Tracking und TargetingWir brauchen ein Umdenken bei der Online-Werbung

Die belgische Datenschutzbehörde bringt die Welt der Überwachungswerbung ins Wanken. Zeit, sich endlich von diesem toxischem Geschäftsmodell zu verabschieden. Eine entscheidende Rolle könnten Verlage und Medienhäuser spielen, wenn sie sich nur endlich trauen würden. Ein Kommentar.

Hand die zum Abschied winkt
Bye bye, Targeted Advertising: Die Medien hätten sich längst davon verabschieden sollen. – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Iona Christiana

Das Erdbeben, das derzeit das Ökosystem der Online-Werbung erschüttert, geht von Belgien aus. Vorige Woche hat dort die Datenschutzbehörde entschieden, dass das „Transparency and Consent Framework“ (TCF) rechtswidrig ist. Dieser technische Standard bildet eine der Grundlagen dafür, dass die Werbeindustrie das Netz in den letzten Jahren mit Cookie-Bannern zugekleistert hat.

Eigentlich soll das TCF es ermöglichen, dass Werbeunternehmen auf einer sicheren Rechtsgrundlage Informationen über die Besucher:innen von Websites in Profilen zusammenführen. Ein wichtiger Baustein für das weit verbreitete Real-Time-Bidding, bei dem Werbekund:innen automatisch und in Echtzeit per Auktion um Anzeigenplätze bei den gewünschten Zielgruppen bieten. Entwickelt und betrieben wird das System von einem Branchenverband der Onlinewerbeindustrie, IAB Europe. Eingesetzt wird es von fast allen, die auf ihren Seiten Targeted Advertising anbieten: Von kleinen Blogger:innen, großen Nachrichtenmedien und Datenkonzernen wie Google.

Bis jetzt jedenfalls. Denn was dem umstrittenen Geschäftsmodell Legitimität und Rechtssicherheit verschaffen sollte, ist selbst illegal. Die Entscheidung weist weit über die Frage hinaus, ob ein Branchenstandard kompatibel mit der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) ist. Sie stellt infrage, ob diese zurecht als Überwachungswerbung kritisierte Werbeform überhaupt noch praktiziert werden sollte.

Targeted Advertising wird seit Jahren als gesellschaftliches Problem diskutiert. Der wohl wichtigste Kritikpunkt: Das System des Targeted Advertising basiert darauf, dass Informationen über das Online-Verhalten an aberhunderte Firmen fließen. Wenn nicht privat bleibt, welche politischen Artikel Nutzer:innen lesen oder welche Pornos sie schauen, dann ist das Gift für die Informations- und Kommunikationsfreiheit.

Alles andere als überraschend

Vertreter:innen der digitalen Zivilgesellschaft begrüßten den Schritt der Aufsichtsbehörde deshalb überschwänglich. Sie hatten das Verfahren mit koordinierten Beschwerden in mehreren EU-Ländern überhaupt erst in Gang gebracht. Bei Akteur:innen der Werbeindustrie stößt die Entscheidung auf die erwartbare Ablehnung. Der Bundesverband Digitalwirtschaft etwa kritisiert, dass dadurch „nahezu jegliche digitale Datenverarbeitung zur Finanzierung von digitalen Angeboten in Frage gestellt“ werde. Zudem sei es eine Gefahr für die Meinungsfreiheit.

IAB Europe selbst wird die Entscheidung der Behörde gerichtlich anfechten. Dabei ist diese im Ergebnis alles andere als überraschend. Seit Jahren weisen Datenschützer:innen darauf hin: Wenn man die DSGVO konsequent durchsetzt, funktionieren weder invasives Tracking noch verhaltensbasierte Werbung. Die dafür notwendigen Datenflüsse zwischen hunderten Playern des Werbe-Ökosystems sind weder für Seitenbetreiber:innen noch für Nutzer:innen nachvollziehbar. Sinnvoll intervenieren, etwa Einwilligungen zurückziehen wie es die DSGVO vorschreibt, können letztere schon gar nicht. Mal ganz abgesehen von den manipulativen Design-Tricks bei Cookie-Bannern, um sich die Einwilligung zu erschleichen.

Denn dass die nervigen Cookie-Banner wirklich zur Legitimation von Targeted Advertising beigetragen haben, dürften nicht einmal Branchenvertreter:innen selbst geglaubt haben. Die belgische Aufsicht stellt nun zudem erneut fest, was andere Datenschutzbehörden der Branche schon oft gesagt haben: Werbefirmen können sich als Rechtsgrundlage nicht auf ihr „berechtigtes Interesse“ am Datensammeln berufen. Es müsste schon eine echte Einwilligung sein, informiert und freiwillig.

