Avatar Autor:in

DegitalisierungMomentaufnahme der Machtverschiebung

Spürt ihr das auch? Diesen magischen Moment, der dank ChatGPT und Co in der Luft liegt? Ein Moment von Veränderung, Magie und Innovation? Wie damals, als das iPhone eingeführt wurde – und neue Machtzentren entstanden.

Steve Jobs im Jahr 2007 vor einer großen Leinwand, auf der das erste iPhone zu sehen ist
Stehen wir erneut vor einem „iPhone-Moment“? – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / ZUMA Wire

Immer wieder fällt dieser Tage, insbesondere im Kontext sogenannter Künstlicher Intelligenz, der Vergleich zum „iPhone-Moment“. Nvidia-CEO Jensen Huang etwa spricht von einem solchen – nicht ganz uneigennützig angesichts der dafür besonders geeigneten Beschleuniger-Hardware aus eigenem Hause. Und für Sascha Lobo ist ChatGPT der iPhone-Moment der KI und ein Aufspringen auf den „KI-Zug“ sei für Deutschland schnellstmöglich nötig.

Wir sollten an diesem Punkt auf den ursprünglichen iPhone-Moment zurückschauen. Dieser Moment ist inzwischen ja ein paar Jahre her. Und doch kann er uns möglicherweise dabei helfen, genauer zu verstehen, was so erstrebenswert an einem iPhone-Moment sein könnte – oder nicht. Denn auch im gern zitierten iPhone-Moment steckt ein Stück Degitalisierung – also das Gegenteil dessen, was mit Digitalisierung eigentlich erreicht werden könnte.

Zurück in die Zukunft

Every once in a while, a revolutionary product comes along that changes everything.

Mit diesen Worten leitete der damalige Apple-CEO Steve Jobs am 9. Januar 2007 die Präsentation des ersten iPhones ein – ein für damalige Verhältnisse neuartiges Mobiltelefon.

Er werde drei revolutionäre Produkte zugleich vorstellen, kündigte Jobs damals an: einen iPod mit Touchscreen, ein revolutionäres Mobiltelefon und ein Internetkommunikationsgerät. Das neue iPhone vereine alle diese Funktionen in nur einem Gerät.

Das iPhone wurde bekanntlich ein großer kommerzieller Erfolg und geriet zum Prototypen der allermeisten heute verwendeten Mobiltelefone. Darüber hinaus hat es zutiefst geprägt, wie wir mit digitalen Devices interagieren. Seit der Markteinführung hat sich Apples Umsatz mehr als verzehnfacht, der Marktanteil des iPhones unter den Smartphones liegt weltweit bei etwa 30 Prozent.

Neben dem Erfolg der Hardware schuf das iPhone darüber hinaus aber noch ein ganzes Ökosystem. Digitale Stores für Musik, Bücher und eben – in dem Umfang bisher nicht gekannt – Apps und Spiele. Eine von Apple unterstützte Studie kommt 2021 zu dem Ergebnis, dass das App-Store-Ökosystem im Jahr zuvor einen Umsatz von 643 Milliarden US-Dollar generiert habe. All das bislang aber unter strenger Kontrolle durch Apple selbst. Der Digital Market Act der Europäischen Union könnte zwar eine Öffnung der iPhone-Plattform für alternative App Stores herbeiführen. Allerdings ist fraglich, ob alternative App Stores ähnlich erfolgreich sein werden wie jener von Apple.

Neue Machtkonzentrationen

Letztendlich ist das iPhone somit weit mehr als nur ein Stück Hardware gewesen. Es ist eine Machtkonzentration der kompletten Kette von Hardware und digitalen Inhalten in den Händen eines einzelnen Herstellers.

Auch das vermeintlich offenere Betriebssystem Android mit den dazugehörigen Smartphones diverser Hersteller kommt nur schwer ohne das Ökosystem der Google-Dienste und dem dort verwendeten Play Store aus, wie etwa der erzwungene Verzicht der Google-Dienste von Huawei in Folge der US-amerikanischen Wirtschaftssanktionen zeigt.

Bei dem mythischen iPhone-Moment geht es somit oftmals um weit mehr als nur um ein neues, für die jeweiligen Verhältnisse revolutionäres Produkt. Es geht um eine neue wirtschaftliche Machtkonzentration.

Mit Blick darauf, was heute als KI vermarktet wird, wird diese Machtkonzentration bereits deutlich erkennbar. Sie zeigt sich aktuell vor allem an der Menge an Hardware oder Daten, die notwendig ist, um heutige große KI-Modelle zu entwickeln oder zu betreiben.

