Nordrhein-WestfalenPalantir-Software kostet fast drei Mal soviel wie geplant

Das Landeskriminalamt NRW setzt seit 2019 die Datenanalyse-Software Gotham ein. Die Kosten des Projektes sind auf fast 40 Millionen Euro angewachsen. Bürgerrechtler:innen kritisieren zudem Grundrechtsverstöße und kündigen an, Verfassungsbeschwerde einzulegen.

Eine Glaskugel, durch die man ein Hochaus sieht
Präventive Verbrechensbekämpfung kostet das Land NRW mittlerweile knapp 40 Millionen Euro (Symbolbild) – Alle Rechte vorbehalten Imago / Panthermedia

Die Anschaffung der umstrittenen Überwachungs-Software Palantir Gotham kommt das Land NRW teurer zu stehen als gedacht. Statt der ursprünglich geplanten 14 Millionen, kostet sie die Steuerzahler:innen mittlerweile 39 Millionen Euro. Hinzu kommt, dass der ursprüngliche Zeitplan weit verfehlt wurde. Das decken Recherchen des WDR-Magazins Westpol auf.

Das Landeskriminalamt NRW hatte die Software 2019 mit dem Ziel angeschafft, effektiver gegen Straftaten vorzugehen. Verschiedene Datensilos, darunter Vorstrafenregister, Fahndungssysteme und Handy-Daten, lassen sich damit verknüpfen und automatisch auswerten. Der Vorteil aus Sicht des LKA liegt in der Zeitersparnis. Denn bislang händisch durchgeführte Datenbank-Anfragen würden jetzt gebündelt erfolgen.

Bürgerrechtler:innen kritisieren Angriff auf Grundrechte

Bürgerrechtler:innen widersprechen diesem einfachen Bild. Für Jürgen Bering von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) steht fest, dass die Software Data-Mining betreibt. Die Generierung neuer Informationen aus den ursprünglich zweckgebundenen Daten sei ihm zufolge nur bei schwersten Straftaten erlaubt. Das NRW-Polizeigesetz ermögliche den Einsatz der Software jedoch auch bei minderschweren Straftaten wie Betrug, Beamtenbestechung oder Volksverhetzung. Indem auch vorbeugende Bekämpfung zugelassen werde, weiche das Gesetz zusätzlich die Grenzen des Softwareeinsatzes auf.

Die GFF ist nicht allein mit ihrer Kritik. Auch der damaligen Landesdatenschutzbeauftragten von Nordrhein-Westfalen, Helga Block, galt der Einsatz als Data-Mining. In Anlehnung an ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu Data-Mining durch Behörden sieht sie die Nutzung deswegen als Verstoß gegen das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung an.

Aus Datenschutzsicht ist außerdem problematisch, dass die Software nicht nur auf polizeiliche Datenbanken zugreifen kann. Auch Informationen vom Einwohnermeldeamt, dem nationalen Waffenregister oder dem Ausländerzentralregister lassen sich laut WDR-Bericht in die Analyse miteinbeziehen. Selbst Social-Media-Profile könnten in die Software eingepflegt werden.

NRW zahlte Millionen – für eine Software im Testbetrieb

Dem WDR gegenüber teilte das Innenministerium NRW mit, bereits im Ausschreibungsverfahren habe sich gezeigt, dass höhere Kosten anständen. Für die geforderten Leistungen hätten alle Angebote bei über 20 Millionen Euro gelegen. In der Folge seien insgesamt weitere 13 Millionen Euro „für ergänzende Tätigkeiten anderer Unternehmen ausgegeben“ worden.

Einen großen Teil der Millionen zahlte NRW jedoch an Palantir, und zwar noch bevor die Software regulär betrieben wurde. Denn über anderthalb Jahre war die rechtliche Grundlage der Nutzung ungeklärt. Innenminister Herbert Reul (CDU) hatte kein neues Gesetz für nötig befunden. Erst als er vom Büro des NRW-Datenschutzbeauftragen dazu gedrängt wurde, änderte er seine Haltung. Der Landtag beschloss daraufhin im April 2022 ein neues Polizeigesetz, welches den Einsatz von Palantirs Gotham ausdrücklich erlaubt.

So konnte die Software erst Anfang Mai 2022 in Ermittlungen zum Einsatz kommen, statt wie ursprünglich gefordert im Herbst 2020. In der Zeit zwischen Kauf und tatsächlichem Einsatz liefen die Zahlungen von jährlich bis zu 6,8 Millionen Euro jedoch bereits.

