Nach PfändungStaatstrojaner-Hersteller FinFisher „ist geschlossen und bleibt es auch“

Drei Unternehmen der Staatstrojaner-Firmengruppe FinFisher sind insolvent. Das Büro ist aufgelöst, die Mitarbeiter entlassen und der Geschäftsbetrieb eingestellt. Im Zuge von Ermittlungen wegen möglicher illegaler Exporte des Staatstrojaners hat die Staatsanwaltschaft Konten gepfändet.

Gefeuerter Geschäftsmann verlässt sein Büro
FinFisher ist tot. (Symbolbild) – Alle Rechte vorbehalten Baranq (Montage: owieole – netzpolitik.org)

Der Münchener Staatstrojaner-Hersteller FinFisher ist offenbar am Ende. Die drei Firmen FinFisher GmbH, FinFisher Labs GmbH und raedarius m8 GmbH haben Insolvenz angemeldet, die Verfahren sind eröffnet. Der Geschäftsbetrieb ist eingestellt, das Büro ist aufgelöst, alle 22 Mitarbeiter sind entlassen. Das bestätigt der Insolvenzverwalter gegenüber netzpolitik.org:

Die Geschäftsbetriebe der genannten Gesellschaften waren bereits bei Antragstellung nahezu eingestellt bzw. sind zwischenzeitlich vollständig eingestellt worden. Arbeitnehmer werden in den Gesellschaften nicht mehr beschäftigt. Die Geschäftsräumlichkeiten wurden im Zuge der Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgegeben und der Standort Baierbrunner Straße 15 in München aufgelöst, da es keine Perspektive einer Fortführung des Geschäftsbetriebs gab.

Im Zuge der Insolvenzverfahren über die oben genannten Gesellschaften werden diese daher abgewickelt und aufgelöst bzw. sind bereits aufgelöst (FinFisher GmbH).

Am Büro in München hingen zwar letzte Woche noch Firmen-Logos, aber im Büro arbeitet niemand mehr. Der Briefkasten ist zugeklebt, die Webseite finfisher.com, die E-Mail-Adressen und die Telefonnummer sind nicht mehr erreichbar. Auf der Überwachungsmesse ISS World in Dubai Anfang März hat FinFisher trotz Ankündigung und Vertrag „nicht teilgenommen, nicht bezahlt und nicht abgesagt“, so eine Sprecherin der Messe.

Jemand, der bis vor kurzem leitender Angestellter bei FinFisher war, bestätigt gegenüber netzpolitik.org: „FinFisher ist geschlossen und bleibt es auch. Ihr habt euer Ziel erreicht.“ Der weltbekannte Staatstrojaner aus Deutschland, den Reporter ohne Grenzen seit 2013 als Feind des Internets bezeichnet, ist am Ende.

Komplettes Portfolio des Hackens

FinFisher hat eine Staatstrojaner-Suite entwickelt und vertrieben, die es als „komplettes Portfolio des Hackens“ bewirbt. Kunden sind Polizeien und Geheimdienste auf der ganzen Welt, FinFisher wirbt mit dem Kampf gegen Kriminalität.

Doch FinFisher steht selbst im Fokus der Ermittlungsbehörden. Staatsanwaltschaft und Zoll ermitteln gegen die Firmengruppe wegen des Verdachts, dass die Trojaner-Software „ohne die erforderliche Ausfuhrgenehmigung des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle ausgeführt worden sein könnte“, so die Staatsanwaltschaft.

Anlass für die Maßnahmen ist unsere Strafanzeige, die wir 2019 gemeinsam mit der Gesellschaft für Freiheitsrechte, Reporter ohne Grenzen und dem Europäischen Zentrum für Verfassungs- und Menschenrechte verfasst und eingereicht haben. FinFisher bestritt die Vorwürfe der Strafanzeige.

Ermittlung, Durchsuchung, Pfändung

Nach Einreichung der Strafanzeige haben Staatsanwaltschaft und Zollkriminalamt Ermittlungen aufgenommen, im Jahr 2020 haben sie 15 Geschäftsräume der Firmengruppe und Privatwohnungen durchsucht. Ende 2021 wollte die Staatsanwaltschaft Vermögen der Firmengruppe pfänden, das aus mutmaßlich illegalen Geschäften stammt. Oberstaatsanwältin Anne Leiding, Pressesprecherin der zuständigen Staatsanwaltschaft in München, erklärt gegenüber netzpolitik.org:

Das Amtsgericht München hat auf Antrag der Staatsanwaltschaft einen Vermögensarrest (gemäß § 111e StPO) erlassen, um das durch die FinFisher Gruppe aus einer rechtswidrigen Tat Erlangte zur Vorbereitung einer möglichen Einziehung (gemäß §§ 73ff StGB) sichern.

