Netzneutralität bedrohtEntzauberte Mythen der Industrie

Netzbetreiber lobbyieren seit Jahren für ein Gesetz, das ihnen mehr Geld in die Taschen spülen soll. Nächstes Jahr könnte ihnen die EU nachgeben. Jetzt haben Expert:innen ein Papier vorgelegt, das zeigt: Das Vorhaben basiert auf Mythen und könnte das Internet bedrohen.

Mit den Märchen großer Tele­kommunikations­unternehmen will ein Papier zivilgesellschaftlicher Organisationen aufräumen. (Symbolbild) – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Anthony Tran

Zumindest einen Mythos haben große Tele­kommunikations­unternehmen einigermaßen erfolgreich in die Welt gesetzt: Es sei ungerecht, dass IT-Konzerne wie Netflix viel Datentransfer verursachen, sich aber nicht am Netzausbau beteiligen würden. Große Inhalteanbieter müssten deshalb einen „fairen Beitrag“ leisten, damit der europäische Sprung ins Gigabit-Zeitalter besser gelingt, so die Erzählung einschlägiger Lobbyorganisationen.

Damit ist die Industrie in Brüssel bislang gut durchgekommen. Unter dem von ihr geprägten Schlagbegriff „Fair Share“ denkt die EU-Kommission derzeit über Modelle nach, mit denen sie den Wünschen großer Netzbetreiber entgegenkommen will. Es könnte darauf hinauslaufen, dass betroffene Inhalteanbieter Geld an große europäische Tele­kommunikations­unternehmen ausschütten müssten, damit sie auch künftig ihre Nutzer:innen erreichen können. Ein konkreter Gesetzesvorschlag der EU-Kommission wird für Anfang nächsten Jahres erwartet.

Entzauberte Mythen

Bevor es dazu kommt, räumen nun zivilgesellschaftliche Organisationen mit den gängigsten Mythen dieser Debatte auf. Ein letzte Woche veröffentlichtes Papier (Englisch) greift dabei die Argumente der Betreiberlobby auf und liefert sachliche Antworten. Verfasst von der österreichischen NGO epicenter.works und unterstützt von neun weiteren NGOs, darunter dem Chaos Computer Club und Digitalcourage, will es „über die vielen Falschinformationen der Industrie“ aufklären.

So seien etwa die diskutierten Ansätze nicht mit der Netzneutralität vereinbar – anders, als es die Industrie und die Kommission darstellen. Erst im Vorjahr hatte der Europäische Gerichtshof festgestellt, dass sogenannte Zero-Rating-Modelle gegen EU-Recht verstoßen, weil sie bestimmte Datentransfers benachteiligen. Dies sei mit einer Zugangsgebühr in die Netze von Telekommunikationsunternehmen kaum anders, schließlich müssten dann Transfers zwangsläufig unterschiedlich behandelt werden, heißt es in dem Papier.

Grundsätzlich falsch sei auch die Überlegung, etwaige Zwangsgebühren an den Datenverbrauch zu koppeln: „Der Bandbreitenbedarf eines Online-Dienstes korreliert nicht mit seinem Umsatz“. Wenn man schon über Umverteilung und „Fair Share“ diskutiere, müsste man Marktriesen wie die Handelsplattform Amazon oder Suchmaschinen wie Google in den Blick nehmen, die indes gerade mal 1 Prozent des weltweiten Traffics verursachten.

Im Unterschied zu den von der Industrie finanzierten Studien stützt sich das NGO-Papier vor allem auf Untersuchungen von Regulierungsbehörden wie dem Gremium Europäischer Regulierungsstellen für elektronische Kommunikation (GEREK) und auf unabhängige wissenschaftliche Arbeiten.

„Virtuous Cycle“ des Internet-Ökosystems

Die hatten sich das Thema schon vor rund einem Jahrzehnt näher angesehen, als eine ähnlich gelagerte Debatte lief. Ältere wie aktuelle Untersuchungen zeigen etwa, dass die wahren Engpässe beim Infrastrukturaufbau bei mangelnden Baukapazitäten und komplizierten Genehmigungsverfahren liegen. Ohne Lösung dieser Probleme würden bereits geplante Ausbauprojekte schlicht teurer werden, argumentiert das Papier. Zudem sei alles andere gesichert, dass Mehreinnahmen für die Telco-Industrie auch tatsächlich in den Infrastrukturausbau fließen würden.

