Parlamentarisches KontrollgremiumGeheimdienste blicken auf rechtsextreme Netzwerke

Der BND will weiter Überwachungstechnik einkaufen, der Verfassungsschutz „bunter“ werden. Und bei Rechtsextremen in der Bundeswehr ringt die MAD-Präsidentin um Worte. Das Wichtigste aus der Anhörung der Geheimdienst-Chefs.

Geheimdienst-Chef:innen vor dem Kontrollgremium: Bruno Kahl (BND), Thomas Haldenwang (Verfassungsschutz), Martina Rosenberg (MAD)
Geheimdienst-Chef:innen vor dem Kontrollgremium: Bruno Kahl (BND), Thomas Haldenwang (Verfassungsschutz), Martina Rosenberg (MAD). – Alle Rechte vorbehalten Fotos: bundestag.de Bearbeitung: netzpolitik.org

Rechtsextreme sind die größte Bedrohung für die Demokratie in Deutschland, das ist das klare Fazit aus der Anhörung der Geheimdienst-Chef:innen am Mittwoch. Auch von rechtsextremen Netzwerken bei der Bundeswehr war die Rede – die wohl angespanntesten Momente der Anhörung.

Insgesamt drei Stunden lang ließen sich die Präsidenten von Bundesnachrichtendienst (BND), Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und die Präsidentin des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) befragen. Den jährlichen, öffentlichen Termin vor dem Parlamentarischen Kontrollgremium des Bundestages gibt es seit 2017.

Staatsgeheimnisse wurden zwar nicht verraten, einige Äußerungen waren dennoch bemerkenswert. Etwa, dass der Verfassungsschutz „bunter“ werden wolle, „divers“ sogar. „Wir wollen im Verfassungsschutz ein Abbild der Gesellschaft sein“, sagt Thomas Haldenwang, dessen Vizepräsidenten beide Männer sind.

Verfassungsschutz auf dem rechten Augen sehend

„Wie ein Mantra trage ich es vor mir her: Die größte Bedrohung für die Sicherheit und Demokratie in Deutschland geht weiterhin vom Rechtsextremismus aus“, so BfV-Chef Haldenwang. Vorbei soll offenbar die Zeit sein, in denen sich über das BfV spotten ließ, dort sei man auf dem rechten Auge blind.

Haldenwang, unter Hans-Georg Maaßen Vizepräsident, hat die Leitung der Behörde 2018 übernommen. Seitdem baute das BfV seine Arbeit zum Rechercheverbund rechts sichtbar aus und stockte Personal auf. Derzeit gibt es einen Streit vor Gericht, ob das BfV die AfD als Verdachtsfall führen darf.

Die Ideologie der Szene werde maßgeblich von der Neuen Rechten bestimmt, „Brandbeschleuniger“ nennt Haldenwang sie. Zu den Akteur:innen zähle auch der „scheinbar aufgelöste Flügel, dessen Aktivitäten [man] weiterhin wahrnehme und die Junge Alternative“. Am neuen Fokus seiner Behörde lässt Haldenwang in seinem Statement jedenfalls keinen Zweifel. Deutschlands Inlandsgeheimdienst sieht auf dem rechten Auge aktuell:

Kameradschaften, Vereine (…) Bürgerwehren, aber auch (…) Lone Wolves und Kleinstgruppen, (…) Netzwerke, (…) in diesen nicht selten Angehörige von Sicherheitsbehörden oder auch der Streitkräfte.

„Überflüssig zu erwähnen“, so Haldenwang, dass besonders von letzteren eine ernstzunehmende Bedrohung ausgeht, haben Reservist:innen, Polizist:innen oder Soldat:innen doch „entsprechende Ausbildungen und sind oft Waffenträger“.

Agent:innen, die auf Nazis starren

Rechtsextremismus sei auch beim Militärischen Abschirmdienst das „bestimmende Thema“ im letzten Jahr gewesen, sagt MAD-Chefin Martina Rosenberg. Sie spricht von 1.200 aktuellen Verdachtsfällen aus diesem Bereich – und nur von 197 extremistischen Verdachtsfällen, die nichts damit zu tun hätten.

Seit Jahren gibt es immer wieder neue Enthüllungen zu mutmaßlich rechtsextremen Netzwerken mit Verbindungen in die Bundeswehr. Ein Beispiel ist der Verein Uniter, in dem sich ehemalige Soldat:innen, Polizist:innen und Sicherheitsleute versammeln. Der Verfassungsschutz stuft den Verein als Verdachtsfall ein, bei Mitgliedern wurden etwa Munition und Sprengstoff gefunden. Umso drängender stellt sich die Frage, wie mächtig rechtsextreme Netzwerke in der Bundeswehr sind.

