Ampel-StreitDie Chatkontrolle ist noch lange nicht vom Tisch

Die Bundesregierung scheint sich endlich einig: Sie ist gegen die Pläne der EU, private Chats zu überwachen. Entwarnung bedeutet das nicht, denn noch ist über die Details nichts bekannt und ausgerechnet die Innenministerin soll die Ablehnung in Brüssel durchsetzen. Eine Analyse.

Innenministerin Nancy Faeser in schwarzem Blazer vor einem Hintergrund, der drei Ampeln zeigt die zugleich auf rot, grün und gelb stehen.
Die Ampel sendete zuletzt unklare Signale (Symbolbild) – Porträt: IMAGO / Political-Moments; Montage: netzpolitik.org

Es wirkt wie ein kleiner Etappensieg, was gestern passiert ist: Glaubt man dem Tweet von Justizminister Marco Buschmann, konnte Nancy Faeser nach monatelangen Auseinandersetzungen in der Koalition und zahlreichen Ausweichmanövern ihre Stellung nicht länger halten. Ihr Innenministerium ist in Brüssel dafür zuständig, über eine Verordnung zu verhandeln, die „Child Sexual Abuse“ bekämpfen soll, also sexuelle Gewalt gegen Kinder. Die Lösung dafür sieht die EU-Kommission bislang vor allem in Technik: Unter anderem sollen Mailanbieter oder Messengerdienste wie WhatsApp oder Signal in Zukunft dazu verpflichtet werden können, die Nachrichten ihre Nutzer:innen nach belastenden Texten und Bildern zu durchsuchen. Das wäre eine neue anlasslose Massenüberwachung, welche die EU zum Schutz von Kindern einführen will, weil sie die Inhalte von Millionen unbescholtener Menschen ohne Verdacht durchsuchen würde.

Die Pläne sorgen für Krach, auch in der Ampelkoalition. Diese hatte in ihrem Koalitionsvertrag der Durchsuchung von Kommunikation eine Absage erteilt. Doch das Ministerium von Faeser verfasste unbeirrt ein Positionspapier, das weiter an dem umstrittenen Client-Side-Scanning festhielt. Bei dieser Technologie werden Inhalte auf den Geräten der Nutzer:innen durchsucht, noch bevor sie verschlüsselt verschickt werden. Der Versand selbst passiert also womöglich weiterhin verschlüsselt, vorher und nachher kann der Staat aber mitlesen. Das wäre das Ende vertraulicher und privater Kommunikation.

Ceci n’est pas une Chatkontrolle

Eine Chatkontrolle sei das trotzdem nicht, behauptete Faeser noch gestern in der Bundespressekonferenz, diese wolle sie nicht, auch nicht ihr Ministerium. Dem „Client-Side-Scanning“ wolle man sich hingegen „nähern können“. Ihre Aussagen waren nicht nur aus technischer Sicht widersprüchlich und verwirrend.

Vielleicht waren sie dann auch der Kipppunkt. Kurz darauf ließ Justizminister Marco Buschmann (FDP) auf Twitter wissen, er habe ein „gutes Gespräch“ mit Faeser geführt, die Bundesregierung sei sich einig, dass sie klar gegen die Chatkontrolle sei.

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Das klingt nach einem Punktsieg für die opponierende digitale Zivilgesellschaft und die kritischen Koalitionspartner, allen voran für die FDP, die sich bei dem Thema besonders eindeutig positioniert hat. Digital- und Innenpolitiker:innen von Grünen und FDP sind schon lange besorgt um den Kurs aus dem Innenministerium und fürchten, dass Faeser den Koalitionsvertrag brechen könnte. Sie versuchten mehrfach durchzusetzen, dass sich die Innenministerin bei den Verhandlungen in Brüssel klar gegen die anlasslose Überwachung stellt. Hatten sie nun Erfolg?

Mehr als die Überwachung von Chats

So weit die Freude reicht, ein Sieg ist das noch nicht. Zunächst hat sich Faesers Ministerium bislang selbst gar nicht klar geäußert, die Aussagen kommen von Parteifreund:innen oder Koalitionspartnern wie Buschmann. Der ließ in seinem Tweet Spielraum für Interpretationen und blieb erstaunlich vage.

