Polizeiliche KriminalstatistikDeutschland schon wieder sicherer – und viele denken das Gegenteil

Deutschland ist weiter auf dem Weg zu einer Gesellschaft mit weniger Kriminalität. Nur in einigen Feldern wie der Verbreitung von Kindesmissbrauchsdarstellungen steigt die Statistik, weil immer mehr Täter entdeckt werden.

Holger Münch, Joachim Herrmann und Nancy Faeser bei der Pressekonferenz Polizeiliche Kriminalstatistik 2021
Holger Münch, Joachim Herrmann und Nancy Faeser bei der Pressekonferenz Polizeiliche Kriminalstatistik 2021. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Future Image

Deutschland ist schon wieder sicherer geworden. Gegenüber dem Vorjahr ist die Zahl der in der polizeilichen Kriminalitätstatistik 2021 erfassten Delikte um 4,9 Prozent gesunken, vermeldet das Bundesinnenministerium.

In der Pressemitteilung heißt es: 

Bei der Diebstahlskriminalität ist ein Rückgang um minus 11,8 Prozent auf 1.483.566 Fälle zu verzeichnen, beim Wohnungseinbruchdiebstahl sogar um minus 27,7 Prozent. Bei der Gewaltkriminalität sind die Fallzahlen um minus 6,8 Prozent auf 164.646 Fälle gesunken.

Diebstahl, Wohnungseinbrüche und Gewaltkriminalität werden für das Sicherheitsbefinden der Bevölkerung als besonders wichtig angesehen. Sie spielen auch regelmäßig in Statistiken, vor welcher Kriminalität sich Menschen fürchten, ganz oben mit. Bei Morden und Raubdelikten liegt der Rückgang gegenüber dem Vorjahr bei über zehn Prozent.

Gleichzeitig erreicht die Aufklärungsquote nun mit knapp 60 Prozent einen neuen Höchststand. Bei schweren Delikten wie Mord werden mehr als 90 Prozent der Fälle in Deutschland aufgeklärt.

Mehr „Cyberkriminalität“

Gestiegene Zahlen gibt es bei der so genannten „Cyberkriminalität“, wo ein Anstieg (12,1 Prozent) mit fortlaufender Digitalisierung der Gesellschaft einhergeht und sich Tatorte und Tatmittel ins Digitale verlagern.

Die stärksten Steigerungen in der Kriminalitätsstatistik sind im Bereich der Darstellungen von Kindesmissbrauch zu verzeichnen, das Bundesinnenministerium spricht von einer Verdopplung der Fälle. Was das Ministerium in der Pressemitteilung allerdings nicht sagt, worauf das zurückzuführen ist.

Jüngst beantwortete die Bundesregierung in einer kleinen Anfrage genau darauf: Der Anstieg sei letztlich auf die „verstärkte Aufhellung des Dunkelfeldes“ zurückzuführen. Der Anstieg in der Statistik hat laut der Bundesregierung mit immer besseren „technischen Detektionsmöglichkeiten“ zu tun, durch die „immer mehr inkriminiertes Material entdeckt“ würde. Es ist also kein Anstieg der Taten an sich zu verzeichnen, sondern es werden in diesem Deliktfeld mehr Taten und Täter entdeckt.

Dieses Kriminalitätsfeld weist generell auf ein Problem der polizeilichen Kriminalstatistik hin: Diese ist durch technische Änderungen, aber auch durch politisch-polizeiliche Fokusverschiebungen Änderungen unterworfen. Zudem wird in ihr nur die polizeilich registrierte Kriminalität, also das Hellfeld erfasst.

Deutsche nehmen Kriminalitätsentwicklung völlig falsch wahr

In Deutschland ist die Kriminalität alleine zwischen 2005 und 2019 um etwa 15 Prozentpunkte gesunken, hatte die Bundesregierung im vergangenen November in ihrem Periodischen Sicherheitsbericht verkündet.  

Diese Gesamtentwicklung Deutschlands führt zu einem Land mit immer weniger Kriminalität. Gleichzeitig ist die Wahrnehmung von Kriminalität in der Bevölkerung seit Jahren vollkommen entkoppelt von der tatsächlichen Kriminalitätsentwicklung. Während in der Befragung der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) fast zwei Drittel von einer starken bis sehr starken Zunahme der Kriminalität in den letzten fünf  Jahren ausgehen, schätzen nur sechs Prozent der Befragten die Kriminalitätsentwicklung realistisch ein. Diese Zahlen decken sich mit einer Umfrage aus dem Jahr 2016, in der mehr als zwei Drittel der Befragten von dieser Fehlannahme ausgingen

Die falsche Wahrnehmung der realen Kriminalitätsentwicklung ist auch ein Problem für die Grund- und Freiheitsrechte, weil sie eine höhere Akzeptanz von schärferen Gesetzen befördern könnte.