Ende 2020 hatte das Kontrollgremium dem MAD hierzu kein gutes Zeugnis ausgestellt. In einer öffentlichen Bewertung hieß es, der MAD habe „seine Aufgaben in der Bekämpfung des Rechtsextremismus und bei der Spionageabwehr der Bundeswehr nicht in hinreichendem Maße wahrgenommen“.

Welche Gesinnung könnte ein Hitlergruß ausdrücken?

Vor dem Gremium bezeichnet es MAD-Chefin Rosenberg als „derzeit wirklich einfach schwierig“, Soldat:innen mit mutmaßlich rechtsextremer Gesinnung aus dem Dienst zu entfernen. In verklausulierten Sätzen legt Rosenberg dar, dass nach geltenden Regulierungen selbst Soldat:innen in der Bundeswehr bleiben können, die erwiesenermaßen den Hitlergruß gezeigt haben – sofern mit dem Hitlergruß keine entsprechende Gesinnung einhergehe.

Im Klartext heißt das: Der MAD beobachtet die Rechten zwar, wird sie aber nicht los. Rosenburg zufolge hat ihre Behörde seit 2020 nur 23 Verdachtsfälle als „Extremist“ eingestuft, weiteren 23 erhielten die Einstufung „fehlende Verfassungstreue“. Die Abgeordneten sind damit offenkundig unzufrieden. Mehrfach bohrt das Kontrollgremium nach. „Reichen dann unsere gesetzlichen Vorlagen, um dem Herr zu werden?“, fragt der Grünen-Abgeordnete Konstantin von Notz.

Die Rückfragen bringen die MAD-Chefin Rosenberg anscheinend in Erklärungsnot. Ihre Antwort kreist um die Frage, ob mutmaßliche Rechtsextreme auch tatsächlich handeln. „Sie haben ihre Zielrichtungen in ihrem Gedankengang“, sagt Rosenberg. Und: „Ich muss dort ja tatsächlich diese Bestrebungen auch in die Richtung definieren können, in einem aktiven Handeln.“

Weniger nebulös ist ein Satz aus der öffentlichen Bewertung des Kontrollgremiums aus dem Vorjahr. Demnach hätten MAD und Verfassungsschutz derzeit „keine Beweise für eine ‚Schattenarmee‘, die einen gewaltsamen Umsturz“ plane.

Afghanistan: Der BND übt sich in Selbstkritik

Das wichtigste Auslandsthema der Anhörung war die Machtergreifung der Taliban in Afghanistan. Diese haben nach Abzug der internationalen Truppen im August die Hauptstadt Kabul erobert – in rasender Geschwindigkeit. Bei der Evakuierung blieben zahlreiche Menschen zurück. Als Auslandsgeheimdienst ist es die Aufgabe des BND solche Entwicklungen abzusehen.

Vor dem Gremium sagt BND-Chef Bruno Kahl, man müsse „eingestehen, nicht damit gerechnet zu haben, dass die Taliban so schnell ganz Afghanistan einschließlich Kabul unter ihre Kontrolle bringen“. Weiter sagt er: „Daraus müssen und wollen wir lernen.“

Eine größere Rolle spielen solle laut Kahl „das institutionalisierte kritische Hinterfragen eigener Annahmen“. Heißt das, der BND hat sich oft nur sporadisch selbst hinterfragt? Darauf geht Kahl nicht weiter ein. Aber er kündigt an, dass der BND intern umgebaut werde. Statt elf Abteilungen gibt es künftig fünf.

Überwachungstechnik einkaufen: Ja, bitte

Ein weiteres Thema der Anhörung: das Internet. Der BfV-Chef Haldenwang bezeichnet es als „Katalysator“, und zwar für alle „Bedrohungsszenarien“, mit denen sich sein Geheimdienst befasse.

Auch Trojaner sind eine Bedrohung – im Sommer deckte ein internationaler Rechercheverbund auf, in welchem Umfang Menschenrechtler:innen, Journalist:innen und Politiker:innen weltweit mit einer Spionagesoftware namens Pegasus angegriffen wurden. Der Trojaner der israelischen Firma NSO Group ist darauf ausgelegt, Handys umfassend zu überwachen. Von Betroffenen in Deutschland ist bislang nichts bekannt. BND und Verfassungsschutz sagten dem Kontrollgremium, nichts davon zu wissen.

Was die Geheimdienste dagegen wissen: Sie selbst wollen auch weiterhin Überwachungstechnik einkaufen.

Nicht nur autoritäre Staaten wie Aserbaidschan sollen mutmaßlich Kunden der NSO Group gewesen sein. Auch Deutschland hat bei der Firma eingekauft, wie Recherchen im Sommer enthüllten. Demnach nutzen auch BND und BKA den Trojaner Pegasus.

BND-Chef Kahl bezeichnet „Zukäufe aus der Industrie“ als etwas, das dem BND „gerade im Sinne der Ökonomie und der Effizienz durchaus zu vorteilhaften Instrumenten verhilft“. Außerdem setze der Geheimdienst auf eigene Werkzeuge und auf den Austausch mit anderen Diensten.

