Telegram fragt Nutzer:innenWieviel Überwachung soll’s denn sein?

Der Messenger Telegram befragt gerade Millionen deutscher Nutzer:innen, wieviel Überwachung und Zusammenarbeit mit Ermittlungsbehörden sie wünschen. Dem ging ein langes Ringen mit deutschen Ermittlungsbehörden voraus.

Telegramm Logo und Text der Umfrage
Mit einer Umfrage überraschte Telegram am Dienstag seine deutschen Nutzer:innen. – Screenshot / Montage: netzpolitik.org

Der Messenger Telegram befragt gerade über seinen offiziellen Kanal deutsche Nutzer:innen, wie in Zukunft staatliche Überwachung bei Telegram aussehen soll. In der Nachricht heißt es:

Wir, das Telegram Team, bitten dich uns deine Meinung mitzuteilen, wie die Daten der deutschen Telegram-Nutzer mit den deutschen Behörden, einschließlich der deutschen Polizei (BKA), geteilt werden können (oder nicht).

Telegram gebe niemals Informationen über Chats oder Kontakte an Dritte weiter, auch nicht an staatliche Einrichtungen, heißt es weiter. Die aktuelle Datenschutzerklärung erlaube aber seit 2018, IP-Adressen und Telefonnummern von Terrorverdächtigen auf Anfrage der Regierung, die durch einen Gerichtsbeschluss gestützt wird, offenzulegen.

Screenshot der Umfrage
Derzeit gibt es angeblich ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen dem Status-Quo und der Variante gar keine Daten abzugeben. - Alle Rechte vorbehalten Screenshot / Telegram

Weiter heißt es dann:

Wir führen diese Abstimmung durch, um herauszufinden, ob unsere deutschen Nutzer unsere aktuelle Datenschutzerklärung unterstützen oder ob sie die Zahl der Fälle, in denen Telegram potenziell Daten an Behörden weitergeben kann, verringern oder erhöhen möchten. Wir stellen drei Optionen zur Wahl.

OPTION 1: Keine Änderungen. IP-Adressen und Telefonnummern von Terrorverdächtigen darf Telegram weiterhin nur aufgrund einer Gerichtsentscheidung weitergeben. Diese Option ist bereits in der aktuellen Datenschutzerklärung von Telegram enthalten.

OPTION 2: Auf Anfrage der deutschen Polizeibehörden darf Telegram IP-Adressen und Telefonnummern von Verdächtigen schwerer Straftaten offenlegen, auch wenn diese nicht durch eine Gerichtsentscheidung gestützt ist. Diese Option wäre, sofern sie Zustimmung findet, komplett neu für Telegram und erfordert deswegen eine Änderung unserer Datenschutzerklärung für Nutzer aus Deutschland.

OPTION 3: Unter keinen Umständen darf Telegram Nutzerinformationen weitergeben, inkl. IP-Adressen und Telefonnummern von Terrorverdächtigen. Wenn diese Option unterstützt wird, ändert Telegram seine Datenstruktur und die Datenschutzerklärung für Nutzer aus Deutschland.

An der Umfrage, die noch bis zum 5. September laufe, können angeblich nur deutsche Nutzer:innen teilnehmen. 

Ungewöhnliches Vorgehen

Das Vorgehen mit der Umfrage ist ungewöhnlich und wirft die Frage auf, was Telegram damit bezweckt. Möglicherweise plant Telegram in Deutschland technische Änderungen oder eine Änderung der Policy und möchte hierfür die Legitimation seiner Nutzer:innen. Eine kurzfristige Presseanfrage von netzpolitik.org hat das Unternehmen zunächst nicht beantwortet.

Die zur Wahl gestellten Antwortoptionen der Umfrage weisen zumindest in eine bestimmte Richtung. Die Alternative zum Status Quo lautet nämlich, ob Telegram bei schweren Straftaten auch ohne Gerichtsbeschluss Daten herausgeben solle. Ein solches Szenario ohne Gerichtsbeschluss ist ungewöhnlich. Die Formulierung könnte einen Anreiz für Nutzer:innen geben, diese Option nicht zu wählen.

Antwortoption 3 ,“Keine Daten“, wäre technisch umsetzbar, indem Telegram auf Ende-zu-Ende-Verschlüsselung per default umstellt, die Kopplung von Telefonnummern an einen Account beendet und weniger Metadaten sammeln würde. Denn wenn Daten nicht vorliegen, können sie auf Anfrage von Behörden auch nicht herausgegeben werden. Andere Messenger wie Threema und Signal gehen hier mit gutem Beispiel voran. Signal kann etwa nur offenlegen, wann ein Account erstellt wurde und wann er das letzte Mal benutzt wurde.

Der Umfrage ging ein monatelanger Streit voraus, in dem die Bundesregierung nach einem Umgang mit Telegram gerungen hat. Dabei ging es um eine engere Zusammenarbeit mit Ermittlungsbehörden. Der Messenger kann mit seinen Kanälen und Gruppen große Mengen an Menschen miteinander vernetzen. Er war nicht zuletzt während der Corona-Krise unter anderem bei Querdenker:innen und Rechtsradikalen sehr beliebt. Im Lauf der Debatte hatte Telegram einige verschwörungsideologische Kanäle und Gruppen gesperrt.

