NetzwerkdurchsetzungsgesetzAb Februar gilt die Meldepflicht. Eigentlich.

Ab Februar sollen große Anbieter sozialer Netzwerke mutmaßlich strafbare Inhalte an das BKA melden. Doch viele Anbieter wehren sich. Was passiert jetzt? Ein Überblick.

Ein fiktives Hassposting im Facebook-Stil. Enthält "Wir kriegen dich!", der Cursor zeigt auf "Gefällt mir"
VIelleicht strafbar? Dann müsste die Plattform den Post ans BKA melden (Symbolbild). – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / photothek

Ab dem ersten Februar müssen große Anbieter sozialer Netzwerk potenziell strafrechtlich relevante Inhalte an das BKA melden. Das entstammt einer Neuregelung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes durch das Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität, das bereits Mitte 2020 im Bundestag beschlossen wurde. Ab Februar 2022 gilt nun die Meldepflicht.

In der Praxis verläuft der Start jedoch überaus holprig. Wir haben daher eine Übersicht erstellt: Was gilt (eigentlich)? Wer ist zur Meldung verpflichtet? Wer meldet wirklich? Und was ändert sich jetzt?

Die Rolle des BKA als Zentralstelle

Das BKA nimmt bei den Meldungen die Funktion einer Zentralstelle ein. Das bedeutet: Erfahren die Online-Anbieter von möglicherweise illegalen Inhalten auf ihrem Dienst, müssen sie diese an das BKA weiterleiten, mitsamt der IP-Adresse, von der diese gepostet wurden. Es geht dabei um vermutete Straftaten wie das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, Gewaltdarstellungen oder bestimmte Bedrohungen.

Das BKA prüft die Inhalte und kann bei den Internetanbietern wie Telekom oder Vodafone die Bestandsdaten zu der übermittelten IP-Adresse abfragen – also herausfinden, wer hinter einem Anschluss steckt. Soll ein Verfahren eingeleitet werden, gibt das BKA dieses an die entsprechenden Staatsanwaltschaften und Länderpolizeien weiter.

Das BKA rechne mit 250.000 solcher Meldungen pro Jahr, sagte ein Sprecher der Behörde dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Man erwarte daraus rund 150.000 Strafverfahren. Um dieses Aufkommen zu bearbeiten, sollen in der Zentralen Meldestelle für strafbare Inhalte im Internet (ZMI) künftig etwa 200 BKA-Beamt:innen arbeiten.

Für wen gilt die neue Meldepflicht?

Die Regelung gilt für soziale Netzwerke mit mehr als zwei Millionen registrierten Nutzer:innen in Deutschland. Welche das konkret sind? Das für die Durchsetzung des NetzDG zuständige Bundesamt für Justiz (BfJ) führe keine abschließende Liste, heißt es in der Antwort auf eine parlamentarische Anfrage aus dem Februar 2021.

Transparenzberichte nach NetzDG hätten jedoch folgende Plattformen veröffentlicht, heißt es dort: Facebook, Twitter, Google+ (wurde 2019 eingestellt), YouTube, Instagram, Reddit, TikTok, Change.org und SoundCloud. Laut Ansicht des BfJ fallen auch Teile des Messengers Telegram unter die Regelung, aber der Betreiber kooperiert nicht. Deshalb laufen Bußgeldverfahren. Wir haben beim BfJ nochmals nachgefragt, welche Plattformen aktuell unter das NetzDG fallen und werden dies nachtragen, sobald wir eine Antwort erhalten.

Wer meldet ab 1. Februar wirklich?

Längst nicht alle Anbieter, die derzeit sonstigen Regeln aus dem NetzDG nachkommen, werden auch ab Februar Inhalte an das BKA melden. Denn es laufen mehrere Klagen gegen die Regelung. Den Anfang machte die Google-Tochter YouTube, bereits im vergangenen Juli reichte die Videoplattform eine Feststellungsklage vor dem Verwaltungsgericht Köln ein, gemeinsam mit einem Eilantrag. Facebook schloss sich YouTube an. In der vergangenen Woche zog TikTok nach, nun gab auch Twitter seine Klage bekannt. Wann das Verwaltungsgericht Köln in den Verfahren entscheidet, ist derzeit nicht absehbar.