Noch mehr Überwachung durch Internet der Dinge

Potenzial für noch mehr Überwachung sehen Geheimdienste offenbar im Internet der Dinge. Dieser Begriff meint etwa Kühlschränke, Glühbirnen, Armbanduhren oder Lautsprecher mit Verbindung zum Netz. Das Internet der Dinge ist „eine Möglichkeit, Erkenntnisse zu generieren“, sagt Verfassungsschutz-Chef Haldenwang.

Als Beispiel nennt er Sportuhren, die den „kompletten Bewegungsablauf eines Menschen“ mitverfolgen. Damit könnte „zukünftig eine Observation quasi entbehrlich werden“. Die Bemerkung des Geheimdienstchefs zeigt: Es gibt Überwachungstechnik, die der Staat einkauft – und es gibt solche, die sich Bürger:innen selbst anschaffen.

Deine Spende für digitale Freiheitsrechte

Wir berichten über aktuelle netzpolitische Entwicklungen, decken Skandale auf und stoßen Debatten an. Dabei sind wir vollkommen unabhängig. Denn unser Kampf für digitale Freiheitsrechte finanziert sich zu fast 100 Prozent aus den Spenden unserer Leser:innen.

6 Ergänzungen

  1. Der BND hat aktuell einen handfesten Ausbilder-Skandal:

    „Extremismusverdacht/ BND-Ausbilder erhält Hausverbot
    Seit Jahren provoziert ein Politologe, der den Nachwuchs des Bundesnachrichtendienstes unterrichtet, mit rechten Thesen. Nun darf der Professor das BND-Gelände vorerst nicht mehr betreten. (…) (spiegel.de, 28.10.21)

    https://www.spiegel.de/politik/deutschland/extremismusverdacht-bnd-ausbilder-erhaelt-hausverbot-a-56eb6bb0-707e-4feb-a2e9-2de14975b8fa

  2. „Rechtsextreme sind die größte Bedrohung für die Demokratie in Deutschland, das ist das klare Fazit aus der Anhörung der Geheimdienst-Chef:innen am Mittwoch. “

    Was bisher mehr oder weniger offen zu Tage getreten ist, kann kaum mehr geleugnet werden. Unsere Demokratie wird jedoch nicht von einzelnen Irrlichtern gefährdet, die es kaum überprüft in die unteren Ränge von Polizei oder Bundeswehr geschafft haben.

    Mehr Schaden durch Rechte wird oft kaum bemerkt in Justiz und anderen Behörden verursacht, in den Bereichen, die man gerne als Bürokratie bezeichnet. Dort werden nicht selten Ermessensspielräume missbraucht, um eigener „rechter Gesinnung“ Geltung zu verschaffen. Dies geschieht freilich selten justiziabel, denn man kennt sich aus in der Materie. Um so schlimmer ist das subtile Entscheiden einiger unabhängiger Richter, bis hinunter in die kommunalen Niederungen.

    1. Rechtsextreme und AfD-nahe Richter unterwandern die Justiz – allmählich und zielstrebig. Wo sie das Sagen haben, arbeiten sie mit windigen Tricks. Wagner nennt Beispiele: etwa die Bestellung sorgfältig ausgesuchter Gutachter, deren Einäugigkeit allseits bekannt ist. Der Inhalt von Beschlüssen ähnelt, wie der Autor herausfand, dem AfD-Programm von 2021 und der dort verabschiedeten „Corona-Resolution“. Anklänge an die Parolen der Corona-Leugner finden sich zuhauf. Das bedeutet: Unter dem Dach von Justitia tummeln sich Heckenschützen in Robe, die Rechtsfindung, aber auch die Reputation des Berufsstandes in Verruf bringen. Genaue Zahlen dazu gibt es allerdings nicht.

      https://www.sueddeutsche.de/politik/jusitz-in-deutschland-aus-dem-lot-1.5458017

  3. Na, da entsteht doch der Eindruck, dass einige Organisationen erkannt haben wie sehr Rechtsextremismus ihnen selbst schadet, auch wenn das noch nicht mit konkreten Handlungen verbunden ist. Das war mir vorher nicht so bekannt.
    Seht ihr hier vielleicht der Beginn eines Wandels?

    1. Das möchte ich auch wissen: vertraut Ihr Herrn Haldenwang? Ist er bereit, den Einsatz von Überwachungstechnik unter „logfile-mandatory“-Archivpflicht zu stellen, und die vollständigen Archive dem Kontrollgremium uneingeschränkt zur Einsicht zu überlassen (Verantwortung für das Tun => Chance zur Bekämpfung von Machtmissbrauch) ?

  4. Die „SoKo LinX“ gibt richtig Gas, da sollte sich die „SoKo RechZ“ mal ein Beispiel dran nehmen…
    Ach, ja: die gibt’s ja gar nicht!

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.