VorratsdatenspeicherungFaesers verwirrender Vorstoß

Nancy Faeser hat mit Äußerungen zur Vorratsdatenspeicherung für Aufregung gesorgt. Es ist nicht das erste Mal, dass die Innenministerin ihre Koalitionspartner vor den Kopf stößt.

Nancy Faeser bei einer Pressekonferenz im GTAZ
Nancy Faeser bei einer Pressekonferenz im GTAZ (Archivbild) – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Mike Schmidt

Bundesinnenministerin Nancy Faeser ist seit neun Monaten im Amt. In dieser Zeit hat sie ein Talent besonders unter Beweis gestellt: durch Äußerungen in den Medien Aufregung bei den Koalitionspartnern erzeugen. Zuerst sinnierte sie im Januar darüber, Telegram abschalten zu wollen. Dann darüber, dass man vielleicht doch Hackbacks bräuchte. Und nun titelt Zeit Online: „Nancy Faeser will Vorratsdatenspeicherung wieder einführen“.

„Die Speicherung von Daten, mit denen wir Täter identifizieren können, ist unbedingt erforderlich“, sagt die Sozialdemokratin. Sie will offenbar, dass schnell eine Alternative zum Einsatz kommt, sobald der Europäische Gerichtshof (EuGH) am 20. September sein Urteil zur bisherigen deutschen Vorratsdatenspeicherungsregelung verkündet. Die anlasslose Speicherung von Verkehrsdaten ist hierzulande seit mehreren Jahren ausgesetzt. Deutsche Gerichte kamen zum Ergebnis, dass die Speicherung gegen EU-Recht verstößt und legten die Sache zur Klärung dem EuGH vor.

Dass der EuGH die deutsche Regelung kippen wird, ist erwartbar. Die Schlussanträge des Generalanwalts am EuGH waren eindeutig, zudem gab es in den vergangenen Jahren mehrere entsprechende Urteile zu ähnlichen Regelungen in anderen EU-Staaten. Die Sache scheint somit klar.

Abgeordnete verweisen auf Koalitionsvertrag

Ebenso klar steht im Koalitionsvertrag geschrieben, dass es keine anlasslose Datenspeicherung mehr geben soll. Auch auf Twitter verwiesen mehrere Bundestagsabgeordnete von Grünen und FDP auf den Koalitionsvertrag. Konkret heißt es in diesem, man wolle eine Regelung finden, „dass Daten rechtssicher, anlassbezogen und durch richterlichen Beschluss gespeichert werden können“.

Als Alternative zur Vorratsdatenspeicherung gilt eine sogenannte Quick-Freeze-Lösung. Bundesjustizminister Marco Buschmann erklärte das im vergangenen Dezember so: „Telekommunikationsanbieter sollen bei einem konkreten Anlass auf richterliche Anordnung hin schnell Daten sichern müssen, damit Polizei und Staatsanwaltschaft sie dann auswerten können.“ Die Daten werden also „eingefroren“, bevor der Anbieter sie routinemäßig löschen würde.

In der Regierungspressekonferenz am Mittwoch sagte eine Sprecherin des Justizministeriums, die Vorratsdatenspeicherung könne „nicht durchgesetzt werden, weil sie gegen das Grundgesetz verstößt“. „Eine Rückkehr zur flächendeckenden und anlasslosen Speicherung von Verkehrsdaten der Bürgerinnen und Bürger verbietet sich aus unserer Sicht und ist rechtlich, wie wir gesagt haben, auch nicht möglich“, so die Sprecherin weiter. Für die bisherige anlasslose, massenhafte Speicherung von Kommunikationsdaten aller Bürger:innen – die klassische Vorratsdatenspeicherung – scheint es keinen Spielraum zu geben, weder rechtlich noch politisch.

Warten auf das EuGH-Urteil

Mit ihrer Äußerung hat Nancy Faeser offenbar viele in der Ampel-Koalition vor den Kopf gestoßen. Auf Anfrage äußert sich das Innenministerium auch deutlich zurückhaltender. „In Kürze erwarten wir das Urteil des Europäischen Gerichtshofs zu den deutschen Regelungen zu Mindestspeicherfristen für Telekommunikationsdaten“, schreibt eine Sprecherin des Hauses. „Danach wird innerhalb der Bundesregierung beraten, welche Schlussfolgerungen sich daraus ergeben.“