Und selbst eine klare Aussage aus dem Innenministerium, dass sie nun jede Technologie rund um Chatkontrolle ablehnt, wäre noch zu wenig. Denn Faesers BMI führt die Verhandlungen in Brüssel, sie vertritt die Position der Ampelregierung, sie ist die eine Stimme, die Deutschland in diesen Fragen im Rat hat.

Das kann sie halbherzig tun und minimale Details ändern wollen, wie derzeit. Oder sie kann sich vehement dagegen einsetzen und mit aller Kraft versuchen, noch Einfluss auf die Verordnung zu nehmen – um alle problematischen Punkte im geplanten Text zu kippen.

Denn mit einer klaren Haltung der Bundesregierung zur Chatkontrolle und Client-Side-Scanning sind noch lange nicht alle Probleme der Verordnung abgeräumt. Auch wenn sich der Streit und die Debatte derzeit vor allem um den Umstand dreht, dass die EU eine Massenüberwachung der privaten Kommunikation plant, um Kinder vor Gewalt zu schützen – der Entwurf enthält noch zahlreiche weitere schlechte Vorschläge. Die FDP-Ministerien haben diese übrigens in ihren „roten Linien“ schon klar benannt.

So könnten Anbieter von Chatdiensten oder Social-Media-Plattformen eine verpflichtende Alterkontrolle einführen, um sich den Vorgaben der Verordnung zu beugen. So soll verhindert werden, dass Erwachsene Kontakt mit Kindern anbahnen – das so genannte Cybergrooming. Und auch die vorgesehene automatische Erkennung von Grooming ist heikel, weil die Technik unausgereift ist und Hunderttausende Fehlalarme auslösen könnte. Die Verordnung könnte außerdem auch private Cloud-Speicher ins Visier nehmen, auf denen Menschen die Daten aus ihren Handys und Computern auf Servern von Dropbox, Microsoft oder Apple speichern. Alleine mit der Ablehnung der Chatkontrolle ist es also nicht getan.

Kann Faeser ihr Ministerium auf Linie bringen?

Deutschlands Stimme hat im Rat durchaus Gewicht und könnte auch andere Staaten dazu bewegen, die Chatkontrolle und andere grundrechtsfeindliche Maßnahmen in der EU-Verordnung zu kippen. Aber wenn die gleichen Beamt:innen, die bislang nur zahm an den Feinheiten der Verordnung herumschraubten, sich nun klar gegen die Chatkontrolle einsetzen sollen, muss Faeser vor allem auch ihr eigenes Ministerium auf Linie bringen, in dem immer noch der Geist der Unionsparteien weht.

Hinzu kommt, dass das Thema „Chatkontrolle“ in der deutschen und österreichischen Debatte angekommen ist, aber in vielen anderen europäischen Staaten noch nicht. Damit die EU-Verordnung wirklich gekippt wird, braucht es auch Gegenwind aus anderen Ländern. Hier ist auch die europäisch vernetzte digitale Zivilgesellschaft gefragt, um international zu sensibilisieren.

Westliche Staaten fahren seit Jahren Kampagnen, um Zugriff auf verschlüsselte Kommunikation zu bekommen. Mal ist es die nationale Sicherheit in Zeiten des Terrors, mal der Schutz von Kindern, der dafür vorgeschoben wird. Das Ziel ist immer das gleiche: Bitte eine Hintertür zu vertraulicher Kommunikation für unsere Behörden. Die aktuellen Auseinandersetzungen um Chatkontrolle sind nur die neueste Runde diesem sehr alten Match. Die erste Spiel ist nun vielleicht gewonnen, der Punkt ging an die Kritiker:innen. Ein Sieg ist das noch nicht.