Durch die Insolvenzanträge wurden die Pfändungen unwirksam, so die Staatsanwaltschaft:

Nach Insolvenzordnung (§ 88 Abs. 1 InsO) wurden die auf dieser Grundlage ausgebrachten Pfändungen mit der Eröffnung unwirksam, da sie binnen eines Monats vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlangt wurden.

Insolvent: FinFisher, Labs, raedarius

FinFisher besteht aus einem ganzen Netzwerk an Firmen, das sich immer wieder ändert und weiterentwickelt. Zentral und von den aktuellen Entwicklungen betroffen sind drei Firmen in München, die der ehemalige Hacker Martin Johannes Münch alias „mjm“ und der Geschäftsmann Stephan Oelkers zusammen aufgebaut haben. Münch hat auf unsere wiederholten Anfragen nicht geantwortet, Oelkers ist 2016 gestorben.

Münch und Oelkers haben 2008 die Firma FinFisher Labs GmbH gegründet, bis 2013 hieß sie Gamma International GmbH. Sie hat als Gegenstand unter anderem „Entwicklung und Produktion“ von Software. Ein Geschäftsführer versicherte 2019 eidesstattlich: „Die FinFisher Labs GmbH hat die Software FinFisher entwickelt.“ Die FinFisher Labs hat Techniker und Entwickler angestellt. Laut jüngstem Jahresabschluss hatte die Firma 2019 durchschnittlich 13 Angestellte. Jetzt ist sie insolvent.

Im Jahr 2013 kaufte das Bundeskriminalamt FinFisher und FinFisher löste sich vom Label der Firmengruppe Gamma. Münch und Oelkers übernahmen die Firma FinFisher GmbH, die bis dahin Gamma International Sales GmbH hieß. Sie hat als Gegenstand den „Handel und Vertrieb von Software- und Nachrichtensystemen“. Laut jüngstem Jahresabschluss hatte die Firma 2019 durchschnittlich neun Angestellte. Im Juni 2021 ist der Geschäftsführer Carlos Gandini nach knapp fünf Jahren ausgeschieden. Jetzt ist die Firma insolvent und aufgelöst.

Ebenfalls 2013 übernahmen Münch und Oelkers die Firma raedarius m8 GmbH. Sie hat als Gegenstand die „Verwaltung eigenen und fremden Vermögens“. In Bulgarien und Malaysia gibt es ebenfalls Firmen mit dem Namen raedarius m8, in Zypern und Dubai mit Namen raedarius – sie nutzen die selbe E-Mail-Domain @raedariusm8.com wie die deutsche GmbH, aber keine hat auf unsere Anfrage geantwortet. Laut jüngstem Jahresabschluss hatte die Münchener Firma raedarius m8 GmbH 2019 durchschnittlich vier Angestellte. Jetzt ist sie insolvent.

Der Gründer Martin Münch zog sich aus dem Alltagsgeschäft zurück, blieb zunächst Prokurist, dann Anteilseigner, wie mehrere ehemalige Angestellte bestätigen. Oelkers blieb Geschäftsführer aller drei Firmen bis zu seinem Tod. 2018 übernahm Georg Magg die Geschäftsführung der drei Firmen und blieb es bis zur Insolvenz. Wir haben Magg über verschiedene Wege eine Reihe an Fragen gestellt, leider hat er nicht geantwortet.

Weitere Firmen im Umfeld

Münch und Oelkers haben 2013 eine vierte Firma übernommen, die FinFisher Holding GmbH, die vorher Gamma International Holding GmbH hieß. Vor zwei Jahren wurde sie umbenannt in Vilicius Holding GmbH. Der jüngste Jahresabschluss für 2019 sagt: „Die durchschnittliche Zahl der während des Geschäftsjahres im Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmer betrug 0.“

Oelkers übernahm 2013 eine fünfte Firma, die so m8 GmbH. Sie teilt den Namensbestandteil „m8“ mit der insolventen raedarius m8 GmbH. Der jüngste Jahresabschluss für 2018 sagt: „Die durchschnittliche Zahl der während des Geschäftsjahres im Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmer betrug 0.“