Wir wollten vom Innenministerium auch wissen, wie häufig Ermittlungen behindert wurden oder nicht möglich waren, weil Daten nicht mehr vorlagen. Immerhin behauptet die Ministerin in der aktuellen Ausgabe der Zeit, dass den Ermittler:innen wegen der ausgesetzten Speicherung viele Täter „durch die Lappen“ gingen. Dazu schreibt das Ministerium: „Nach Angaben des Bundeskriminalamtes konnten im vergangenen Jahr bei einem Viertel der über das US-amerikanische ‚National Center for Missing an Exploited Children‘ (NCMEC) empfangenen Meldungen die mitgeteilte IP-Adresse keinem Nutzer mehr zugeordnet werden.“ Erfahrungswerten aus dem BKA zufolge seien „Auskunftsersuchen zu Verkehr- und Standortdaten, die älter als sieben Tage sind, in mehr als der Hälfte der Fälle erfolglos“.

Damit beantwortet das Ministerium zwar, wie häufig eine Datenabfrage erfolglos ist. Nicht daraus ablesen lässt sich, ob dadurch letztlich auch eine Ermittlung scheitert.

Quick Freeze steht für dieses Jahr auf dem Plan

Für eine Neuregelung der Datenspeicherung ist nicht das Innenministerium, sondern das Justizministerium federführend. Auf dessen Vorhabenliste steht noch für dieses Jahr die „Ersetzung der Vorratsdatenspeicherung durch ein Quick-Freeze“. Justizminister Buschmann bekräftigte nach Faesers Äußerungen, die anlasslose Vorratsdatenspeicherung werde abgeschafft.

Die Ministerin habe „aus innenpolitischer Sicht mal einen rausgehauen“, sagte der digitalpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Jens Zimmermann laut Heise am Donnerstag. Bevor sie das nächste Mal „einen raushaut“, wäre es vermutlich gut, zuvor einen Moment innezuhalten.

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16 Ergänzungen

  1. Klassische win:win Strategie: die SPD glaubt konsequent, mit einer Innenpolitik rechts der CDU was gewinnen zu koennen, und die FDP gewinnt an liberalem Profil.

    Faeser hat schon gewonnen, ihre Pension ist sicher.

    1. In bester Seeheimer Strategie, von Schröder schön auf den „nicht anders, aber besser [als die CDU]“ Punkt gebracht, positionierte sich Olaf Scholz als die neue Merkel und Faeser gibt sich als ein würdiger Seehofer, die rechts nicht ganz blind ist.

      Konsequent SPD.

      1. „die rechts nicht ganz blind ist.“

        Im Gegenteil. Das zu hofieren, bedeutet gerade „rechts“ nicht zu verstehen.

  2. Ich finde es besonders lustig, dass Faeser in einem Artikel zu Worte kommt, in dem Holger Stark beschreibt, wie *erfolgreich* das BKA dabei ist, Pädophilen-Tauschbörsen auszuheben. 600.000 Löschungs-Ersuchen von Dateien durchgesetzt.

  3. Verstehe ich richtig? Die Polizei bekommt einen Haufen IP-Adressen und kann dann drei Viertel davon Personen zuordnen? Schon jetzt, komplett ohne VDS?? Und in dem verbleibenden Viertel sind dann auch noch all die, die ihre IP über TOR, VPN etc. verschleiern? Wofür soll diese Vorratsdatenspeicherung dann überhaupt gut sein?

    1. Spare in der Zeit, dann hast Du in der Not. Es kommen harte Zeiten, in denen man als konservativer Politiker Recht, Ordnung und etablierte Privilegien aufrecht erhalten muss. Da will man die nur relativ langsam aufzubauenden Komponenten „Infrastruktur“ und „Personal“ schon haben, um dann bei Bedarf die notwendige legislativen Schritt nicht nur machen sondern auch zeitnah nutzen zu koennen.

      Wie die SPD schon 2013 so schoen wie ehrlich plakatierte: „das WIR entscheidet“. Wirtschaft, Industrie, Ruestung.

  4. Naja Zuordnung von IP-Adressen ist eine Sache.
    – Wie viele Verfahren sind Erfolgreich, wie viele nicht?
    – Welche Adressen sind nicht mehr zuordnebar (zufällig von Ermittlern verpasst oder systematisch durch Anschlussnutzer induzierbar)?
    – Wie viele Verfahren sind aufgrund fehlender Ermittlerzahl bzw. Stunden nicht erfolgreich?

