zweiten Blick

Zehn Jahre nach ersten Pilotprojekten bewegte sich nichts mehr bei ARD und ZDF in Sachen Creative Commons. Noch einmal fünf Jahre später sind freie Lizenzen bei Tagesschau und Terra X angekommen, um zu bleiben. Diese Wende birgt etliche Lehren – auch mit Blick auf aktuelle Bemühungen, die öffentlich-rechtlichen Medien ins Fediverse zu bringen.

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Kampf gegen "schädliche Inhalte"Wikipedia warnt vor britischer Online Safety Bill

Die ohnehin schon drastische Online Safety Bill könnte weiter verschärft werden. Künftig sollen Mitarbeitende von Online-Diensten für Verstöße persönlich haften, fordern britische Parlamentsabgeordnete. Die Wikipedia warnt nun, dass das Gesetz die gemeinnützige Enzyklopädie in Schwierigkeiten bringen würde.

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AI ActSPD-Fraktion grätscht in die Regierungsposition bei EU-Verhandlungen

Die Bundesregierung hat Ende Dezember dem Entwurf zum geplanten AI Act zugestimmt. Doch einig ist man sich in der Ampel-Koalition offenbar nicht. Jetzt macht die SPD-Fraktion mit einem Positionspapier das Thema wieder auf – und will beim Einsatz von KI in den Bereichen Arbeit und Migration den Kurs korrigieren.

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AsylbehördeWie das BAMF mit Polizei und Geheimdiensten zusammenarbeitet

Zu den Aufgaben des BAMF gehört es, über Asylanträge zu entscheiden. Gleichzeitig arbeitet die Behörde eng mit Polizeien und Geheimdiensten zusammen und begreift sich als Teil der deutschen „Sicherheitsarchitektur“. Diese Rolle hat sich in den vergangenen Jahren „fortentwickelt und ausgeweitet“, schreibt die Bundesregierung.

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Deine Spende für digitale Freiheitsrechte

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8 Ergänzungen

  1. Das Problem beim „sich informieren können“ ist allerdings, dass es auch „Boilerplate“ ist, und auch dafür wiederum Wissen und Können z.T. fehlt. Da muss etwas besseres hin als bisherige „Factchecker“-Ansätze.

  2. Bei Techdirt kommt ab und zu ein Kommentar, dass der Artikel doch gar nichts mit Tech zu tun hätte (zB bei Polizeigewalt). Die Erwiderung ist dann, dass der Name den Redakteuren nicht diktiert, auf welche Themen sie sich einlassen. Meine Meinung ist, dass auch ihr euch nicht einengen lassen solltet. Und vielleicht nach Wegen suchen solltet, einen weniger gerichteten Eindruck zu erwecken, zB mit einer kleinen Namensänderung („Netz & Politik“) oder einer Schwesterpublikation.

  3. „Ist das Netzpolitik?“
    Wenn jemand anderes mich gefragt hätte, wäre meine Antwort gewesen: wenn netzpolitik.org darüber schreibt, dann ist es das. Nun fragt aber Ihr.
    „Netz“: digitalisierte Daten, die gewollt oder ungewollt übertragen werden in der zugehörigen Infrastruktur;
    „Politik“: was „in unserem Namen“ Gutes&Böses gesagt&getan wird von den 4 Gewalten ( Regierungen als Exekutive, Parlamente als Legislative, Richter in Luxembourg & DE als Judikative, und Reporter-ohne-Grenzen als kostbarste grandioseste Repräsentanz und die Schar unserer Medien als „4.Gewalt“);
    => Netzpolitik ist also dig. Infrastruktureinrichtung, Erhebung /Manipulation und Lenkung von digitalisierten Daten durch Ermächtigte, die dies zielgerichtet tun.

    Meiner Ansicht nach seid Ihr Meister im Beobachten und Melden der netzpolitischen Ereignisse, von denen wir im Sinne einer optimal gedachten Demokratie wissen sollten:
    macht bitte weiter so wie bisher !
    Mir kommt es mehr auf Euren Mut, das verständlich-Machen, das hartnäckiges D’ranbleiben an wichtigen Themen, die faire Berichterstattung an, als darauf, ob der eine oder andere Artikel vielleicht mal nicht im strengen Sinn Netzpolitik betraf.

  4. Ich finde wichtig, dass ihr den Kern „Netz“ nicht aus den Augen verliert. Und der kann leider leicht abhandenkommen, wenn die Berichterstattung immer mehr allgemeinpolitische Themen aufgreift (bei allem Verständnis für das Grundanliegen).

    Ich lese und unterstütze euch auch und gerade deshalb, weil ihr die Netzthemen aufgreift, die meist so unterschwellig daherkommen und deren Tragweite von vielen erst verstanden wird, wenn es „zu spät“ ist, wenn die Gesetze verabschiedet sind, wenn anlasslose Massenüberwachung Alltag ist (und dazu gehören auch Polizeigesetze).

    Deshalb bleibt bitte den digitalem Kernthemen treu. Die Grenzen sind natürlich fließend und die analoge und digitale Welt beeinflussen sich gegenseitig. Aber wie Markus so treffend schrieb: „…versuchen wir bei all unseren Geschichten die netzpolitischen Aspekte hervorzuheben.“

    In diesem Sinne vielen Dank für eure Klarheit und Offenheit!

  5. Ich habe mich jetzt das erste Mal in meinem Leben gefragt: „Was ist denn Netzpolitik?“
    Die Landeszentrale für Politische Bildung Ba-Wü schreibt hierzu:
    „Netzpolitik ist die Politik über, mit und durch das Netz.“
    (Quelle: https://www.lpb-bw.de/netzpolitik-dossier/)

    Mit dieser Definition ist doch Alles klar: Lützerath IST Netzpolitik, denn Lützerath ist auch ein aktuelles Beispiel, wie Politik (von unten) mit und durch das Netz gestaltet werden kann und wird.

    Bitte, bleibt bei Eurem digitalen Schwerpunkt und schaut weiterhin über den Tellerrand hinaus! Danke dafür.

    1. „Lützerath IST Netzpolitik“
      Hinzu kommt die Frage ob Informationen durch Presse zu langsam im Umlauf war (was zu klären wäre), oder letztlich unvollständig blieb, u.a. weil die Presse von der Polizei behindert wurde, so dass erst mal der „Social Media Moment“ wieder greift, dass verlässliche Informationen, ähnlich wie im Iran, wenn auch mit aller Vorsicht, fast nur in den Social Media zu bekommen waren. Das nur als kleinen Seitenhieb auf den Iran.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.