Neues aus dem Fernsehrat (86)Stimmen aus dem Fediverse

Welche Rolle könnten öffentlich-rechtliche Angebote im Fediverse spielen? Ein Interview mit zwei langjährig im Fediverse Aktiven über Besonderheiten von Mastodon, zdf.social, handfeste Vorteile für Öffentlich-Rechtliche und Wünsche an den neugewählten ZDF-Intendanten.

Screenshot ZDF Magazin Royal Intro
Im Intro zur Ausgabe von Neo Magazin Royal vom 29. April 2022 kreisen Mastodon-Logos um den Kopf von Moderator Jan Böhmermann – Alle Rechte vorbehalten ZDF

Von Juli 2016 bis Juni 2022 durfte ich den Bereich „Internet“ im ZDF-Fernsehrat vertreten, ab Juli 2022 werde ich als Mitglied des ZDF-Verwaltungsrats weiterhin mehr oder weniger regelmäßig Neues aus dem Fernsehrat berichten. Eine Serie.

Rund um Elon Musks Übernahme von Twitter hat sich die Debatte intensiviert, ob und vor allem auf welche Weise öffentlich-rechtliche Medien ihre Online-Angebot stärker interaktiv und offen für Publikumsbeiträge gestalten könnten. Ein immer wieder geäußerter Vorschlag ist dabei, dass sich ARD und ZDF stärker offener Software und Protokolle bedienen sollen, wie sie zum Beispiel auch bei Twitter-Alternativen wie Mastodon zum Einsatz kommen.

Aber wären öffentlich-rechtliche in den bestehenden, von Communities betriebenen Angeboten des sogenannten „Fediverse“ – einem dezentralen Netzwerk miteinander kompatibler, dabei aber voneinander unabhängiger sozialer Netzwerke – überhaupt willkommen? Welche Rolle könnten öffentlich-rechtliche Angebote im Fediverse spielen, welche Potenziale, Hürden und Gefahren sind mit so einem Engagement verbunden?

Kopfbild von Leah von chaos.social
Leah ist mitverantwortlich für die Mastodon-Instanz chaos.social - Privat

Zu diesen Fragen habe ich mich mit zwei erfahrenen, im Umfeld des Chaos Computer Club (CCC) aktiven Proponent:innen des Fediverse ausgetauscht. Leah betreibt zusammen mit ihrem Co-Admin seit über fünf Jahren den Mastodon-Server („Instanz“) chaos.social im Fediverse, wo sie unter @leah@chaos.social zu finden. Daniel ist dort unter @danimo@chaos.social zu finden und engagiert sich im CCC Berlin, unter anderem als Teil der Chaosradio-Redaktion und sowie des Video Operation Centers (VOC), mit dem Videos von Veranstaltungen via media.ccc.de verbreitet werden. Beruflich arbeitet er als Operations Engineer und hat in der Pandemie den Betrieb von Online-Konferenzen auf Basis von BigBlueButton für Schulen durchgespielt.

Ihr engagiert euch im Umfeld des Chaos Computer Clubs (CCC) für das #Fediverse. Was genau macht ihr da eigentlich?

Leah: Zusammen mit meinem Co-Admin rixx betreibe ich die chaosnahe Mastodon-Instanz chaos.social. Damit haben wir 2017 angefangen. Also vor über 5 Jahren, als Mastodon noch ganz frisch war. Heute sind wir eine der größten vornehmlich deutschsprachigen Instanzen im Fediverse und versuchen für die Menschen auf unserer Instanz eine angenehme Umgebung zu schaffen.

Kopfbild Daniel
Daniel ist Teil der Chaosradio-Redaktion - Privat

Daniel: Im Chaosradio-Team haben wir bereits in der “ersten” Welle 2018 eine Sendung zu dem Thema gemacht. In der Vorbereitung und von unseren Gästen habe ich damals erstmal die Grundlagen gelernt: Dass das Fediverse nicht identisch mit einem Programm wie Mastodon ist zum Beispiel, aber auch wie viele verschiedene Anwendungsfälle das Fediverse abdecken kann. Vom Twitter-Ersatz bis hin zum Feed für Bilder wie PixelFed und Videos, etwa PeerTube.

Seitdem bespiele ich, oft zusammen mit anderen, verschiedene Mastodon-Accounts, etwa die des Chaosradios und des VOC, aber ich muss gestehen, dass auch ich meine private Kommunikation zwischenzeitlich wieder mehrheitlich auf Twitter verschoben hatte. Die kritische Masse meiner Timeline hatte sich damals nicht mitreißen lassen. Das scheint diesmal tatsächlich anders auszugehen.

