PolizeiaufgabengesetzJournalisten wehren sich gegen Polizeischikane bei Automesse

Journalisten werfen der bayerischen Polizei vor, sie während der Automesse IAA in München schikaniert zu haben. Daher haben einige von ihnen nun Klage gegen den Freistaat Bayern eingereicht. Der verschaffte seinen Beamten zuletzt durch die Neufassung des Polizeiaufgabengesetzes umfassende Befugnisse.

Polizei geht gegen Demonstrierende vor
Polizei setzt Pfefferspray gegen Demonstrierende bei den Protesten gegen die IAA ein. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Tim Wagner

Vier Journalisten haben beim Verwaltungsgericht München Klage gegen den Freistaat Bayern eingereicht. Sie werfen Polizeibeamten:innen vor, sich ihnen gegenüber während der Internationalen Automesse (IAA) rechtswidrig verhalten zu haben. Auf Twitter schildert einer von ihnen den Vorfall: Polizisten:innen stoppten die Gruppe zunächst auf dem Messegelände und brachten sie kurz darauf in die Gefangenensammelstelle (Gesa). 

Akkreditierung und vorgezeigten Presseausweisen zum Trotz kontrollierten die Beamten:innen die Journalisten erneut und durchsuchten sie zudem. Verlassen durfte die vierköpfige Gruppe die Gesa erst, nachdem der Veranstalter interveniert hatte. Dieser betonte gegenüber der Polizei, die Journalisten könnten uneingeschränkt ihrer Arbeit nachgehen.

Monique Hofmann, Bundesgeschäftsführerin der Deutschen Journalisten:innen Union, äußerte sich zu dem Vorfall:

Es kann nicht angehen, dass eine Polizeibehörde akkreditierte Journalisten mit Presseausweis wie Schwerverbrecher behandelt.

Die Deutsche Journalistinnen-und Journalisten-Union (dju) unterstützt die Betroffenen bei ihrer Klage

Presseausweis hin, Presseausweis her

Hofmann kritisierte weiter, die Polizei habe die Pressefreiheit auch in anderen Fällen missachtet. Das sei inakzeptabel, die rechtliche Grundlage könnten die Beamten:innen demnächst dem Verwaltungsgericht erläutern.

Inoffizielle Gründe hatten die Beamten:innen den Journalisten bereits in der Gesa mitgeteilt, berichtete einer der Reporter. Demzufolge rechtfertigten die Polizisten:innen die Maßnahmen damit, die Journalisten hätten eher nach Mitgliedern des Protestcamps ausgesehen, als nach Pressevertretern. Daher habe man die Gruppe verdächtigt, das Gelände und die Messe für Störaktionen auszuspähen.

Die Münchener Polizei bestätigte den Vorfall auf Twitter weitestgehend. Man habe eine „Personengruppe kontrolliert, als sie während der Messe Fotos fertigte“. Die Journalisten seien zur „Überprüfung“ in die Gesa gebracht worden. Es handle sich nicht um einen „Gewahrsam“. Weiter hieß es in dem Statement der Polizei:

Grundsätzlich schließt das Vorzeigen eines Presseausweises eine ganzheitlichen (sic) polizeiliche Kontrolle nicht aus.

Einige Tage später drückte sich die Polizei dann deutlich diplomatischer aus. Man sei verpflichtet, die Grundrechte zu wahren, wozu „selbstverständlich auch das Grundrecht auf Informations- und Pressefreiheit“ zähle. Eine Überprüfung des Vorfalls sei bereits eingeleitet. Kritik erfährt der Umgang der Münchener Polizei mit Journalisten allerdings auch für weitere Vorfälle.

Gepfefferter „Fotowichser“

Eines dieser Beispiele ist das eines freien Journalisten, der unter anderem für die taz schreibt. Der Reporter berichtete über Aktivisten:innen, die ein leerstehendes Haus besetzt hatten. Als die Polizei das Gebäude räumte, wurde auch der anwesende Journalist vorläufig festgenommen. Er konnte die Gesa erst Stunden später verlassen – nach einer Gefährderansprache und mit einem umfassenden Betretungsverbot. Die Beamten:innen zeigten ihn zudem wegen Hausfriedensbruch an.

Für eine Gruppe Fotografen hatte das Zusammentreffen mit der Polizei sogar körperliche Folgen. Einer der Reporter brach seine Berichterstattung über die Messe daraufhin ab. Videos belegen, dass die Beamten:innen den Journalisten zuvor wiederholt Pfefferspray ins Gesicht sprühten.

Die Gruppe hebt sich in den Aufnahmen des Vorfalls sowohl farblich als auch aufgrund ihrer Kameras optisch von den Demonstranten ab. Einer der Fotografen trägt zudem einen Helm mit der Aufschrift „Presse“. Auch ein Polizist ist auf den Videos zu sehen und zu hören:

„Bringt die Fotowichser da raus!“

Dass der Beamte die Journalisten als solche erkannt hat, lässt diese kraftvolle Aufforderung an einen Kollegen zumindest vermuten. Die Vorgehensweise gegen Demonstranten:innen und Pressevertreter:innen stieß auch intern auf Kritik.

Alle Befürchtungen erfüllt

Aktivisten:innen berichteten davon, dass selbst Polizisten:innen Verständnislosigkeit darüber geäußert hätten, dass sie bereits vernommene Personen nach der Identitätsfeststellung weiter festhalten sollten. Beamte:innen des Münchener Präsidiums nannten die vorgegebene Linie des Einsatzes unverhältnismäßig, stellenweise sogar rechtswidrig.

