Deutsche IT-BrancheHolpriger Rückzug aus dem Russlandgeschäft

Einen Monat nach Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine ziehen sich nun viele deutsche Tech-Firmen aus Russland zurück. Damit folgen sie anderen internationalen Anbietern nach. Doch manche von ihnen bieten weiterhin Support für Bestandskunden an, andere ändern gar nichts.

Russische Flugzeuge
Solange russische Bomben auf die Ukraine fallen, sind Geschäfte mit dem Aggressor nur schwer vertretbar. (Symbolbild) – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Ant Rozetsky

Viele deutsche Unternehmen tun sich schwer mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. Teils jahrzehntelang haben sie enge Geschäftsbeziehungen mit Russland geknüpft, Büros in Moskau betrieben und in die russische Wirtschaft investiert. Doch nun ist der bisherige „Wandel durch Handel“-Ansatz erstmal vom Tisch. Sanktionen der EU und der USA verbieten das Geschäft mit vielen russischen Firmen. Zudem ist es moralisch kaum vertretbar, Geld in die Wirtschaft des Aggressors zu pumpen, selbst wenn dies legal möglich wäre.

Die Zeitenwende macht auch vor der deutschen IT-Branche nicht halt. „Wir haben das Geschäft per Ende März um 70% abgebaut und reduzieren zügig weiter“, teilt etwa der Pressesprecher der PSI Software AG auf Anfrage von netzpolitik.org mit. Das Berliner Unternehmen entwickelt Software für Energieversorger, Industrieunternehmen und Infrastrukturbetreiber, darunter Netzmanagementsysteme für russische Energiebetreiber.

In den letzten Jahren sei das Geschäft jedoch „ohnehin beklemmend und sehr unprofitabel geworden.“ Im Vorjahr fiel der Umsatzanteil auf unter zwei Prozent, so der Sprecher. Nun werde die Dekonsolidierung vorbereitet: „Wir ziehen uns schnellstmöglich zurück und vermitteln verbliebene Mitarbeiter an lokale Unternehmen“. Geflohenen Menschen aus Russland oder der Ukraine biete man Arbeit an, Mitarbeitenden in Zentraleuropa sei Sonderurlaub zur Flüchtlingshilfe gewährt worden, zudem wurden Sachkosten übernommen und Spenden eingesammelt.

Software AG will Kundenwünsche weiter erfüllen

Nicht alle deutschen IT-Firmen vollziehen diesen Schritt. Die Software AG etwa, eines der größten Softwarehäuser Deutschlands und mit einem Büro in Moskau sowie mehreren Geschäftspartnerschaften in Russland vertreten, antwortet nur ausweichend auf eine Anfrage.

„Aus geschäftlicher Sicht stellen die verhängten Sanktionen eine Herausforderung für alle international tätigen Unternehmen mit grenzüberschreitenden Projekten in der Ukraine, Russland und darüber hinaus dar“, schreibt die Pressesprecherin in einer Mail. Die Software AG bilde hier keine Ausnahme.

Generell habe das Unternehmen „keine wesentlichen Geschäfte in den betroffenen Ländern“, so die Sprecherin. Diese dürften jedoch weitgehend weiterlaufen: „Wir halten selbstverständlich alle internationalen und nationalen Vorschriften, die im Zusammenhang mit der aktuellen Situation in Kraft treten, strikt ein und stellen eine nahtlose Verfügbarkeit und Lieferung von Produkten und Dienstleistungen für unsere Kunden sicher“, schreibt die Sprecherin.

Zu den Partner:innen der Software AG zählt etwa Croc, laut Eigendarstellung der „IT-Serviceprovider Nummer 1 in Russland“. Das Unternehmen sei unter anderem im Bankensektor, im Energiegeschäft und in nicht näher ausgeführten „Government“-Industrien tätig, bewirbt die Software AG die Partnerschaft. Ähnlich auch die offenbar weiter laufende Zusammenarbeit mit der Borlas Group LLC, die Dienstleistungen für Banken, Öl- und Gasunternehmen sowie den öffentlichen Sektor anbietet.

Beide Firmen tauchen nicht auf EU-Sanktionslisten auf, allerdings bleibt unklar, welche russischen Firmen oder Regierungsstellen zu ihren Kund:innen zählen. Bei Borlas soll dies unter anderem „eine der größten Banken Russlands“ sein, für die man IT-Systeme aufbaue und betreue. Viele, aber nicht alle, große russische Banken wurden von der EU-Kommission mit Sanktionen belegt.