Warum ist das Fediverse eigentlich so kompliziert?

Leah: Eigentlich ist es gar nicht so kompliziert, es gibt nur ein paar Dinge, die manchmal etwas unintuitiv sind. Manche Menschen betrachten es als komplex, dass Dinge auf Mastodon anders funktionieren als sie es von Twitter gewohnt sind. Aber das ist bei neuen Plattformen ja häufig so und kann manchmal auch ein Vorteil sein, wenn man sich darauf einlässt.

Daniel: Ungewohnt ist vermutlich schon der Beitritt: Um Twitter beizutreten, gehe ich auf Twitter.com. Und im Fediverse? Es gibt da eine Liste von Instanzen. Also falls ich das Fediverse mit Mastodon gleichsetze. Und was sind meine Auswahlkriterien für eine Instanz? Bisher gibt es nur zwei Möglichkeiten: Intensive Recherche oder Wahl aus dem Bauch heraus.

Weiterhin gibt es seit der Musk-Ankündigung gelegentlich Probleme durch die starken Wachstumsschübe. Wie schon 2018 ist das ein Nutzer*innenanstieg, auf den niemand vorbereitet war. Die meisten Instanzen werden ehrenamtlich betrieben. Statt eines hundertköpfigen Teams von IT-Leuten und Rechenzentren voller Hardware müssen hier pro Instanz Admins in deutlich kleineren Gruppen und mit weniger Resourcen auf sich gestellt über Nacht auf sich verdoppelnde Nutzerzahlen reagieren.

Aus eigener Erfahrung: Um auf Mastodon Leuten zu folgen, musste ich teilweise mehrfach klicken und manchmal klappte es trotzdem nicht.

Daniel: Im Gegensatz zu E-Mails, die ja auch inhärent föderativ funktionieren und mal ein paar Sekunden oder sogar Minuten später ankommen können, muss ein Klick auf einen „Follow“-Button bei Mastodon natürlich sofort funktionieren, egal auf welcher Instanz die zu folgende Person weilt. Aber all diese Formen von “Schluckauf” kennen wir aus den Anfangsjahren von Twitter auch. Die Software wird sich weiter entwickeln, Flaschenhälse werden beseitigt. Skalierung wird so einfacher.

Jetzt gibt es einige, die hier öffentlich-rechtliche Medien in der Pflicht sehen und fordern, dass die sich im Fediverse engagieren. Haltet ihr das auch für eine gute Idee und warum?

Leah: Es ist mit Sicherheit nicht falsch, wenn öffentlich-rechtliche Medien sich im Fediverse engagieren. Einfach weil das gut zu ihrem eigenen gesellschaftlichen Auftrag passt und sie ja selbst ab und zu Probleme mit den kommerziellen Angeboten haben, in deren Schema sie eben manchmal auch nur schlecht reinpassen. Grundsätzlich geht es aber auch darum, die Menschen da abzuholen, wo sie sind. Und wenn vermehrt Menschen im Fediverse sind, macht es auch Sinn, dort aktiv zu werden.

Daniel: Der Betrieb eigener Instanzen für eigene Inhalte bietet sich auch geradezu an! Wie toll wäre es, wenn die Heute-Redaktion mit heute@zdf.social tickern könnte? Die Software existiert ja bereits, man muss also nicht erst mit einer Neuentwicklung starten wie etwa bei den Mediatheken. So ist man souverän und kann Inhalte nach eigenem Gusto ausspielen. Begibt man sich dafür auf Instanzen von Dritten, macht man sich ja wieder ein Stück weit abhängig. Der Bundesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit (BfDI) bietet Behörden des Bundes mit social.bund.de übrigens bereits einen solchen Dienst an, die EU betreibt für ihre Organe EU-Voice.

Und sicher ist noch mehr denkbar, denn das Fediverse beschänkt sich eben nicht auf mehrheitlich textbasierte Kurznachrichten. Aber es wäre erstmal ein schnell implementierbarer Anfang ohne nennenswerte technische Hürden.

Was genau könnten, was sollten öffentlich-rechtliche Medien im Fediverse eigentlich tun?