Offiziell zeigte sich Einsatzleiter und Polizeivizepräsident Michael Dibowski „hochzufrieden“ mit dem Verlauf. Er betonte, die Proteste seien bis aus wenige Ausnahmen „störungsfrei“ geblieben. Polizeiliche Zwangsmaßnahmen habe man nur getroffen, wo es „wirklich notwendig und die Situation nicht kommunikativ lösbar war“.

Die Automesse fand nach ihrem Umzug von Frankfurt erstmals in München statt und wurde von der Staatsregierung mit fünfzehn Millionen Euro gefördert. Innenminister Joachim Herrmann (CSU) befand, die Münchner Null-Toleranz-Strategie habe sich „hervorragend bewährt“. Kein Verständnis konnte Herrmann hingegen für die sogenannten „parlamentarischen Beobachter“ aufbringen. Diese Abgeordneten begleiteten den Protest, wie sie im Vorfeld angekündigt hatten. Für den Innenminister stellt dies „die höchste Form des Misstrauens“ dar, die Polizei bräuchte keine Belehrungen von außen.

Die Befürchtungen aus den großen Protesten gegen das Polizeiaufgabengesetz (PAG) scheinen sich alle als wahr zu erweisen, heißt es dagegen in einer Mitteilung des anwaltlichen Notdienstes des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins. Die Beamten:innen hätten insbesondere die sogenannte „Unterbindungs-“ oder „Präventivhaft“ großflächig und selbst bei Bagatelldelikten eingesetzt. Möglich werde diese Schikane aus Sicht der Anwälte:innen hauptsächlich durch das immer wieder kritisierte bayerische Polizeiaufgabengesetz.

PAG trotz Anpassungen bedenklich

Auch netzpolitik.org begleitete die Neuordnung des härtesten Polizeigesetz seit 1945. Trotz Demonstrationen mit Zehntausenden Teilnehmenden peitschte die Landesregierung den ersten Entwurf 2018 durch. Der Minister:innenrat passte das PAG seitdem mehrere Male an, zuletzt im Juli 2021. Die aktuellen Änderungen folgten hauptsächlich den Empfehlungen der PAG-Kommission. Diesen entsprechend strichen die Minister:innen beispielsweise die DNA-Phänotypisierung.

Andere Kritikpunkte – etwa den „Präventivgewahrsam“ – enthält auch die neue Fassung, jedoch leicht modifiziert. Ob das ausreicht, ist unter Juristen umstritten. Kritisiert wird die „Präventivhaft“ seit dem ersten Entwurf des PAG. Nun darf sie höchstens einen Monat dauern, möglich ist eine Verlängerung auf höchstens zwei Monate. Die maximale Haftzeit ist damit nicht mehr „theoretisch unbeschränkt“, jedoch immer noch ausgesprochen lang. In allen anderen Bundesländern beträgt sie ein bis vierzehn Tage.

Dass Beamte:innen von diesem Gewahrsam auch Gebrauch machen, spürten bei der IAA besonders Aktivisten:innen. So kamen am Dienstag etwa die Teilnehmer:innen an einer Autobahnblockade  bis zum Ende der Messe in „Präventivgewahrsam“. Das bedeutet momentan aufgrund von Quarantäneregeln faktisch fünf Tage Isolationshaft, betont der Anwaltliche Notdienst.

Bedenken gegen das PAG sind also weiterhin angebracht. Das Verhalten der Polizei während der Proteste in München zeigt, wie die Befugnisse des Gesetzes in der Praxis angewendet werden können: als Waffe gegen Protest und Berichterstattung.

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6 Ergänzungen

  1. „Alle Befürchtungen erfüllt“
    Viel schneller geht es vielleicht gar nicht – überall?

    Pessimistische Fassung: Rückwärts geht’s bestenfalls langsamer.

  2. Oho, bei „Pimmel“ wird angezeigt, ermittelt und durchsucht – da muss der betreffende Polizist ja jetzt in Angst leben, dass es bei ihm wegen „Fotowichser“ noch schlimmer kommt. Oder etwa doch nicht?
    (Pointe folgt!)

  3. Es ist traurig, dass sich Journalisten:innen sich beim korrekten Gendern immer noch so schwer tun, kann doch nicht so schwer sein, der größte Teil wurde ja richtig gegendert, aber von Journalisten:innen erwarte ich einen korrekt geschriebenen Artikel…

    1. Hallo Tinka, ich kann jetzt nur vermuten, dass sich dein Kommentar auf die Journalisten im Artikel bezieht. Zur Beruhigung: sowohl bei den Reportern im ersten Fall, als auch bei den Fotografen in Beispiel drei handelt es sich ausschließlich um Männer. Beide Male erübrigt sich das Gendern demnach.

      Davon abgesehen noch ein, zwei allgemeine Hinweise: Beitragenden bei netzpolitik.org ist freigestellt, ob und wie gegendert wird – eine Regelung, die ich persönlich befürworte.
      Die von mir gewählte Form ist zudem grammatikalisch überwiegend nicht korrekt, der Doppelpunkt kann eigentlich nur eingesetzt werden, solange das damit gegenderte Wort „weitergeht“ (Bsp.: Lehrer:innen ja, Lehrern:innen nein). Der Duden sieht die Variante mit Doppelpunkt übrigens per se nicht vor.

      Vielleicht werden die Erwartungen an „korrekt“ geschriebene Artikel angesichts dieses Hintergrunds in Zukunft ja etwas weniger oft enttäuscht.

  4. > Die Befürchtungen aus den großen Protesten gegen das Polizeiaufgabengesetz (PAG) scheinen sich alle als wahr zu erweisen

    Aber, aber sind denn auch Handgranaten geflogen? Es drohte schließlich üble Gefahr von den Demonstranten!!1!

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.