Geheime SMSChristian Lindners Porscheproblem

Christian Linder rückt seine SMS mit dem Porsche-Chef nicht heraus, das Finanzministerium will sie für irrelevant erklären. Das ist Transparenzverweigerung auf höchster politischer Ebene und kann gefährliche Folgen haben. Ein Kommentar.

Christian Lindner
Christian Lindner will seine SMS mit dem Porsche-Chef geheimhalten CC-BY-SA 4.0 Sandro Halank

Es ist die SMS eines Beamten, die in der dänischen Serie „Borgen – Macht und Ruhm“ den Skandal auslöst. Hat die Außenministerin das Parlament über ein Milliarden-Ölgeschäft belogen? Journalist:innen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks veröffentlichen die Kurznachricht, die das nahelegt. Das Außenministerium hatte sich wegen des starken Informationsfreiheitsgesetzes nicht dagegen wehren können. Es folgt ein politisches Erdbeben, das der Ministerin fast ihren Job kostet.

Eine solche Geschichte wie aus der Serie ist in Deutschland derzeit unmöglich. Die Bundesregierung verweigert kategorisch, SMS und Messengernachrichten über Signal und WhatsApp zu den Akten zu nehmen. Dabei spielt Handykommunikation politisch eine unglaublich wichtige Rolle, das zeigt die Affäre um die SMS des Finanzministers Christian Lindner.

Lindner hatte bei Porsche-Chef Oliver Blume „argumentative Unterstützung“ erfragt, wie die Deutsche Presse-Agentur berichtete. Thema war ein neues EU-Gesetz, das die rot-grünen Koalitionspartner:innen vorangetrieben haben. Statt einem gänzlichen Verbot für den Verkauf von Verbrennungsmotoren ab 2035 setzte sich Lindner für eine Ausnahme ein: Demnach sollten sogenannte E-Fuels, synthetische Kraftstoffe, erlaubt bleiben. Dahinter steckt beinhartes Lobbying gegen die Klimapolitik der Ampelregierung, und das mit der Hilfe des FDP-Chefs. Letztlich landete die umstrittene Ausnahme im Gesetz, wenngleich in äußerst abgeschwächter Form.

SMS zeigen Einfluss der Autolobby auf die Politik

Bereits Anfang August gestand das Finanzministerium ein, wie eng der Austausch mit dem Porsche-Chef ist. Acht SMS und zwei Telefonate zwischen Lindner und Blume gab es seit Lindners Amtsantritt, sagte das Ministerium dem Bundestag. Blume soll vor Beschäftigen des Konzerns damit geprotzt haben, wie eng er sich mit Lindner abstimme. „Der Christian Lindner hat mich in den letzten Tagen fast stündlich auf dem Laufenden gehalten.“ Auch soll der Porsche-Chef damit geprahlt haben, einen großen Anteil an der Ausnahme für E-Fuels im Koalitionsvertrag zu haben – so zitiert ihn zumindest die ZDF-Satiresendung „Die Anstalt“. Blume bestreitet die Worte nicht direkt, er habe bloß den Mund zu voll genommen, teilt Porsche dem Spiegel mit. Was bleibt ist der Eindruck, dass die Autoindustrie direkt in der Regierungspolitik mitmischt.

Was tatsächlich zwischen Lindner und Blume gelaufen ist, bleibt im Dunklen. Zwar haben Organisationen wie Abgeordnetenwatch und Journalist:innen nach dem Informationsfreiheitsgesetz Anträge auf Herausgabe der SMS gestellt. Doch das Finanzministerium will die SMS offenbar nicht vorlegen. Dem Bundestagsabgeordneten Victor Perli (Die Linke) schrieb das Ministerium, es sehe in den Nachrichten keine „Relevanz für die inhaltliche Bearbeitung eines Verwaltungsvorgangs des Bundesministeriums der Finanzen“. Sprich: Gehen Sie bitte weiter, hier gibts nichts zu sehen. Den Antrag von Abgeordnetenwatch lässt das Ministerium erstmal unbeantwortet.

Die rechtlichen Argumente, mit denen das Finanzministerium die Lindner-SMS geheimhalten will, sind fadenscheinig. Gegenüber dem Bundestag verweist das Ministerium auf die mehr als 20 Jahre alte Registraturrichtlinie. Diese stammt noch aus der Zeit, bevor Deutschland überhaupt ein Informationsfreiheitsgesetz hatte. Im Fall von Lindners SMS heißt es nun, das Gesetz gelte nur, wenn eine Nachricht „für die inhaltliche Bearbeitung eines Verwaltungsvorgangs relevant“ sei. Damit tut das Ministerium, als hätte Lobbying auf höchster Ebene keine Bedeutung. Das entspricht jedoch nicht dem Geist des Informationsfreiheitsgesetzes.

Auch Merkel regierte per SMS

Ob das Ministerium mit seiner Argumentation und der Verzögerungstaktik durchkommt, müssen vermutlich die Gerichte klären. Wenn Richter:innen über die SMS und ihre Relevanz entscheiden, könnte daraus eine Grundsatzentscheidung mit dramatischen Folgen für die Verwaltung werden. Bislang landen selbst offenkundig bedeutende Nachrichten von Minister:innen nicht bei den Akten, sind weder für die Öffentlichkeit noch für die Nachwelt verfügbar.

