MastodonDer Twitter-Exodus in Zahlen

In immer neuen Wellen flüchten Menschen gezielt vom früher beliebten Informationsnetzwerk Twitter zu Mastodon ins Fediverse. Datenjournalist:innen der Süddeutschen Zeitung zeichnen die Massenwanderung nach. Bei Twitter herrscht offenbar Panik wegen der Entwicklung.

Foto des Bibel-Kapitels zum Exodus
Unter einem Exodus versteht man eine „massenhafte Auswanderung“, stilbildend war der Exodus in der Bibel beim „Auszug aus Ägypten“. – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Sincerely Media

Erstmals in der Geschichte des Internets gibt es einen Massenexodus von einem kommerziellen sozialen Netzwerk zu einem unkommerziellen sozialen Netzwerk. Der Vorgang bewegt den Milliardär und Twitter-Eigentümer Elon Musk zu immer neuen problematischen Entscheidungen. Die Süddeutsche Zeitung hat im Artikel „Wohin die Twitter-Nutzer flüchten“ (€) nun Mastodon und das Fediverse ausgewertet.

Dafür nutzten die Journalist:innen Zahlen von instances.social, einem Dienst, in dem man sich als Nutzer:in Instanzen nach Größe und Moderationskriterien auswählen kann. Laut diesem hatte das Fediverse am 13. Dezember mehr als 14.300 Instanzen und 6,1 Millionen Nutzerkonten. Das Fediverse ist die Gesamtheit aller Software, die über das Protokoll ActivityPub kommuniziert. Doch auf der großen Mehrheit der Instanzen läuft Mastodon, das derzeit als Twitter-Alternative gehandelt und genutzt wird.

45 Prozent aller Konten bei den 8 größten Instanzen

Die SZ hat sich angeschaut, wie die Größenverteilung der Instanzen ist. Mit etwa 900.000 Accounts ist das zur gemeinnützigen GmbH des Mastodon-Erfinders Eugen Rochko gehörende Mastodon.social mit Abstand die größte Instanz. Die Verteilung der Accounts im Fediverse ist nicht gleichmäßig, so haben laut der Recherche der SZ nur acht Instanzen mehr als 100.000 Nutzer:innen. Auf diesen Instanzen sind dann auch 45 Prozent aller Mastodon-Accounts versammelt. Der Rest verteilt sich auf tausende weitere Instanzen.

Von diesen sind die meisten Instanzen sehr klein. Mehr als drei Viertel haben weniger als zehn Nutzer:innen, auf 4000 Instanzen ist sogar nur ein Account angemeldet. Während man die anderen Instanzen mit Städten und Dörfern vergleichen kann, haben sich auch Menschen entschlossen, dem Fediverse in Alleinlage beizuwohnen. Die förderierte Struktur des Netzwerks macht es möglich, dass auch diese mit den anderen Instanzen kommunizieren.

Auch angeschaut haben sich Mirjam Hauck und Simon Koenigsdorff von der SZ, wie die vorhandenen Instanzen den Ansturm von Twitter-Nutzer:innen aufnahmen. Dabei fiel nicht nur auf, dass der Exodus in ereignisbezogenen Wellen geschieht (Musk übernimmt, Musk kündigt an, Musk sperrt), sondern dass die Wellen dazu führen, dass Instanzen immer wieder die Neuaufnahme stoppten, um mit dem Ansturm klarzukommen.

Aufgefallen ist bei der Auswertung auch, dass die Anzahl der Postings (Tröts) auf den zwei großen Instanzen Mastodon.social und Mastodon.online nach einer anfänglichen Euphorie wieder etwas abgenommen hat. Woran das liegt, ist allerdings unklar.

Schwierige Statistiken

Aufgrund der dezentralen Struktur des Fediverse ist es nicht ganz einfach, Zahlen wie absolute Nutzerzahlen zu ermitteln, was auch die Autor:innen des SZ-Artikels schreiben. Hilda Bastian hat in einem längeren Blogpost erklärt, wie es zu der derzeit großen Spanne bei den Account-Zahlen im Fediverse zwischen 2,5 und acht Millionen kommt. Die kleinere Zahl kommt unter anderem zu Stande, weil sie die „im letzten Monat eingeloggten Accounts“, also aktive Nutzer:innen erfasst. Die 8-Millionen-Zahl erfasst die Gesamtheit existierender Accounts und zählt dabei auch Instanzen mit, die nicht an das Fediverse angeschlossen sind, also auch solche, die sich nicht dem gemeinsames Regelwerk angeschlossen haben. Deswegen sind bei der Auswertung von Bastian und der SZ auch deutlich weniger als diese acht Millionen zu sehen.

