Nordrhein-WestfalenLaschets umstrittenes Versammlungsgesetz soll erst nach der Bundestagswahl kommen

Das neue Versammlungsgesetz in NRW kommt nicht mehr vor der Bundestagswahl. Die Grünen werfen Laschets schwarz-gelber Koalition nun ein Wahlkampfmanöver vor: CDU und FDP wollten vor der Bundestagswahl keine Debatte im Landtag, bei der die Differenzen innerhalb der Regierung sichtbar werden.

Polizeieinsatz bei der Großdemonstration gegen das Versammlungsgesetz am 26. Juni in Düsseldorf. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Jochen Tack

Das neue, heftig diskutierte Versammlungsgesetz in Nordrhein-Westfalen kommt nicht mehr vor der Bundestagswahl. Das bestätigen Vertreter:innen aus Regierung und Opposition gleichermaßen. Das Gesetz wird erst am 23. September wieder im Innenausschuss behandelt, um die Sachverständigenanhörung aus dem Frühsommer auszuwerten. Die Grünen vermuten, dass die schwarz-gelbe Regierungskoalition den Änderungsantrag dann nicht vor dem 28. Oktober einbringt. Das würde bedeuten, dass das Gesetz in zweiter Lesung erst am 3. November ins Parlament kommen könnte.

Ursprünglich wollte NRW-Landesinnenminister Herbert Reul das Versammlungsgesetz schon vor den Sommerferien durchs Parlament kriegen. Doch daraus wurde nichts. Bei einer Sachverständigenanhörung gab es außergewöhnlich viel Kritik an dem Vorhaben, am 26. Juni demonstrierten mehrere tausend Menschen gegen das Gesetz. Die Polizei setzte unverhältnismäßig Gewalt ein und attackierte mindestens einen Journalisten. Damit war das Thema bundesweit auf der Agenda und in NRW gab es über den Sommer verteilt immer wieder Proteste, zuletzt in Düsseldorf, wo wieder mehrere Tausend Menschen gegen das Gesetz protestiert haben.

„Wahlkampfmanöver“

Die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Verena Schäffer, hatte eine Verschiebung aus politischen Gründen auf nach der Wahl schon vor der Sommerpause vermutet. Sie sagt nun gegenüber netzpolitik.org: „Dass die Fraktionen von CDU und FDP noch keinen Änderungsantrag zum Gesetzentwurf für ein Versammlungsgesetz in NRW vorgelegt haben, ist ganz offensichtlich ein Wahlkampfmanöver.“ Die FDP-Minister:innen hätten dem Gesetzentwurf im Kabinett schon zugestimmt, der innenpolitische Sprecher der FDP-Landtagsfraktion den Gesetzentwurf begrüßt. Nach dem fragwürdigem Polizeieinsatz bei der Demo in Düsseldorf im Juni seien Stimmen aus der Bundes-FDP laut geworden, dass das Gesetz geändert werden müsse. Deshalb stünde die FDP-Landtagsfraktion jetzt unter Druck. „Die Fraktionen von CDU und FDP wollten vor der Bundestagswahl offensichtlich keine Debatte im Landtag“, sagt Schäffer.

Vertreter von FDP und bei CDU streiten gegenüber netzpolitik.org allerdings ab, dass die Verschiebung mit dem Bundestagswahlkampf zu tun habe. FDP-Innenpolitiker Marc Lürbke sagt, er halte es für geboten, dass ein so grundrechtesensibles Gesetz nicht im Eilverfahren, sondern möglichst breit und transparent diskutiert würde. Gleichzeitig kündigte er an, dass seine Partei bei den geplanten Kontrollstellen und dem sogenannten Militanzverbot nachbessern wolle.

Gesetz erschwert Demonstrationen

Kritiker:innen sehen in den Plänen der Landesregierung autoritäre Tendenzen. Das geplante Versammlungsgesetz wird nach Aussagen von Bürgerrechtler:innen die Demonstrationsfreiheit im bevölkerungsreichsten Bundesland empfindlich einschränken. Entgegen des Brokdorf-Beschlusses des Bundesverfassungsgerichtes betrachtet das geplante Gesetz Demonstrationen nicht als „unentbehrliches Funktionselement eines demokratischen Gemeinwesens“, sondern fast ausschließlich als „Störung“ und „Gefahr“.

In der Kritik, die von unterschiedlicher Seite hervorgebracht wird, stehen gleich mehrere Paragrafen des Gesetzes. So sollen Versammlungsleiter:innen von Demonstrationen deutlich mehr Pflichten bekommen. Laut dem Versammlungsrechtsexperten Clemens Arzt stehen diese durch das Gesetz in der Rolle von quasi-polizeilichen Verantwortlichen.