Ebenso gebe es keine belastbaren Beweise für die Behauptung, Netzneutralitätsregeln würden Investitionen in den Breitbandausbau verhindern. Stattdessen warnt unter anderem GEREK davor, dass das diskutierte „Sending Party Network Pays“-Modell das Internet-Ökosystem „signifikant beschädigen“ könnte.

Unter die Räder würde dabei nicht nur die Netzneutralität kommen, sondern auch der sogenannte „Virtuous Cycle“ des Internets. Es ist der Treiber für den gesamten Markt: Datenverbrauch entsteht ja in erster Linie deswegen, weil Online-Dienste attraktive Produkte anbieten, die von Nutzer:innen nachgefragt und aufgerufen werden. Dafür bezahlen sie bereits eine monatliche Rechnung, vielleicht bestellen sie sogar einen leistungsfähigeren Internetanschluss. Das wiederum macht neue Internet-Dienste möglich, die mehr Bandbreite benötigen.

Von diesem etablierten Kreislauf hat die Branche bislang prächtig profitiert: Erst kürzlich vermeldete der deutsche Marktführer Deutsche Telekom Wachstumsraten von knapp 9 Prozent und kündigte höhere Dividendenzahlungen an. Die US-Tochter wirft sogar so viel Gewinn ab, dass das Unternehmen Aktienrückkäufe im zweistelligen Milliardenbereich angekündigt hat. Am Geld, so scheint es, liegt es also nicht.

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10 Ergänzungen

  1. Im Grunde ist das doch einfach zu erklären wenn man mal annähme das Internet wäre nur EIN Netz das EINEM Anbieter gehören würde.

    Die Endkunden bezahlen dem ihren Internet-Anschluss. Mehr Leistung, mehr Kosten.
    Damit rufen sie Dienste ab, von den Anbietern. DIE Zahlen auch für ihren Internet-Anschluss und das bestimmt nicht wenig. So ist der Download beim Kunden der Upload beim Anbieter. Und der Netzbetreiber ist von beiden schon bezahlt worden für seine Dienstleistung.

    Wenn der jetzt von den Anbietern NOCH MAL Geld verlangt… auf Welcher Realistischen Grundlage sollte das gehen? Kurz: Es gibt keine! Außer Geldgier und Erpressungsversuchen!

    1. Du hast gerade einen weiteren Mythos geschaffen.
      Denn, in der Realität gibt es kein Internet und es gehört nicht nur einem Anbieter.

      1. Ich schrieb dazu „wenn man mal annähme“ aber ich weiß das es nicht so ist. Dennoch ist es prinzipiell so das Jeder Provider sich bezahlen lässt für seinen Anschluss. Das „Kostenlose Informationen“ Mantra Liegt drüber, und es ist ein Layer 8 Problem.

        „Internet“ ist auch nur der Name für ein Netz das Netze verbindet. Im Grunde gibt es also wirklich kein Internet, sondern Kleinstaaterei mit Zoll und Maut-Wucherstellen an jeder Grenze. :-)

        Wenn jemand daraus einen Mythos bastelt dann hat er was Falsch verstanden, Handelt böswillig oder hat sonstige Intentionen. Nicht mein Problem!

        1. „Jeder Provider sich bezahlen lässt für seinen Anschluss.“ – und nachdem die Anschlüsse INNERHALB des Internets ja auch exisitieren, versuchen sich die Anbieter das auch -nach Aufwand- bezahlen zu lassen.

          Und statt, das die sich hinsetzen und Vertäge machen, wird das über die gesetzgeberische und politische Bande und noch mehrfach gespielt. Und die Netzneutralitätsaktivisti mal wieder vor den Karren gespannt.

          Das Problem wäre ziemlich geräuschlos lösbar und würde in relativ wenig finanziellem Impact für ein paar große Spieler (Google ist nicht nur eine Suchmaschine mit 1% Verkehr, die betreiben mit YouTube einen Dienst der ganze Teilnetzwerke im Verkehr ertrinken lassen kann) aus dem Weg zu schaffen. Hier immer drauf hinzudeuten, das ja gefälligst die Endnutzerin alle Kosten zu tragen hat ist na ja … so monopolkapitalistisch … und etwas unverständlich.

          1. Google wie auch andere schlagen mit eigener fiber in peering points auf, solche interconencts faehrt jeder auf eigene Kosten an. Netflix und andere stelle eigene cache server auf, die haben alle vereilte Infrastruktur auf ihre Kosten.

