Sind Kurznachrichten Akten?FragDenStaat in Karlsruhe

Das Bundesinnenministerium will seine Twitter-Direktnachrichten nicht herausgeben. Zuletzt hatte das Bundesverwaltungsgericht der Behörde Recht gegeben. Dagegen ziehen die Informationsfreiheitskämpfer von FragDenStaat nun vor das Bundesverfassungsgericht.

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Gehören „Privatnachrichten“ von Behörden in die Akte? (Symbolbild) CC-BY-SA 3.0 RudolfSimon

Die Informationsfreiheitsorganisation FragDenStaat zieht vor das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Mit einer Verfassungsbeschwerde wehren sich die Transparenzaktivist:innen gegen ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, welches die Informationsfreiheit bei digitalen Kurznachrichten wie Twitter-DMs eingeschränkt hatte. Das Gericht hatte geurteilt, dass solche Kurznachrichten nicht generell aktenrelevant seien.

Derzeit wird an verschiedener Stelle debattiert und verhandelt, ob SMS, WhatsApp-Nachrichten oder Privatnachrichten in sozialen Netzwerken von Regierungsvertreter:innen und Ministerien als ganz normale Akten behandelt werden sollen – und damit dann auch Transparenzpflichten einhergehen, die es den Bürger:innen ermöglichen, Regierungshandeln nachzuvollziehen.

So ist der Verbleib von Merkels berühmten SMS, die ihren Regierungsstil prägten, bis heute im Dunkeln. Und die EU-Kommission will die WhatsApp-Korrespondenz von Ursula von der Leyen mit dem Pharma-Unternehmen Pfizer nicht herausrücken. Im Gegenteil: Die EU-Kommission will Kommunikation per SMS, in Messengern oder mit Privatnachrichten in sozialen Netzwerken generell nicht als Dokumente einstufen, weil es sich nur um „Zusatzkommunikation“ handele. Doch wer heute einen Messenger benutzt, weiß, dass es längst nicht mehr nur um 160 Zeichen geht. Häufig werden Dokumente, Fotos und lange Texte mit diesen verschickt.

Innenministerium wollte Daten nicht herausgeben

Im konkreten Fall von FragDenStaat hatte die NGO das Bundesinnenministerium auf Herausgabe von Twitter-Direktnachrichten aus den Jahren 2016 bis 2018 verklagt. In früherer Instanz ließ das Verwaltungsgericht Berlin keinen Einwand des Bundesinnenministeriums gelten – die Twitter-Nachrichten müssten herausgegeben werden, da es sich um amtliche Information im Sinne des Gesetzes handle. Dagegen zog das Ministerium über eine Sprungrevision direkt vor das Bundesverwaltungsgericht. Es argumentiert, dass es sich bei Twitter um einen informellen Kanal handle und es daher kein offizielles Verwaltungshandeln und keine Veraktung gebe. Auch von hohem Verwaltungsaufwand und Datenschutz ist die Rede.

Das Bundesverwaltungsgericht hatte 2021 zugunsten des Innenministeriums entschieden: Dass Twitter-Direktnachrichten unter die behördliche Transparenzpflicht fallen, sei zwar „nicht grundsätzlich ausgeschlossen“. Allerdings gelte das nicht für Nachrichten, die wie im gegebenen Fall „aufgrund ihrer geringfügigen inhaltlichen Relevanz keinen Anlass geben, einen Verwaltungsvorgang anzulegen“.

„Missbrauch Tür und Tor geöffnet“

Mit dem Urteil hat das Gericht eine Art Bagatellgrenze geschaffen, bei der die Behörden selbst bestimmen dürfen, was „Aktenrelevanz“ hat. FragDenStaat argumentiert nun, dass genau diese „Aktenrelevanz“ nicht Teil des Gesetzes sei. „Das Bundesverwaltungsgericht hat gegen Wortlaut, Sinn und Zweck des Informationsfreiheitsgesetzes ein einschränkendes Kriterium der ‚Aktenrelevanz‘ erfunden. Das öffnet dem Missbrauch Tür und Tor: Mitarbeitende von Behörden können auf ‚informelle Kanäle‘ ausweichen und so brisante Informationen der Öffentlichkeit vorenthalten“, sagt Anwalt David Werdermann, der FragDenStaat in Karlsruhe vertritt. Deswegen habe man eine Verfassungsbeschwerde eingereicht.

Aber nicht nur dieser Teil der Entscheidung verstößt nach Sicht von FragDenStaat gegen Grundrechte. Auch im Verfahren selbst habe das Bundesverwaltungsgericht Fehler gemacht. Als Grundlage für seine Entscheidung, ob die Inhalte der Twitter-Nachrichten aus dem Ministerium aktenrelevant seien, habe das Gericht ungeprüft eine Schilderung des Ministeriums übernommen.

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4 Ergänzungen

  1. „fallen, sei waz „nicht grundsätzlich ausgeschlossen“. Allerdings gelte das nicht für “

    Wie bitte? Waz?

  2. Ich verstehe den Konflikt dass für Politiker die Möglichkeit bestehen muss sich zu besprechen ohne dass dies an die Öffentlichkeit gelangt, sonst wäre ein uneingeschränkte Debatte nicht möglich. Wenn man dies aber auch in schriftlicher Form zulässt ist die Frage wo man die Grenze zieht was archiviert/herausgegeben werden muss und was nicht.
    Fällt jedliche schriftliche Kommunikation unter die Transparenzpflicht können letzlich Gerichte darüber entscheiden ob der Inhalt geheim sein sollte und nicht die Verfasser selbst.

  3. Als juristischer Laie finde ich es interessant, dass Bürger*innen durchaus zivil/strafrechtlich belangt werden können, wenn sie z.B. auf Twitter Menschen beleidigen oder zu Gewalttaten aufrufen.
    Hmm. Darf mich die Polizei belangen, wenn ich fett ACAB twittere? Dann müssten die ja meine Tweets dokumentieren, auch wenn die bei sowas billigem wie einer mehrdeutigen Parole „aufgrund ihrer geringfügigen inhaltlichen Relevanz keinen Anlass geben, einen Verwaltungsvorgang anzulegen“.
    Oder so ähnlich.

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