Microsoft hat nach eigenen Angaben für OpenAI, der Firma hinter ChatGPT, ein Einzelsystem entwickelt, das einem Supercomputer gleichkommt: 285.000 CPU Kerne, 10.000 GPUs und immense Netzwerkbandbreiten. Die Kosten für das Training großer Sprachmodelle allein beim älteren GPT-3 Sprachmodell werden auf ein paar Millionen US-Dollar geschätzt. Aktuelle Modelle sind noch komplexer und dürften damit noch teurer sein.

Auch mögliche Open-Source-KI-Modelle, vor denen gerade bei Google intern offenbar der Respekt wächst, werden diese Konzentration auf einige wenige Akteure nicht ohne weiteres aufbrechen können. Denn der Nutzung komplexer Modelle steht immer auch eine gewisse Einstiegshürde an Verfügbarkeit von Hardware und Datenmengen gegenüber, wenn vielleicht auch in unterschiedlichem Ausmaß.

Kurzum: So magisch KI-Tools auch wirken mögen, so problematisch ist die damit verbundene Machtkonzentration und Abhängigkeit von einigen wenigen Tech-Unternehmen, die überhaupt in der Lage sind, diese ressourcenaufwändigen Systeme zu entwickeln oder zu betreiben.

This is for everyone?

Hinzu kommt: KI in der aktuellen Form ist keine Technik von vielen für alle. Sie steht im krassen Kontrast zu anderen technischen Innovationen von ähnlicher Tragweite.

Werfen wir den Blick dazu noch ein paar Jahr weiter zurück. Denn nüchtern betrachtet fand der erste „iPhone-Moment“ im digitalen Sinne nicht 2007 statt, als Steve Jobs die Bühne betrat. Sondern es war ein Moment am 12. März 1989 – und dieser vollzog sich still und leise und ohne große Werbekampagne.

Es war der Tag, an dem der Entwurf zum World Wide Web erstmals veröffentlicht wurde. Der Einfluss des WWW auf unser aller Handeln bis heute ist wohl nur schwer in Zahlen zu fassen, geschweige denn in finanzielle Werte. Wie auch? Patentiert oder lizenziert wurde das WWW nie.

Tim Berners-Lee, erster Web-Entwickler und Vater des World Wide Web, tippte zur Eröffnung der Olympischen Spiele 2012 die Worte „This is for everyone“ in das beleuchtete Stadion in London. Diese Worte bilden die Quintessenz dessen, was das World Wide Web auszeichnen sollte: eine verbindende Technologie für alle Menschen. Etwas, das für alle da ist – ganz ohne kommerzielle Interessen oder bewusste Machtkonzentration. Das WWW ist kein Produkt, kein Ökosystem, es ist eine offene Basistechnologie.

Sinnvolle Technologie für alle

Allerdings scheinen wir den Wert solch offener Technologien immer mehr zu vergessen. Speziell bei der Vermarktung von Innovationen, die als iPhone-Moment vermarktet werden. Dabei war schon das erste iPhone ein Produkt für Privilegierte. 500 Dollar war der Einstiegspreis damals, inklusive Bindung an einen Hersteller und dessen Ökosystem.

Bei KI wird das noch extremer sein, weil unmittelbar Arbeitsplätze betroffen sind: Die Investment-Bank Goldman-Sachs geht davon aus, dass sich generative KI negativ auf 300 Millionen Jobs auswirkt, weitere mögliche negative Folgen durch Machtkonzentration und einen immensen Ressourcenverbrauch sind dabei noch gar nicht eingerechnet.

Es ist kein Naturgesetz, dass jegliche disruptive Technologie einen neuen Markt schaffen und Bestehendes rücksichtslos verdrängen muss. Das scheint in der Erwartung eines neuen iPhone-Moments immer vergessen oder verdrängt zu werden. Sinnvolle Technologie kann für alle da sein, nicht nur für wenige.

Bleibt also die Frage: Dieser iPhone-Moment, den manche gerade heraufbeschwören, wie soll der denn eigentlich werden? So für uns alle?

Deine Spende für digitale Freiheitsrechte

Wir berichten über aktuelle netzpolitische Entwicklungen, decken Skandale auf und stoßen Debatten an. Dabei sind wir vollkommen unabhängig. Denn unser Kampf für digitale Freiheitsrechte finanziert sich zu fast 100 Prozent aus den Spenden unserer Leser:innen.