            Und natuerlich zahlen den Anschluss eines ISPs an den peering point dessen Benutzer. Oder den upstream, wenn ISP zu klein, aber ueber die kleinen redet eh keiner. Wer sonst, ist schliesslich dessen Dienstleistung. Machen alle, also fairer Wettbewerb.

          2. „Netflix und andere stelle eigene cache server auf, die haben alle vereilte Infrastruktur auf ihre Kosten.“

            Die Kunden zahlen das schon noch. Und der Rest des Netzes ist Infrastruktur, die andere Zahlen.

            Das sind einfach fundamentale Designfragen, da kann man nicht mit Lobbykacke dran herrumschmieren, wenn man eine Zivilisation haven will. So sehe ich diese Vorstöße.

            „Machen alle, also fairer Wettbewerb.“
            Das ist immer auch mit Vorsicht zu genießen. In Japan werden z.B. traditionelle Künste gefördert, gerade bei ganz kleinen Ein-Mensch-Klitschen (absichtlich schlechtes Besipiel). Das Problem ist, dass die großen bereits die Gesetzgebung mit verzerren, i.d.R. zum Schaden aller kleineren Veranstaltungen. Fairen Wettbewerb sehe ich bei 4k, 8k, 128k -Streaming auch nicht wirklich, weil im Zweifel wirklich die Leitungen verstopfen, ohne dass es derart sinnvoll ist. Trotzdem bleibt es eine fundamentale Designfrage, also ergibt es keinerlei Sinn hier mit einem Lobbyschnitzel dran herumzuwischen – viel schlimmer noch, wenn die Konzerne, wohl unter erhöhten Abgaben, einen Freischein bekommen, wegen dem dann Fundamentalreformen unmöglich bzw. analog zum Aztomausstieg sehr teuer werden.

    2. Lass mal gucken. Datenverbindungsschichtprotokoll verbraucht ohne TCP/IP Protokollantwort 56 kb im Download. Nennt sich Primärmultiplexanschluss. Größe der Übertragung bei Anschluss ohne Zugangsberechtigung: 2 MB. Grund: Standleitung.

      2 Mb auf alle 56 KB. Aber wenn die Werbemittel der Unternehmen dann an die Provider wie Anbieter gehen sollen, anstelle in die Fördermittelliquitation der jeweiligen Geschäftsvertragsweiterführung heult die gesamte Werbemittelindustrie herum, dass der Datenmanager des EU rechtes den Router als Server verpachtet das eigentlich nicht nur als Beratung auszuweisen hat.

      Auch ohne Verweigerung des Gerätes zum Anschlussverteiler, folgt der Logik erstmal nur, dass 90 Prozent der Argumente der Netzneutralitätsbefürworter kaum mehr Interesse haben, als der die Produktionsmenge des Grenzerlöses gleichwertig verteilt zu sehen. Technisch gesehen sind alle Argumente der Netzneutralitätsbefürworter Schrott, lassen wir außen vor, dass der User, nicht der Markt, die Durchschnittskostenerhöhung tragen würde, auch wenn er dafür mehr Bundles angeboten bekommt. Nintendo macht das bei der Switch aktuell so – Dort bekommst du die ganzen Atari Spiele im Bundle fürn 50er, und der ist Dauerrabattiert aufn 10er. Dafür ist jedes kostenfrei Smartphonespiel, dass 100 mal mit Werbung beklont ist, fürn 1 Euro , oder in Rabatt auf nen Euro

      Kann man bringen, aber das einzige Argument was dann zieht, wäre , dass die Kapitalverzinsung der Angebote (Eindverbraucherpreis) höher sein muss, als die Nachfrage ihrer Angebotserfüllung. 100 Euro pro Monat für Netflix und Sessionangebotseinbindung anderer Teilhaber der Netzneutralität – Prima, die internationale Onlinegemeinschaft hat sich auch 30 Jahre den Arsch aufgerissen, damit du bei 99 Cent pro Lied dem Künstler Kapitalrendite zukommen lassen kannst.

      Das langt der Industrie schon, um Netzneutralität, wie übrigens im „Hier, honig um eure Mäuler“ die Urgesteine des modernen Internets 2016-2018 betonten, darauf zu reduzieren, dass es hier um simple Werbemaßnahmen geht, die als Ausschüttung verteidigt werden sollen.