All diese fünf Firmen hatten bzw. haben die selbe Geschäftsadresse bei einer Anwaltskanzlei in München. Partner der Kanzlei ist ein Rechtsanwalt und Steuerberater, der vier der fünf Firmen gegründet hat. Auf Anfrage erklärt er: „Als Anwalt ist es üblich, sogenannte Vorratsgesellschaften zu gründen, in der Gründungsphase als Geschäftsführer zu agieren und, vor Aufnahme einer aktiven Tätigkeit der jeweiligen Vorratsgesellschaft, das Amt an Dritte zu übergeben.“

Nach dem Tod von Oelkers wurde er erneut Geschäftsführer der Vilicius Holding GmbH und so m8 GmbH und ist es bis heute. Wir haben ihn gefragt, welche Verbindungen und Geschäftsbeziehungen diese beiden Firmen mit der FinFisher-Firmengruppe haben. Er erklärt, dass alle Antworten „aus den allgemein zugänglichen amtlichen Quellen ersichtlich“ sind. Auf Rückfrage dazu hat er nicht geantwortet.

Gefragt nach den Ermittlungen, Durchsuchungen und Vermögensarresten der Staatsanwaltschaft erklärt er: „Ich wurde weder von der Staatsanwaltschaft befragt noch von dieser als Beschuldigter geführt.“

Die Staatsanwaltschaft gibt an, mit Unterstützung weiterer Strafverfolgungsbehörden auch „ein Unternehmen aus der Unternehmensgruppe in Rumänien durchsucht“ zu haben. Welche Firma das ist, konnten wir bisher nicht in Erfahrung bringen.

Bundeskriminalamt und Innenministerium

FinFisher hatte seine Büros im Münchener Stadtteil Obersendling, den Rest der halben Büro-Etage belegt die Firma Elaman GmbH. Die Büros der beiden Firmen sind direkt durch eine Glastür verbunden. Elaman hat als Gegenstand den „nationalen und internationalen Vertrieb […] von Sicherheitsprodukten“. Laut jüngstem Jahresabschluss hatte die Elaman GmbH 2020 durchschnittlich acht Angestellte.

Elaman verkauft FinFisher an deutsche Behörden wie das Bundeskriminalamt. Dazu hat Elaman einen Vertrag mit dem Bundesinnenministerium abgeschlossen. Wir haben das BKA verklagt, um den Vertrag von 2013 zu erhalten, und wir klagen gerade erneut auf die Ergänzungsvereinbarung zu diesem Vertrag.

Wir haben alle Beteiligten gefragt, ob der Vertrag zwischen Elaman und Innenministerium über den Staatstrojaner FinFisher noch besteht und ob Elaman und FinFisher die vertraglichen Leistungen weiterhin erfüllen. Elaman wollte keine Fragen zu FinFisher und Geschäftsbeziehungen mit Innenministerium und FinFisher beantworten und verwies uns an FinFisher.

Wir haben auf diversen Wegen versucht, ehemalige Geschäftsführer der FinFisher-Firmen zu erreichen. Die offiziellen E-Mail-Adressen und Telefonnummern funktionieren nicht mehr, im Büro konnten wir niemanden antreffen. Also haben wir unsere Anfragen auch an weiterhin funktionierende E-Mail-Adressen geschickt, diverse alternative Telefonnummern probiert und um Weiterleitungen unserer Anfragen gebeten. Eine Antwort haben wir nicht erhalten.

Das Bundeskriminalamt verwies uns ans Innenministerium. Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums erklärt, „dass das BMI sich hierzu nicht öffentlich äußern kann. Der von Ihnen angefragte Vorgang ist als Verschlusssache eingestuft.“

Export ohne Genehmigung wäre Straftat

Staatstrojaner werden immer wieder auch in Diktaturen eingesetzt. Viele Akteure, darunter Regierungen und Nichtregierungsorganisationen werfen den Firmen vor, für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich zu sein. Auch FinFisher wurde immer wieder in Diktaturen gefunden, zum Beispiel in Äthiopien und Bahrain oder Ägypten.

Im Sommer 2017 wurde eine FinFisher-Version in der Türkei entdeckt. Wie der Trojaner da hin kam, wissen wir nicht. Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle muss einen Export in Länder wie die Türkei erlauben, die Behörde des Bundeswirtschaftsministeriums hat aber keine Genehmigung erteilt. Ein Export ohne Genehmigung wäre eine Straftat. Im Fall Türkei hat die NGO-Koalition viele Indizien gesammelt und Strafanzeige gestellt.

