ZensurheberrechtWie Bayern gegen Open Data und Energiewende vorgeht

Eine bayerische Landesbehörde zeigt den Datenjournalisten Michael Kreil an, weil er Verwaltungsdaten im Internet veröffentlicht hat. Kreil und die Gesellschaft für Freiheitsrechte klagen nun zurück: Sie wollen eine Grundsatzentscheidung, die dem Staat Exklusivrechte an Datensätzen abspricht.

Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder baut nach eigenem Bekunden „alle Arten von Heimatenergien massiv aus“ – Alle Rechte vorbehalten Markus Söder, Twitter

Die Energiewende ist nicht zuletzt in Bayern vor allem eines: ein Kampf gegen Windmühlen. Ebendas musste auch Michael Kreil erfahren. Das bayerische Landesamt für Digitalisierung, Breitband und Vermessung (LDBV) hat den Daten-Journalisten angezeigt, weil er einen angeblich urheberrechtlich geschützten Datensatz der Verwaltung im Internet veröffentlichte.

Im Gegenzug klagt Kreil nun gemeinsam mit der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) gegen den Freistaat. Ziel ist eine Grundsatzentscheidung, die dem Staat Exklusivrechte an Datensätzen abspricht.

Energiewende auf einen Blick

Kreil hat Abstandsregeln, die in unterschiedlichen Bundesländern für den Bau von Windkrafträdern gelten, in eine interaktive Karte übertragen. Sie veranschaulicht auf einen Blick die Auswirkungen verschiedener Regulierungen hierzulande. Am vergangenen Freitag veröffentlichte Kreil zudem gemeinsam mit Anja Krüger eine Recherche in der taz, die das „komplexe Geflecht aus Vorschriften, Gesetzen und Verordnungen“ beschreibt, das einer schnellen Energiewende entgegenstehe.

Der Karte und der Recherche liegt eine Datenbank zugrunde, die Kreil im Netz zum Download veröffentlicht hat. Sie war auch der Stein des Anstoßes: Das LDBV stellte Strafanzeige gegen den Journalisten, weil der Datensatz vermeintlich urheberrechtlich geschützte geographische Daten enthalte. Die Anzeige stützt die Behörde auf das sogenannte Datenbankherstellerrecht, das einen Schutz von Daten über den regulären urheberrechtlichen Schutz hinaus festlegt.

Es ist nicht das erste Mal, dass Bayern auf diese Weise gegen Open-Data-Aktivist:innen vorgeht: Im vergangenen Frühjahr wollte das LDBV verhindern, das Geodaten von 20 Millionen Haushalten veröffentlicht werden. Laut Behörde waren die Daten um Postleitzahlen und Postadressen ergänzt, die von der privatisierten Deutschen Post Direkt GmbH stammten. Das Zusammenführen verschiedener Datensätze sei eine urheberrechtliche Leistung und unterliege damit laut Datenbankherstellerrecht einem besonderen Schutz, so das LDBV.

Gefährdung der Pressefreiheit

Aus Sicht der Gesellschaft für Freiheitsrechte missbraucht Bayern damit wiederholt das Urheberrecht, um die Pressefreiheit einzuschränken. Die GFF hat daher gemeinsam mit Kreil eine sogenannte negative Feststellungsklage vor dem Verwaltungsgericht gegen den Freistaat Bayern erhoben. Sie will damit gerichtlich feststellen lassen, dass Kreil die Daten für seine Veröffentlichung verwenden durfte, zumal andere Bundesländer – darunter Berlin, Brandenburg und Nordrhein-Westfalen – ähnliche Daten schon seit Längerem im Internet zur freien Nutzung anbieten.

Gerade den Verweis auf das Datenbankherstellerrecht sieht die GFF diesbezüglich kritisch:

Außerhalb der Europäischen Union gibt es ein solches Schutzrecht nicht und es gibt erhebliche Rechtsunsicherheit, was genau damit eigentlich geschützt wird – denn reine Fakteninformationen können nicht urheberrechtlich geschützt werden. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat in jüngeren Entscheidungen den Anwendungsbereich des Datenbankherstellerrechts folgerichtig immer weiter begrenzt. Insbesondere Behörden können sich nach der jüngeren EuGH-Rechtsprechung nur noch in Ausnahmefällen auf das Datenbankherstellerrecht berufen, die Gerichte in Deutschland haben diese Rechtsprechung bislang aber noch nicht rezipiert. Außerdem hat Deutschland vergangenes Jahr die Open-Data-Richtlinie der EU umgesetzt, die die Möglichkeiten öffentlicher Stellen, sich auf das Datenbankherstellerrecht zu berufen, ebenfalls ausdrücklich einschränkt.

