Neuer EU-KodexTech-Konzerne wollen Desinformation das Werbegeld streichen

Google, Meta und andere große Konzerne haben der EU-Kommission zugesichert, künftig keine Werbung mehr neben falschen und manipulierten Nachrichten zu setzen. Kontrollieren will das die EU durch das neue Digitale-Dienste-Gesetz.

Mark Zuckerberg
Verspricht Schritte gegen Desinformation: Der Meta-Konzern von Mark Zuckerberg – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Xinhua

Einige der größten Konzerne der Welt und Werbeindustrieverbände versprechen, künftig keine Werbung mehr neben Falschnachrichten zu platzieren und auch das Bewerben von falschen und irreführenden Inhalten nicht mehr zu erlauben. Das Versprechen ist Teil eines neuen EU-Verhaltenskodex gegen Desinformation. Der Kodex werde die Anreize zur Verbreitung von Desinformation deutlich verringern, sagte EU-Kommissarin Věra Jourová am heutigen Donnerstag.

Der Verhaltenskodex soll aus Sicht der EU-Kommission die wachsende Ausbreitung von falschen und manipulativen Nachrichten im Netz deutlich verringern. Solche unerwünschten Inhalte werden in Brüssel unter dem Stichwort „Desinformation“ zusammengefasst. Jourová warnt etwa vor russischer Propaganda über den Krieg in der Ukraine.

Zuletzt hatte die Kommission Plattformen in der Covid-Pandemie zu stärkeren Vorgehen gegen Impflügen aufgefordert. Stimmen aus der Zivilgesellschaft warnen allerdings immer wieder davor, dass rechtliche Maßnahmen gegen Desinformation eine Einschränkung der Meinungsfreiheit bedeuten könnten, weil etwa Schritte gegen vermeintliche Falschnachrichten als Zensurwerkzeug genutzt werden können.

Unterzeichnet haben den Kodex gegen Desinformation die zwei größten Werbekonzerne der Welt: Google und der Facebook-Mutterkonzern Meta. Auch soziale Netzwerke wie Twitter, Clubhouse und TikTok nehmen teil, ebenso Werbeverbände wie die World Federation of Advertisers sowie NGOs wie Avaaz und Reporter ohne Grenzen.

Auffällig ist allerdings auch, wer fehlt: Nicht unterschrieben hat Telegram, das wegen fast völlig fehlender Inhaltemoderation beliebt für die Verbreitung von Desinformation ist. Es fehlen aber auch Apple und Amazon, die eine immer größere Rolle im Online-Werbegeschäft spielen. Der Amazon-Konzern ist lediglich durch sein Streamingportal Twitch vertreten. In der Unterzeichnerliste fehlt außerdem die Mozilla-Stiftung, die bei früheren Versionen des Kodex dabei war.

EU setzt seit 2018 auf Verhaltenskodex

Bereits seit 2018 versucht die EU-Kommission, mit dem Verhaltenskodex für Desinformation die Verbreitung von „Fake News“ im Internet zu bremsen. Anders als bislang bekommt die Neuauflage der Kodex durch das Digitale-Dienste-Gesetz der EU mehr rechtliches Gewicht. Das neue Gesetz schreibt „sehr großen Plattformen“ wie Google und Facebook vor, strukturelle Schutzmechanismen gegen die Verbreitung von Desinformation ergreifen zu müssen. Dazu soll künftig auch der Kodex gehören.

Scheitern die Plattformen auf systematische Art an der Durchsetzung ihrer Verpflichtungen, drohen Strafen von bis zu sechs Prozent ihres globalen Umsatzes – im Fall von Google und Meta wären dies Milliardenbeträge. Einzelne Verstöße der Plattformen gegen den Kodex können durch das Digitale-Dienste-Gesetz allerdings nicht geahndet werden.

Was die EU meint, wenn sie über Desinformation spricht

In dem Kodex verpflichten sich die Unterzeichnenden, ein System zur Prüfung von Webseiten zu schaffen, auf denen Werbung platziert wird. Sie sollen ihr konkretes Vorgehen öffentlich machen und unabhängigen Dritten Zugang zu ihren Plattformen gewähren, um die Einhaltung der Schritte zu überprüfen. Auch der Missbrauch von Werbesystemen durch Verbreiterinnen von Desinformation soll beschränkt werden. Um die Einhaltung dieser Versprechen zu prüfen, sollen die Unterzeichnerinnen regelmäßig Berichte mit Informationen vorlegen.

