PlattformregulierungEuropas Weg in die digitale Zukunft

Wie es mit der Regulierung des Internets in der EU weitergeht, wird im Herbst klarer werden. Nach der Sommerpause muss das EU-Parlament seine Verhandlungsposition rund um den Digital Services Act endgültig festzurren. Wir analysieren die Vorschläge der Fraktionen.

Die EU sucht noch nach ihrer digitalen Zukunft. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / photothek

Im EU-Parlament steht ein heißer digitaler Herbst bevor: Die Abgeordneten müssen sich auf eine gemeinsame Linie zum Gesetzespaket für digitale Dienste und Märkte einigen. Auch wenn der Entwurf der EU-Kommission von ihnen grundsätzlich wohlwollend aufgenommen wurde, sehen sie dennoch Spielraum für Verbesserungen, etwa im Bereich der personalisierten Werbung oder bei Vorschriften zur Interoperabilität.

Mehrere tausend Änderungsanträge sind inzwischen im federführenden Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz (IMCO) eingegangen. Über die soll ab September abgestimmt werden, sie sollen in den finalen Bericht einfließen. Auf dieser Grundlage können danach die Verhandlungen des Parlaments mit der EU-Kommission und den Mitgliedsländern über das umfangreiche Gesetzespaket beginnen, das aus dem Digital Services Act (DSA) und dem Digital Markets Act (DMA) besteht.

Die EU will mit den zwei zusammenhängenden Verordnungen wichtige Teile ihre Internetregulierung neu aufstellen und dabei vor allem die Macht großer Tech-Konzerne bändigen. Der DMA zielt hier primär auf Wettbewerbsfragen, der DSA auf andere Bereiche der Plattformregulierung wie Online-Werbung, Haftungsfragen oder Inhaltemoderation.

Harte Fronten bei Online-Werbung

Als Zankapfel im EU-Parlament zeichnet sich bereits jetzt personalisierte Werbung im Internet ab. Der Vorschlag der Kommission für den Digital Services Act fasst das Thema nur zurückhaltend an und sieht in erster Linie mehr Transparenz bei dieser invasiven Werbeform vor. Nutzer:innen sollen etwa mit einem Mausklick grob herausfinden können, warum ihnen eine bestimmte Anzeige eingeblendet wird.

An diesem Ansatz hatte auch die dänische Sozialdemokratin Christel Schaldemose in ihrem Berichtsentwurf, der die Grundlage für die Positionierung des Parlaments darstellt, nicht gerüttelt. Allerdings will sie den Werbetreibenden zusätzliche Transparenzauflagen auferlegen sowie eine „informierte Einwilligung“ zur Pflicht machen, bevor individuell zugeschnittene Anzeigen gesetzt werden können.

Doch vielen Abgeordneten geht das nicht weit genug. So setzt sich eine parteiübergreifende Koalition aus vor allem linken und grünen Abgeordneten für ein generelles Verbot dieser Werbeform ein. Ob sich jedoch eine Mehrheit für einen derart drastischen Schritt findet, bleibt fraglich.

Konservativen gehen schon die Vorschläge von Schaldemose zu weit. Sie seien „hoch problematisch“, sagt etwa die Abgeordnete Arba Kokalari zu netzpolitik.org. Die Schwedin ist sogenannte Schattenberichterstatterin der konservativen EVP-Fraktion im IMCO-Ausschuss und somit Verhandlungsführerin für die größte Gruppe im EU-Parlament.

Schaldemoses vorgeschlagene Auflagen würden die Wettbewerbsfähigkeit von Digitalunternehmen sowie von kleinen und mittelständischen Unternehmen „schwer beschädigen“, die neue Kund:innen mit Hilfe personalisierter Werbung erreichen wollen, so Kokalari. Ähnlich äußerten sich in der Vergangenheit auch liberale Politiker, etwa der FDP-Abgeordnete Moritz Körner, die auf Wahlfreiheit pochen.

Weg über Kartellrecht

Alternativ könnte womöglich der Digital Markets Act als Hebel dienen, die Marktmacht der großen Werbekonzerne wie Google und Facebook zu brechen. Diese sind tief in der Infrastruktur des Internets verankert und bieten so viele Dienstleistungen an, dass es ein Leichtes für sie ist, umfangreiches Datenmaterial von Nutzer:innen einzusammeln, sie zu tracken und ihnen Anzeigen einzublenden.

Zwar verbietet der Vorschlag der Kommission sogenannten Gatekeepern, also marktmächtigen Digitalunternehmen, eine Zusammenführung von Daten aus dem Kerngeschäft mit anderen Quellen ohne ausdrückliche Einwilligung von Nutzer:innen. Der Sozialdemokratin Evelyne Gebhardt, DMA-Schattenberichterstatterin im IMCO-Ausschuss, reicht das jedoch nicht.

Es bestehe die Gefahr, dass Gatekeeper das Verbot umgehen würden, indem sie die Zustimmung der Nutzer:innen auf unfairem oder manipulativem Weg einholen, so Gebhardt. Das Zusammenführen von Nutzerdaten aus Diensten Dritter und aus den eigenen Diensten dürfe deshalb nicht von der Zustimmung des Endnutzers abhängen, sagt Gebhardt, „es muss verboten werden“.

Zudem müsse generell die Definition der Gatekeeper überarbeitet und deutlich erweitert werden, fordert die Abgeordnete. Damit sind sehr große Unternehmen gemeint, die beispielsweise einen Börsenwert von 65 Milliarden Euro erreichen. Doch der von der Kommission vorgeschlagene Anwendungsbereich der Verordnung beschränke sich auf eine nur sehr begrenzte Anzahl von Diensten, sagt Gebhardt.