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14 Ergänzungen

  1. Faeser hat ja schon, getreu innenministerialer Tradition, die Zunahme von Kindesmissbrauch ganz gross herausgestellt und wird darauf aufbauend weiter Buergerrechte abbauen.

    SPD halt.

    1. Das ist zu befürchten. Allerdings wird, wenn es so kommt, kein einziges Kind dadurch besser geschützt.

      Denn wenn Fotos von missbrauchten Kindern gemacht und ins Netz gestellt werden, SIND sie schon längst missbraucht!

      Und genau diesen Missbrauch gilt es zu verhindern! Durch Datenspeicherung, Totalüberwachung des Netzes usw. geschieht dies EBEN NICHT.

      Es müssen weltweite Präventionsprogramme her sowie Therapiekonzepte, die aber nur gelingen können, wenn Menschen mit entsprechenden Neigungen repressionsfrei und offen über ihr Problem mit Ärzten und Psychiatern sprechen können, um nicht erst zu Tätern zu werden.

      Das ist der einzige Weg, um ECHTEN KINDERSCHUTZ zu praktizieren. Überwachung des Netzes spielt eine trügerische Scheinsicherheit vor (zumal es Kindesmissbrauch schon vorher gegeben hat) und ist somit ein Alibi entsprechender, ihn befürwortender Politiker für eigentliche Handlungsunfähigkeit.

  2. Die sollten einfach seriösere Trendgrafiken senden.

    Da kann man dann die sich ändernden Bereiche schön darstellen bzw. zusammenfassen und gegenüber einem Umfragegefühl visualisieren (was für Sicherheit wichtig ist o.ä.).

  3. Ich verfolge seit einiger Zeit die Femizid Diskussion – wird das näher in der Statistik betrachtet?

  4. Warum gibt es eigentlich eine „Polizeiliche Kriminalstatistik“, also eine PR-Publikation im Eigeninteresse, mit diesem Medien-Echo (meint jetzt nicht NP)?

    Es sollte eine Kriminalstatistik einer unabhaengigen und transparenten Instanz geben, die dann auch Verurteilungen, Einstellungen, etc, sauber untersucht und aussagekraeftig darstellt.

    Klar, der jeztige Stand dient der Intention der Politik zur Angsterzeugung und Polizeiglorifizierung. Aber warum machen die Medien da in Verleugnung ihres Auftrages mit?

    1. Tu dir selber einen Gefallen: Lern lesen.

      „Die PKS enthält die der Polizei bekannt gewordenen rechtswidrigen Straftaten einschließlich der mit Strafe bedrohten Versuche, die Anzahl der ermittelten Tatverdächtigen und eine Reihe weiterer Angaben zu Fällen, Opfern oder Tatverdächtigen.

      Nicht enthalten sind

      Staatsschutzdelikte
      Verkehrsdelikte
      Ordnungswidrigkeiten
      Delikte, die nicht zum Aufgabenbereich der Polizei gehören (z. B. Finanz- und Steuerdelikte) und
      Straftaten, die unmittelbar bei der Staatsanwaltschaft angezeigt werden.“

      Das ist kein PR-Werk im Eigeninteresse, das ist schlichte Zahlensammelei. Ich würde mal davon ausgehen, im gesetzlichen Auftrag.

  5. Das Hauptproblem sind die Anzeigen die gar nicht erst aufgegeben werden,
    aus Angst vor Rache.
    – Wenn der Täter verurteilt wird und wieder rauskommt
    – Wenn der Täter nicht verurteilt wird (lasche Justiz)
    – Wenn Freunde und Familie des Täters dir und deiner Familie Besuch abstatten

    Die Polizei tut immer so, als ob es einfach wäre jemanden anzuzeigen.
    Genauso „einfach“ wie Zivil-Courage zu zeigen.
    Bis man wirklich mal aufgestanden ist, während alle anderen ihre ***** Handys
    zucken, um zu filmen wie du allein ne Clique von Brechern zur Rede stellen willst,
    die eine junge Frau belästigen – nur das dir am Ende NIEMAND hilft.

    Auch nicht die Polizei – Nur Namen erfassen und wieder gehen lassen.
    Am besten ist es, wenn man am Ende selbst als Verdächtiger gilt,
    weil 3 Aussagen gegen eine.

    Die Statistik kann aus meiner Sicht in die Tonne.

