Lobbying in BrüsselMit der „Hackergefahr“ gegen das Recht auf Reparatur

Die EU-Kommission will bald Vorschläge für die bessere Reparierbarkeit von Handys und Tablets vorlegen. Für Apple, Samsung und andere Hersteller stehen Milliardenumsätze auf dem Spiel. Ihre Lobbykampagne beschwört bizarre Bedrohungsszenarien.

Handy-Reparatur
Wer repariert, verliert: Bislang sind Handy-Reparaturen oft teuer und mühselig. Das soll sich ändern. – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Kilian Seiler/Bearbeitung netzpolitik.org

Stellen wir uns mal eine Welt vor, in der Smartphones einfach reparierbar sind. Akkus haben Standardgrößen und lassen sich ohne Vorkenntnisse auswechseln. Ein zerkratztes Display kann bei jedem Handy von jeder Werkstätte ersetzt werden. Ersatzteile sind für mindestens fünf Jahre verfügbar und binnen fünf Tagen lieferbar. Hersteller sind verpflichtet, mindestens fünf Jahre lang Sicherheitsupdates anzubieten. Und Handys müssen einfach verständliche Labels zu ihrem Energieverbrauch tragen.

Dieses Ideal eines umfassenden „Recht auf Reparatur“ beschreibt eine Fraunhofer-Studie im Auftrag der EU-Kommission. Wird sie Realität, dann verlängert sich die Lebensdauer von Handys unter den Annahmen der Studien-Autor:innen von derzeit durchschnittlich zweieinhalb auf sieben Jahre.

Für die Konzerne, die Handys produzieren, rechnet die Studie mit Verkaufseinbrüchen um ein Viertel: 36 Millionen weniger Smartphones als heute könnten dann 2030 über die Ladentheke gehen. (Die Studie ging von 137 Millionen Geräten im Jahr 2019 aus.) Für die Konzerne stehen Milliarden Euro an Umsatz auf dem Spiel.

Keine Wunder also, dass das Recht auf Reparatur von den Herstellern intensiv bekämpft wird. Denn was repariert wird, muss nicht neu angeschafft werden. Durch die Maßnahme könnten sich deutsche Verbraucher:innen 1,28 Milliarden Euro jährlich durch langlebigere Handys sparen, schätzt auch das Ökoinstituts im Auftrag der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv). Auch für die Umwelt wäre das demnach ein Gewinn: Bis 2030 könnten drei Millionen Tonnen des Klimagases CO2 eingespart werden, die ansonsten für Produktion, Transport und Betrieb neuer Smartphones draufgehen würden.

Nach derzeitigem Stand plant die EU-Kommission für Juli einen Gesetzesvorschlag für ein Recht auf Reparatur. In Deutschland hat die Ampel-Regierung aus SPD, Grünen und FDP in ihrem Koalitionsvertrag Schritte für die bessere Reparierbarkeit elektronischer Geräte angekündigt, dabei möchte sie aber auf die Initiative aus Brüssel warten.

Herstellerfirmen lobbyieren mit Sicherheitsbedenken

Die Digitalbranche lobbyiert derweil intensiv gegen das Vorhaben. Eine Schlüsselrolle spielt der Verband DigitalEurope, der Konzerne wie Apple, Google, Huawei und Samsung zu seinen Mitgliedern zählt. Die Hersteller argumentieren, dass unsachgemäße Reparaturen sich negativ auf die Qualität und Sicherheit von Geräten auswirken könnten. Auch hätten sie Konsequenzen für die Haftung und das Markenimage. „Daher sollte der Hersteller die Kontrolle über die Auswahl und Zulassung der Werkstätten behalten“, heißt es in einer Stellungnahme von DigitalEurope.

Mehr noch, die Herstellerfirmen beschwören „Cybersicherheitsbedenken“ herauf. Nicht vom Hersteller autorisierte Reparaturen könnten zum unberechtigten Zugriff auf das Gerät führen. Mögliche Folge: eine „Anfälligkeit gegenüber Hackern und Verlust sensibler persönlicher, finanzieller oder beruflicher Daten“. Solche Sicherheitsfragen stellten mögliche Umweltvorteile durch bessere Reparierbarkeit „völlig in den Schatten“, heißt es.

Nicht nur der Branchenverband arbeitet an dem Thema, auch konzerneigene Lobbyist:innen trafen sich zuletzt mit der Kommission, um die geplante Reform zu besprechen. Doch welche Argumente etwa Vertreter:innen Apples bei einem Treffen im November 2021 gegenüber EU-Beamt:innen vorbrachten, bleibt unklar – denn die Kommission gibt auf eine Informationsfreiheitsanfrage der NGO Global Witness an, keine Aufzeichnungen über das Lobbytreffen zu haben. Auch der Konzern antwortete nicht auf eine Frage von netzpolitik.org nach dem Inhalt des Treffens.

Apple steht immer wieder in der Kritik, weil seine iPhones nach Ansicht von Expert:innen schwer zu reparieren sind. In früheren Modellen machte es der Konzern sogar absichtlich kompliziert, etwa in dem er Akkus im Gerät anklebte. Inzwischen hat der Konzern allerdings Schritte angekündigt, um Self-Service-Reparaturen zu erleichtern. Dem ging Druck von US-Behörden voraus. Auf unsere Anfrage verwies der Konzern darauf, sein Programm für eigenständige Reparaturen durch Kund:innen dieses Jahr auf Europa ausdehnen zu wollen.