Das Wachstum seit Musks Twitter-Übernahme lässt sich aber deutlich beobachten. Nach Bastian gab es davor schon 3,6 Millionen Accounts, von denen aber nur 10 Prozent aktiv waren. Viele Leute hatten sich testweise mal einen Account angelegt, diesen aber wieder verwaisen lassen. Laut Bastian zählte sie Anfang Dezember 5,4 Millionen Accounts, von denen aber mittlerweile knapp die Hälfte auch aktive Nutzer:innen sind. Teilweise legen sich Menschen aber auch nur einen „Sicherheitsaccount“ im Fediverse an, den sie nutzen, wenn es bei Twitter gar nicht mehr geht.

Panik und Getöse bei Twitter

Bei Twitter löst dieser Erfolg des Fediverse offenbar große Nervosität aus. Gestern hatte Twitter gar angekündigt, dass man gesperrt werden könnte, wenn man sein Konto hauptsächlich dazu verwendet, um „Inhalte auf einer anderen sozialen Plattform zu bewerben.“ Dabei wurden unter anderem Facebook, Instagram und Mastodon genannt.

Weil viele den Link zu ihrem Mastodon-Profil in ihrer Bio auf Twitter veröffentlichen, wären möglicherweise Millionen Menschen von dieser neuen Regel betroffen und ihre Konten gefährdet. Diese Ankündigung hat das Unternehmen allerdings wieder gelöscht. Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht erratisch Ankündigungen und Rückzüge in die Welt posaunt werden.

Zum neuesten Getöse gehört ein neues Pseudo-Plebiszit, das Musk veranstaltet hat. Der rechte Milliardär hat auf seinem Account über seinen Verbleib an der Spitze von Twitter abstimmen lassen: 57,5 Prozent wünschen den Abgang von Musk. Er selbst hat sich noch nicht dazu geäußert, der Schritt wird aber als inszenierte Rückendeckung für einen sowieso geplanten Rückzugs Musks gewertet. Weil Tesla seit der Twitter-Übernahme massiv Aktienwert verloren hat, gerät der Milliardär zunehmend unter Druck sich wieder auf dieses Unternehmen zu fokussieren.

Korrektur: 
In einer früheren Version stand der folgende Satz unter Berufung auf Hilda Bastian: „Am 16. Dezember hat das Fediverse einen Rekord geknackt: Erstmals wurden an einem Tag mehr als 500 Millionen Postings veröffentlicht – so viel wie noch nie. Es ist also eindeutig: Das Fediverse ist so aktiv wie noch nie.“ Im Hinblick auf die Zahl von etwa 3 Millionen aktiver Nutzer:innen erscheint diese Zahl sehr hoch, weil wir hier im Bereich von bis zu 200 Postings pro aktivem User wären. 

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16 Ergänzungen

  1. Dieses „neue“ Regelwerk wonach Accounts die auf Mastodon verweisen gelöscht werden ist keinen Tag später nicht mehr da (zumindest an seinem Platz)
    https://web.archive.org/web/20220000000000*/https://help.twitter.com/en/rules-and-policies/social-platforms-policy

    auch könnte das mehr eine eilige, sehr ungünstige Formulierung gewesen sein, bei der vor allem so accounts wie joinmastodon addressiert werden sollten, nicht jedoch alle Nutzerinnen an sich.
    perfiderweise ist der @tesla account genau in diese Masche getappt, da er vorwiegend auf das ebenfalls als verboten vorgeschlagene facebook verwies.

    jan phillip albrecht und andere verwiesen darauf das mit diesem Wandel sicherlich die Einschätzung von Twitter als publizistisch/kuratiert sich ändern müsste. Damit würden ganz andere und strengere Regeln gelten. (das wird auch bei cnn im US sprachigen Raum so gesehenhttps://edition.cnn.com/2022/12/16/tech/mastodon-twitter-links/index.html )

  2. Relativ betrachtet zum bisherigen Fediverse ist das wohl ein Massenansurm.
    Relativ zur Anzahl an Twitter Accounts ist das Ganze eher Sturm im Wasserglas.
    Ich muss sagen, eine KI kuratierte Timeline wie bei Twitter hat aber immer noch mehr Wumms. Mastodons Timeline Interaktion hat leider was von „ich pick was aus gelbe Seiten“ an sich.
    Kann auch gut sein, dass Twitter auch gut einfach aus finanziellen Gründen dichtmachen muss (insbesondere wenn Sie Ihren regulatorischen Pflichten aufgrund Personaldecke nicht mehr nachkommen können und sich die Gerichte mit Twitter beschäftigen werden)

    1. Ja, relativ zu den Nutzerzahlen von Twitter ist es klein, aber es ist dennoch der größte Exodus zu einem nicht-kommerziellen Sozialen Netzwerk. Und die Größe reicht aus, um einen Elon Musk so nervös zu machen, dass er Links zu Mastodon als „schädlich“ kennzeichnen lässt, usw.

