AktionskunstBundesverfassungsgericht beschäftigt sich mit Adbusting

Die Berliner Polizei durchsuchte 2019 wegen eines ausgetauschten Bundeswehr-Plakats eine Wohnung. Dagegen wehrte sich die betroffene Studentin mit einer Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe. Das höchste Gericht beschäftigt sich nun mit dem künstlerisch-politischen Verändern von Werbung – kann die Beschwerde aber noch ablehnen.

Menschen bringen Plakat in einem Plakatkasten an.
Wegen dieses Plakates ordnete das Landeskriminalamt eine Hausdurchsuchung an. – Alle Rechte vorbehalten Soligruppe plakativ / Unkenntlichmachung: netzpolitik.org

Das Thema Adbusting ist in Karlsruhe gelandet. Eine politische Aktivistin hatte im Jahr 2020 mit prominenter Unterstützung Verfassungsbeschwerde eingelegt, mit der sich das Bundesverfassungsgericht nun beschäftigt. Es wird nun der Berliner Senatsverwaltung für Justiz und der Generalbundesanwaltschaft Gelegenheit zur Stellungnahmen geben, kann die Beschwerde aber immer noch ablehnen.

Unter Adbusting versteht man das künstlerisch-politische Verändern von Werbung in der Öffentlichkeit. Im Mai 2019 hatte die Jura-Studentin Frida Henkel, die tatsächlich anders heißt, ein Plakat der Bundeswehr entsprechend verändert. Das Werbemotiv hatte mit dem Slogan „Geht Dienst an der Waffe auch ohne Waffe?“ nach IT-Kräften gesucht. Henkel änderte den Spruch in „Kein Dienst an der Waffe geht ohne Waffe!“ – und hängte das veränderte Plakat in einen Werbekasten. Polizist:innen beobachteten den Tatvorgang und nahmen Henkels Personalien auf. Die Berliner Polizei ermittelte daraufhin gegen die Studentin wegen versuchten Diebstahls in einem besonders schweren Fall in Tateinheit mit Sachbeschädigung.

Razzia wegen eines veränderten Plakats

Etwa ein halbes Jahr später, im September 2019, stand der Studentin wegen der Aktion unerwartet eine Razzia ins Haus – und zwar in der Wohnung ihres Vaters. Insgesamt ließ das Landeskriminalamt Berlin in Zusammenhang mit der Tat drei Hausdurchsuchungen durchführen. „Der Grund für die Hausdurchsuchungen ist, dass ich die Bundeswehr kritisiert habe“, sagt Frida Henkel laut einer heute verbreiteten Pressemitteilung.

Henkel ließ die Hausdurchsuchung nicht auf sich beruhen und klagte vor dem Landgericht gegen die Razzia. Als das Landgericht die Maßnahme als verhältnismäßig einstufte, reichte Henkel gemeinsam mit den Rechtswissenschaftlern Prof. Mohamad El-Ghazi von der Universität Trier und Prof. Andreas Fischer-Lescano von der Universität Bremen Verfassungsbeschwerde ein. Fischer-Lescano sieht die Aktionsform als grundrechtlich geschützt an.

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Adbusting gerät immer wieder ins Visier von Polizeibehörden. So nahm die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main vor gut einem Jahr Ermittlungen gegen einen Aktivisten wegen „verfassungsfeindlicher Verunglimpfung“ auf. Stein des Anstoßes war ein Plakat, das den ehemaligen Bundesinnenminister Horst Seehofer mit einer Augenklappe auf dem rechten Auge zeigte. Das Motiv kritisierte auf satirische Weise Seehofers Umgang mit Rassismus in polizeilichen Strukturen. Die Staatsanwaltschaft leitete die Ermittlungen eigenmächtig ein, ohne dafür vorab die erforderliche Zustimmung des betroffenen Ministers eingeholt zu haben. Nachdem der Fall öffentlich bekannt wurde, stellte die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen ein.