Sogar Angela Merkel, die 16 Jahre lang Deutschland unter anderem per SMS regierte, verweigerte eine ordnungsgemäße Archivierung ihrer Nachrichten. Erst vergangene Woche wurde durch einen Bericht der „Welt“ bekannt, dass das Finanzministerium haufenweise E-Mails aus dem Büro des heutigen Bundeskanzlers Olaf Scholz löschte. Die E-Mails stammten demnach aus Scholz‘ Amtszeit als Finanzminister. Als Begründung behauptet das Ministerium frech, Ministerbüros seien keine „aktenführenden Stellen“ und müssten daher nichts herausgeben. Wie fragwürdig solche Argumente sind, stellte zuletzt die Konferenz der deutschen Informationsfreiheitsbeauftragten fest: Relevante Nachrichten, egal ob über WhatsApp, iMessage oder Brieftaube, müssten demnach zu den Akten.

Die institutionalisierten „Bundeslöschtage“ entziehen der Öffentlichkeit die Möglichkeit, die Arbeit der Regierung auf politischer Ebene wirksam zu kontrollieren. Lobbying bleibt undurchsichtig, Korruption unsichtbar, Verschwendung öffentlicher Gelder im Dunkeln. Wenn politische Entscheidungen in einer Blackbox getroffen werden, ist der Spielraum für Korruption und kostspielige Fehlentscheidungen einfach zu groß. Kein Wunder also, dass fast jeder europäische Staat eine Form der Transparenz bei öffentlichen Dokumenten festgelegt hat. In den EU-Institutionen ist der Dokumentenzugang für Bürger:innen sogar als Grundrecht festgeschrieben, unabhängig vom Trägermedium. Trotzdem verweigert die EU-Kommission die Herausgabe von Chatnachrichten von Kommissionschefin Ursula von der Leyen.

Von politischer Ebene heißt es gerne, es müsse Platz für offene Worte bleiben, die nicht gleich an die Öffentlichkeit gelangten. Der Spielraum für Entscheidungen müsse geschützt werden. Bei solchen Argumenten handelt es sich um ein Ablenkungsmanöver – denn dieser Spielraum ist im deutschen Informationsfreiheitsgesetz und vergleichbaren Gesetzen in anderen Ländern explizit vorgesehen. Er kann aber nicht pauschal für alles gelten, was Minister:innen machen.

Was die Christian Lindners dieser Welt wollen, ist eine Ausnahme nur für sich. Sie wollen unkontrolliert bleiben. Eine pauschale Ausnahme all ihrer SMS und E-Mails aus der Informationsfreiheit käme ihnen dabei wohl gerade recht. Doch echte Kontrolle ist nur möglich, wenn alle im gleichen Ausmaß Informationen offenlegen müssen. Eine Art Schutzschirm gegen Transparenz, wie ihn das Finanzministerium gerade zu bauen versucht, ist mit demokratischen Grundsätzen nicht vereinbar.

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10 Ergänzungen

  1. Mit dem Smartphone haben sich völlig neue Wege modernen Regierungshandelns ergeben.
    Per WhatsApp schreibe ich dem Beamten – „Minister wünscht, dass Auftrag an XY geht!“ und per Dienstmail schreibe ich parallel – „Minister bittet um ein maximal transparentes und Ergebnis offenes Vergabeverfahren, bitte zu den Akten legen“.

    Die Aktenwirklichkeit ist dann vornehmlich für Informationsfreiheitsanfragen, Untersuchungsausschüsse, Durchsuchungen etc.

  2. „Die Aktenwirklichkeit ist dann vornehmlich für Informationsfreiheitsanfragen, Untersuchungsausschüsse, Durchsuchungen etc.“

    Das entspricht genau dem Prinzip der „doppelten Buchführung“, gegen die der Fiskus bei jedem Otto Normalverbraucher-Unternehmen vorgehen würde.

    Und es bestätigt die politische Parallelgesellschaft, die seit Kohls Zeiten („Spendenaffäre“) über Schröder („Hartz 4-Agenda-Treiber, aber Gaspromlobbyist“) und das Merkel-von der Leyen-Sydrom („Schützt meine SMS, aber chatkontrolliert die Bürger“) bis hin zum jetzigen Lindner-Blume-Kungel entwickelt wurde.

    Fehlt nur noch, dass die FDP in Sachen Chatkontrolle der wahrscheinlich-dafür-SPD nachgibt und damit endgültig die Ampel in den Sumpf der Unglaubwürdigkeit stürzt.

    (quod est exspectandum?)

    1. Das mit der Glaubwürdigkeit ist halt schwierig für Politiker.

      Die Wähler haben in den letzten 20 Jahren glaubwürdige Politiker für unbequemen Wahrheiten konsequent abgestraft und die anderen gewählt oder zumindest toleriert. Wenn also ohnehin nur Glaubwürdigkeit in der Unwahrheit belohnt wird zählt nur die Show im hier und jetzt.

  3. „Es folgt ein politisches Erdbeben, dass der Ministerin fast ihren Jobs kostet.“
    Ich danke Sie, dass ist vermutlich bestes Oxford-Deutsch.

  4. Lindner hat kein Problem.

    Der diskutiert das nicht, der ignoriert das und wird dafür nicht sanktioniert. Linke Machtunfähige würden sich zerfleischen bis zum Rücktritt, deswegen bleiben sie Zuschauer.

  5. Das ganze Gewese verstehe ich nicht. Kann der Lindner nicht einfach die SMS „versehentlich“ löschen, wie seinerzeit UvdL? Oder sein Smartphone ins Klo fallen lassen? Da gibt es bestimmt eine elegante Lösung, wenn man will. ;-)

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