Digitale-Dienste-GesetzWie sich Pornoseiten klein machen

Die Frist ist vorbei, jetzt müssen Plattformen Farbe bekennen: Wer in der EU mehr als 45 Millionen monatliche Nutzer:innen hat, gilt als Riese und muss sich an strengere Regeln halten. Mindestens 18 haben sich geoutet. Die weltgrößten Pornoseiten sind verdächtig still.

Laptopbildschirm mit Pornhub-Logo
Groß, aber laut eigenen Angaben nicht groß genug um Riese zu sein: Pornhub. – Alle Rechte vorbehalten Imago / Adrien Fillon

Wie groß bist du wirklich? Online-Plattformen beantworten solche Fragen eher ungern. Gegenüber Investor:innen verkaufen sie sich gerne als populär und mächtig, denn das bringt Geld. Gegenüber Gesetzgeber:innen machen sie sich lieber klein, um nicht in den Fokus von Regulierungen zu kommen. Jetzt müssen sich Plattformen in der EU festlegen, so verlangt es die neue Verordnung namens Digitale-Dienste-Gesetz, auf Englisch: Digital Services Act (DSA).

Der DSA erlegt „sehr großen Online-Plattformen“ und „sehr großen Suchmaschinen“ strengere Pflichten auf. Und „sehr groß“ bedeutet hier: 45 Millionen monatliche Nutzer:innen in der EU. Für solche Riesen gibt es die Abkürzungen „VLOPs“ und „VLOSEs“, das steht für „very large online platforms“ und „very large search engines“. Beim nun bekannt gewordenen Club der Online-Riesen gibt es ein paar Überraschungen. Und so manche Enthüllung steht noch aus.

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Weniger überraschend ist zunächst, dass Google, Apple, Facebook, Instagram, Amazon und TikTok zu den Riesen gehören. Nicht zuletzt wegen ihrer immensen Verbreitung tauchen sie auch in den Medien immer wieder auf. Eher selten berichtet wird über den Messaging-Dienst Snapchat und das soziale Netzwerk Pinterest, doch auch sie sind VLOPs. Ebenso wie das Karriere-Netzwerk LinkedIn, das Reiseportal Booking.com, die Handelsplattform AliExpress und die Wikipedia, der einzige gemeinnützige Riese auf der Liste, selbst wenn für solche Dienste gewisse Ausnahmen gelten. Sogar die Microsoft-Suchmaschine Bing hat sich als „sehr große Suchmaschine“ geoutet. Auch Twitter ist dabei, das war im Vorfeld nicht sicher – die Plattform ist zwar politisch einflussreich, wie viele Nutzer:innen sie aber tatsächlich in der EU hat, war nicht klar. Ob sie über der Grenze liegen würde, galt bei Fachleuten als unsicher.

Einige Dienste haben keine genauen Zahlen genannt, sondern bloß vermeldet, dass sie die Schwelle überschreiten. In der Grafik haben wir sie grau markiert. Die Dienste Google Search und YouTube haben die Anzahl ihrer nicht-eingeloggten Nutzer:innen bloß als „größer als 500 Millionen“ angegeben, eine genauere Zahl lieferten sie nicht.

Interessant ist, wer nach eigenen Angaben kein Riese ist, aber dennoch einen riesigen Einfluss hat. AirBnb, das Portal zur Vermietung von Unterkünften, will die kritische Grenze von 45 Millionen Nutzer:innen nicht überschritten haben. Ebenso der Messaging-Dienst Telegram, der immer wieder als Schauplatz politischer Radikalisierung in den Schlagzeilen ist.

Pornoplattformen unter der Schwelle

Der DSA wird vor allem als neues Regelwerk für Social-Media-Riesen gehandelt. Ganz nebenbei könnte die Verordnung aber auch eine Branche regulieren, die trotz ihrer riesigen Umsätze und Nutzer:innenzahlen in der EU bisher kaum auf dem netzpolitischen Radar lag: Pornoseiten.

Ein eigener Zusatz zum DSA, der speziell für Pornoseiten striktere Regeln durchsetzen sollte, hat es zwar nicht ins Gesetz geschafft. Er sollte die Verbreitung von bildbasierter Gewalt verhindern, hätte allerdings bedeutet, dass Nutzer:innen nicht mehr anonym auf den Seiten hätten posten dürfen. Das hatte unter anderem bei Sexarbeiter:innen für Kritik gesorgt. Doch die sonstigen Regeln des DSA gelten für Pornoseiten ebenso wie für alle anderen. Sie sind damit ebenfalls dazu verpflichtet, ihre Zahlen offenzulegen.