Aus Sicht von Expert:innen sind diese Bestimmungen ein guter Anfang – es fehle aber noch an vielen Details, sagt Clare Melford, die Gründerin des Global Disinformation Index, gegenüber netzpolitik.org. Es brauche etwa präzise Mindeststandards für den Datenzugang für Forscher:innen und Factchecker:innen. Auch müsse aus den Berichten der Plattformen deutlich hervorgehen, wie viel Geld mit Desinformation verdient worden sei, wo diese angezeigt wurde und wer die Zielgruppe gewesen sei.

Neben der Demonetarisierung von Desinformation enthält der neue Kodex eine Reihe anderer Versprechen der Unterzeichnerinnen. Künftig sollen Diensteanbieterinnen wie Facebook oder Twitter erlauben, Desinformation zu melden. Wenn ein Inhalt entfernt wird, soll dies konkret begründet und ein Beschwerdeweg dagegen geschaffen werden.

Umsetzung bis Anfang 2023

Der Kodex legt außerdem fest, dass politische Werbung als solche gekennzeichnet und mit Angaben über ihren Urheber und seine Ausgaben versehen sein muss. Die Unterzeichnerinnen sollen konsequent mit Fact-Checker:innen zusammenarbeiten und User:innen in allen EU-Sprachen einfachen Zugang zu deren Ergebnissen ermöglichen. Deutlich verbessern soll sich auch der Datenzugang für Forscher:innen. Während durch das Digitale-Dienste-Gesetz Sanktionsmöglichkeiten gegen große Plattformen für systematische Nicht-Einhaltung dieser Versprechen geschaffen wurde, bleiben sie für die anderen Unterzeichnerinnen rechtlich nicht bindend. 

Mit dem überarbeiteten Kodex setzt die EU einen Schritt in die entgegengesetzte Richtung als jene, die Elon Musk für seine geplante Übernahme von Twitter angekündigt hat. Musk will, wenn ihm die Übernahme des sozialen Netzwerks gelingt, dort im Großen und Ganzen nur noch illegale Inhalte entfernen. Desinformation, also Falschnachrichten und manipulierte Inhalte, sind aber in den meisten Fällen nicht illegal, zumindest in der EU. Mit dem Verhaltenskodex geht die EU-Kommission weiter hin zur Verrechtlichung der Inhaltemoderation bei großen Plattformen.

Die Unterzeichnerinnen erhalten nun sechs Monate Zeit, um ihre neuen Versprechen in die Tat umzusetzen. Anfang 2023 sollen sie Angaben über ihre Umsetzung in einem Fortschrittsbericht an die EU-Kommission veröffentlichen.

Deine Spende für digitale Freiheitsrechte

Wir berichten über aktuelle netzpolitische Entwicklungen, decken Skandale auf und stoßen Debatten an. Dabei sind wir vollkommen unabhängig. Denn unser Kampf für digitale Freiheitsrechte finanziert sich zu fast 100 Prozent aus den Spenden unserer Leser:innen.

11 Ergänzungen

  1. „Tech-Konzerne wollen Desinformation das Werbegeld streichen“

    Es ist jetzt nicht so, dass man sich fragt, was die bisher so den ganzen lieben Tag lang zu wollen gehabt hätten haben können hatten.

    Erinnere: Die Ölindustrie brauchte auch erst eine Erinnerung im Jahre 2240, um umzusteuern, obwohl sie nicht mal die Hand am Ruder gehabt hatte, denn wie wir wissen, wächst alles einfach von selbst so in der Gegend herum. Mal hier lang, mal da lang.

  2. Wenn immer mehr Fakten unterdrückt werden, weil sie nicht in die Agenda 2030 der EU passen, ist die Meinungsfreiheit in Gefahr. Wenn Fakten als Fake News eingestuft werden, dann ist das Beeinflussung von oberster Stelle. Chattkontrolle, digitales Dienste Gesetz als vermeintlicher Schutz unserer Kinder, Befugnisse der Strafverfolger erweitern, das alles beeinflusst die Meinungsfreiheit. Zweierlei Mass bei der Bewertung von Meinungen ist Gang und Gebe, gerade bei brennende Themen. Auf der einen Seite werden die großen Player verteufelt, auf der anderen Seite werden sie genutzt, um Fakten zu unterdrücken.