Die Staatsanwaltschaft sieht ebenfalls einen Anfangsverdacht auf eine Straftat, wie sie gegenüber netzpolitik.org erklärte:

Die Ermittlungen werden weiterhin wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das Außenwirtschaftsgesetz gegen Geschäftsführer und Mitarbeiter der FinFisher GmbH und mindestens zweier weiterer Firmen geführt. Die Ermittlungen wurden aufgrund von Strafanzeigen im Sommer 2019 aufgenommen. Es besteht der Verdacht, dass Software ohne die erforderliche Ausfuhrgenehmigung des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle ausgeführt worden sein könnte.

FinFisher bestreitet diese Vorwürfe. In einer eidesstattlichen Versicherung erklärte der damalige Geschäftsführer im September 2019:

Die FinFisher Labs GmbH hat die Software FinFisher entwickelt.

Die FinFisher GmbH hat zu keinem Zeitpunkt die Software FinFisher in die Türkei verkauft oder vertrieben. Vor diesem Hintergrund hat die FinFisher GmbH auch zu keinem Zeitpunkt gegen Ausfuhrvorschriften der Bundesrepublik Deutschland oder der EU verstoßen.

Die Firma Elaman GmbH erklärte nach der Strafanzeige ebenfalls, sie habe „zu keinem Zeitpunkt die Software FinFisher in die Türkei verkauft oder vertrieben“.

Die Firmen sind tot, die Ermittlungen laufen

Die Staatsanwaltschaft in München hingegen nimmt die Vorwürfe der Strafanzeige so ernst, dass sie 15 Geschäftsräume und Privatwohnungen in München und Rumänien durchsucht hat, dafür muss ein Verdacht vorliegen und begründet werden. Das Amtsgericht München hat die Durchsuchungen genehmigt. Ein Jahr später wollte die Staatsanwaltschaft mutmaßlich illegal erlangtes Vermögen pfänden, dafür muss eine Annahme vorliegen und begründet werden. Das Amtsgericht München hat die Pfändungen genehmigt.

Das Ende der Firmen hat keine Auswirkungen auf die Ermittlungen. Die Staatsanwaltschaft bestätigt, dass das Ermittlungsverfahren weiter läuft und noch nicht abgeschlossen ist. Staatsanwaltschaft und Zoll werten die beschlagnahmten Dokumente aus und befragen Zeugen, darunter auch mehrere (ehemalige) Angestellte von FinFisher.

Wenn die Ermittler genug Beweise für strafbares Handeln finden, bringen sie den Fall zur Anklage. „Wann das Ermittlungsverfahren abgeschlossen werden kann, ist derzeit noch nicht absehbar.“ Bis dahin gilt die Unschuldsvermutung.


Update: Reaktionen und Statements

Nach erscheinen unseres Artikels erreichen uns einige Reaktionen und Statements, die wir dokumentieren:

Sarah Lincoln, Juristin und Verfahrenskoordinatorin der Gesellschaft für Freiheitsrechte:

Die FinFisher GmbH ist aufgelöst. Ihr Geschäft mit illegalen Exporten von Überwachungssoftware an repressive Regime ist gescheitert. Das ist ein direkter Erfolg unserer Strafanzeige.

Lisa Dittmer, Referentin für Internetfreiheit bei Reporter ohne Grenzen:

Der Einsatz von Überwachungssoftware ist ein massiver Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen, der insbesondere in Ländern mit repressiven Regimen dramatische Folgen haben kann – für Journalisten und ihre Quellen, ebenso wie für Aktivistinnen und Oppositionelle.

Miriam Saage-Maaß, Legal Director beim Europäischen Zentrum für Verfassungs- und Menschenrechte:

Bislang konnten Firmen wie FinFisher trotz europäischer Exportregulierung fast ungehindert weltweit exportieren. Die strafrechtlichen Ermittlungen waren längst überfällig und führen hoffentlich zeitnah zur Anklage und Verurteilung der verantwortlichen Geschäftsführer. Aber auch darüber hinaus müssen die EU und ihre Mitgliedstaaten viel entschiedener gegen den massiven Missbrauch von Überwachungstechnologie vorgehen.