  6. Was dabei unter den Tisch fällt, sind – zwangsläufig – solche Straftaten, die schon gar nicht mehr erfasst werden, weil sie nicht zur Anzeige gebracht werden. Menschen, die die Position, Deutschland werde unsicherer, gegen die Kriminalstatistik verteidigen möchten, berufen sich oft darauf, dass wegen mangelnder Aufklärung and/or milder Gerichtsurteile (bzw. der verbreiteten Überzeugung, Aufklärung und Rechtssprechung wären mangelhaft) viele Straftaten nicht mehr zur Anzeige gebracht werden. Ob das den Tatsachen entspricht, sei dahingestellt, es ist allerdings allemal eine logische Möglichkeit. Man kann also aus der Kriminalstatistik, auch wenn sie die einzige (und einzig denkbare) Quelle zu dem Thema darstellt, letztendlich nicht ableiten, ob die Kriminalität in Deutschland tatsächlich so abgenommen hat.

    1. Ein Grundproblem, das vielen Menschen nicht klar wird (weil sie es sich nicht klar machen oder auch die mediale Darstellung es sich „zu einfach“ macht – sehen wir ja auch in der Pandemie): Ich kann nur Fälle zählen, von denen ich weiß. Wenn ich Schulkinder dreimal die Woche (mind.) einem Schnelltest unterziehe, habe ich ein viel feinmaschigeres Netz ausgeworfen als bei Erwachsenen, die sich viel seltener testen (wenn überhaupt).

      Würde man konsequent jede rassistische oder sxistische Beleidigung und / oder entsprechend motivierte Gewalttat anzeigen, sähe die Statistik ganz anders aus.

  7. Kommt halt auch immer darauf an, was bei der Polizei und Staatsanwaltschaft überhaupt zur Anzeige kommt, bzw. ob es überhaupt zu einem „Fall“ wird.
    Gerade was die „Kleinkriminalität“ betrifft dürfte die Dunkelziffer, was z.B. häusliche Gewalt, Kindesmissbrauch, Vergewaltigungen, Korruption, Gangs, Diebstahl, Verkehrsdelikte, ect. viel höher in der täglichen Wahrnehmung und „Erfahrung“ liegen, als die Polizei mitbekommt, bzw. hier tätig wird (werden kann).
    Statistiken sind was „schönes“, vor allem wenn man bereits im Vorfeld vieles nicht erfasst/erfassen kann, bzw. die Daten voher aussiebt… ;)

    1. Die Frage ist bei welcher Schwelle wird anzeige erstattet? Ich gehe davon aus das gerade bei vielen Diebstählen und Sachbeschädigungen es den Leuten einfach zu nervig ist Anzeige zu erstatten. Alles unter x Euro ist Kosten/Nerven und Aufklärungsrate Verhältnis nicht lohnenswert. Wenn man nicht gerade das Superscharfe Video oder den kräftigen Beweis hat, überlegt man es sich dreimal ob es sich lohnt Anzeige zu erstatten. Diese Hürde wird auch nicht abgebaut, sondern oft von Polizisten gefühlt höher geschraubt.

      Bei den beiden Einbruch Diebstählen, die ich erlebt habe, musste man selber die Beweise zusammen tragen. Eine wirkliche Aufklärungsarbeit der Polizei – Fehlanzeige.

  8. Das wundert mich nicht. Während der Pandemie waren die Leute vermehrt im Homeoffice, abends wurde Netflix geschaut statt Clubs oder Restaurants zu besuchen, in Urlaub konnte/wollte man wegen der Beschränkungen auch nicht so einfach. Da hatten es Einbrecher und Straßenräuber schon schwerer als in den Jahren zuvor.
    Gewaltdelikte haben häufig mit Alkoholkonsum zu tun. Auch da war weniger Party außer Haus, weniger Besoffene, die aneinander geraten oder auf dem Heimweg herumvandalieren – die verprügelte Partnerin macht dagegen oft keine Anzeige.
    Außerdem führt das Altern der deutschen Gesellschaft naturgemäß zu einer Abnahme von Delikten, die eher bei Jüngeren vorkommen, wie Drogen, Imponiergehabe, Beschaffungskriminalität.
    Der subjektive Eindruck, das alles schlimmer wird, liegt vor allem an der Flut von (schlechten) Nachrichten in den Medien, vor allem in den asozialen Hetzwerken. Je krasser, desto geiler, und wenn es nur erfunden ist. Ein Bericht über Oma Klawutke im Schrebergarten bringt halt keine Klicks.

  9. Interessant wären hier wirklich mal die Finanz- und Steuerdelikte.
    Aber habe schon gelesen das die hier nicht erfasst werden.
    Gerade im Bereich der Korruption und Finanzkriminalität geht es bei uns ja zu wie im Schlaraffenland für die Akteure. Stichwort Geldwäsche, Wirecard, Lobbyismus usw usw.
    Leider haben wir eine Behörde (BaFin) die ja hier auch noch mitspielt und lieber wegschaut als etwas zu unternehmen. Zahnloser Tiger…

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.