  3. >>> Google, Meta und andere große Konzerne haben der EU-Kommission zugesichert, künftig keine Werbung mehr neben falschen und manipulierten Nachrichten zu setzen. <<<

    Das bedeutet die toxischen Plattformen geben es zu, dass sie neben Hass und Hetze auch mit Desinformation durch Werbe-Einnahmen profitiert haben.

    Und nun verzichten diese schädlichen Konzerne großzügig auf ihre "Peanuts", eher weil doch ein Teil der Werbekundschaft ihren Namen nicht neben solcher Propaganda sehen wollen?

    Weiterhin aber werden solche Inhalte aber auf den Plattformen weiter verteilt, aber dafür aber noch fokussierter, weil distracting advertising fehlt.

    Warum will die Politik nicht erkennen, dass diese Konzerne eine politische Agenda befördern, zum Nachteil rechtsstaatlicher Demokratien. Weg mit den Steuern, weil der Staat dadurch geschwächt wird. weg mit staatlicher Regulierung, weil die Konzerne noch mehr Macht anstreben. Weg mit Bildung, weil dumme Menschen überflüssigen Kram konsumieren. Mehr YT-Videos glotzen, weil der Mensch in dieser Zeit nicht kritisch denkt.

  4. Wetten das dann eines Tages auch „Kapitalismuskritik“ oder andere unerwünschte Inhalte z.B. Whistleblower und so weiter dann als „Desinformation“ gewertet werden ?

    So wichtig ich es finde der AfD und den Querdenkern einen Riegel vorzuschieben so finde ich genau solche Vorhaben dennoch recht riskant….

  5. Zwischen „Moderation“ und „Zensur“ verläuft ein sehr schmaler Grat. Wollen oder sollten wir Gewinn-orientierten amerikanischen Firmen die Verantwortung für die Moderation oder Zensur überlassen?
    Im Grundsatz müsste jede Moderations-Entscheidung, egal ob löschen oder drin lassen, von einem regulären Gericht getroffen werden. Das ist natürlich von der Menge her illusorisch.
    Die Initiative der EU bekämpft das Symptom statt der Krankheit. Die Krankheit liegt in einem Geschäftsmodell, das aus Aufenthaltszeit, Klickzahlen, Datensammlung und persönlichen Profilen personalisierte Werbung macht und damit Geld. Das Geschäftsmodell gehört verboten!

  6. Vorab: Ich finde die Überschrift nett, dachte aber zuerst an „dann dürfen die jetzt ohne dafür zu Zahlen Werbung schalten?!“. Doch nein gemeint ist die Monetarisierung der Freiwilligen Gratisarbeiter:innen die Inhalte für die Sozialen Medien erstellen.

    An der Stelle wundere ich mich immer noch wie die moderne IT damit dadurch kommen konnte. Sie verbreiten die Inhalte, also die Desinformation, können über die Algorithmen diese sogar noch viel effizienter und an jeden Menschen auf diesem Planeten verteilen und so viel Verhalten sammeln über die Leser:innen und wir halten nicht diese (digitalen) Verlage verantwortlich für deren Zugeteilte Reichweite von Unsinn, sondern die Autoren. Obwohl um mit dem Blickwinkel der traditionellen Medien zu Argumentieren: Die Zeitung und der Redakteur bestimmt was gesendet wird und diese Instanzen eigentlich die Verantwortung tragen müssen für die Inhalte.

    Daher entweder nur 1:1 Kommunikation. Oder Massenkommunikation 1:Millionen und dann haftet eben einfach Facebook, die Zeitung oder Elon Musk für die Inhalte und die Reichweite.

    Es ist einfach ein Armutszeugnis das wir diese Medienimperien damit durch kommen lassen. Niemand kann erwarten das ein Fool, welcher Desinformationen, eine Challenge oder Spam teilt dafür die Verantwortung tragen sollte.

    Die Desinformationen sind nicht unbedingt die Urheber:innen sondern vielmehr die IT-Systeme welche es durch Priorisierung und Eigeninteresse, verbieten das sich die Menschen mit sinnvollen Dingen aus Eigeninteresse beschäftigen.

