BildungsflatrateLeichtfertiges Versprechen, schwierige Umsetzung

Die für Anfang Herbst versprochene Bildungsflatrate kommt nur langsam bei Schüler:innen an, die wegen der Coronapandemie zu Hause sitzen müssen. Das Versprechen von Bildungsministerin Anja Karliczek lässt sich im föderalen Bildungssystem offenbar schwerer in die Tat umsetzen als erhofft.

Die Corona-Pandemie zwingt Schüler:innen zum Homeschooling, aber nicht alle haben Internet zu Hause. (Symbolbild) – Vereinfachte Pixabay Lizenz Steven Weirather

Für sommerliche Schlagzeilen hat es gereicht: Mit einer kostengünstigen Bildungsflatrate wollte Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) alle Schüler:innen ins Netz bringen, die Pandemie-bedingt von zu Hause aus am Unterricht teilnehmen müssen, aber deren Familien sich keinen Internetzugang leisten können.

Zu Ende der Sommerferien sollte das Angebot starten. Ein halbes Jahr später überschwemmt eine zweite Corona-Welle Deutschland, die Schulen sind seit Wochen wieder geschlossen und dürften das bis auf Weiteres auch bleiben. Im föderalen Bildungssystem Deutschlands ist die Bildungsflatrate aber immer noch nicht weitflächig ausgerollt, wie sich schon im Herbst abzeichnete.

Offenkundig hatte die Bundesregierung eine gut klingende Idee in den Raum geworfen, sich aber nicht um Details gekümmert. Der Bund übernehme lediglich „eine Moderatoren-Funktion“, heißt es aus dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), mit Verweis auf einen Passus in der Zusatzvereinbarung zum „DigitalPakt Schule“. Der Rest sei weitgehend Sache der Länder, der Mobilfunkanbieter und der Bundesnetzagentur, teilt eine Ministeriumssprecherin mit.

Angebots-Pitch der Provider

Vor allem die Länder mussten lange auf Informationen warten. Obwohl die Telekom Deutschland Mitte Oktober als erste Betreiberin einen passenden Tarif vorgestellt hatte – still und heimlich als „silent update“ in einem alten Blogbeitrag – tappten die zuständigen Behörden der Länder im Dunklen. „Leider liegen dem Kultusministerium dazu bisher keine Informationen vor“, teilte uns etwa das Sächsische Staatsministerium für Kultus Ende Oktober mit.

Kurz darauf fand immerhin ein erstes Gespräch zwischen Bund, Ländern, Providern und der Bundesnetzagentur statt. „Der Termin war im Kern als Angebots-Pitch der Provider gestaltet“, berichtet Torsten Heil, Pressesprecher der Kultusministerkonferenz. Wie dieser Pitch genau ausgesehen hat, sollte sich einem vom BMBF erstellten Protokoll entnehmen lassen. Eine Anfrage nach dem Informationsfreiheitsgesetz bleibt jedoch seit knapp zwei Monaten unbeantwortet, laut Bundesministerium „[a]ufgrund laufender interner Abstimmungsprozesse“.

Allenfalls spärlich erfuhren die Schulen von dem Pitch. Erst durch unsere Presseanfrage im Dezember habe er überhaupt von einem solchen Angebot erfahren, sagt Oliver Hintzen vom Verband Bildung und Erziehung (VBE). Der Schulleiter aus Baden-Württemberg wandte sich daraufhin an Mobilfunkbetreiber – und hatte nur wenige Tage später zwei LTE-Router mit passenden SIM-Karten der Telekom für zwei Schüler:innen, die Probleme mit ihrer Internetverbindung hatten.

Schmaler Grat für Netzbetreiber

Das Alternativangebot von Vodafone kam für seine Schule nicht in Frage. Derzeit ist dieses wie ein restriktives Business-Angebot für Mitarbeiter von Unternehmen ausgestaltet. Zugriff auf das Internet ist damit nicht möglich, zugelassen ist nur eine direkte Verbindung zur IT-Infrastruktur der jeweiligen Schule. In Hintzens Fall ist diese jedoch nur mit einer alten DSL-Leitung angebunden. Die versprochene Glasfaser, mit der sich das Angebot tatsächlich nutzen ließe, kommt erst im Laufe des Jahres.

Bleibt also die Flatrate der Telekom. Für 10 Euro im Monat stellt sie einen an sich unlimitierten Internetzugang zur Verfügung, um die Beschränkung auf Lerninhalte müssen sich die Schulträger selbst kümmern. Nutzbar soll das Angebot nur auf geförderten Endgeräten aus dem DigitalPakt sein.

Viel Spielraum bleibt den Netzbetreibern nicht, um das Versprechen Karliczeks umzusetzen. Sonst verstoßen sie gegen die EU-Verordnung zur Netzneutralität: Die verbietet etwa sogenannte Sub-Internet-Angebote, denen das aktuelle Vodafone-Paket gefährlich nahe kommt. Eine auf Zero Rating aufsetzende Variante soll im Januar kommen.