Leah: Eigentlich das gleiche wie auf den nicht föderierten, kommerziellen Plattformen auch. Allerdings können sie dort eventuell freier und passender berichten, weil sie nicht darauf angewiesen sind, ihre Meldungen an die Algorithmen der kommerziellen Plattformen anzupassen. Das führt ja bekanntermaßen zu eher kontroversen und reißerischen Überschriften, weil das dort Aufmerksamkeit generiert. Im Fediverse wird die Aufmerksamkeit hingegen anders generiert, das ist schon ein Vorteil.

Daniel: Es gibt aber auch handfeste Vorteile im Fediverse, sofern man eine eigene Instanz hat: Inhalte können ausschließlich nach dem Auftrag der Öffentlich-Rechtlichen ausgespielt werden. Moralvorstellungen anderer Länder oder großer Aktionäre etwa würden keine Rolle spielen. Das kann in Zeiten, in denen die Ausspielwege immer mehr von Großunternehmen (und mittelbar von einflussreichen Einzelpersonen) kontrolliert werden, gar nicht hoch genug geschätzt werden. Für den reinen Content gibt es die Mediatheken, aber für das Micro-Blogging, die Interaktion mit der Community oder Push-Content ist man an Drittanbieter mit recht eigenwilligen, änderungsfreudigen und datenschutzfeindlichen AGB gebunden.

Und wie sieht es mit dem Anbieten eigener Accounts aus?

Daniel: Vielfach gibt es auch die Anregung, ARD und ZDF könnten selber eine öffentlich-rechtliche Alternative zu Twitter werden, also selbst Accounts anbieten. Ich habe mir noch kein abschließendes Bild dazu gemacht, ob ARD und ZDF diese Lücke selber füllen sollten oder ob es Konfliktpotential mit dem journalistischen Auftrag gibt. Aber die Hoffnung, dass jeder entweder bezahlt oder die Admins seines Vertrauens mit Spenden bewirft (was aktuell mein Modell ist), ist vermutlich nicht auf die breite Bevölkerung skalierbar.

Für den Fall, dass ARD und ZDF auf den Fediverse-Zug aufspringen und kräftig mit anschieben: Seht ihr da auch Gefahren, worauf sollten die Sender da achten?

Leah: Naja das Risiko ist immer das gleiche, wenn mehr Menschen eine neue Plattform nutzen. Zum einen beinflusst es existierende Dynamiken und manchmal werden auch schlechte Angewohnheiten mitgebracht. Durch die reine Anwesenheit der öffentlich-rechtlichen Sender würde ich aber erstmal kein Risiko sehen. Auch hier gilt eben, wie immer, nicht auf die False Balance rein zu fallen, falls es doch eine laute, aber unbegründete Minderheit wie Impfgegner, Rechte, etcetera gibt. Aber das ist ja heute schon genau so.

Daniel: Vor allem sollte man schnell und pragmatisch mit bestehenden Softwarelösungen für das Fediverse beginnen, und nicht erst etwas eigenes entwickeln: erst die Pflicht, dann die Kür. Sonst kommt der Zug zum Erliegen, bevor er etwas anschieben kann, um im Bild zu bleiben. Darf man seinen Toots glauben, lässt ZDF-Moderator Jan Böhmermann seine Mitarbeiter bereits an einer eigenen Instanz schrauben, und sogar der BfDI hat pragmatisch Hilfe angeboten, damit sie bald online gehen kann.

Daniel, du hast kürzlich Domains wie ard.social oder zdf.social reserviert. Warum hast Du das gemacht und was müssen ARD und ZDF tun, um die Domains von Dir zu bekommen?

Daniel: Eigentlich hatte ich nur gewitzelt, ob und wann ARD und ZDF sich wohl mit eigenen Instanzen melden würden. Aber dann sah ich, dass die sich förmlich aufdrängenden Domains noch frei sind. Und weil Entscheidungen in großen Strukturen oft länger dauern, habe ich mir die Domains gesichert. Lieber ich, als irgendwelche Grabber, die Domains für viel Geld gefangen halten. Und wer weiß, vielleicht sorgt dieser Move in den Häusern ja auch für zusätzliche Aufmerksamkeit.

Bei der ARD habe ich über Kontakte auch schon angefragt, ob man die Domain übernehmen will. Die fehlen mir beim ZDF. DMs sind offen! Ich würde mich freuen, wenn darauf etwas Sinnvolles passiert.

Zum Abschluss, gibt es irgendetwas, das ihr dem neugewählten ZDF-Intendanten Norbert Himmler gerne ausrichten würdet?

