Digitale-Märkte-GesetzStartschuss zum Schlussspurt

Mit dem Digitale-Märkte-Gesetz will die EU für mehr Fairness im digitalen Geschäftsraum sorgen. Medienberichten zufolge könnte sich Brüssel noch diese Woche bei strittigen Punkten einigen.

Thierry Breton bei seiner Anhörung im EU-Parlament
Die französische EU-Ratspräsidentschaft sowie der Digitalkommissar Thierry Breton wünschen sich eine rasche Einigung beim Digital Markets Act – und könnten sie womöglich in dieser Woche erhalten. CC-BY 2.0 European Parliament

Die französische EU-Ratspräsidentschaft will offenbar noch in dieser Woche eine Einigung zu umstrittenen Punkten im Digitale-Märkte-Gesetz erreichen. Konkret geht es darum, welche großen Online-Dienste künftig als sogenannte „Gatekeeper“ gelten sollen und welche Verpflichtungen für sie daraus folgen. Das berichtet das Online-Medium Euractiv unter Berufung auf Verhandlungsdokumente und diplomatische EU-Quellen.

Seit Anfang des Jahres laufen die sogenannten Trilog-Verhandlungen zwischen EU-Kommission, den EU-Ländern und dem Parlament rund um das Digitale-Märkte-Gesetz (Digital Markets Act, DMA). Die Regeln sollen helfen, unfaire Geschäftspraktiken im digitalen Raum abzustellen. Die EU zielt damit vor allem auf große Tech-Unternehmen wie Amazon, Google, Facebook & Co.

Gerangel um Schwellenwerte

Bei der nächsten Verhandlungsrunde wird es laut Euractiv vor allem um die Definition gehen, für welche IT-Riesen besonders strenge Auflagen gelten werden. Auf eine möglichst enge Definition von Gatekeepern drängen insbesondere das EU-Parlament und sein Verhandlungsführer, der CDU-Politiker Andreas Schwab. Dabei geht es etwa um Schwellenwerte wie den Börsenwert oder den Jahresumsatz, die Schwab deutlich höher als die EU-Kommission ansetzen möchte. Angesichts der aktuellen Marktverhältnisse würde dies jedoch dazu führen, dass wohl nur US-Unternehmen davon betroffen wären. Einige EU-Länder wären über die „geopolitischen Auswirkungen“ einer solchen Regelung besorgt, schreibt Euractiv.

Weniger umstritten scheinen die „Kerndienste“ zu sein, die ein Unternehmen anbieten muss, um als Gatekeeper erfasst zu werden. Das können Suchmaschinen oder soziale Netzwerke sein, Euractiv zufolge sollen künftig auch Webbrowser darunterfallen. Auch „smarte“ TV-Geräte und Sprachassistenzdienste sollen es auf die Liste der Definitionen geschafft haben. Gerungen wird offenbar noch um die genaue Formel, anhand derer die Anzahl aktiver Nutzer:innen bestimmt wird. Laut Euractiv setzen sich Online-Marktplätze wie Booking und E-Commerce-Plattformen wie Zalando für eine möglichst schwache Regelung ein, allerdings soll die Definition weiterhin geschäftsmodellneutral bleiben.

Industrielobby muss einstecken

In den vergangenen Jahren hat die Digitalbranche Brüssel mit einer fast beispiellosen Lobby-Kampagne überzogen. Einem Bericht von LobbyControl und Corporate Europe Observatory nach sollen die Tech-Unternehmen rund 100 Millionen Euro im Jahr für Lobbying ausgeben. Kein Wunder: Inzwischen hat sich die EU zu einer globalen Vorreiterin in Sachen Digitalgesetzgebung entwickelt. Vorstöße wie die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) oder die Regeln zur Netzneutralität dienen dem Rest der demokratischen Welt als Blaupausen für eigene Gesetze. Neben dem DMA ist das Digitale-Dienste-Gesetz (Digital Services Act, DSA) eines der großen derzeit verhandelten EU-Vorhaben, das die großen Tech-Unternehmen betrifft. Dabei geht es beispielsweise um Pflichten bei der Inhaltemoderation und Online-Werbung.