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9 Ergänzungen

  1. Danke, dass ihr da dran bleibt. Ich kann eigentlich nur noch mal meinen Kommentar vom Mai wiederholen:

    Danke, dass ihr diese wichtigen Aspekte beleuchtet. Selbst wenn die dystopischen Chatkontrollen als solche durch irgendwelche tollen „Kompromisse“ abgeschwächt werden sollte, droht hier doch ganz klar eine Art indirekte Klarnamen- oder Verifikationspflicht.

    Deshalb: Keine Kompromisse oder Einigungen! Das ganze Vorhaben gehört zu 100% abgelehnt und keinen Fußbreit darf nachgegeben werden, denn hat die EU-Kommission erst mal ihren Fuß in der Tür, fällt sie im nächsten Schritt ins Haus mit ein! Hier muss radikal dagegen gehalten werden!

  2. „…muss Faeser vor allem auch ihr eigenes Ministerium auf Linie bringen, in dem immer noch der Geist der Unionsparteien weht.“
    Welcher Staatssekretär / Abteilungsleiter steckt denn hinter den ganzen Positionspapieren? Mir scheinen es die gleichen Geister zu sein, die auch schon die vorherigen Innenminister in dieser Angelegenheit „beraten“ haben.

    1. Das BMI hat Wolfgang Schäuble eisenhart auf autoritaeren Obrigkeitsstaat getrimmt. Schily hat brilliant weitergeschliffen, und dann nahtlos an Schäuble zurueck gegeben.

      Da sind Strukturen und Personen seit Jahrzehnten fest im Sattel und in signifikantem Umfang nur durch Herausaltern zu aendern. Also das waere zu aendern, wenn eine Innenministerin das wirklich anstreben wuerde, und das ist mit der SPD natuerlich nicht absehbar.

  3. Das hat Merkel schon 2017 vorgemacht: die GroKo hat gegen Glyphosat entschieden und der deutsche Landwirtschaftsminister hat dann in Bruessel dafuer gestimmt. Es hatte fuer ihn keine Konsequenzen.

    Olaf Scholz sieht sich ja als der wahre Erbe von Angela Merkel, und Nancy Faeser hat die nahe Hessenwahl vor Augen.

  4. Wer mag es schon kontrolliert zu werden? Niemand. Doch wenn die Polizei Streife fährt und zufälligerweise nicht der rechtschaffende Bürger sondern ein mutmaßlicher Stratäter erwischt wird sind denke ich alle Menschen froh nicht Opfer des selbigen geworden zu sein.

    Die Vorstellungen, dass private Gespräche längere Zeit ergebnislos abgehört werden finde ich auch nicht prickelnd. Wenn jedoch ein Verdachtsfall vorliegt kann dieser nur so entkräftet werden. Mein Privatleben ist in Gefahr und ich habe ein Recht auf Privatsphäre, ja jedoch bitte auch daran denken, dass ihr von Ermittlungsbehörden geschützt werdet und sich da niemand auf euer Leben geistig onanierend freut. Totalüberwachung ist schon personell nicht möglich. Missbrauch ist jedoch immer möglich eine Suspendierung vom Dienst jedoch auch.

  5. „Wenn jedoch ein Verdachtsfall vorliegt kann dieser nur so entkräftet werden.“

    Wie kommen Sie darauf? Das klingt so, als müsse in jedem Fall eine Überwachung stattfinden, andere Ermittlungsmethoden seien nicht zielführend.

    Es wird aber immer mehr überwacht, BEVOR Verdachtsfälle vorliegen. Das beruht auf einer Umdeutung des Rechtsprinzips der Unschuldsvermutung, nach dem Motto „Jeder ist irgendwie verdächtig“ und wird deshalb präventiv überwacht (vgl. z. B. Bayerisches Polizeiaufgabengesetz). Und nicht, wie es vorher war, aufgrund eines konkreten Verdachts.
    Deshalb wurde fast marktschreierisch der vielzitierte Spruch „Du hast doch nichts zu verbergen“ etabliert, um die Bürger mental daraufhin zu konditionieren, dass nur der, der alles von sich preisgebe, unverdächtig sei und es daher nichts ausmache, überwacht zu werden.