Nachfragen danach, ob die Software AG seit Beginn des Krieges und der Verhängung von Sanktionen irgendetwas Konkretes an ihrem Geschäftsgebaren geändert und beispielsweise die Zusammenarbeit mit bestimmten Unternehmen oder Individuen eingestellt habe, blieben unbeantwortet.

Deutsche Telekom und SAP ziehen sich zurück

Lange gezögert hatte die Deutsche Telekom, wie sie mit der Situation umgehen soll. Zuerst hatte der Gesamtbetriebsrat der Telekom einen vollständigen Rückzug aus Russland gefordert, gestern gab der Netzbetreiber tatsächlich die Einstellung seiner Aktivitäten in Russland bekannt. Netze habe die Deutsche Telekom in Russland nicht betrieben, allerdings Software in Sankt Petersburg und anderen russischen Städten entwickeln lassen.

Den laut Deutschlandfunk rund 2.000 Beschäftigten habe das Unternehmen angeboten, außerhalb Russlands weiterzuarbeiten. Das Angebot sei von vielen Mitarbeitenden angenommen worden, so das Unternehmen. Das „humanitäre Desaster“ will die Telekom etwa mit Spenden an das Deutsche Rote Kreuz sowie kostenlosen SIM-Karten für ukrainische Geflüchtete abmildern helfen.

Ende letzter Woche hat der Softwareriese SAP verkündet, sich vom russischen Markt zu verabschieden. „Wir stehen zu unserer Verpflichtung gegenüber der Ukraine, indem wir alle Verkäufe stoppen und den Cloud-Betrieb in Russland einstellen“, heißt es in einer Pressemitteilung des Unternehmens. Bereits Anfang März habe SAP alle Verkäufe in Russland und anschließend in Weißrussland eingestellt sowie „ausnahmslos alle internationalen Sanktionen sofort umgesetzt“.

Nun stelle das Softwarehaus den Cloud-Betrieb in Russland aktiv ein. SAP-Produkte, die von russischen Unternehmen in eigenen internen IT-Abteilungen betrieben werden, lassen sich weiter nutzen, allerdings gebe es keinerlei Support oder sonstiges Engagement mehr, schreibt das Unternehmen. Humanitäre Hilfe will SAP unter anderem mit Technologie leisten, die es multinationalen Organisationen zur Verfügung stellt.

Rückzug vieler Firmen

Damit reihen sich die deutschen Branchengrößen ein in eine lange Liste an internationalen IT-Firmen, die sich inzwischen aus Russland zurückgezogen haben. Manche davon hatten ursprünglich nur angekündigt, lediglich das Neukundengeschäft in Russland einzustellen, ihre Dienstleistungen aber Bestandskunden weiter anzubieten. Laut der Nachrichtenagentur Reuters sollen etwa SAP-Mitarbeitende diese Strategie intern kritisiert haben.

Mitte März hatte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj ausdrücklich SAP, Microsoft und Oracle dazu aufgefordert, den Support für ihre Produkte in Russland aufzugeben. Angesichts des Angriffskrieges könne es keine „halben“ Entscheidungen oder „Zwischentöne“ geben, schrieb Selenskyj auf Twitter: „Ihr seid entweder für Frieden oder unterstützt weiter den blutigen russischen Aggressor, der ukrainische Kinder und Frauen tötet“.

Oracle hat sein Russland-Geschäft mittlerweile vollständig eingestellt. Microsoft hingegen leistet weiterhin Support für bestehende Kunden, spendet aber laut Eigenaussage Millionenbeträge an humanitäre Organisationen, unterstützt die ukrainische Regierung bei der Cybersicherheit und lässt ukrainische Nutzer:innen kostenlos mit Skype in Fest- und Mobilfunknetze telefonieren.

Das scheint der Mittelweg zu sein, den viele internationale Tech-Konzerne derzeit zu gehen versuchen. Der Cloudanbieter Amazon Web Services etwa lässt keine neuen Anmeldungen für seine Dienste zu und gibt an, bestehende Accounts zu löschen, sofern sie zu Gewalt aufrufen. Google wiederum bietet nur mehr wenige seiner Dienste uneingeschränkt in Russland an, etwa seine Suchmaschine, hat sein hochprofitables Werbegeschäft jedoch vollständig auf Eis gelegt.

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Eine Ergänzung

  1. Dann bin ich mal gespannt, wie sich deutsche Firmen aus Saudi-Arabien zurueckziehen, und natuerlich beim naechsten Angriff von dort aus den USA.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.