      Was die Sortierbarkeit und Durchsuchbarkeit von Mastodon sowie die Nutzung als Info-Netzwerk angeht, das ist wieder ein anderes Thema, aber da strugglen gerade viele, die sich Twitter als ein superschnelles Info-Netzwerk aufgebaut haben und diese Funktion nicht nur aufgrund der fehlenden Accounts nicht auf Mastodon abgebildet bekommen.

      1. Wie bei frueheren, anfangs rein ehrenamtlich betriebenen, Medien wird Mastodon einen Weg finden muessen, als bezahlte Dienstleistung betriebene Server zu etablieren und einzubinden. Anders laesst sich signifikantes Volumen nicht erreichen, und ohne bleibt es bei entsprechend begrenzter Relevanz. Das fuehrt uU zu Konflikten mit den bereits dort, trozdem oder sogar deswegen, heimischen Benutzern. Alles loesbar, aber jemand muss es tun, zusammen.

        Passiert ja nicht das erste Mal. Waere eine tolle Gelegenheit, wenn die offiziellen deutschen Medienmacher nicht grossteils 30y zurueckhaengen wuerden.

  3. Statt 500 Millionen Postings an einem Tag dürften es 500.000 Postings gewesen sein.
    Ansonsten hätte jeder aktive Account an dem Tag über 100 Beiträge verfassen müssen. ;-)

    1. Ja, die Zahl macht irgendwie wenig Sinn. Bei 2,5 Millionen aktiven Nutzer:innen wären wir dann bei 200 Interaktionen/Postings/whatever. Das erscheint für menschliche Nutzer extrem viel zu sein. Ich nehme den Teil mal raus.

      1. Hier zum nachlesen, wie die Zahlen zustande kommen:
        https://mastodon.help/instances/en?lang=0&desc=&minu=10&maxu=30000&minau=10&minki=500&noxious=1&creg=1&appr=0&lcok=0&ord=rand&advc=0&p=1
        >>We currently count 12,505 Mastodon instances, with 5,787,271 users (2,117,793 active during last month) and 569,131,680 published statuses.<<

        Da ist wohl irgendwas fehlinterpretiert worden.
        Es geht hier um eine Zunahme. Die lag vom 16. zum 17. bei 98.253.004, davor und danach bei etwa 1-3Mille.
        Ausgewiesen wird die GESAMTzahl.

        Am 14.: 463.627.616
        Am 15.: 466.072.148
        Am 16.: 468.012.095
        Am 17.: 566.265.099
        Am 18.: 567.197.056
        Die Zahl oben ist die aktuelle….

        Beste Grüße

  4. Twitter war vor Musk schon ein Ort voller Hass.

    Jetzt ist’s ein Ort für rechtsradikale Spinner und Großmäuler (wie Musk).

    Wer echt überlegt, dort noch zu verweilen, der hat ein hohes Maß an Masochismus in sich.

    Social Media stirbt langsam aus, die Gesellschaft wurde dadurch komplett vergiftet.

    und Musk?
    Musk ist auch nur ein Spiegelbild der toxischen Gesellschaft in einem Superkapitalismus.

    1. Ja das gab es da, aber auch in der echten Welt. Es gab schon weitestgehend verschonte Grüppchen, und so einige haben dort Kurzformen ihres Schaffens veröffentlicht bzw. auch einfach Stellung zu Geschehnissen der Zeitgeschichte genommen (von Virologen über IT-Experten bis zu Medienschaffenden).

  5. Die Überschrift heißt „Der Twitter-Exodus in Zahlen“ und dann kommt ein Artikel über den Zuwachs bei Mastodon. Ich dachte, ihr könnt zeigen, dass die Nutzerzahlen bei Twitter abnehmen, aber das ist wohl nicht so. Die Leute legen sich einen Zweit-Account bei Mastodon an, bleiben aber trotzdem bei Twitter. Durch den Hype um Twitter und Musk in den Medien kommen Twitter auch viele Leute auf der Plattform dazu, die vorher nicht bei Kurznachrichtendiensten waren.