Getan haben das bisher nur die zu Mindgeek gehörenden Seiten Pornhub und Youporn. Beide sind demnach keine Riesen: Pornhub hat laut eigener Aussage 33 Millionen Nutzer:innen in der EU, Youporn 7 Millionen. Die Zahlen verwundern, immerhin wirbt Mindgeek auf seiner Werbeplattform TrafficJunky damit, dass Pornhub weltweit 123 Millionen Aufrufe habe – nicht im Monat, sondern täglich. Und Frankreich, Italien und Deutschland gehören laut Pornhub-Statistik zu den aktivsten Ländern. Das lässt zumindest vermuten, dass Pornhub in der EU ziemlich groß ist, und weckt Zweifel an den angegebenen Zahlen. Ein genauer Wert lässt sich daraus allerdings nicht ableiten. Unsere Fragen zu den Zahlen hat Pornhubs Pressestelle auf Anfrage nicht beantwortet.

Gar keine Zahlen veröffentlicht haben weitere Größen in der Porno-Branche: xHamster, betrieben von HammyMedia, sowie die Schwesterseiten XVideos und Xnxx – beide gehören zur tschechischen Holding namens WGCZ. All diese Angebote könnten die Schwelle von 45 Millionen Nutzer:innen in der EU möglicherweise überschreiten. Unsere Presseanfragen haben sie nicht beantwortet.

Was jetzt folgt

Die Kommission hat schon angekündigt, dass sie die Zahlen auch von jenen Diensten einfordern wird, die bisher nichts gemeldet haben. Auch vage Angaben will sie nicht akzeptieren. Das teilte ein Sprecher der Kommission vergangene Woche am Tag der Meldefrist mit. Lediglich zu melden, dass Plattformen unter der Schwelle liegen, reiche nicht aus. „Wir fordern diejenigen Plattformen, die dies noch nicht getan haben, auf, ihre Zahlen rasch zu veröffentlichen!“

Bei Diensten wie XHamster und XVideos müsste die Kommission nun anklopfen und Zahlen einfordern. Ein Sprecher der Kommission erklärte gegenüber netzpolitik.org: Melden sich die Unternehmen nicht, kann Brüssel selbst Recherchen anstellen und die Plattformen eigenmächtig zu VLOPs erklären. Die Plattformen hätten dann laut DSA zehn Arbeitstage Zeit, um dem zu widersprechen. Danach greifen die Regeln.

Plattformen im Club der Internet-Riesen müssen eine ganze Reihe von zusätzlichen Auflagen erfüllen. Sie müssen unter anderem jährlich ihre eigenen Risiken bewerten und überprüfen, ob ihre Dienste potentiell Wahlen beeinflussen könnten, Gewalt gegen Frauen befördern oder der Gesundheit schaden. Die ersten Risikoeinschätzungen werden Mitte des Jahres fällig. Zudem müssen sich die Unternehmen in die Karten schauen lassen. Dazu müssen sie der EU-Kommission auch Zugang zu den relevanten Daten gewähren, selbst Hausbesuche auf dem Gelände sind möglich.

Vor allem im Fall der Pornoplattformen, die sich bisher erfolgreich einer Regulierung entzogen haben, könnte das interessante Folgen haben: Seiten wie XVideos und Pornhub, auf die Nutzer:innen eigene Inhalte hochladen können, stehen seit Jahren in der Kritik. Sie sollen unter anderem von illegalen Aufnahmen profitieren und nicht genug dafür tun, um so genannte „Rachepornografie“, unerlaubt veröffentliche Nacktaufnahmen oder Aufnahmen von Minderjährigen zu entfernen. Fachleute verwenden dafür den Dachbegriff bildbasierte sexualisierte Gewalt.

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2 Ergänzungen

  1. Vielleicht ergibt sich ja eine *mögliche* Erklärung der Differenz von „User aus der EU“ und „aktive Länder“ daraus, dass viele Aktivitäten (Aufrufe) von der selben IP-Adresse schlicht dem selben User zugeordnet werden.
    Ob das auch eine *wahrscheinliche* Erklärung ist, ist natürlich eine andere Frage.

    Was mich sehr überrascht ist, dass Youtube mehr User haben soll als Google. Sollten tatsächlich so viel mehr Menschen in der EU eine alternative Suchmaschine nutzen?

  2. An diesen Spin des DSA habe ich noch gar nicht gedacht, dabei ist das ja offensichtlich. Schön, dass da was passieren wird – nicht weil ich pornofeindlich bin, sondern weil dort bezüglich Online-Werbung, Tracking, IT-Sicherheitslücken und Treibhauseffekte so einiges besser werden sollte. Was ist eigentlich mit Onlyfans? <45 Mio?

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.