Ausdrücklich sollten Musikstreaming Dienste wie Spotify oder Deezer erfasst werden, findet sie. Außerdem Videodienste wie Netflix oder Disney+ und Sprachassistent:innen wie Siri oder Alexa. Selbst Browser wie Google Chrome, Mozilla, Internet Explorer und Safari sollen Gebhardt zufolge künftig als Gatekeeper gelten und somit strenger kontrolliert werden.

Wie weit soll Harmonisierung gehen?

Von einer Erweiterung des Anwendungsbereichs des Digital Markets Act will Andrus Ansip nichts wissen. Der ehemalige Vizepräsident der EU-Kommission vertritt nun als liberaler Abgeordneter die Renew-Fraktion bei den Verhandlungen zum DMA. „Unsere oberste Priorität als Renew-Fraktion ist es, den Umfang so zu belassen, wie ihn die Kommission vorgeschlagen hat“, sagt der Schattenberichterstatter.

Eine Ausweitung würde es kleinen Diensteanbietern „extrem schwer“ machen, im Wettbewerb mitzuhalten, ein verengter Anwendungsbereich hingegen den Wettbewerb komplett zunichte machen, so Ansip. Damit stellt er sich gegen den Berichtsentwurf des CDU-Abgeordneten Andreas Schwab, der sich nur auf eine Handvoll der größten Tech-Firmen konzentrieren will, etwa Google oder Apple.

Als zweite Priorität macht Ansip einen „völlig harmonisierten“ Binnenmarkt aus. Nur die Kommission dürfe entscheiden, wie die DMA-Verordnung angewandt und durchgesetzt werde, fordert der Este: „Es darf keine parallele Anwendung des DMA und nationaler Gesetzgebung geben“. Ein etwaiges Vorgehen nationaler Behörden sollte von der Kommission zuvor genehmigt werden, um Überschneidungen zu vermeiden, so Ansip.

Das Problem überlappender Zuständigkeiten stellt sich auch beim Digital Services Act. Anstatt eine zentrale Aufsichtsbehörde auf EU-Ebene zu schaffen, hat sich die Kommission für ein System nationaler Koordinatoren für digitale Dienste entschieden. Die bei den EU-Ländern angesiedelten Behörden sollen Streitigkeiten lösen und gegebenenfalls Online-Dienste sanktionieren. Damit könnte ein ähnlicher Flickenteppich wie bei der Datenschutzgrundverordnung entstehen, bei der nationale und unterschiedlich gut ausgestattete Behörden für eine bislang unausgewogene Durchsetzung der Regeln sorgen.

Letzte Station Zerschlagung

Für eine zentrale und unabhängige EU-Behörde setzt sich etwa die grüne DSA-Schattenberichterstatterin Alexandra Geese ein. Mit dieser Forderung steht sie jedoch verhältnismäßig allein da. Andere Fraktionen wollen den Koordinatoren dafür mehr Befugnisse an die Hand geben, etwa der Verhandlungsführer für die Linke, Martin Schirdewan. So soll nicht nur die Behörde des Sitzlandes einer sehr großen Plattform Ermittlungen gegen sie einleiten können, sondern auch mindestens drei Koordinatoren aus beliebigen EU-Ländern gemeinsam. Das könnte eine potenzielle Nadelöhr-Situation, wie es sie derzeit bei der irischen Datenschutzaufsicht gibt, zumindest entschärfen.

Neben dem Schutz persönlicher Daten durch ein Verbot von personalisierter Werbung und Profiling liegt Schirdewans Fokus auf Interoperabilität. Die Vorgaben der Kommission für große Anbieter fallen hierbei recht schwach aus, sie erstrecken sich lediglich auf Nebendienstleistungen wie Identifikations- oder Bezahldienste. Einen Austausch von Nachrichten zwischen beispielsweise WhatsApp und Signal sieht der Vorschlag nicht vor.

Hier könnte sich noch etwas bewegen, auch Grüne und Sozialdemokraten wollen eine verbesserte Durchlässigkeit zwischen den Diensten. „Die Interoperabilitätspflicht sollte sich auf alle Kerndienstleistungen erstrecken“, sagt die SPD-Abgeordnete Gebhardt. Insgesamt müsse die Verbraucherdimension gestärkt werden, darin sind sich die links stehenden Fraktionen einig. Schirdewan legt noch nach: „Bei Regelverstößen muss es harte Strafen bis hin zur Zerschlagung der Monopole geben“.

2 Ergänzungen

  1. Ehrlich? Konzerne = Zukunft?

    Was abseits der Konzerne mit reguliert wird, das bedeutet „digital keine Zukunft“. Zusätzlich zu dem, wo man Konzerne nicht kleinschnetzelt. Alles was man da vergisst, führt zu Adelsphantasienumsetzungen.

  2. „Flinten Uschi“ wünscht sich eine EU in der „Alles“ von „Jedem (der darf)“ überwacht wird.
    Und viele sollen es „dürfen“. Alleine in DE. Das macht mir Angst.

    Nun kommt noch der „Apfel“ mit einer „brechen wir mal die ‚Verschlüsselungsidee'“ und unter suchen mal direkt beim „Kunden“. Das weckt Begehrlichkeiten. Nicht nur von Staaten, die behaupten demokratisch zu sein.
    Schnell stehen da auch andere Sachen im „Hash“ drin.,….. Alternative für dem „Apfel“: Du verkaufst keine Geräte mehr in diesem Land. Was wird der „Apfel“ wohl wählen?

    Wenn es um die Gewinn der Aktionäre geht, sind die „Kollateralschäden“ den meisten egal….

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.