Leah: Seid da, wo die Menschen sind, und setzt euch für freie, nicht von Algorithmen dominierte Berichterstattung ein. Aufmerksamkeit ist heute eine harte Währung und man sollte eine gute Berichterstattung nicht zugunsten von Aufmerksamkeit und dem Ziel, sich nicht angreifbar zu machen, aufgeben. Ehrlichkeit ist, was zählt.

Daniel: Und bitte konsolidiert die ÖR-Mediatheken! Das mag nach meinem Plädoyer für föderierte Inhalte paradox klingen, ist es aber nicht: Die Mediathek kann ihrerseits Teil des Fediverse werden. Und natürlich dürfen offene Drittanbieter-Schnittstellen für die Inhalte nicht fehlen: Es gibt genügend Plattformen, für die sich eine offizelle App nie lohnen würde, für die es aber eine motivierte Community gibt.

Und es geht um viel mehr als nur die Inhalte selbst. Metadaten zu Filmen oder weiterführende Informationen zum Programm etwa. Da müsste im Hintergrund vermutlich viel in puncto Abläufe passieren. Aber es braucht vor allem Willen und weniger falschen Stolz auf das eigene Mediatheken-Produkt. Und Untertitel, Hörfassungen, Metadaten fühlen sich immer noch an wie der Beifang des linearen Programms. “Online first” ist mehr, als Sendungen nur ein paar Stunden vor linearer Ausstrahlung in der Mediathek zu haben!

Vielen Dank für Eure Einschätzungen. 

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6 Ergänzungen

  1. Fediverse (ein Kofferwort aus „federation“ und „universe“) oder Fediversum bezeichnet ein Netzwerk föderierter, voneinander unabhängiger sozialer Netzwerke, Mikroblogging-Dienste und Webseiten für Online-Publikation oder Daten-Hosting.

    https://de.wikipedia.org/wiki/Fediverse

  2. Ich sehe für die ÖR mit dem Fediverse eine große Chance. Oft wird ja (zurecht) kritisiert, dass ihre Inhalte nur (oder bevorzugt) auf kommerziellen Plattformen wie YouTube oder Instagram verbreitet werden. Zum Beispiel gibt es einige Funk-Formate ausschließlich auf Instagram, wodurch man zum Konsumieren dieser Inhalte gezwungen ist, die Plattform zu nutzen. Würden alle Inhalte auch (oder sogar exklusiv) auf den eigenen Plattformen erscheinen, würden auch die Nutzer von alleine dorthin wandern. Das lässt sich ja auch an den immer weiter steigenden Nutzerzahlen in den Mediatheken erkennen.
    Würde man diese und andere Kanäle mit einer PeerTube-ähnlichen ActivityPub-Schnittstelle erweiternund ins Fediverse integrieren (z. B. jede Sendung bekommt ihr eigenes Konto), bräuchten die Nutzer nicht mal mehr eigene Apps für die Inhalte, sondern bekämen die Inhalte ganz entspannt in ihren Feed. Damit fiele auch der weitere Kritik der mangelnden Interaktivität der Mediatheken weg. Nutzer könnten ganz normal unter jeden Beitrag kommentieren und sich austauschen, Beiträge favorisieren und boosten. Und dafür bräuchten sie nicht mal ein Konto bei den ÖR, sondern könnten ihr bereits bestehendes weiterverwenden.
    Ich sehe in dieser Utopie sehr große Potenziale und halte sie auch für realistisch, sofern der Wille da ist. Da die ÖR es ja schon schaffen, die Nutzer in die Mediatheken zu bewegen, kriegen sie sie sicher auch ins Fediverse.

  3. > …, wodurch man zum Konsumieren dieser Inhalte gezwungen ist, die Plattform zu nutzen. <

    Ich möchte dem nachdrücklich widersprechen. Niemand wird zu etwas gezwungen. Das sind Angebote, und Angebote kann man nutzen oder man lässt es.

    Auch ist niemand dazu gezwungen, eine Plattform zu nutzen. Wer sich Plattformen verweigert, räumt dem höhere Priorität ein, weil es dafür gute Gründe geben kann.

    1. Genau das habe ich auch geschrieben. MÖCHTE man die Inhalte des ÖRR, der exklusiv auf privaten Plattformen erscheint, konsumieren, muss man diese Plattformen nutzen, was in vielen Fällen sogar mit einem Nutzerkonto voraussetzt.

  4. Die Übernahme von Twitter durch Herrn Musk ist ein guter Anlass, dass sich unsere ÖR einmal ernsthaft Gedanken machen, wie es um ihre Digitale Souveränität bestellt ist.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.