  5. Einige Nachfragen:
    Wie lange darf denn so ein Quick-Freeze für eine konkrete IP-Adresse dann laufen? Gibt es da schon Informationen? – Klar, die einfachste Antwort: Bis die Ermittler sagen, daß -aus welchen Grund auch immer- die Sache sich erledigt hat.
    Allerdings:
    Was, wenn plötzlich sehr viele IP-Adressen reinkommen, und/oder die Ermittler aus personellen Gründen nicht hinterher kommen? Soll dann die vielen QF ggf. monate- oder gar jahrelang laufen dürfen?
    Wäre das nicht ein praktischer Weg, ein Verbot der Vorratsspeicherung zu umgehen?
    Welche Straftatsbestände würden denn überhaupt ein QF rechtfertigen?
    Müßte ein Richter das QF anordnen?

    Fragen über Fragen.
    Danke.

    1. Ja, die Gefahr besteht, dass man bei Quick-Freeze die Brandenburg-Strategie anwendet, um eine Quasi-Vorratsdatenspeicherung auf Umwegen zu erreichen.

      Zur Info: die „Brandenburg-Strategie“ bei der KFZ-Kennzeichenüberwachung lief so ab, dass die zeitlich stark beschränkte Kennzeichen-Aufzeichungssfunktion dadurch umgangen wurde, dass man mit 95 verschiedenen Gerichtsbeschlüssen praktisch eine lückenlose und ununterbrochene Aufzeichnung der Kennzeichnen erreicht hat – die gesetzlich so eigentlich nicht erlaubt war. Im Jahr 2018 wurden so jeden Tag über 55.000 KFZ-Kennzeichen erfasst und auf Vorrat gespeichert. (siehe auch https://netzpolitik.org/2019/kennzeichen-scanner-wir-veroeffentlichen-das-gutachten-das-ein-ende-der-auto-vorratsdatenspeicherung-fordert/)

      1. War in Brandenburg übrigens auch ein SPD-Innenminster. Gegen die klare Stellungnahme seiner eigenen Ministerialen.

        Die SPD weiss ja traditionell, wer die Waffen hat 8)

  6. Zu Jemand:

    Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wird, dem geltenden Überwachungscredo folgend, irgendwann ein QuickFreeze solange angeordnet, wie es nach Meinung der Überwacher notwendig ist, um missliebige Personen solange einzuschüchtern, bis sie dem Mainstream folgen und brav konditioniert sind, totale Durchsichtigkeit und Angepasstheit inklusive. Ob jemand Straftaten begangen hat oder dies vorhat, ist völlig zweitrangig.

    -dystopisch-prognostischer Modus off –

    Warum schreibe ich das? Weil alle bisherigen Aktivitäten der Politiker in diesem Bereich alles erzeug(t)en, nur nicht Vertrauen in den Rechtsstaat!

  7. >> Die Ministerin habe „aus innenpolitischer Sicht mal einen rausgehauen“, sagte der digitalpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Jens Zimmermann <<

    Es mag PolitikerInnen geben, die Symptome von Verbalinkontinenz zeigen, aber ich fürchte, bei Frau Faeser ist dies nicht der Fall. Die Ministerin folgt einer persönlichen Agenda, die gemessen an Partei-Linie und Koalitions-Ansprüchen eher idiosynkratischer Natur sind. Das heißt, Frau Faeser benutzt ihr Ministeramt, um mittels persönlicher Einstellungen und Präferenzen mediale Wirkungen populärer Art zu erzielen. Das weckt Erinnerungen an Otto Schily, der als gelernter Rechtsanwalt sogar Passagierflugzeuge abschießen lassen wollte.

  8. Die Vorratsdatenspeicherung ist umstritten, weil sie Kommunikationsanbieter verpflichtet, ohne Anlass personenbezogene Daten zu speichern.

    In der nächsten Woche will der Europäische Gerichtshof seine Entscheidung zur umstrittenen deutschen Regelung verkünden, die seit 2017 auf Eis liegt.

    Danach will Faeser einen Vorschlag zur Neuregelung präsentieren.

      1. Standardvorgehen: klar verfassungswidriges Gesetz verabschieden, Urteil abwarten, im Urteil beschriebene Möglichkeiten im nächsten Gesetz maximal und ein Stück darüber hinaus ausschöpfen, Urteil abwarten, nächste Iteration.

        Dabei wird zum einen die Grenze immer weiter zu Ungunsten der Bürger verschoben und zum anderen die verfassungswidrige Infrastruktur zwischen den Urteilen aufgebaut.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.