Sie soll einen „Datentarif mit Inklusiv-Volumen und speziellem Vodafone Pass für die Flat-Nutzung von enthaltenen Lern-Apps“ enthalten. Allerdings gibt es keine bundesweite Regelung, auf welche Lern-Apps oder Bildungsinhalte Schüler:innen zugreifen sollen. Das entscheidet immer noch jedes Land selbst, so wie sie eigene Lehrpläne erstellen oder eigene Bildungsplattformen betreiben.

Erheblicher Administrationsaufwand

Das Angebot der Telekom ist mit den EU-Regeln vereinbar, weil „die Filtereinstellungen durch den Vertragspartner, unabhängig vom Internetzugangsanbieter, frei gewählt und verwaltet“ werden, erklärt ein Sprecher der Bundesnetzagentur. Notwendigerweise bedeutet das aber, dass Schüler:innen keine eigenen Geräte verwenden können. Zudem müssen die Länder für eine geeignete IT-Infrastruktur sowie Administrator:innen sorgen, die die Geräte konfigurieren. Zusätzliche Hilfe gibt es dafür aber erst seit Kurzem.

Auf welchen Ansatz letztlich die Wahl fällt: Der Aufwand ist erheblich und wurde von Karliczek augenscheinlich unterschätzt. Und nicht alle Schüler:innen haben das Glück, verhältnismäßig leichtfüßige Landesregierungen zu haben oder engagierte Schulleiter wie Oliver Hintzen. Dieser hat die LTE-Router und die aus dem Sofortausstattungsprogramm stammenden iPads kurzerhand selbst konfiguriert.

Eigene Apps können Schüler:innen darauf nicht installieren, den Missbrauch der LTE-Verbindung soll eine – zugegebenermaßen schwache – Beschränkung auf bestimmte MAC-Adressen unterbinden. „Der Zugriff auf die Bildungsinhalte wird über das iPad gesteuert, aber auch über den Router“, sagt Hintzen. Welche Inhalte das sind, entscheidet das Land.

Digitalisierungsschub durch Corona

Alle vier Wochen gibt es ein Update der zugelassenem Dienste, etwa der landeseigenen Bildungsplattform oder für Videokonferenzen und Stundenpläne. Unterstützung liefert das Landesmedienzentrum, zudem stellt das Kreismedienzentrum Fachpersonal für einzelne Schulen ab.

Der bürokratische Aufwand hört aber dennoch nicht auf: Um etwa Geld aus dem DigitalPakt zu erhalten, müssen Schulen einen mehrstufigen Medienentwicklungsplan durchlaufen. „Das macht einen Haufen Arbeit“, sagt Hintzen. Bei diesem Wirrwarr an Zuständigkeiten und Vorgaben wundert es nicht, dass die Digitalisierung samt Bildungsflatrate nur stockend bei den Schulen und vor allem Schüler:innen ankommt.

Alles in allem klappe das in seiner kleinen Schule in der Nähe von Baden-Baden trotzdem ganz gut, resümiert der Schulleiter. Aber es sei ein „zweischneidiges Schwert“, denn das seien alles Dinge, die schon vor Jahren über die Bühne gehen hätten sollen. Aber immerhin: „Durch Corona ist die Digitalisierung so hochgepoppt“, sagt Hintzen.

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2 Ergänzungen

  1. Lässt sich nicht über bzw. change.org ein Spendenkonto einrichten, das den jeweiligen Schulen bzw. deren Elternvertreter ermöglicht, den bedürftigen Schülern für 1-2 Jahre (normale Laufzeit) einen geeigneten Festnetzanschluss (50-100 Mbit) zu finanzieren? Dann regelt man das von Privat an Privat und ist von dem ganzen bürokratischen Hickhack befreit. Einen Festnetzanschluss mit 50 Mbit bekommt man für 15 EUR/Monat in den ersten 10 Monaten, danach wird es teuer.

    Mit den Geräten müsste man ähnlich umgeben evtl. als Leihgabe von den Schulen.

    So lässt z.B. Helena Steinhaus aus Berlin via https://sanktionsfrei.de/ueber-uns den Armseligen ganz legal und unangreifbar nur über Spenden kleine Geldbeträge zukommen.

    Wenn die Politik große Versprechungen macht, fühlt sich fünf Minuten später niemand mehr verantwortlich, niemand ist zuständig, und die Umsetzung scheitert an 300 Abers.

    1. Nichts gegen zivilgesellschaftliches Engagement, aber der Spendenkonto-Ansatz erinnert mich eher an die ganzen traurigen GoFundMe-Kampagnen in Übersee, bei denen Menschen um Geld betteln, um nicht an heilbaren Krankheiten zu sterben oder finanziell ruiniert zu werden. Bestenfalls würde man nur einen „bürokratischen Hickhack“ gegen einen deutlich unappetitlicheren eintauschen.

      Gleichzeitig müssen Staaten natürlich auch liefern, was sie versprechen, und digitale Teilhabe gehört dazu. IMHO sollten wir das aber lieber demokratisch lösen und die Verantwortung nicht auf Einzelne oder gar den „freien Markt“ abwälzen.

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