      „Wenn der jetzt von den Anbietern NOCH MAL Geld verlangt… auf Welcher Realistischen Grundlage sollte das gehen?“ – Sky macht das schon ewig, aber richtig, bloss nicht gegen die Sportförderung geifern.

      Netzneutralität funktioniert, wie du wahrscheinlich verwechselt, wenn wir Top-Level-Domains nicht an einer Servereinbindung, sondern einer Verbindungsbeschreibung erbringen würden, was aber Sinnfrei ist, weil, also meine Browser können das, die meisten Dateiformate auch ohne Addons Wiedergeben können. Zurück zu der Zeit, als wir für .mp3s noch 10 Player brauchten, weil die Kilobyterate in der Abtastung auch die Metadatenformate überträgt? Nur weil Mikrowellengläser nicht zur Verstärkung von Signalen genutzt werden brauchen, heißt das nicht, dass die Abtastung über die Leitung wie in Hollywood Filmen nicht möglich ist.

      Ich hab hier eines dieser Smartphones ohne Audiobüchse, ich brauch aber nur einen Zugangsidendifkator für das Empfangen des Radios als Antennenersatz. HTC behauptet ja, Audi ist dran schuld, dass sie ihr Herstellerbundle „Audosteuerung während Autofahren“ einstampfen mussten. Netzneutralität ist das Argument, wieso HTC audi international unterlag.

      Wenn man auf Netzpolitik Staats und Gesellschaftspriosierungsbefürworter liest, während aber die Staatliche Vertragssicherung dir am genutzten Gerät die Leistung abzweigt. das ist so witzig, wäre es nicht so verflucht ernst. Unkomisch, diese Ganzen „Wir wollen zum Nachdenken und Eigenverantwortung der Enduser aufrufen“ geschmiere. Irgendwann tragen jene Lobbyabzeichen für „Diese Universität unterstützt Online Suchmaschinen nicht, bitte zahlen sie 2 Cent für die Zugangsberechtigung zu Exklusivmaterial, dass in jedem Lehrbuch als Quelle ausgeschrieben ist“

      1. > Lass mal gucken. [und viel mehr Technogebabbel]

        Was war das denn? Ein „Hold my Beer“ Versuch? :-)

        Vielleicht versuchst du es einfach noch mal – in leichter Verständlicher Sprache. Oh, und wenn du mich schon zitierst dann mache es richtig (mit >) damit es kenntlich wird. Ansonsten wäre mein Fazit zu deinen Ergüssen „Dieser Aufsatz kein Sinn“ Gedrechselte Worthülsenkombinatorik ohne Erkennbaren Faden oder Aussage.

        > Nennt sich Primärmultiplexanschluss.

        Einen Bezug zu ISDN-PRI (T1-Leitung) zu Industriemythen oder „Sending-Party Pays“ sehe ich hier auch nicht. Klingt nach Nebelkerzen so wie viele der Eingestreuten „Fachworte“.

        Ich benutze übrigens weder Streaming noch Pay-TV. und Sportberichterstattung interessiert mich nicht die Bohne also bitte keine solche Unterstellungen. :-)

      2. Die Besteuerung von Großverbrauchern ist durchaus möglich. Das Netzneutralitätsthema betrifft aber die Kastrierung der Kleinen bzw. derjenigen, die nicht extra einen Vertrag mit der Telekom machen (als Beispiel). Die Nichtzahlenden werden nämlich auf der letzten Meile systematisch benachteiligt.

        Insofern, wohlfeil, dennoch Thema verfehlt.

  2. „4k, 8k, 128k -Streaming“
    Für die meißten Präsentationen würden flexible gemischte Medienformate reichen, die es allerdings so nicht in praktisch verwendbarer Weise gibt. D.h. vermutlich dass das Audio komplett durchrollt (allerdings nicht muss, denkt man an interaktive Bestandteile, wenn man schon bei „flexibel“ ist), und dann eben Bilder in verschiedenen angemessenen Auflösungen, sowie genauso Videos mit Teil sein können. Natürlich bedarf es der Software, die dieses einfach zusammenstellbar macht. In den meißten Fällen ist ein durchlaufendes Video in Full-HD bereits fragwürdig. Nur will keiner der Bewertungsclown sein, der dann den Menschen sagt, was in 4k gesendet werden darf, und was nicht (am Einzelfall).

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.