Europaweiter ProtestPetition gegen Chatkontrolle gestartet

Das große europäische Bündnis „Stop Scanning Me“ hat eine Online-Petition gegen die Chatkontrolle-Verordnung gestartet. Mit der Petition wollen die Bürgerrechtsorganisationen mehr zivilgesellschaftlichen Druck ausüben.

Logo mit einem Auge und einem Handy in der Mitte, das einen Chat zeigt
Kampagnenlogo des Bündnisses „Stop Scanning Me“ CC-BY-SA 4.0 stopscanningme.eu

Der Dachverband digitaler europäischer Bürgerrechtsorganisationen EDRi und das Bündnis „Stop Scanning Me“ haben eine Petition gegen die Chatkontrolle-Verordnung gestartet, die ab jetzt unterzeichnet werden kann. Die Petition fordert Europaabgeordnete auf, den Verordnungsentwurf der EU-Kommission abzulehnen und stattdessen eine Alternative zu verfolgen, die mit Grundrechten vereinbar ist.

Unterzeichnende schließen sich mit ihrer Unterschrift den mittlerweile 124 zivilgesellschaftlichen Organisationen an, die sich im Bündnis „Stop Scanning me“ zusammengeschlossen haben – und europaweit gegen das Vorhaben protestieren.

Begründet wird die Petitionen unter anderem auch mit Erklärungen der Vereinten Nationen und UNICEF, dass die Online-Privatsphäre für die Entwicklung und den Selbstausdruck junger Menschen von entscheidender Bedeutung ist und dass Kinder nicht einer allgemeinen Überwachung ausgesetzt werden sollten.

Weiter heißt es im Petitionstext:

Wenn dieses Gesetz verabschiedet wird, verwandelt es das Internet in einen Raum, der für die Privatsphäre, die Sicherheit und die freie Meinungsäußerung aller gefährlich ist. Das gilt auch für die Kinder, die mit dem Gesetz geschützt werden sollen.

Sollte die Verordnung verabschiedet werden, würde sie auch Whistleblowern, Aktivist:innen in der politischen Opposition, Gewerkschaften, Menschen aus Ländern, in denen Abtreibungen kriminalisiert werden, der Medienfreiheit, Minderheiten und vielen anderen schaden, heißt es weiter. Dies würde einen gefährlichen Präzedenzfall für Massenüberwachung auf der ganzen Welt schaffen, heißt es in der Petition.

Darum ist die EU-Verordnung so gefährlich

In der unter dem Namen „Chatkontrolle“ bekannt gewordenen EU-Verordnung ist ein ganzes Bündel grundrechtlich problematischer Maßnahmen vorgesehen. Der von der EU-Kommission eingebrachte Entwurf wird derzeit zwischen den EU-Mitgliedsländern auf Ratsebene verhandelt.

Die eigentliche „Chatkontrolle“ meint die Durchsuchung von Inhalten nach Darstellungen sexualisierter Gewalt gegen Kinder. Um eine solche Durchsuchung umzusetzen, könnten Inhalte auf den Geräten von Nutzer:innen gescannt werden, bevor sie eine Nachricht verschlüsselt über einen Messenger wie WhatsApp oder Signal verschicken. In einer Anhörung zum Thema im Bundestag haben alle Expert:innen, vom Internet-Ermittler bis zum Kinderschützer, diese Form der anlasslosen Überwachung abgelehnt.

Eine Einführung dieser Technologie würde private Kommunikation unmöglich machen. Sie birgt zudem die Gefahr, dass damit dem Staat (aber auch kriminellen Hackern) ein technischer Zugang zu den privaten digitalen Inhalten der Menschen geschaffen wird. Diese Form der Inhaltekontrolle lehnt die deutsche Bundesregierung mittlerweile ab – andere umstrittenen Maßnahmen will das Innenministerium offenbar beibehalten.

Die Verordnung sieht nämlich außerdem vor, dass auch unverschlüsselte E-Mails und Messengernachrichten durchsucht werden sollen. Ebenso ist in der Verordnung vorgesehen, private Cloudspeicher zu durchsuchen, auf denen Menschen etwa ihr Handy-Backup oder die Bilder vom letzten Urlaub speichern.

Dabei sollen laut der Verordnung auch Programme eingesetzt werden, die neue und unbekannte Inhalte erkennen sollen. Die Fehlerraten dieser Erkennungsprogramme sind laut Aussagen von Experten mit bis zu 20 Prozent so hoch, dass Millionen unbescholtener Bürger:innen wegen Fehlalarmen in Verdacht des Besitzes von sexualisierter Darstellungen von Kindern geraten könnten – und nebenbei die Ermittlungsarbeit von Polizeien mit diesen Fehlalarmen behindert werden könnte.

Ausweispflicht im Netz droht

Auch geplant ist in der Verordnung eine Alterskontrolle bei allen möglichen Apps und Internetdiensten – ob nun bei der gemeinsamen Office-Cloud, beim Messenger WhatsApp, beim Mailprovider, dem Computerspiel mit Chat oder in einem Forum. Diese Alterskontrolle kann sich schnell zu einer Ausweispflicht im Internet entwickeln. Denn entweder hat man Systeme, die nur wissen, dass auf der Gegenseite ein Ausweis mit einem bestimmten Alter vorgezeigt wurde, weiß aber nicht, ob der Ausweis auch der Person gehört, die ihn vorgezeigt hat. Oder man hat Systeme, bei denen verifiziert ist, dass der gezeigte Ausweis auch der Person gehört. Dann weiß man aber auch, wer die Person ist.

Das gefährdet die anonyme Nutzung des Internets. Anonymität und echte Pseudonymität im Internet sind aber konstituierend für ein freies Internet, die freie Meinungsäußerung und die Demokratie.

Und obendrein sieht die Verordnung derzeit Netzsperren vor, obwohl das Modell von Löschen statt Sperren seit Jahren ein großer Erfolg ist.

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8 Ergänzungen

  1. Das Gesetz wird sowieso durchkommen. Ähnlich wie Artikel 13, wo es auch erst viel Widerstand gab und dann irgendwann einfach still und heimlich, wo jeder abgelenkt war (Fußball WM) eingeführt wurde.

    1. Aber man hatte uns dabei doch versprochen, dass alles ganz ohne diese Upload-Filter gemacht werden wird. Super-CDU/EVP-Ehrenwort.

          1. Gerade selbst unterschrieben und hab die Bestätigungsmail innerhalb von Sekunden bekommen.
            Eventuell wurde es seit gestern Abend gefixed.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.