Daniel Moßbrucker auf Zeit Online:

FinFisher lieferte Spähsoftware, mutmaßlich auch an autoritäre Regime. Nun wurde die deutsche Firma aufgelöst. Ein kleiner Erfolg im Kampf gegen die Überwachungsindustrie

Ryan Gallagher für Bloomberg:

Ein deutsches Unternehmen, das seit langem dafür kritisiert wird, Regierungen beim Ausspionieren von Kommunikation zu helfen, hat nach Angaben der Behörden den Betrieb eingestellt und Insolvenz angemeldet.

Linus Neumann, Pressesprecher des Chaos Computer Club:

Wir alle hoffen, dass das Ende von FinFisher nur der Anfang ist, und auch die Konkurrenz endlich juristische und finanzielle Konsequenzen zu spüren bekommt.

Thorsten Schröder, der mit Linus Neumann FinFisher analysiert hat:

Das Ende von FinFisher ist nicht das Ende des Marktes für Staatstrojaner. Die nun entlassenen Angestellten werden sich neue Jobs suchen – vermutlich bei der Konkurrenz, die wohl auch die Kunden übernehmen wird.

Edin Omanovic von Privacy International:

Von Hacking Team über FinFisher bis zur NSO Group: Jedes Mal, wenn Staatstrojaner-Firmen ernsthaft überprüft werden, finden wir eine Spur des Missbrauchs. Aber es zeigt, dass Forscher:innen, Journalist:innen und Aktivist:innen in der Lage sind, einige der geheimnisvollsten und am besten vernetzten Unternehmen der Welt zu entlarven und zur Verantwortung zu ziehen.

Konstantin von Notz, stellvertretender Vorsitzender der Grünen Fraktion im Bundestag:

Das endgültige Aus von FinFisher ist ein Paukenschlag. Auch wenn es mir um die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter leid tut: Dem Unternehmen FinFisher sollte man keine Träne nachweinen. Über Jahre hat man in dem Wissen, dass die eigene Technik von zahlreichen Diktatoren dieser Welt eingesetzt wurde, das eigene Geschäft sehr bewusst vor den Schutz von Menschenrechten gestellt. Dabei wurden bestehende Exportbestimmungen offensichtlich umgangen. Die Insolvenz zeigt auch noch einmal eindrücklich, welch große Risiken sich ergeben, wenn sich Staat und Sicherheitsbehörden jede Frage nach wertegebundenen Partnern vom Tisch wischen und man sich zu sehr in Abhängigkeit einzelner, derart agierender Unternehmen begibt.

Martina Renner, stellvertretende Vorsitzende der Linkspartei:

Das großartige Engagement der Zivilgesellschaft u.a. von Reporter ohne Grenzen, EHCCR und auch Netzpolitik hat dafür gesorgt, dass die illegale Verbreitung der Überwachungssoftware von FinFisher hoffentlich beendet ist. Aber die Bundesregierung muss hier die Karten auf den Tisch legen, ob dies auch alle Behörden umsetzen oder manche mit Nachfolge- oder Tochterfirmen weiter zusammenarbeiten.

Peter Micek, General Counsel bei Access Now:

Die Menschen, die Opfer von FinFishers mutmaßlich illegalen Exporten wurden, werden im Sturz dieses Unternehmens, der das direkte Ergebnis einer konzertierten Aktion der Zivilgesellschaft ist, ein gewisses Maß an Gerechtigkeit finden. Wir ermutigen die deutschen Behörden, die Vermögenswerte und Daten von FinFisher zu beschlagnahmen und zu vernichten, die Opfer zu entschädigen und die Macht der Exportkontrollen und der Strafverfolgung auszuspielen, um die Spyware-Händler dort zu treffen, wo es weh tut.

Jurre van Bergen, Teamleiter für Informationssicherheit beim Projekt zur Erfassung und Veröffentlichung von organisierter Kriminalität und Korruption (OCCRP):

FinFisher war einer der berüchtigtsten Verkäufer von Spyware. Die großartige Zusammenarbeit zwischen Journalist:innen, Aktivist:innen und Anwält:innen hat endlich für Gerechtigkeit gesorgt. Möge dies ein Vorbild dafür sein, in Zukunft mehr Überwachungsfirmen zur Rechenschaft zu ziehen.

Manuel Höferlin (FDP) und Saskia Esken (SPD) haben unsere Anfrage nicht beantwortet.

