Russische Suchmaschine YandexVersteckter Krieg

Russische Nutzer:innen des wichtigen Internetportals Yandex bekommen vom Krieg in der Ukraine kaum etwas mit. In der Bildersuche sieht das von russischen Truppen verwüstete Butscha aus wie eine idyllische Vorstadt, das Nachrichtenportal berichtet derweil über „liquidierte Saboteure“ in der Ukraine.

Als hätte es niemals Krieg gegeben: So sieht laut der russischen Suchmaschine Yandex der Kiewer Vorort Butscha aus. – Alle Rechte vorbehalten Yandex/Screenshot

Es sind entsetzliche Bilder, die um die Welt gehen. Erschossene Zivilist:innen auf der Straße, in Massengräbern verscharrt. Nach dem Rückzug russischer Truppen aus Teilen der Ukraine zeigen sich in Butscha nun Gräueltaten, die die russischen Besatzer in den vergangenen Wochen verübt haben.

Ganz anders der Blick aus Russland: In der Bildersuche der größten russischen Suchmaschine, Yandex, sieht das nördlich von Kiew liegende Butscha aus wie eine idyllische Bilderbuchstadt. Erst die Suche nach dem deutschen oder englischen Namen des Vororts offenbart dessen Verwüstung. Für andere Orte, etwa das nahegelegene Irpin, muss man schon zu Google oder DuckDuckGo wechseln um zu erahnen, dass auch dort wohl Kriegsverbrechen von russischen Truppen begangen wurden.

Seit dem Beginn seines Angriffskriegs verfolgt der Kreml eine aggressive Informationspolitik. Der Krieg wird als „militärische Spezialoperation“ verkauft, wer sich nicht an diese Sprachregelung hält, muss mit Gefängnis rechnen. Unabhängige Medien wurden geschlossen, Online-Dienste wie Facebook als „extremistische Organisationen“ gesperrt, während staatliche Nachrichtenagenturen oder Regierungs-Accounts in sozialen Netzen die übliche Propaganda verteilen.

Yandex-Suchergebnisse zu Butscha am 4. April 2022
Yandex-Suchergebnisse in unterschiedlichen Sprachen zu Butscha am 4. April 2022. - Alle Rechte vorbehalten Yandex/Screenshot

Kaum Krieg auf dem Nachrichtenportal

Yandex, das größte IT-Unternehmen Russlands, spielt offensichtlich mit. Die russisch-sprachige Startseite der Suchmaschine, aus Deutschland aufgerufen, birgt kaum Hinweise darauf, dass sich das Land im Krieg befindet. Einen Klick weiter stellt das zugehörige Nachrichtenportal eher positive Meldungen in den Vordergrund: „Rosgvardia-Spezialeinheiten liquidierten Saboteure und ein Lager mit Munition in der Nähe von Kiew“, heißt es dort etwa. Oder: „Putin unterzeichnete ein Dekret über Visa-Vergeltungsmaßnahmen aufgrund der Aktionen unfreundlicher Staaten“.

Offiziell ist Yandex in den Niederlanden angesiedelt, bedient aber fast ausschließlich den russischen Markt. Dort dominiert das Unternehmen weite Teile des Tech-Sektors. Wie Golem berichtet, gilt es nicht nur als das russische Google, sondern auch als russisches Amazon, Spotify und Uber. Eine internationale Expansion dürfte jedoch vorerst auf Eis liegen: Der Handel mit Yandex-Aktien an der US-Börse Nasdaq wurde Ende Februar eingestellt, bisherige Geschäftspartner wie Uber oder Grubhub sind inzwischen abgesprungen.

Führungsspitze tritt zurück

Sanktioniert wurde das Unternehmen bislang nicht, der Yandex-Exekutivdirektor Tigran Khudaverdyan allerdings schon. Mitte März setzte die EU-Kommission den stellvertretenden CEO auf eine Sanktionsliste, als direkte Reaktion auf die Vorwürfe des ehemaligen Leiters der Nachrichtendivision bei Yandex, Lev Gershenzon: „Heute ist der sechste Tag, an dem auf der Startseite von Yandex mindestens 30 Millionen russische Benutzer sehen, dass es keinen Krieg gibt, dass es nicht tausende tote russische Soldaten gibt, dass es nicht dutzende bei russischen Bombardements getötete Zivilist:innen gibt“, schrieb Gershenzon kurz nach Kriegsbeginn auf Facebook.

