Zero RatingKein Spielraum für Verletzungen der Netzneutralität

Produkte wie StreamOn und Vodafone Pass verletzen die Netzneutralität, anders lassen sich die jüngsten Urteile des Europäischen Gerichtshofs kaum interpretieren. Zivilgesellschaftliche Organisationen und Verbraucherschützer:innen rufen nun EU-Regulierer dazu auf, das Geschäftsmodell zu verbieten.

Ein Verbot von Zero Rating könnte zu mehr Datenvolumen führen. (Symbolbild) – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Magnet.me

Verbraucherschützer:innen und eine Reihe zivilgesellschaftlicher Organisationen appellieren an EU-Regulierer, auf die jüngsten Urteile des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zu reagieren und sogenannte Zero-Rating-Angebote wie StreamOn der Telekom und Vodafone Pass ein für alle Mal zu verbieten.

„Der EuGH hat den Stillstand der Telekomregulierungsbehörden aufgebrochen“, sagt der Netzneutralitätsexperte Thomas Lohninger von der Digital-NGO epicenter.works. Die Urteile hätten bestätigt, „was die netzpolitische Zivilgesellschaft schon seit 2016 gefordert hat, ein Verbot von Zero Rating“, so Lohninger.

In drei Vorabentscheidungen hatte der EuGH im September die Angebote für unvereinbar mit EU-Recht erklärt. Solche kostenpflichtigen Produkte rechnen den Zugriff auf einen bestimmten Online-Dienst, etwa Facebook oder Youtube, nicht auf das monatliche Datenvolumen an. Da hierbei der Datentransfer „auf Grundlage kommerzieller Erwägungen“ jedoch unterschiedlich behandelt werde, verstoße dies grundsätzlich gegen die EU-Verordnung zur Netzneutralität, urteilte der EuGH.

Das seit 2016 geltende EU-Gesetz verpflichtet Netzanbieter dazu, sämtlichen Datenverkehr ohne Diskriminierung oder Störung gleich zu behandeln. Europäische Telekommunikationsaufseher hatten Zero-Rating-Angebote unter Auflagen aber dennoch erlaubt, solange sie aus ihrer Sicht die Rechte und die Wahlfreiheit von Nutzer:innen nicht beschränken würden.

Zero Rating nur vordergründig ein Vorteil

„Zero-Rating-Angebote können vordergründig für Verbraucher:innen eine attraktive Möglichkeit darstellen, ihre Vertragsleistungen zu optimieren“, sagt die Telekommunikationsexpertin Susanne Blohm vom Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV). Langfristig bestehe jedoch die Gefahr, dass durch solche Zero-Rating-Angebote die Wahlfreiheit der Verbraucher:innen eingeschränkt wird und zudem das Preis-Leistungs-Verhältnis stagniert.

Produkte wie StreamOn seien für Verbraucher:innen besonders interessant, wenn das monatliche Datenvolumen limitiert ist und für zeitgemäße Anwendungen wie Musik- oder Video-Streaming nicht ausreicht, argumentiert die Verbraucherzentrale in ihrer Stellungnahme an die EU-Agentur GEREK (Gremium Europäischer Regulierungsstellen für elektronische Kommunikation). Wünschenswert wäre jedoch ein stetig ansteigendes Inklusivvolumen, mit dem Verbraucher:innen frei entschieden könnten, welche Dienste sie nutzen möchten.

Das Gremium führt derzeit eine Konsultation von Marktteilnehmern durch, weil das EuGH-Urteil es zu einer Änderung seiner Leitlinien zur Netzneutralität zwingt. Diese Leitlinien sollen Mitte des kommenden Jahres fertig gestellt sein und nationalen Behörden wie der Bundesnetzagentur (BNetzA) als Richtschnur dienen, welche Produkte sie genehmigen oder verbieten. Die BNetzA hatte schon zuvor durchblicken lassen, dass die Angebote auf dem deutschen Markt „in ihrer jetzigen Form nicht aufrechterhalten werden können“.

Große Unternehmen profitieren von Zero Rating

Der Netzaktivist Lohninger sieht nun eine echte Chance, dass Europa „jetzt endlich mit Indien und Kanada aufschließt und Zero Rating bald verboten“ wird. Das könnte nicht nur zu mehr Datenvolumen für Kund:innen führen, sondern auch zu mehr Wahlfreiheit im Internet. „Zero Rating hilft immer nur den großen, etablierten Diensteanbietern“, sagt Lohninger.

Am meisten profitiere Facebook von Zero Rating in Europa, zwei seiner Dienste sind unter den Top 3 der bevorzugten Dienste, sagt Lohninger mit Verweis auf eine Untersuchung von epicenter.works. Unter den Top 20 bei Zero-Rating-Diensten stammten nur drei aus Europa. Zudem halte Zero Rating „die Datenvolumen in Mobilfunktarifen künstlich niedrig und damit könnte endlich bald Schluss sein“, so Lohninger.