Abschied vom Überwachungskapitalismus

Die Online-Werbebranche wird nun fieberhaft nach Wegen suchen, diese Einwilligung doch irgendwie einsammeln zu können. Oder sie wird versuchen, eine andere Rechtsgrundlage zu konstruieren. Das aber ist genau der falsche Weg. Die TCF-Entscheidung muss auch für die letzten, die mit Online-Werbung Geld verdienen, ein Weckruf sein: Wir brauchen ein grundsätzliches Umdenken. Denn nicht Online-Werbung ist das Problem, sondern die Art und Weise, wie der Großteil von ihr heute funktioniert.

Zum Glück gibt es eine Alternative zur überwachungsintensiven Werbung, die lange erprobt ist: kontextbasierte Werbung, bei der die Anzeigen nicht auf das Profil der Nutzer:innen zugeschnitten sind, sondern auf den sonstigen Inhalt der Seite, auf der sie zu sehen sind. Also: Werbung für Sportmarken erscheint im Sportteilen von Online-Medien, Werbung für Kosmetik im Umfeld von Fashion-Blogs, Werbung für Autozubehör in PS-Foren. Offline, etwa in gedruckten Magazinen, hat das jahrzehntelang funktioniert und tut es bis heute. Einen besonderen Charm hat diese Werbeform, weil von ihr vor allem solche Seiten profitieren könnten, die ein seriöses und qualitativ hochwertiges Werbeumfeld anbieten.

Der Abschied von Targeted Advertising und dem dafür notwendigen, invasiven Tracking würde nicht von heute auf morgen gehen. Sie sind das zentrale Geschäftsmodell der neuen Wirtschaftsordnung, die die Harvard-Ökonomin Shoshana Zuboff Überwachungskapitalismus nennt. Und sie sind der wohl einfachste Weg, im Netz Geld zu verdienen. Ein Paradigmenwechsel bei der Online-Werbung ist daher nur als ein langfristiges gesellschaftliches Projekt denkbar, bei dem viele mitmachen.

Ein Versuch von EU-Abgeordneten, Überwachungswerbung zu verbieten, ist kürzlich gescheitert. Deshalb kommt es jetzt auf die Werbebranche selbst an. Eine Studie der Grünen im Europarlament berichtete jüngst von mehreren erfolgreichen Pilotprojekten, kontextbasierte Werbung gilt als Wachstumsmarkt.

Das Stockholm-Syndrom der Presseverlage

Eine entscheidende Rolle beim Abschied vom Überwachungskapitalismus könnte Verlagen und Medienhäusern mit ihren journalistischen Online-Angeboten zukommen. Ihre Werbeeinnahmen sind im Vergleich zu denen großer Social-Media-Plattformen gering. Trotzdem verfügen sie mit Millionen täglichen Besucher:innen gemeinsam über einen so relevanten Anteil der hochwertigen Anzeigenflächen im Netz, dass sie entscheidend dazu beitragen könnten, den Markt zu drehen.

Doch während Journalist:innen in ihren Blättern die Machenschaften der Datenindustrie aufdecken und die Auswüchse des Überwachungskapitalismus anprangern, haben sich ihre Arbeitgeber:innen in die Gefangenschaft eben dieser Industrie begeben. Mit den Jahren haben sie dabei eine Art Stockholm-Syndrom entwickelt. Seite an Seite mit Google, Facebook und Co. lobbyieren Verlage und Presseverbände in Brüssel und Washington gegen eine strengere Regulierung oder gar die Abschaffung von invasivem Targeting.

Eisern halten die Verlage an einem Geschäftsmodell fest, von dem längst klar ist, dass auch zu ihrem eigenen wirtschaftlichen Nachteil funktioniert. Die Schätzungen, wieviel Cent von einem Werbeeuro bei ihnen hängen bleiben, gehen auseinander. Der britische Guardian etwa spricht von 30 Prozent oder weniger. Google behauptet, es seien 70 Prozent und mehr. Für viele Medien dürfte die Zahl irgendwo dazwischen liegen. Klar ist jedoch, dass ein sehr relevanter Teil des Geldes an die zwischengeschalteten Online-Werbeunternehmen geht. Allen voran Google und Facebook, die sich offenbar mit geheimen Absprachen den Markt aufgeteilt und die Konkurrenz vom Leib gehalten haben.