Neue Verfassungsbeschwerde gegen umstrittenen Einsatz

Palantir, das Unternehmen hinter der Software Gotham, ist seit Jahren umstritten. Von den US-Bürgerrechtler:innen der American Civil Liberties Union auch als „Schlüsselfirma in der Überwachungsindustrie“ bezeichnet, ist Palantir tief in den Sicherheitsapparat der USA verstrickt. Einen Teil seines Startkapitals bekam das Unternehmen von der CIA, einen anderen brachte der Milliardär und Trump-Unterstützer Peter Thiel ein. Das Unternehmen arbeitet mit zahllosen Polizeien und Geheimdiensten weltweit zusammen. Auch Bayern und Hessen sind Kooperationen eingegangen, für die sie in der Vergangenheit in der Kritik standen.

Die Recherche des WDR zeigt, dass die finanziellen Kosten für die Gesellschaft immens sind. Das Innenministerium von NRW bestreitet laut WDR unterdessen, dass der Einsatz der Polizei gegen Grundrechte verstoße. Die Gesellschaft für Freiheitsrechte bezweifelt das und hat für Oktober angekündigt, Verfassungsbeschwerde einzulegen.

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8 Ergänzungen

  1. Aus was setzten sich die Softwarekosten zusammen?

    Bei den Mondpreisen für Software bekomme ich sogar noch Mitleid mit Mafiabossen, die nur mehr noch arme bemitleidenswerte Würsteln sind. (39.000.000 Euro entsprechen etwa 470 Kilo Kokain im Straßenverkauf)

    Bleibt die Frage ob die Software in der Lage ist, kriminelle Machenschaften bei der Entwicklung dieser Aufzudecken, sollt es diese geben. Dann hätte die Software wenigsten einen sinnvollen Zweck.

  2. Gibt es eine seriöse externe Evaluation, zu Verlässlichkeit und Nutzen der Datenanalyse-Software Gotham?

    Millionen-Kosten nur für Snake-Oil sind nicht zu rechtfertigen.

  3. „fast 40 Millionen Euro“

    Oh. Ich bin sicher selbst wenn man dieses Geld direkt oder Indirekt, den Problem-Menschen welche da überwacht werden. Zu einer besseren Lebensqualität einfach so zur Verfügung stellt. Am besten durch erneuerebare Energien und monatliche Einnahmen.

    Wäre es wesentlich besser und würde mehr Gewalttaten oder Verbrechen verhindern, als die Überwachung zu einer möglichen Überführung.

    P.s.: Warum ging mein Google-Sound-Geigerzähler-Plugin hoch, als ich diesen Text schrieb? Besonders im letzten Absatz oO ?! Sorry, Geheimdienste, aber ihr müsst wirklich mal an euerer Software arbeiten, die verrät euch noch.

  4. Euch ist da anscheinend ein Rechenfehler in der Überschrift passiert (oder die Zahlen im Text sind falsch). Drei mal mehr als 14 Mio sind nämlich 56 Mio (3*14+14). Was Ihr meintet ist wahrscheinlich „drei mal so viel wie“, das wäre dann 42 Mio, womit das fast wieder passt.

    1. Danke für den Hinweis, die Überschrift ist geändert. Der Fehler geht nicht auf Juliens Kappe, sondern auf meine: Ich habe den Artikel redigiert.

    1. >> 10% an Linux Kernel spenden, und gut is… Irgendwoher muss Zukunft ja kommen…

      Mit dem Geld könnte man endlich Linux von Systemd befreien.

  5. „Palantir“, „Gotham“, „Hessendata“, „DAR“ & „VeRA“

    Wer sich für diese Themen interessiert kann hierzu auch die kritischen Fachartikel und Dossiers von Annette Brückner auf Police-IT Block (police-it.net) lesen:

    Warum dieses Statement? – und von wem ist es?

    https://police-it.net/dossiers/beobachtungen-und-erfahrungen/warum-dieses-statement-und-von-wem-ist-es

    Automatisch verdächtig: Polizei setzt zunehmend auf umstrittene US-Software (Frankfurter Rundschau, 24.1.20)

    https://www.fr.de/politik/hessen-umstrittene-polizei-software-palantir-automatisch-verdaechtig-13454012.html

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.