    1. „Durch den Hype um Twitter und Musk in den Medien kommen Twitter auch viele Leute auf der Plattform dazu, die vorher nicht bei Kurznachrichtendiensten waren.“

      Man kann gut und gern auf irgendwelche rechtsradikalen Hardliner und Musk-Jünger verzichten.

      Twitter war vor Musk schon ein Ort voller Hass, jetzt ist’s ein Ort für rechtsradikale Menschenfeinde.

      Menschen mit Rückgrat und Charakter haben Twitter schon längst verlassen.

      1. Die pauschale Aussage „wer Twitter noch nicht verlassen hat, hat weder Rueckgrat noch Charakter“ waere auf vielen Mastodon-Instanzen bereits hate speech, nicht ganz zu Unrecht. Aber laut NP-Redaktion eine wertvolle Ergaenzung des Artikels, vielleicht als abschreckendes Beispiel? 8)

        1. Weil die einen Typen vom Schlage „Screech“ als Moderator haben.

          Ich halte die Aussage allerdings auch für Blödsinn, das ist auch wieder Virtue-Signaling, während noch nicht klar ist was daraus wird. Im Zweifel ist allerdings das herausziehen eigener Sachen, im Sinne von Abhängigkeiten oder Risiken, sinnvoll, denn wir sehen ja, wie Trump gewählt wurde, als noch nicht klar war, ob es nicht vielleicht doch nicht verrückt werden würde. Insofern sollte man da aus Selbstschutz überlegen, was man tut – einen Account zu haben sehe ich da nicht als Problem, zudem ist der Status als Veröffentlichungsplattform nicht deswegen weg, weil irgendwas später mal der Fall sein könnte. Kriegen die den regulatorischen Kram nicht hin, und da sind die Amis schärfer als EU, dann wird das da sowieso eng. Dann davon ab, ist die Frage, wie die mit Stalking und Veröffentlichung bösartigen Mists umgehen, und wer das dann doof findet.

          Man kann halt nicht alles haben, nicht gleichzeitig und nicht sofort. Daher gucke ich mir das mit der Zeit mal an, war allerdings auch vorher schon nicht involviert.

      2. „Menschen mit Rückgrat und Charakter haben Twitter schon längst verlassen.“

        Menschen mit Rückgrat und Charakter waren nie da auf diesem Jahrmarkt der Eitelkeiten.

  6. > Erstmals in der Geschichte des Internets gibt es einen Massenexodus von einem kommerziellen sozialen Netzwerk zu einem unkommerziellen sozialen Netzwerk.

    „Erstmals“ stimmt nicht so ganz. Es gab z. B. den „porn ban“ auf Tumblr. Und eine große Mastodon-Instanz ist eine aus Japan, die entstand, weil sich eine bestimmte Klientel japanischer User auf Twitter nicht länger willkommen fühlten.

    Und bereits vor den Verhandlungen mit Musk war Twitter vergleichbar mit einem Körper ohne funktionierende Blutgerinnung (Stichwort „Wie hält sich der Laden noch immer am Leben, wenn er nie Gewinne macht?“). Der Kauf durch Musk ist vergleichbar mit dem Versuch, diese schlechte Blutgerinnung durch Einnahme einer gemörserten Packung Aspirin mit viiieeel Wasser zu heilen.

    Das Fediverse (bzw. Mastodon als die oftmals erste Anlaufstation) wächst schon seit Jahren dadurch, dass Leute von kommerziellen „Social“ Networks vergrault werden. Und das Vergraultwerden beruhte im Fall von Twitter gerne auf der Entscheidung, unbeliebte Features einzuführen oder beliebte Features einzustellen.

    > 45 Prozent aller Konten bei den 8 größten Instanzen

    Das ist im Fediverse selbst eine häufige Kritik an Mastodon: „Die Newbies wollen federation, aber strömen dann auf ein-und-dieselbe Handvoll Mastodon-Instanzen. Und deren Admins bekommen dann Probleme, weil Mastodon-Instanzen generell mit hohen Nutzer-Zahlen nicht gut klarkommen.“

    > Aufgefallen ist bei der Auswertung auch, dass die Anzahl der Postings (Tröts) auf den zwei großen Instanzen Mastodon.social und Mastodon.online nach einer anfänglichen Euphorie wieder etwas abgenommen hat. Woran das liegt, ist allerdings unklar.

    Möglicherweise haben auch manche Leute festgestellt, dass ihre von Twitter gewohnte Selbstdarstellung im Fediverse weniger gut funktioniert.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.