Die NGO aus Wien war an der Stellungnahme von EDRi (European Digital Rights) beteiligt, einer in Brüssel sitzenden Digital-NGO. Unterstützt wird die Einreichung unter anderem vom Chaos Computer Club, der Gesellschaft für Freiheitsrechte und dem Verein Digitale Gesellschaft. Wie der VZBV sehen die Organisationen kaum Spielraum für GEREK, solche Produkte weiterhin zuzulassen.

Es sei besonders bemerkenswert, heißt es in der Stellungnahme, dass der EuGH seine Begründungen in den drei Urteilen wortgleich formuliert habe. In den von der BNetzA und dem VZBV angestrengten Fällen ging es um Tarifdetails rund um Roaming, Tethering und eine Drosselung von Videoangeboten. Die Details hatten für den Gerichtshof jedoch keine Rolle gespielt, die Urteile fielen für viele überraschend grundsätzlich aus. Es sei deshalb „offensichtlich“, dass alle Zero-Rating-Produkte gegen den Artikel 3 des EU-Gesetzes verstoßen.

Die Industrie sieht das freilich anders. Solange es keine finanziellen Hürden für Inhalteanbieter gebe, an Zero-Rating-Angeboten von Netzbetreibern teilzunehmen, könnte dies mit EU-Recht vereinbar sein, schreibt etwa der deutsche Verband der Internetwirtschaft eco in seiner Stellungnahme. Das entspricht allerdings dem Status Quo, den der EuGH für illegal erklärt hatte. Womöglich ist es aber auch schon ein Fortschritt, wenn die Verordnung für ein offenes Internet einfach konsequent angewendet wird. „Für die Unternehmen in diesem Bereich des Marktes ist es wichtig, die dringend erforderliche Planung- und Rechtssicherheit zu schaffen“, sagt Klaus Landefeld, stellvertretender eco-Vorstandsvorsitzender.

Update, 12:25: Die Stellungnahme von eco traf nach Redaktionsschluss ein und wurde nachträglich hinzugefügt.

Deine Spende für digitale Freiheitsrechte

Wir berichten über aktuelle netzpolitische Entwicklungen, decken Skandale auf und stoßen Debatten an. Dabei sind wir vollkommen unabhängig. Denn unser Kampf für digitale Freiheitsrechte finanziert sich zu fast 100 Prozent aus den Spenden unserer Leser:innen.

3 Ergänzungen

  1. Din waschechtes Trauerspiel. Seit 2016 verstoßen Telekommunikationsunternehmen gegen die Netzneutralität. Und auch, nich immer, gegen die Endgeräte-Freiheit indem Tethering als „nicht-Bestandteil“ bezeichnet wird. Die AGBs wurden noch immer nicht geändert, oder?

    Und allein aus dem Fakt heraus, das ich auf Nicht-Partnerseiten Datenvolumen verliere, hindert mich daran andere Seiten zu nutzen vor allem wenn es um Video-Streaming geht. Allein in Deutschland gibt es über 6 Mio. Websites, wie sollen die alle Partner werden? Das ist technisch überhaupt nicht zu stemmen für die Telkos. Außerdem habe ich persönlich Youtube-Premium abgeschlossen weil das Datenvolumen erheblich abgezogen wurde und weder von VodPass noch von StreamON abgedeckt wird. StreamON ist eine Nebelkerze von deutschen Drückerkolonnen. Ich habe durch VodPass / StreamON einmal 600GB Datenvolumen benötigt.
    Es wird Zeit für Mbits-Mobilfunktarife zu einem bezahlbarem Preis. Die Telekom bietet das für 45€ an wenn du einen Festnetzvertrag hast der mindestens 40€ im Monat kostet, so bist du dann bei 95€ im Monat ohne Handy und mit Handy bei 105€ wobei ich Verträge mit Handy für Luxus halte. 95€ im Monat für Internet, Telefon und einen vernünftigen Mobilfunkvertrag weil ja nun mal immer mehr Daten gebraucht werden. Das ist Wucher! Ist nur in Deutschland möglich

  2. Der Artikel stimmt so nicht. Das EuGH hat das Stream On und VidroPass von Vodafone in seiner ursprünglichen Form verboten. Die Provider haben ihr Angebot nachgebessert, um es den Auflagen des EuGH EU-konform zu machen.
    Die Zero-Rating Angebote von 2016 gibt es nicht in der Form mehr.

    1. Haben sie nicht.

      StreamOn wird von der Telekom weiterhin als „Kein Tarifbestandteil“ bezeichnet. Sogar auf der Homepage steht das.

      Das EU-Gericht hat zusätzlich klargestellt, das beide Optionen nicht netzneutral sein können, weil sie faktisch nicht alle gleich behandeln. Nicht nur, das die meisten Online-Dienste nicht unterstützt werden, sondern auch, weil Unterschiede zwischen Desktop, App und Mobile gemacht wird.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.