    Streife zu fahren ist Prävention, das ist richtig. Sie basiert aber auf optischer/akustischer Wahrnehmung und ist immer situationsbezogen, richtet sich also bei einer Kontrolle gegen wenige in einem bestimmtem Moment. Alle übrigen Bürger sind bei diesem ausgeblendet, es findet zudem keine Informationsspeicherung statt. Daher ist der Vergleich nicht korrekt.

    „Totalüberwachung ist schon personell nicht möglich.“

    Nein, personell nicht, aber technisch. Und genau auf diese Weise versuchen Politiker und die Exekutive deshalb seit Jahren akribisch, diese möglichst lückenlose Überwachung zu ermöglichen. Dagegen vorzugehen, gebietet demokratisches und freiheitliches Streben und ist Ziel dieser Seite hier.

    1. „Nein, personell nicht, aber technisch.“
      Und genau daraus sind Dystopien geschnitzt. Auch weil so viel mehr als „nur technische Überwachung“ damit möglich ist, gleichzeitig zu eben nicht so perfekt, wie es behauptet/beworben/gehofft wird. Das ist auch nicht wirklich diskussionswürdig, da es an den Grundfesten der Demokratie rüttelt. Würde die Menge an Menschen solche Anwendungen nutzen, wären auch Echtzeitbilder von allem Möglichen drinnen, womit jedes Fitzelchen Intransparenz seitens Regierender und von der Überwachung Profitierender zu einer überproportionalen Schieflage in der Macht führt. Die Demokratie wäre so schon keine mehr.

      1. Und weil das so teuer ist, wird dann etwas später die Auswertung des Echtzeitstreams der „Ende-zu-Ende“ „verschlüsselten“ Chats zu Werbezwecken, strikt anonym, personalisiert, zugelassen werden.

  6. Totale massenüberwachung jedes geschriebenen Wortes, weil ein paar faule Eltern ihre Kinder nicht pflichtgemäß großziehen und hüten wie ihren Augapfel? Handy mit Internet für 7 jährige? Idiotie? Naivität?

    Kranke orwellsche Pläne, lächerlich und absolut unverhältnismäßig .

    Die Kinder haben fast alle volles Internet und können jede Form der Pornografie ansehen ohne Kontrolle. Viel gefährlicher als in der Regel WhatsApp.

    Es ist einfach den Kindern beizubringen keine kritischen Bilder zu versenden. Und auch einfach zu fremden keinen Kontakt zu halten oder den Eltern schlicht Bescheid zu geben.

    Wir überwachen 500.000.000 wegen 100.000 schlechten Eltern ?

    Woher haben die Pädos die Nummern der Kinder? Datenschutz Auftrag der Eltern und der Schule in einer an Technik hoffnungslos überforderten Gesellschaft, Lehrer wie Eltern ?.

    Anstatt nummernfreies Threema gibt es WhatsApp Klassengruppen. Jeder kann Nummern sehen und verbreiten. Ein threema account kann extra für die Klasse erstellt werden. Zahlreiche IT Lehrer könn(t)en sichere Chat Möglichkeiten einrichten.

    Lehrer rufen bei der Tochter privat an wie es ihr geht. Erfahrung aus Corona.

    WLAN in der Öffentlichkeit unverschlüsselt perfekt für Sniffing.

    Fremde sitzen in der EU „Zentrale“ und inspizieren versendete freizügige Bilder deiner Kinder -welche diese aber an mutmaßlich namentlich bekannte Freunde gesendet haben. Es ist so als ob fremde mit im Kinderzimmer sitzen. Permanent.

    Fremde inspizieren deine Sex Chats mit deiner Frau ? Könnte ja was illegales sein. WhatsApp wird zur Postkarte und der Postbote freut sich.

    Sind die „Überwacher“ Übermenschen ? Oder Roboter?

    Klingt wie massenüberwachung unter den Deckmantel des Kinderschutzes.

    In Deutschland nix neues. Man denke nur an die Einführung der Führungsaufsicht unter dem Deckmantel Missbrauch. Wird heute auch bei Diebstahl verhängt, nachlesbar unter:
    Paragraf 245 StGB
    ….

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.