    1. Diese Argumentation verneint den muendigen Buerger und seine Moeglichkeit zur Diskursteilnahme und propagiert eine Gatekeeperfunktion durch Redaktionen und Dienstleister, also das Gegenteil von demokratischen Medien.

      Kann man machen, ist dann halt China.

    2. 1:Alle gilt halt in der Theorie dann immer, wenn etwas im Internet steht, für jede kleinste Seite, und jeden kleinsten Dienst. Natürlich haben die Plattformen ein riesiges Publikum und STEURN z.T. die Aufmerksamkeit. Es ist aber auch dort problemlos möglich, wie mit einer kleinen Internetseite von einem Hostinganbieter, mit 0-5 Views auf Dauer unterzugehen.

      Bei Massenmessengern ist es noch mal eine andere Qualität, aber auch technisch eine andere Sache.

      Ich hoffe das wird mit Experiment und Intelligenz angegangen, ohne alles so kleinzuschneiden, dass nur noch die Riesenplattformen und skrupellose Menschenverticker übrigbleiben. Etwas „für Menschen“ im Internet zu machen, ist kaum noch möglich, wenn die Menschen dort selbst etwas tun oder schreiben sollen. Die exponieren sich nur gegenüber der Auswertungsindustrie und zukünftigen Regimes. Also bleiben die übrig, denen die Nutzer egal sind, die Werbung verticken wollen, oder die so geblendet von „der Sache“ sind, dass ihnen die Folgen egal sind.

      1. Es ginge immer noch mit Transparenz, der Anbieter kann halt nur keine allgemeinen Versprechungen mehr machen, wenn der Staat sich den Zugriff vorbehält.

        Sollte es das „Schlupfloch“ geben, wenn z.B. Kommunikation getrennt abläuft oder nicht Teil eines Dienstes ist, dass z.B. Entscheidungsdaten nicht angerührt werden (~ über Person X Sachen wissen wollen… alle Daten über X fordern), dann wären noch Sachen denkbar, bei denen Entscheidungsdaten (temporär) gespeichert werden.

        Man stelle sich eine Weltsimulation mit lauter autonomen Agenten vor, bei der Aber Menschen bei Entscheidungen helfen können, inspiration geben, o.ä. Dabei sind viele Testdaten nötig, um Teile der Weltsimulation an „KI“ abzugeben. Sind die Entscheidungsdaten in Gefahr abgerufen zu werden, ist das vielleicht schon nicht mehr verantwortbar, denn es geht ja nicht „nett“ weiter. Höchstens könnte man es so anlegen, dass niemand jemals eine Figur ständig bedient, sondern immer wieder durchgewühlt wird. Vor Gericht ausprobieren ist aber einfach: kein Deal. Verkompliziert jegliches solches, bzw. verunmöglicht es.

        Was ist die Folge? Es gibt nur noch Facebooks u.ä., wo die Menschen sich dann so benehmen, wie man es gerne hätte, weil der Test nun mal nicht mehr hergibt, auch nicht wenn man bei den Menschen eine Unsicherheit einflüstert, ob sie denn vielleicht irgendwo doch mal unbeobachtet sein könnten.

  7. Meta peitscht seine Mitarbeiter auf die Rezession ein:

    The company must „prioritize more ruthlessly“ and „operate leaner, meaner, better executing teams,“ Chief Product Officer Chris Cox wrote in the memo, which appeared on the company’s internal discussion forum Workplace before the Q&A.

    https://www.reuters.com/technology/exclusive-meta-girds-fierce-headwinds-slower-growth-second-half-memo-2022-06-30/

    https://www.reuters.com/technology/exclusive-facebook-owner-meta-tells-hardware-staffers-prepare-cutbacks-2022-05-11/

    Die Grenzen des digitalen Feudalismus!

  8. Our joint investigation found an interconnected web of accounts on Twitter,
    Facebook, Instagram, and five other social media platforms that used deceptive
    tactics to promote pro-Western narratives in the Middle East and Central Asia.
    The platforms’ datasets appear to cover a series of covert campaigns over a
    period of almost five years rather than one homogeneous operation.

    Quelle: https://public-assets.graphika.com/reports/graphika_stanford_internet_observatory_report_unheard_voice.pdf

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.