Nach BeschwerdeEU-Spitzenpersonal soll Chats nicht einfach löschen

Nach einer erfolgreichen Beschwerde von netzpolitik.org bessert die EU ihre Empfehlungen für Spitzenpersonal nach: Nein, Chat-Nachrichten sollen nicht geheim gehalten und nach Gutdünken gelöscht werden, wie EU-Ombudsfrau Emily O’Reilly in neun Anregungen klarstellt.

Ursula von der Leyen
Ursula von der Leyen lässt sich nicht in die Chats schauen – Alle Rechte vorbehalten European Union, 2022

Wenn Politiker:innen und Beamt:innen in Brüssel wichtige Entscheidungen per Handy-Chat treffen, dürfen sie die Nachrichten nicht einfach löschen. Stattdessen soll es künftig klare Richtlinien für den Umgang mit SMS, WhatsApp- und anderen Nachrichten geben. Das fordert die EU-Ombudsfrau Emily O’Reilly. Sie legte am heutigen Donnerstag neun Empfehlungen an die EU-Verwaltung für den Umgang mit Chat-Nachrichten vor.

Diese Empfehlungen folgen auf eine erfolgreiche Beschwerde von netzpolitik.org. Wir haben bei der EU-Kommission die Herausgabe von Chat-Nachrichten von Ursula von der Leyen verlangt. Die Kommissionschefin handelte im Frühjahr 2021 einen großen Impfstoffdeal mit dem Pfizer-Chef Albert Bourla aus; laut New York Times geschah das in Anrufen und Chats. Aber die Kommission verweigerte uns den Zugang zu den Nachrichten und behauptete, Chats fielen grundsätzlich nicht unter das Transparenzgesetz der EU.

Auf unsere Beschwerde hin stellte die Ombudsfrau fest, die Kommission habe falsch gehandelt und unsere Anfrage zu Unrecht abgelehnt. Denn das Recht auf Dokumentenzugang gelte grundsätzlich für jedes EU-Dokument, „unabhängig von der Form“ – so steht es auch in der Grundrechtecharta der Europäischen Union. Die Kommission sperrt sich jedoch bis heute. Sie will nicht einmal verraten, ob die Nachrichten noch existieren. Bislang archiviert die EU-Behörde keine Chat-Nachrichten. Sie sind daher nicht durch Dokumentenanfragen zugänglich und werden auch nicht für die Nachwelt gespeichert.

Intransparenz hinterlasse „bedauerlichen Eindruck“

Es hinterlasse den „bedauerlichen Eindruck“, dass die Kommission bei wichtigen öffentlichen Angelegenheiten nicht entgegenkommend sei, urteilte Ombusfrau O’Reilly in ihrer nun vorgelegten Abschlussbewertung zum Fall. Dieser sei ein „Weckruf“ gewesen, das Thema ernst zu nehmen. Die Ombudsfrau nennt ein weiteres Beispiel, warum der transparente Umgang mit Chats wichtig sei: die Uber-Files, die dubiose Lobbyingmethoden des US-Konzerns gegenüber EU-Politiker:innen offenlegten. „Die jüngsten Enthüllungen über Lobbying-Taktiken eines amerikanischen multinationalen Unternehmens in Europa, einschließlich durchgesickerter Textnachrichten, zeigen, wie dringlich dieses Thema für öffentliche Verwaltungen ist“, erklärte O’Reilly.

Die Empfehlungen der Ombudsfrau sind rechtlich nicht bindend, können aber eine Signalwirkung haben. In ihren Empfehlungen macht O’Reilly deutlich, dass Chat-Nachrichten genauso behandelt werden sollten wie Briefe, Faxe oder E-Mails. Die EU-Verwaltung müsse „technologische Lösungen schaffen, um diese künftig einfach speichern zu können“, so O’Reilly. Bis es diese gebe, müssten alternative Wege gefunden werden. Auch müssten an sämtliches EU-Personal klare Leitlinien verschickt werden, wie sie relevante Chat-Nachrichten speichern können. Wer seinen Job bei den EU-Institutionen aufgebe, müsse vorher sicherstellen, alle relevanten Nachrichten ordentlich im Kommissionsarchiv abgelegt zu haben.