Trotz des massiven Lobby-Einsatzes scheinen die IT-Unternehmen, unterstützt von Ländern wie Irland oder Luxemburg, nicht ihren ganzen Willen zu bekommen. Zwar stellen DMA und DSA das Geschäftsmodell des „Überwachungskapitalismus“ nicht grundsätzlich in Frage, genauso wie die Verhandlungen rund um die beiden Gesetze noch nicht endgültig abgeschlossen sind. Aber: „Wir reden endlich davon, dass sie zu groß sind, wir reden über Interoperabilität, etwas, was sie wirklich, wirklich nicht wollen“, zitiert die Financial Times den niederländischen EU-Abgeordneten Kim van Sparrentak. „Das sind große, große Erfolge“. Big Tech habe den legislativen Kampf verloren, berichtet die Zeitung.

Öffnung für Messenger

Zumindest für Messenger großer Anbieter wie Apple oder Whatsapp könnte tatsächlich bald die Pflicht kommen, sich für andere Anbieter wie Signal zu öffnen. Eine entsprechende Einigung „scheint möglich zu sein“, schreibt Euractiv. Damit soll der anbieterübergreifende Austausch von Textnachrichten, Bildern, Videos, Telefon- und Videoanrufen möglich sein, ohne auf Ende-zu-Ende-Verschlüsselung zu verzichten. Soziale Netzwerke sollen hingegen ihre eigenen Inseln bleiben.

Keine Einigung gibt es bisher bei den sogenannten FRAND-Verpflichtungen (Fair, Reasonable and Non Discriminatory terms). Das soll vor allem Rechte von Entwickler:innen schützen, die auf die App Stores von Apple und Google angewiesen sind. Zur Debatte steht offenbar eine Ausweitung auf „alle zentralen Plattformdienste“ oder eine begrenzte Ausweitung auf soziale Medien und Suchmaschinen, so Euractiv.

Auf der Tagesordnung der kommenden Verhandlungsrunde stehen ferner Details rund um Aufsicht und Rechtsdurchsetzung. So sollen nationale Wettbewerbsbehörden weiterhin selbst Untersuchungen durchführen können. Neben der geplanten Aufsicht innerhalb der Kommission soll zudem eine „europäische Gruppe digitaler Regulierungsbehörden“ entstehen, die gegebenenfalls auf Ersuchen der Kommission tätig werden kann.

Hohe Strafen für Verstöße

Hoch könnten die Strafen bei systematischen Verstößen ausfallen. Bereits bei zwei Fällen in zehn Jahren könnten Verstöße als „systematisch“ gelten, zuvor waren es vier Fälle in fünf Jahren. Große Anbieter könnten sich dann kalkulierte Ausrutscher nicht mehr so einfach und oft leisten: Es sollen Geldstrafen von bis zu 20 Prozent des Jahresumsatzes drohen. Anhaltende Verstöße könnten auch dazu führen, dass sich „Killer-Akquisitionen“ einfacher blockieren lassen – dabei kaufen große Unternehmen Mitbewerber auf, um sie vom Markt zu fegen.

Ob sich all diese Fragen tatsächlich in einer Verhandlungsrunde klären lassen, wie Euractiv und Financial Times übereinstimmend berichten, bleibt vorerst offen. Zugleich scheinen die Verhandlungen zum DMA aber recht weit fortgeschritten zu sein. Das ursprünglich anvisierte und ambitionierte Ziel der französischen EU-Ratspräsidentschaft, sowohl beim DMA als auch DSA noch vor dem Sommer eine Einigung zu erzielen, könnte durchaus klappen.

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3 Ergänzungen

  1. Aus der fokussierten Sicht auf DMA, sieht’s positiv aus.

    Am anderen Ende des Tischs wird CETA diskutiert und verabschiedet und hebelt dann mittels Investitionsschutz das ganze wieder aus.

  2. Da hat sich ein Fehler eingeschlichen. Verhandlungsführer beim DMA ist nicht Axel Voss, sondern Andreas Schwab, ein anderer CDUler. Der Link bei Voss‘ Namen führt auch zu Schwab. Bitte korigieren!

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.