Yandex sei ein Schlüsselelement beim Verbergen von Informationen über den Krieg in der Ukraine, schrieb Gershenzon. Jeder Tag und jede Stunde solcher „Nachrichten“ würde Menschenleben kosten. Wer dabei mitmache, so Gershenzon, würde sich mitschuldig machen, ein Rücktritt sei das mindeste. Zunächst verteidigte sich Khudaverdyan noch und verwies darauf, dass Russ:innen auf die Online-Dienste angewiesen wären wie auf Strom und Wasser, berichtet die russische Nachrichtenseite RTVI.

Mittlerweile hat sich Khudaverdyan jedoch von seinen Führungposten zurückgezogen, über die genauen Gründe ist nichts bekannt. Die Yandex-Chefin Elena Bunina trat ebenfalls vorzeitig zurück, hier reichte es nicht einmal für eine Pressemitteilung. Andere hielten sich weniger bedeckt: So verließ etwa die ehemalige Journalistin Tonia Samsonova Yandex unter Protest – und floh ins Ausland.

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8 Ergänzungen

  1. Hallo Tomas Rudl,
    ich jetzt bin doch irritiert.
    Der vor Dir gesetzte Link
    „https://yandex.com/images/search?from=tabbar&text=%D0%91%D0%A3%D0%A7%D0%90“
    zeigt mir den Screenshot rechts (wohl mit zeitlicher Anpassung), nicht links.
    Hast Du bei Dir am Browser weitere Einstellungen vorgenommen?

    Micha

    1. Das kann ich bestätigen, jetzt sehen die Ergebnisse so aus, wie man es erwarten würde. Die Screenshots habe ich gestern nachmittag angefertigt und es zuvor mit mehreren Browsern probiert.

  2. Konnte ich nicht nachvollziehen. Es werden überall die gleichen Bilder mit identischer Reihenfolge gezeigt. VPN, Domaine und Sprache hatten keinen Einfluss auf das Ergebnis.

  3. Dieses Bild wurde bereits widerlegt: klickt in yandex auf „recent“ und die selben/ähnliche Bilder werden angezeigt.

  4. Es ist sehr gut möglich, dass noch vor einigen Tagen Yandex nur die „richtige Bilder“ angezeigt hat (insbesondere für russische IPs).
    Einer der jetzigen Narrative von der Russlands Seite über Butscha ist, dass es inszeniert wurde oder die ukrainische Seite selber Menschen umgebracht hat, um Russland zu deskriditieren, da bei der Rückeroberung nicht sofort über Leichen erzählt wurde und erst ab den 3. April diese Information gab. Was mit der Empfindung bei den vielen Russlands Bürger über den Zeitpunkt wo sie darüber informiert wurden übereinstimmt.

  5. Manche merken es erst später: Das Internet ist kein Echtzeitmedium, sondern eine Datenhalde mit unbegrenztem Verfallsdatum.

    Man muß nicht überall Propaganda vermuten, wo die Technik schlicht nicht schnell genug ist.

    (und beim nächsten Mal erzählt euch Onkel Philip die Geschichte, wie ein Internetnutzer glaubte, Google hat extra Leute eingestellt die die Suchmaschinentreffer von Pornographie …)

    1. Man kann nicht davon ausgehen, dass unsere Sicht die gleiche ist, wie aus Russland.

      Genauso wahrscheinlich: Externe Nutzer werden erkannt, bzw. VPNs in Russland fügen Tags hinzu o.ä., so dass außerhalb etwas anderes angezeigt wird. Vielleicht auch innerhalb von Lösungen wie Tor, da Exitnodes vielleicht mehr als bekannt sind usw. o.ä.?

      Hinzu kommt Verfeinerung, z.B. durch Aussieben bzw. Nachhintenschieben unerwünschter Ergebnisse bei allgemeineren Suchanfragen, Bevorzugen bzw. Hochwerten explizit als erwünscht zu erkennender Inhalte bei irgendeiner Übereinstimmung. Eine sehr spezifische Suchanfrage findet also ein Ergebnis (Shopping bevorzugt? Kaufe Krieg 90% reduziert nur noch kurze Zeit!), also fast wie bei Google?

  6. Wäre es möglich solche Suchergebnisse per Internet-Archiv o.ä. zu sichern und im Artikel zu verlinken? Das erhöht die Glaubwürdigkeit, für den Fall dass sich die Suchergebnisse mit der Zeit oder in Anhängigkeit der IP ändern.
    Weiterhin wäre es vielleicht sinnvoll das Vergleichs-Bild im Artikel nach oben zu rücken,
    dann wird es beim „Teilen“ des Artikels (Twitter, Linkedin etc.) automatisch angezeigt
    (statt nur der „Idylle“, die auf den ersten Blick vielleicht die falsche Botschaft vermittelt).

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.