Auch bei Autos wird selbst repariert

Befürworter:innen des Recht auf Reparatur halten die Sicherheitsbedenken der Konzerne für vorgeschoben. „Aus Verbrauchersicht ist es wichtig, die Wahl zwischen verschiedenen Reparaturservices zu haben“, sagt Elke Salzmann vom Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv). Eine Monopolstellung von anbieterabhängigen Werkstätten mache Reparaturen teurer. Auch seien Reparaturen durch den Hersteller qualitativ nicht besser, wie die Stiftung Warentest für einige Handys erhoben habe.

Bessere Reparierbarkeit, das müsse überdies bedeuten, dass Verbraucher:innen selbst Hand anlegen, sagt Salzmann. „Es ist allgemein üblich, dass bei Autos oder Fahrrädern freie Werkstätten und auch Verbraucher Reparaturen ausführen.“ Sicherheitsbedenken lässt die Expertin dabei nicht gelten. „Dabei handelt es sich im Straßenverkehr ja um einen sehr sicherheitsrelevanten Bereich.“

Dass Hersteller gegen bessere Reparierbarkeit kämpfen, war für Chloé Mikolajczak von der europaweiten Right-to-Repair-Kampagne erwartbar. „Die Position von Digital Europe ist nicht überraschend, wenn man bedenkt, dass die Herstellerfirmen und ihre Vertreter:innen in Europa seit langem Druck ausüben“, sagt die Expertin der NGO The Restart Project.

Für das Drängen, nur autorisierten Werkstätten Reparaturen zu erlauben, gebe es keinen wirklichen Grund, so Mikolajczak. Im Gegenteil zeigten „Reparatur-Partys“ und Hilfestellung für DIY-Reparaturen („do it yourself“), dass auch Laien erfolgreich und zuverlässig reparieren könnten.  „Jede Nutzer:in sollte selbst entscheiden können, ob sie ihr Gerät selbst repariert, es zu einer Community-Reparaturveranstaltung bringt oder zu einer professionellen Reparaturwerkstatt.“

Kein Warten auf die EU

Während in Deutschland die neue Bundesregierung auf den Vorschlag aus Brüssel warten möchte, spricht sich der vzvb dafür aus, bereits jetzt auf nationaler Ebene zu handeln. Elke Salzmann vom vzbv nennt drei Maßnahmen aus anderen EU-Ländern, die die Reparaturquote elektronischer Geräte hierzulande steigern könnten: eine niedrigere Mehrwertsteuer auf Reparaturen wie in Schweden; kommunale Reparaturgutscheine wie in Wien; sowie ein offizieller Reparaturindex für Handys wie in Frankreich. Alle drei Maßnahmen könnten umgesetzt werden, ohne auf die EU zu warten, sagt Salzmann.

Zumindest den Index, der Handys auf einer Skala von eins bis zehn auf ihre Reparierbarkeit einstuft, könnte es auch bald hierzulande geben. Einen solchen Schritt – der im Vergleich zu den beiden anderen Maßnahmen praktisch budgetneutral ist – hat die grüne Bundesumweltministerin Steffi Lemke kürzlich auch für Deutschland angekündigt.

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6 Ergänzungen

  1. Die geäußerten „Sicherheitsbedenken“ im Fall einer quasi „auswärtigen“ Reparatur grenzen schon an Situationskomik.

    Als ob ein reparaturbedürftiges Handy nur dann auf Werkseinstellungen gesetzt und damit plattgemacht würde, wenn man es nicht beim Hersteller selbst instandsetzen liesse.

    Da haben die Herren Lobbyisten ein bischen zu tief ins Glas geschaut…

    Die allumfassenden Heuschreckenpraktiken der Digitalkonzerne haben tonnenweise Vertrauen verspielt – durch Größenwahn, Allmachtsphantasien, Überwachungsirrsinn, immense Rohstoffausbeutung usw.

    Dass man jetzt glaubt, der gemeine User habe dieses Vertrauen noch, ist an Selbstüberschätzung und Überheblichkeit kaum zu überbieten.

    1. Die Sicherheitsbedenken sind auch besonders witzig, wenn man beachtet, dass Softwareaktualisierungen meistens nur 2 Jahre durchgeführt werden und danach die Unterstützung hierfür aufhört. Und dies nur aus dem einfachen Grund: es bringt kein zusätzliches Geld ein.
      Man lässt also Millionen von Geräten aus niederen Motiven ohne Sicherheitaktualisierungen laufen und redet hier etwas von Sicherheitsproblemen, wenn der Nutzer sein Handy selbst reparieren könnte.

      1. naja, gegen Software-Obsoleszenz kann man sich wappnen, indem man von vornherein nur ein Gerät kauft, das die Installation von Custom-ROM erlaubt (z.B. Sony) oder sogar aktiv unterstützt (z.B. Fairphone). Mein Zweitgerät Xperia Z5 von 2015 läuft mit einem (inoffiziellen) LineageOS jetzt auf dem Stand von Android 10 – nix zu meckern. :-)
        Mit inoffiziellen Custom-ROM zu hantieren, ist keine Raketenwissenschaft, aber – zugegeben – nichts für Hans und Franz von der Straße. Die Ermöglichung dieses Prozesses (Bootloader entsperren, Recovery und ROM installieren) sollte offiziell vorgeschrieben werden und der Vorgang erleichtert. Dann fielen die chinesischen Hersteller schon mal raus, wenn sie ihre Politik nicht ändern. Stand heute verhindern die meisten Chinageräte die Installation eines Custom-ROM. Über die Motive darf man spekulieren …
        Einen solchen Hersteller würde ich boykottieren.

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