Die Verlage hätten sich deshalb schon längst von dieser Werbeform verabschieden sollen. Dass sie es nicht getan haben, ist kein Grund, das Projekt nicht heute anzugehen. Die Entscheidung der belgischen Datenschutzaufsicht zeigt: Der nächstbeste Zeitpunkt dafür ist jetzt.

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15 Ergänzungen

  1. Ein Grossteil der Verlage ist aus Ueberzeugung Teil dieses und anderer Probleme. Die werden sich nicht aendern, bevor sie untergehen, also sollte man sie abschreiben und den Markt regeln lassen. Aber natuerlich werden die Politiker alles tun, ihre Klientel zu schuetzen.

    Die Gesellschaft braucht Journalismus und zukunfstfaehige Konzepte dafuer, keine Verlage.

    1. Im Sinne meines Vorposters kann ich auch nur meine Verwirrung über den Schreibstil dieses Artikels ausdrücken. „Wir“ müssen umdenken? Nein, die Mehrheit der Gesellschaft hatte weder jemals einen Nutzen durch den Überwachungskapitalismus noch war sie an dessen Aufbau und Betrieb beteiligt. Auch wenn immer wieder behauptet wird, dass wir ohne ihn quasi nur noch paywalled Websites haben würden.

      Es sind die Verlockungen der Einfachheit (hier ein Google analytics Script, da ein paar Metadaten weiterleiten) mit der man mit seinem Webauftritt angeblich Geld verdienen kann, die die Advokaten aufheulen lassen. Und dabei prügelt sich der Betreiberpöbel um Cents und 100stel Cents… erbärmlich. Und die Verlage, Stockholm-Syndrom? Wieder nein, eiskaltes Kalkül und Lobbyismus für ein Recht, das Urheberrecht genannt, welches aber zu Vetriebsrecht pervertiert worden ist. Ich höre schon das heisere Lachen in den marmor- und teakveträfelten Zimmern der Besitzerfamilien…

    1. Etwa so, wie Einwilligungserklärungen für AGB-Änderungen bei Banken?

      Vielleicht sollten Kunden als Gegenmittel eigene AGBs präsentieren und vom „diensthabenden Prokuristen“ unterzeichnen lassen. Ohne Untersagung sämtlicher Datenverarbeitung kein Einkauf.

  2. Ich frage mich wie das beim Kontextbasierten Werben mit der Glaubwürdigkeit des z.B. Artikels aussieht, neben dem diese Werbung angezeigt wird.
    Wenn man eine Technik Website ist und einen VPN Vergleich schreibt, neben dem dann aber Werbung von einen speziellen VPN geschaltet wird, eben weil es zu dem Thema passt.

      1. „Ach nee, ist ja Werbung…“ als induzierte Apologie für ein verkacktes Webseitendesign… nein Danke :).

  3. Wie ist das mit dem Thema Canvas Fingerprinting? Wird das eigentlich auch angegangen? ist das denn gesetzlich konform?

    1. Ja, sehr gute Frage. Das würde mich auch interessieren.
      Wäre ja ein passendes Thema für Netzpolitik.org ;-)

  4. Diese Mentalseuche ist erst ausgerottet, wenn die Werbeindustrie und alle davon Abhänigen winselnd oder tot am wirtschaftlichen Boden liegen und maximal Dünger für Neues sind. In meiner Welt: Kurze Frist, dann Schadenersatz und Enteignung ohne Wenn und Aber! Meine Meinung seit 1983. Dieses zärtliche Herumdoktern (Krallenpflege) legitimiert das ganze Treiben nur weiter, als das es etwas gutes bewirkt. Abrufbare, ungefärbte Informationen. – Aber gern doch. ;) Ich möchte das ja gern jedes Mal plakatieren, wenn es um das Thema Werbung geht aber ich will ja keine Werbung machen, nein, es nervt und enttäuscht einfach nur, dass man so allein ist mit dieser werbefeindlichen Meinung. Man wird letztendlich in die Ignoranz gezwungen.

  5. Hallo Ingo, ein paar alternative Anregungen. Ich denke der erste Schritt ist die Alternativlosigkeit zum Track-me zu unterbinden, funktionieen könnte aus meiner Sicht:

    * Für Online-Shops: generelles Werbeverbot! (Verbot von Datenweitergabe als Nebengeschäftsmodell)
    * Für journalistische Inhalte, ich kann mich entscheiden: Track-me oder Pay-Fence ( xx Cent Micropayment Einmalzahlung für Artikel) oder ich hab ein Monatsabo (zum angemessenen Preis, d. h. pur-Abos wirklich als Geschäftsmodell verstehen und nicht als Instrument um consent zu erpressen)
    * social media: Track-me oder Abo (für Mitglieder) oder Pay-Fence (für Gäste)
    ^ damit wäre ein Großteil des Netzwelt vom de-facto Zwangstracking befreit…