Eine aufschiebende Wirkung haben die Verfahren zwar nicht, das Justizministerium sicherte jedoch im August zu, dass man Facebook und Google vorerst nicht zur Meldung zwingen würde, solange es keine Entscheidung in den Eilverfahren gebe.

Start mit „Alternativszenario“

Wie das BKA gegenüber dem Spiegel sagte, habe sich bisher keine der großen Plattformen „technisch“ an die Schnittstelle des BKA angebunden. Was passiert also am 1. Februar überhaupt?

Laut Recherchen des Spiegel startet zunächst ein „Alternativszenario“. Die Meldungen an die ZMI kommen dann noch nicht von den großen Plattformen, sondern aus anderen Projekten, etwa aus der Meldestelle von Hessen gegen Hetze. Dort können Nutzer:innen Hassrede melden. Die IP-Adressen der Inhalteerstellenden bekommen die BKA-Beamt:innen dadurch aber nicht. Sie müssen also selbst ermitteln, wer hinter einem Posting steckt, wenn es sich tatsächlich als strafbar herausstellt. Oder auf die Kooperation der Anbieter hoffen.

Die Kritik an der Meldepflicht

Streit um die Meldepflicht gab es bereits während des Gesetzgebungsverfahrens. Der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber kritisierte damals, dass Daten wie die IP-Adresse erhoben und gespeichert werden sollen, bevor ein Anfangsverdacht überhaupt geprüft wurde. Darin liegt die Sorge, dass die Daten vieler Menschen beim BKA landen, auch wenn sich herausstellt, dass sie nichts Illegales getan haben.

Ähnlich argumentieren die Plattformen in ihren Klagen. Dem Spiegel sagte ein Vertreter von Twitter, dass die Weitergabe „private Unternehmen in die Rolle von Staatsanwälten zwingt, indem sie Nutzer auch dann an die Strafverfolgungsbehörden melden, wenn kein illegales Verhalten vorliegt.“

Kritik gibt es nicht nur an den rechtlichen Bedingungen, sondern auch bei der praktischen Umsetzbarkeit. Denn die 150.000 vermuteten Strafverfahren betreffen nicht nur das BKA, dafür braucht es auch Länderpolizeien, Staatsanwaltschaften und Gerichte – und die könnte die Menge der Verfahren quantitativ überfordern. Der Deutsche Richterbund fordert daher neue Stellen – und zwar viele. Gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland sagte Bundesgeschäftsführer Sven Rebehn: „Um den Verfolgungsdruck bei Straftaten im Netz flächendeckend zu erhöhen, braucht es bundesweit sicher einige hundert zusätzliche Staatsanwälte und Strafrichter.“

Deine Spende für digitale Freiheitsrechte

Wir berichten über aktuelle netzpolitische Entwicklungen, decken Skandale auf und stoßen Debatten an. Dabei sind wir vollkommen unabhängig. Denn unser Kampf für digitale Freiheitsrechte finanziert sich zu fast 100 Prozent aus den Spenden unserer Leser:innen.

6 Ergänzungen

  1. Die besagten Plattformen sind aktuell nicht in der Lage ihr eigenes Datenfeld zu überwachen. Sie sind abhängig von Prüfalgorithmen – und die sind ziemlich doof und nicht entsprechend programmiert – und von Userinnen, die einschlägige Kommentare melden. Zum einen ist diese unbezahlte und ungeregelte Dienstleistung nicht verlässlich und zum anderen sind die Algorithmen, die diese Meldungen bearbeiten auch nicht viel besser gemacht als die Algorithmen, die jeden Kommentar prüfen.