Mit Kanonen auf Spatzen

Im Jahr 2018 stufte der Verfassungsschutz eine andere Adbusting-Aktion als „gewaltorientierten Linksextremismus“ ein. Die politische Kunstform schaffte es in den Jahren zuvor sogar bis ins Gemeinsame Extremismus- und Terrorabwehrzentrum (GETZ), wo man 2018 und 2019 vier Fälle von Adbusting auf dem Tisch hatte. Auch der Militärische Abschirmdienst (MAD), der Geheimdienst der Bundeswehr, beschäftigte sich zwischen 2015 und 2019 insgesamt 13 Mal mit Veränderungen von Bundeswehrplakaten. Ein Fall davon betraf das Peng-Kollektiv, das eine Bundeswehr-Werbung parodierte.

Sollte die Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe angenommen werden, könnte sie klären, wie Adbusting als künstlerisch-poetische Aktionsform rechtlich einzustufen ist – und im besten Fall den Scharfmachern bei Ermittlungsbehörden und Geheimdiensten den Wind aus den aufgeblähten Segeln nehmen.

Korrektur 21.3.23, 15:40 Uhr:
In einer ersten Version dieses Artikels hatten wir geschrieben, dass die Verfassungsbeschwerde angenommen worden sei. Dem ist nicht so. Das Bundesverfassungsgericht holt nun Stellungnahmen ein und entscheidet dann, ob sie die Beschwerde annimmt. Wir haben die Textstellen im Fließtext und im Teaser korrigiert.

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3 Ergänzungen

  1. Mehr CHARLIE HEBBO !
    Kunst, Art, Satire gehört zu Menschen wie Wasser und Luft.
    Beleidigen ist OK.
    Verletzen nicht!

  2. Gerade jetzt ist das Thema Bundeswehr ja hochaktuell, neulich hat mich mein Vater schockiert. Er meinte, dass er damit im Reinen wäre, wenn seine Söhne im Kriegfall aus Loyalität an die Waffe gehen müssen. Wtf. Erstes ist das ja gar nicht so unwahrscheinlich, aber man muss auch wissen, dass mein Grossvater vom zweiten Weltkrieg grauenvolle Erlebnisse mitgebracht und erzählt hat. Auch von Freunden, die blindrechts als fanatische Sportler der Waffen SS beigetreten sind und an der Front zerfetzt sind. Mein Vater weiß das, er hat ein ergreifendes Buch darüber geschrieben. Als ich von der Bundeswehr eingezogen wurde, hatten mich Gespräche mit ihm in meiner Entscheidung zum Zivildienst maßgeblich beeinflusst. Und jetzt ist Ukrainekrieg und plötzlich soll ich loyal sein und – jetzt noch hypothetisch – für das eigene Land sterben gehen. An seiner Meinungsänderung ist Medienkonsum nicht unbeteiligt. Er ist auch sicherlich nicht der einzige, dessen Einstellung zum Kriegsdienst sich gerade am Verschieben ist.

    Umso wichtiger sind kritische Stimmen und Aktionen wie diese.
    „Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden.“ Thank you für die weisen Worte, liebe Rosa Luxemburg.

    Drei Hausdurchsuchungen, da kriegt man schon ein mulmiges Gefühl.

  3. Versuchter Diebstahl in besonders schweren Fall, rofl.
    Bestehen die Plakate etwa aus Gold und Platin? Wurde die Bushaltestelle entglast? Wollte die Studentin das gegenüberligende Filmplakat zu Puss in Boots?

    Sogar wenn ein passender Schlüssel benutzt wird, dreht man den Tatbestand auf Sachbeschädigung, weil die Werbevitrine nicht von einem Fachpersonal geöffnet wurde. Aber sogar, wenn man eine Vitrine legal mietet, kommt der Staatsschutz, weil es geht ja nicht die Bundeswehr so zu verunglimpfen.

    Und da denkt man schon Containern sei abstrus. Bei Adbusting hat der Staat echt ein Rad ab.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.