Aus Sicht der GFF seien die Nutzung und Verbreitung der Daten zudem von der Presse- und Informationsfreiheit gedeckt. Kreils Datenanalyse zeige, dass der Ausbau erneuerbarer Energien in Bayern besonders stark eingeschränkt wird. Die Recherche dürfe der Freistaat daher nicht unter dem Vorwand des Urheberrechts einschränken. „Durch sein repressives Vorgehen setzt der Freistaat Bayern einen Journalisten unter Druck und gefährdet damit das Grundrecht auf Pressefreiheit“, sagt Felix Reda von der GFF. „Der Staat sollte die Nutzung behördlicher Daten im öffentlichen Interesse unterstützen, anstatt sie durch den Missbrauch des Urheberrechts zu unterdrücken.“

Seehofer sei Dank

Das harsche Vorgehen Bayerns überrascht auch deshalb, weil es als offenes Geheimnis gilt, dass die dortige Landesregierung den Ausbau der Windenergie seit Jahren systematisch hintertreibt. Derzeit gibt es in dem größten Flächenland der Republik nur gut 1100 Windräder, gerade einmal acht neue Anlagen gingen dort im vergangenen Jahr in Betrieb. Bundesweit gibt es insgesamt mehr als 28.200 Windenergieanlagen (Stand 1. Halbjahr 2022).

Für den massiven Rückstand ist nicht zuletzt die sogenannte 10H-Regel der bayerischen Bauordnung verantwortlich, die der ehemalige Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) im Jahr 2014 einführte. Sie hat den Ausbau der Windenergie im Freistaat praktisch zum Erliegen gebracht. Die 10H-Regel legt einen Mindestabstand von Windenergieanlagen zu Siedlungen fest, der in der Regel mehr als das Zehnfache der Gesamthöhe der Anlagen beträgt. Ist ein Windrad also 200 Meter hoch, muss es eine Distanz von mindestens zwei Kilometern zu Wohngebieten einhalten.

Für eine andere Datenkultur

Bereits im Mai vergangenen Jahres hätte der Bundestag derartige Streitfragen verhindern und sich zugleich für eine andere Datenkultur stark machen können. Damals reformierte das Parlament das Urheberrechtsgesetz, unterließ es jedoch, die entsprechenden Bestimmungen zu amtlichen Werken auszudehnen.

Auch die amtierende Ampel-Regierung sieht diesbezüglich offenbar keinen akuten Handlungsbedarf – obwohl sie vor wenigen Monaten medienwirksam ein Dateninstitut aus der Taufe hob und sich Ende vergangener Woche auf ihrem Digitalisierungsgipfel einmal mehr zu einer „anderen Datenkultur“ bekannte.

Immerhin klimapolitisch dreht sich der Wind in Bayern allmählich – auch dank des wachsenden medialen und politischen Drucks. Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger bekennt sich inzwischen öffentlich zur Windenergie und rechnet im Freistaat bis zum Jahr 2027 mit einer doppelt so hohen Zahl an Windrädern als heute. Und vor gut einer Woche hatte Markus Söder sich auf seinem eigenen Twitter-Account nebst obigem Foto dafür selbst gefeiert, „Heimatenergien“ auszubauen – sprich: eine Windkraftanlage in Bayern in Betrieb genommen zu haben.

Die neue Liebe zu Heimatenergie und Open Data müssen nun nur noch auch die bayerischen Landesbehörden entdecken – notfalls mit Hilfe der Gerichte.

3 Ergänzungen

    1. Das soll nicht sein, vielen Dank für den Hinweis. Ich habe den Stein des Anstoßes im Text noch deutlicher gemacht.

  1. Die Erhebung der Daten hat übrigens nicht das LDBV bezahlt. Finanziert werden diese von den Gebäudeeigentümer*innen:

    „Gebühren und Auslagen für die Vermessung und katastertechnische Behandlung von Gebäudeveränderungen sowie für die in Verbindung damit notwendig werdenden Grenzfeststellungen schuldet, wer bei Fälligkeit der Gebühr Gebäudeeigentümer ist (Art. 14 Abs. 2 VermKatG).“ (https://ldbv.bayern.de/vermessung/grundstck/gebaeude.html)

    Dass Daten angeblich „um Postleitzahlen und Postadressen ergänzt [wurden], die von der privatisierten Deutschen Post Direkt GmbH stammten“ dokumentiert nur die Unfähigkeit der Behörde, ihre eigenen Daten zu nutzen.

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