    Das grösste Problem sind aber die potenziellen False Positives, die womöglich beim BKA landen. Es ist schon jetzt absolut gruselig, was Userinnen unternehmen müssen, wenn z.B. Videos als „inappropriate“ gesperrt werden, obwohl sie es tatsächlich gar nicht sind, um die Sperrung wieder aufheben zu lassen. Eh ein tatsächlicher Mensch mit den notwendigen Befugnissen dazu beauftragt wird, Inhalte zu validieren, ist ein z.T. wochenlanges Hin- und Her mit Superlowlevel-Support-Mitarbeiterinnen nötig. Ich denke die Plattformen haben ein sehr hohes Interesse daran, dass die eigenen Userinnen nicht fälschlicherweise in der BKA-Datenbank landen. Um das sicherzustellen und trotzdem der gesetzlichen Verpflichtung nachzukommen, ist enormer Aufwand notwendig. Und wenn dieser nicht leistbar ist, kommt entweder das BKA zu kurz, oder die Userinnen. Ihnen wird dann nämlich die Nutzung eingeschränkt. Videos können dann nicht mehr niedriglatent hochgeladen werden und Kommentarsektionen lassen keinen freien Text mehr zu, sondern nur noch vorgefertigte Kommentarsnippets bzw. Daumen hoch oder runter.

    Ich frage mich auch, was das BKA mit den Meldungen anfangen soll? Die haben ja nichtmal genug Personal, um die IHNEN BEKANNTE Kinderpornographie aus dem Netz zu entfernen. Das stinkt nach einer Vorratsdatenspeicherung von IP-Adressen. Wie kommt man wieder aus der Sammlung heraus, wenn man da mal drin gelandet ist? Wie sicher ist man vor kriminellen BKA-Beamtinnen und einem u.U. komplett kriminellen BKA-Apparat, wen z.B. die AfD oder andere Fascho-Parteien an die Macht kommen?

  2. Die üblichen Verdächtigen unter den plattesten aller Plattformen finden sich auch im Zusammenhang mit den Angriffen auf das US-Capitol:

    The list of names being scrutinized by the House committee for their role in the Jan. 6 attack on the Capitol keeps growing.

    Big Tech firms

    The committee has criticized Alphabet, Meta, Reddit and Twitter for allowing extremism to spread on their platforms. The panel has said that the four social media companies have failed to adequately cooperate with the inquiry.

  3. Unabhängig von den Praktikabilitätserwägungen im Artikel frage ich mich, wie sich z. B. das NetzDG auf einen Anbieter wie Telegram in Dubai anwenden lassen soll.

    Wir würden uns auch dagegen wehren, wenn für Soziale Netzwerke hier auf einmal die Gesetze von Dubai oder Nordkorea gelten sollten. Und wenn der Anbieter nicht der deutschen Gesetzgebung unterliegt, ist er auch nicht verpflichtet, sich darum zu kümmern, ob und wieviel Deutsche sich da anmelden.

    Die einzigen, denen was verboten werden kann, wären dann Deutsche, die den Messenger nicht runterladen dürften oder Werbetreibende aus D, die dann dort keine Werbung schalten dürften.

    Alles andere ist zwar politisch genehm, entspricht aber nicht den Realitäten.

  4. Wer Meinungsfreiheit unterdrückt, verhindert, dass sich Gesellschaften weiterentwickeln können.

  5. Ich möchte
    1. dass ein Tatbestand der fahrlässigen Rechtsbeugung (§ 339 StGB) in das Strafgesetzbuch aufgenommen wird,
    2. die Rechnungshöfe des Bundes und der Länder die Möglichkeit bekommen, Politiker strafrechtlich und zivilrechtlich anzuklagen
    wofür das Grundgesetz und die Landesverfassungen ergänzt werden muß (Art 46 GG)
    3. Eignungstests für Politiker/innen

    Kann Netzpolizik.org mir dabei helfen?

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.