8 Ergänzungen

  1. Naja, wir haben aber schon so problemchen, dass wir Fähigkeiten in der Breite verlieren könnten, und dann werden wir von den KI-Traineuren an der Nase herumgeführt, bis alles einbricht. Da geht fast nur der Sprung in noch ganz andere nächste Dinger, wenn das mal so strategisch gesetzt ist. Ultragefährlich.

    1. Wir haben bereits signifikant Fähigkeiten in der Breite eingebüßt und sind als Gesellschaft nicht mehr handlungsfähig. Wir leben in der Zeit nach der Aufklärung, in der Wiederkehr der selbstverschuldeten Unmündigkeit. Und das liegt nicht an den jungen Leuten.

      Siehe Klima, Verkehr, Pflege, Gesundheit, Schule, Rente.

  2. Alleine die Tastsache das derartige „Kosten“ (Hardware/Software, Daten, Experten usw.) von nur liquiden Unternehmen getragen werden können, zeigt auch wer dann grundsätzlich das Letzte Wort bei wichtigen Entscheidungen haben wird. Auch hier werden unter Garantie Freemium Modelle angeboten, die aber ihren „Preis“ haben werden. Jeder darf jetzt mal raten, womit er dann während der Benutzung zahlen wird :-/

  3. Statt URLs gibt es dann giftige „suche selbst:“ Prompts, die man mal probieren soll.

    Und mal abgesehen vom Resourcenverbrauch bereits jetzt, wie wird es wohl, wenn es aktuelle Daten braucht? Sonst kauft sich da jemand eine seriöse Kleinfirma um damit einen Megascam durchzuführen. Könnte sich lohnen, so alt wie die Daten sind. Danke für die Skalierung!

    (Vielleicht kommt dann noch eine Internetsuche dazu, aber wie war das noch: „Wehe dem, der ein solches System ans Internet hängt! Bzw. allen anderen…“)

  4. iPhone Moment ? Der Taschencomputer im Flunderformat war allemal ein Marketingereignis aber doch nix magisches. Und die KI Hype kann ich nu gar nicht verstehen weil unter der Haube der Kram schon laensgt verbaut ist – auch wenn halt ja unter der Haube. Ok ich hab ja auch mal versucht KI einen Brief schreiben zu lassen statt das selbst zu tippseln aba das war dann recht unmagisch ;)

    1. Ihre Behauptung kann ich absolut nicht teilen. Der „Taschencomputer im Flunderformat“ hat unseren Bezug zu globalem Informationsaustausch und -konsum auf so grundlegende Weise verändert, wie davor der Rundfunk und der Buchdruck. In der Geschwindigkeit seiner weltweiten Verbreitung und gesellschaftlichen Durchdringung stellt er die beiden letzteren darüberhinaus komplett in den Schatten.

      Inwieweit KI die Dynamik verändern wird, ist zur Zeit noch gar nicht abzusehen. Wenn ich meine ersten Schritte auf dem Computer (ASCII-Art, gedruckt auf Endlospapier, Ende der 80er) mit den heutigen Möglichkeiten vergleiche, meine Kreativität digital auszuleben, dann glaube ich keinem der heutigen KI-Propheten, egal in welche Richtung die Prophezeiung gehen mag.

  5. Bianca Kastl sagt: „Spürt ihr das auch? Diesen magischen Moment, der dank ChatGPT und Co in der Luft liegt? Ein Moment von Veränderung, Magie und Innovation? “

    Ich spüre das nicht, und das ist gut so, denn ich bevorzuge Verstand und Wissen über Gefühl und Glaube.

    Als ich diese unsägliche Marketing-Inszenierung von Steve Jobs damals sah und den Hype der daraus folgte, sagte ich mir: Nicht mit mir!

    1. Das „nicht mit mir“ funktioniert halt nicht, wenn sich eine Gesellschaft und ihre Infrastruktur als ganzes verändert.

      Man kann sich dem widersetzen, klar, aber auch das hat zT signifikante Konsequenzen.

Ergänzung an Peter Ergänzung abbrechen

Wir freuen uns auf Deine Anmerkungen, Fragen, Korrekturen und inhaltlichen Ergänzungen zum Artikel. Bitte keine reinen Meinungsbeiträge! Unsere Regeln zur Veröffentlichung von Ergänzungen findest Du unter netzpolitik.org/kommentare. Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.