10 Ergänzungen

  1. Super Arbeit, Danke.

    Ohne Euren öffentlichen Druck, würde wohl kaum eine Staatsanwaltschaft, die in D ihrem Innenminister weisungsgebunden ist, solche Fälle verfolgen.

    Es gibt keine ehrlichen oder demokratischen Waffenhersteller. Alle verkaufen früher oder später ihr Zeug an jeden, der genug dafür bezahlt. Und wer nach Aufrüstung ruft, wird erleben, wie sich die Waffen, deren Entwicklung er finanziert hat, gegen ihn selbst, seine Familie und seine Freunde richten.

  2. Leider muß man davon ausgehen, das nun dieses Produkt an anderer Stelle verkauft wird.

    1. Mir stellt sich hier die Frage, wer die Rechte am Quellcode der Spionage-Software erhält. Lässt sich das überhaupt im Insolvenzverfahren verwerten? Oder hat man diese Rechte vielleicht kurz vor der Insolvenz billig ins Ausland verkauft? (Wobei ich natürlich davon ausgehen würde, dass der Quellcode von mehr als nur einer Person kopiert wurde, und bald an anderer Stelle weitergenutzt werden wird, Rechte hin oder her)

  3. „FinFisher ist geschlossen und bleibt es auch. Ihr habt euer Ziel erreicht.“

    Vordergründig. Dank an alle (auch an die Gierigen in der Firma), die dazu beigetragen haben.
    Der Kampf aber geht weiter.

  4. Dass es so weit kommen konnte, ist nicht allein der Strafanzeige zu verdanken. Eine große Community aus Bürgerrechtsorganisationen, Hackern und Forschungseinrichtungen setzt sich seit vielen Jahren dafür ein, Licht in die dunklen Geschäfte von Firmen wie FinFisher oder auch der NSO Group zu bringen. Zu nennen wären etwa der Chaos Computer Club und das kanadische Citizen Lab.

    »International vernetzte Hacker, die sich seit Jahren in den Waden der Hersteller solcher Software festbeißen, haben die technische Grundlage für erfolgreiche Klagen und Ermittlungen geliefert«, sagt einer der Beteiligten. Die gehen auch nach der Insolvenz weiter und »führen hoffentlich zeitnah zur Anklage und Verurteilung der verantwortlichen Geschäftsführer«, wie Miriam Saage-Maaß, Legal Director beim ECCHR, mitteilte.

    Linus Neumann, einer der Sprecher des CCC, sagt: »Wir alle hoffen, dass das Ende von FinFisher nur der Anfang ist und auch die Konkurrenz endlich juristische und finanzielle Konsequenzen zu spüren bekommt«.

    schreibt der SPIEGEL und übersieht leider Access Now.

    Der CCC hat eine ausführliche Liste der Organisationen verfasst, die diese Arbeit geleistet haben. Schade, dass weder GFF, noch netzpolitik diese überhaupt erwähnen.

    1. Diese Behauptung von heise stützt sich auf einen einzigen Tweet und ist falsch.

      Im heutigen Artikel hatten sie das zunächst auch drin, aber nach einem Hinweis korrigiert.

    1. Was ist daran „krass“? Dass er auf indonesisch ist? Oelkers ist in Indonesien gestorben. Die Frau auf dem Bild ist seine Witwe. Für alle, die kein Übersetzungstool finden:

      Das Model Tiara Lestari (35) hat ihren Ehemann wieder verloren. […] Jetzt verlor Tiara Stephan Oelkers.
      Der zweite Ehemann […] wurde am Mittwoch (30.3.) in einem Hotel in der Region Senayan, Tanah Abang, Zentral-Jakarta, tot aufgefunden.
      Laut Kommissar Mustakim, Leiter der Kriminalpolizei der Polizeistation Tanah Abang, wurde Stephans Tod durch einen Herzinfarkt verursacht.
      Mustakim lieferte nicht viele Informationen über den Tod des Mannes aus Deutschland, der 2012 Tiara heiratete.

      1. Vielen Dank für die Übersetzung. Sie ermöglicht ein Verständnis dessen, was mit „krass“ gemein sein könnte. Die Todes-Umstände sind krass.

        Es sind die Wörter „wieder“, „Herzinfarkt“ und „aufgefunden“, die möglicherweise bedeutsam sein könnten. Eine überstarke Erregung kann herbeigeführt werden, und eine Hilfeleistung kann unterlassen worden sein. Gab es eine Autopsie?

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.