Bei Gegendemos, zum Beispiel gegen einen Nazi-Aufmarsch, sind in Zukunft schon „einfache Störungen“ und „Behinderungen“ verboten. Die Gewerkschaft ver.di kritisiert, dass auch friedliche Gegendemonstrationen mit lautstarker Musik oder Sprechchören dem Paragrafen zufolge de facto aufgelöst werden könnten. 

Laut dem Entwurf soll die Polizei in Zukunft die Anweisung erteilen können, dass Ordner:innen auf Demonstrationen namentlich gegenüber der Polizei genannt werden müssen, wenn „tatsächliche Anhaltspunkte“ für eine mögliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit bestehen. Da es sich bei den Ordner:innen um Versammlungsteilnehmende handelt und diese meistens aus den politischen Initiativen und Bündnissen selbst kommen, bietet sich hier ein Einfallstor für den Staat, um politische Strukturen auszuleuchten.

Anlasslose Vorkontrollen

Erleichtert wird durch das neue Versammlungsgesetz auch die Aufnahme und das Speichern von Übersichtsaufnahmen per Drohne oder Helikopter. 

Entgegen anderer neuer Landesversammlungsgesetze wie denen in Berlin oder Schleswig-Holstein führt Nordrhein-Westfalen nun explizit „Kontrollstellen“ bei Demonstrationen ein, bei denen ohne jegliche Tatbestandsschwelle die Identität von Demonstrant:innen überprüft sowie Sachen und Personen durchsucht werden können. Zwar sind solche Vorkontrollen heute auch schon möglich, aber nur unter bestimmten Voraussetzungen – etwa wenn ein unfriedlicher Verlauf oder Straftaten zu erwarten sind. Eine anlasslose Kontrolle von Demonstrationsteilnehmenden kann eine einschüchternde Wirkung entfalten und so Menschen von der Wahrnehmung ihres Grundrechtes abhalten.

Weiße Overalls mit SS-Uniformen gleichgesetzt

Auszug aus der Begründung des Gesetzentwurfes
Auszug aus der Begründung des Gesetzentwurfes, S. 77. - CC-BY 2.0 Landtag NRW / Markierung: netzpolitik.org

Das im Versammlungsgesetz des Bundes enthaltene Uniformierungsverbot, das wegen der Erfahrungen von SA-Aufmärschen in der Weimarer Republik eingeführt wurde, geht der nordrhein-westfälischen Regierung augenscheinlich nicht weit genug. Sie will es deshalb zu einem sogenannten Militanzverbot ausweiten. In der Begründung des Gesetzes heißt es, dass damit auch eine einheitliche farbliche Kleidung oder weiße Maleranzüge gemeint sind.

Menschen ziehen bei einem Protest über Felder
Die hier von Demonstrant:innen bei einem Klimaprotest genutzten weißen Overalls stellt die Begründung des Gesetzentwurfs in eine Reihe mit den Uniformen von SA und SS. - CC-BY-NC 2.0 endegelaende

Diese weißen Overalls, die bei den Klimaprotesten regelmäßig genutzt werden, stellt der Gesetzentwurf historisch in eine Reihe mit uniformierten Aufmärschen von SA und SS. Dabei attestiert er ihnen wie auch Marschtritt und Trommelschlagen eine „suggestiv-militante, aggressionsstimulierende und einschüchternde Wirkung“.

Aufmerksamkeit erst nach Polizeiübergriffen

Bundesweit in die Schlagzeilen war das Gesetz erst geraten, als die Polizei bei Protesten mehrerer Tausend Menschen Ende Juni Pfefferspray und Schlagstöcke gegen die Teilnehmenden einsetzte und mehr als 300 Menschen über Stunden einkesselte. Während der Demonstration wurde auch ein Journalist der Nachrichtenagentur dpa laut eigener Aussage mehrfach mit einem Polizeiknüppel geschlagen. 

Der NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) stritt ein zu hartes Vorgehen gegen die Demonstrant:innen ab und gab diesen die Schuld für die Eskalation. An dieser Version gibt es mittlerweile erhebliche Zweifel: Ein Video eines Medienkollektivs widerlegte teilweise die Aussagen von Reul. Auch das Protestbündnis erhob massive Zweifel an der Darstellung des Innenministers.

Eine Ergänzung

  1. Weshalb braucht es überhaupt ein neues Gesetz? Welche Probleme sind so gravierend, dass die vorhandenen Gesetze nicht ausreichen?

    Zu viel Meinungsfreiheit in Deutschland?

    Die einzigen Demonstrationen, die so richtig aus dem Ruder gelaufen sind in NRW, waren die gegen den Braunkohletagebau, und da hat gerade ein Gericht festgestellt, dass das Polizei und Regierung illegal gehandelt haben und nicht Demonstranten.

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