    …als weiter Schritt dann
    * Aufklärung über funktionsweise der Digitalwirtschaft und Risiken des Überwachungskaptalismus in den Schulen
    * Es gibt ein Register für persönliche Verhaltensprofildatenbanken, DB mit Schattenprofilen sind illegal, …
    * Über Konsequenzen einer „Track-me“ Entscheidungen in der jeweiligen Entscheidungssituation wird aufgeklärt, z.b. Angabe von Kennzahlen: „Datenverarbeitung wird zur personenbezogenen Verhaltensprofilbildung in folgenden Datenbanken benutzt…
    ^ damit wäre der consent dann deutlich besser informed

  6. Ergänzung zur Anregung: Also grundsätzlich braucht man kein Verbot des trackingbasierten Geschäftsmodells, aber man muss für praktikable und angemessene Alternativen sorgen und maximale Transparenz (=Ehrlichkeit) erzwingen. Kritisch ist immer der Entscheidungspunkt, an dem „informed consent“ or Alternativentscheidung getroffen wird.

    Für mehr Transparenz und Sensibilisierung könnte ich mir z.B. vorstellen: Ich weiß, bei „Targeted advertising“ wird mir eine auf mich zugeschnittene Werbung auf einer nur für mich existierenden Werbefläche angezeigt. Wenn ich auf diese Werbung klicke kann ich nun die Option „Warum wird mir diese Werbung angezeigt?“ wählen, und dann werden mir die zugrundeliegenden Versteigerungsbedingungen (z.B. du bist „deutsch“, „weiblich“, „schwarz“, „katholisch“, „konservativ“, „Einkommen > x EUR“, mit folgenden Interessen ….) in menschenlesbarer Form anzeigen zu lassen.

  7. Wenn es doch funktionieren würde. Den werbetreibenden Unternehmen wird weisgemacht, dass es sich am Ende auszahlt. Bei der Komplexität der Lebensverhältnisse ist das aber kaum möglich. Eine riesegrossen Traumlandschaft, bei der aber niemand sich traut sie zu verlassen und sich der Realität zu stellen.

    1. Weil es ein Kartell ist.

      Nicht mitzumachen bedeutet vermutlich gravierende Sichtbarkeitseinbußen, die meiner Vermutung nach auf mindestens zwei weitere Gesichtspunkte zurückzuführen sind:
      1. Suchranking. „Unabhängig“ davon, ob Werbung dort oder bei Verbündeten usw. eingekauft ist.
      2. Empfehlungsalgorithmen. „Der Weg“ auf „Inhalte“ zu stoßen.

  8. https://www.golem.de/news/kinokarte-fuer-werbeclips-moviepass-app-ueberwacht-ob-werbung-geschaut-wird-2202-163149.html

    Die Clientseite ist „aus Sicherheitsgründen“ zum Abschuss freigegeben. Natürlich völlig freiwillig, im Austausch gegen Bonuspunkte.

    Ich sehe das kommen:
    – Der Polizist, dein Freund und Helfer. ABER: Auch er hat ein Smartphone.
    – Privatsphäre in den eigenen 4 Wänden. ABER: Von den Decken und Böden war keine Rede gewesen, zudem gehören Mietern die Wände im allgemein nicht, und Häuslebaukauf ist derzeit so richtig schön teuer. Außerdem hat deine Nachbarin ein beliebiges kompatibles Endgerät dieser Zeit.
    – Die Verfassung hält Stand. ABER: Nicht in der Nähe von Technologie.
    – Sie können sich frei bewegen und Ihre Meinung frei äußern. ABER: Alle Datenquellen werden angezapft, wenn irgendwem der Sinn danach steht, je nach dem. Finden Sie mal einen Ort ohne Datenquelle.
    – In unserem Land gelten noch Gesetze. ABER: Nicht auf deinem Endgerät. Außerdem muss Dein Land anderen Ländern gefallen, und darf deswegen nicht alles zulassen, was das Gesetz eigentlich sicherstellen sollte.
    – Der digitale Markt ist frei. ABER: Du kommst nicht rein, bzw. falls doch, wirst du Menschen kaum Vorteile gegenüber den etablierten Kräften bieten können, da diese Bereiche im Digitalen zumindest im Konzeptionellen abgeschafft wurden. Abgriff von Wirtschaft oder Staat ist ab einem gewissen Punkt kein Unterschied mehr.
    – Kein Rückfahrticket gebucht.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.