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10 Ergänzungen

  1. Welche der ersten beiden ist denn die mit geltendem deutschen und EU-Recht vereinbare Option? Zu diesem Mindestmaß an Kooperation wäre TG doch ohnehin verpflichtet oder?

    Variante drei kann natürlich datenschutzpositiv mit der Perspektive auf die angesprochenen Maßnahmen interpretiert werden. Für mich klingt es aber eher nach der Option für die Schwurbler und Rechtsextremisten, ein „Weiter so“ zu fordern, bei dem TG eben nicht mit den deutschen Behörden kooperiert und auch Gerichtsbeschlüsse ignoriert. Besonders viel Enthusiasmus bei der Bekämpfung von Hass und Hetze auf der eigenen Plattform kann man TG schließlich kaum unterstellen.

  2. Die zentrale Frage dabei ist:

    Wann gilt jemand als „terrorverdächtig“? Wie wird das definiert? Schon $ 100a StPO ist in vielen Teilen wabbelig wie Götterspeise und lässt einen viel zu großen Interpretationsspielraum zu.

    Und inwieweit kann man solchen „Gerichtsbeschlüssen“ und vor allem den diesen zugrundeliegenden Begründungen trauen?

    Man kann seitens der Polizei alles gegenüber einem Richter wortreich begründen – und den Beschluss dann für ganz andere Zwecke nutzen.

    Bestes Beispiel: Wie hier in diversen Artikeln dargelegt, werden gewonnene Daten nicht unbedingt zur Terror-, sondern zur Drogenbekämpfung und sogar zur einfachen Beobachtung völlig unverdächtiger, aber dennoch (politisch) missliebiger Personen genutzt.

    Es mangelt an echter Kontrolle dieser „Gerichsbeschlüsse“ und deren Nutzung!

    Daher spreche ich mich klar für 3 aus, obwohl ich Telegram nicht nutze.

  3. Wäre es denn so schlimm die Option 1 zu wählen wenn das eh schon „drin“ ist – nur offenbar derzeit wenig bis überhaupt nicht umgesetzt wird? Das setzt natürlich ein Gewisses Vertrauen voraus das kein Polizist oder Kriminaler laut „Terror“ schreit und einen Richter findet der das unbesehen abnickt oder? Wie es diesbezüglich aussieht in deutschen Amtstuben ist dann die eigentlich unbeantwortete Frage. Bei „Keine Daten“ kann aber vermutlich nicht mal eine Quellen-TKÜ greifen wenn man das Gerät dazu nicht identifizieren kann.

    1. Mehr als die (1) traue ich mich nicht. Dafür sind mir zu viele Gummiparagraphen in unseren Gesetzen. Sonst würde ich gerne die (2) wählen.

    2. „Wie es diesbezüglich aussieht in deutschen Amtstuben ist dann die eigentlich unbeantwortete Frage.“

      Es gibt schon einige Datenpunkte. Hausdurchsuchung links, Übersehen rechts, Schweigen in der Mitte.

  4. Mich wundert etwas, dass Telegram bei Option 2 von „Verdächtigen schwerer Straftaten“ spricht und bei den anderen beiden Optionen nur von Terrorverdächtigen. Option 2 schließt damit Drogenhandel, Kindesmißbrauch, Betrug, etc. mit ein, Option 1 und 3 nicht. Damit sind hier zwei Themenblöcke in einer Umfrage vermischt und das Ergebnis jetzt schon zweifelhaft. Und was will denn Telegram eigentlich mit der „Legitimation“ durch ihre eigenen Klientel erreichen? Ein eigenes Datenschutzrecht neben oder gegen geltende gesetzliche Bestimmungen?

  5. Was wäre denn netzpolitisch sinnvoll zu wählen – abgesehen von der im Artikel aufgeworfenen Frage nach Auswertung und Verwertung der Umfrage?
    Ich tendiere ja zu Option 3 – andere Messengerdienste werden ja auch für ihre Datensparsamkeit gelobt werden. Das Telegram verschurbelt wurde, ist sicherlich eine Frage der Moderations-policy. Auf der anderen Seite wird Telegram ja auch afaik in anderen Ländern von zivilgesellschaftlichen Initiativen genutzt, oder in der Ukraine zur Organisation von Hilfsaktionen und ziviler Mitwirkung an der Landesverteidigung. Hmm.

    1. tagesschau.de schreibt dazu:
      „Das Ergebnis: Die meisten der mehr als zwei Millionen abgegebenen Stimmen, 39 Prozent, befürworten die Weitergabe von IP-Adressen und Telefonnummern, sofern ein Gerichtsbeschluss vorliegt. Laut Telegram sei diese Option bereits in der aktuellen Datenschutzerklärung enthalten.
      Wie umstritten die Weitergabe aber ist, zeigt der zweite Platz: Nur zwei Prozentpunkte dahinter folgte mit 37 Prozent die radikale Variante. Telegram solle keine Daten weitergeben.“
      https://www.tagesschau.de/investigativ/ndr-wdr/telegram-125.html

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.