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16 Ergänzungen

  1. Das wird die Kommission einfach aussitzen. Die ganze Karriere der Kommissionspräsidentin beruht auf diesem Ansatz.

  2. Also die Politiker wollen nicht das ihre Chats von anderen gelesen werden……

    Aber gleichzeitig will die EU mit der Chatkontrolle alle Bürger lückenlos totalüberwachen. Allein daran kann man gut sehen wie weit entfernt die EU Politik mittlerweile von uns Bürgern agiert. Wie sehr da die regierenden nach Privilegien streben welche den Bürgern dann wiederum nicht zustehen !

    1. Das ist kein Problem der EU.

      Das ist ein Problem der vom Wähler gewählten Politiker.

      Die EU funktioniert ziemlich gut, geht aber seit dem Ende von Kohl & Mitterand den Bach runter.

      1. So einen Einfluss hat der Wähler aber nicht. Kohl, bei allen Schwächen, war Historiker+-, und hatte eine Idee mit der EU. Irgendwann schlagen die Konstruktionsfehler eben durch.
        Die Wähler hätten radikal länderübergreifend über längere Zeit anders wählen müssen…

        1. So einen Einfluss hat der Wähler absolut. Wer die „Konservativen“ ins EU Parlament wählt, will diese Politik. Wer die „Konservativen“ ins Landesparlament wählt, will keine demokratischere EU.

          1. Muss Wähler aber verstehen, um es wollen zu können – und da sind wir doch bald bei Regional- und Lokalpolitik, bei der das schon hinterfragt werden muss. Die Menge lässt sich wohl blenden.

            Wähler verdienen es vielleicht, aber eben nicht die, die es bemängeln und anders wählen. Ist die Situation zu verfahren, bleibt vielleicht nur Migration als Alternative zum Aushalten.

            Heute z.B. in ÖRF und Anne Will, ein Trommelfeuer der „Atomkraft statt Gas“-Lobby. Das Fernsehen spielt deren Positionen dauerfeuermäßig unkritisch vor. So hat Spahn in einem Nebensatz untergebracht, dass Atomkraft durchaus (Magie!) Spitzenlast abfangen kann. Das Argument dahinter ist vielleicht, dass wir weniger Gaskraftwerke anfahren müssen, wenn wir die Atomkraftwerke laufen lassen, und so einfach immer mehr Strom produzieren. Der Job der ÖRF wird hier in jedem Falle aspektweise krachend verfehlt. Das ist nicht Information, das ist Desinformation.

      1. „Anerkennung des Problems: stattgefunden.“

        Tatsächlich? Die Ombusfrau O’Reilly hat mir ihrem Abschlussbericht ihre Authorität ausgeschöpft. Mehr als einen Bericht schreiben und vorlegen darf sie nämlich nicht. Ich sehe da weder Kontrolle noch Konsequenzen – und von der Kommission auch keine Einsicht. … Aber gut dass man darüber gesprochen hat, nehme ich an, wa?

    1. Es gibt diverse „offizielle“, die auf Grund der (kleinen) Größe ohnehin nicht unter die Regelung fallen.

  3. >>> Intransparenz hinterlasse „bedauerlichen Eindruck“
    Oder positiv formuliert: für Demokratie bräuchten wir Transparenz.

    1. Wenn man denn Demokratie wollte.

      Es ziemt dem Volke nicht, die Obrigkeit beurteilen zu wollen.

  4. „entgegenkommend“ finde ich ja eine dubiose Vokabel in diesem Zusammenhang. Eine Offenlegung solcher Kommunikation erwarte ich einfach. Die Politiker sind Dienstleister, die von mir bezahlt werden, da kann ich erwartet, dass ich nachlesen kann, was sie kommunizieren.

    Dazu kommt diese Schere zwischen der Sicht auf meine Kommunikation (die sie gänzlich abhören wollen) und ihrer (die sie löschen wollen). Was geht in den Köpfen vor?

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.