IndienRegierung streitet mit Twitter über Kontensperren

Die indische Regierung ringt mit Protesten von hunderttausenden Kleinbauern. Weil das soziale Netzwerk Konten der Protestbewegung nur für ein paar Stunden sperrte, droht sie Twitter nun mit hohen Strafen.

Proteste von Kleinbauern führen zu einer angeordneten Sperre von mehreren hundert Twitter-Accounts durch die indische Regierung.
Nach Protesten von Kleinbauern sperrte Twitter Konten von hunderten Regierungsgegner:innen. – CC0 Vikash

Twitter hat auf Druck der indischen Regierung über 250 Konten gesperrt, die bei Protesten angeblich zu Gewalt aufgerufen haben sollen. Am Wochenende war es in der Hauptstadt Neu Delhi zu Straßenkämpfe zwischen Protestierenden und der Polizei gekommen, die Sperrung folgte am Montag. Weil Twitter die Konten aber rasch wieder entsperrte, droht die Regierung von Premier Narendra Modi dem Social-Media-Konzern nun mit schweren Strafen.

In Indien gibt es seit Monaten Proteste gegen eine Agrarreform, die in den Augen vieler Kleinbauern die großen Konzerne stärkt. Das Parlament hatte die umstrittenen Gesetze im September verabschiedet. Mittlerweile hat das oberste Gericht die Umsetzung ausgesetzt, um Gespräche zwischen der Regierung und den Protestierenden zu ermöglichen.

In Indien nutzen 75 Millionen Menschen Twitter. Die gesperrten Accounts hatten die Proteste kritisch begleitet. Viele gehörten Aktivist:innen, Journalist:innen und Mitgliedern der Opposition. Betroffen waren unter anderem die Protest-Organisation Kisan Ekta Morcha und das investigative Magazin Caravan.

Kritischer Hashtag gesperrt

Die gesperrten Accounts hatten laut der Regierung zu Protest aufgerufen oder sich kritisch über das neue Gesetz und die Regierung geäußert. Twitter sperrte auf Druck der Regierung den Protest-Hashtag #modiplanningfarmersgenocid.

Das Informationsministerium begründet die Forderung nach Sperrung der Konten mit möglicher Gefahr für die innere Sicherheit, der Verbreitung von Desinformation und dem Aufruf zu gewaltsamen Protesten. Sie beruft sich auf den Abschnitt 69A des indischen Internet- und Technologiegesetzes, in dem geregelt ist, in welchen Fällen die Regierung der Öffentlichkeit den Zugang zu bestimmten Inhalten verwehren darf.

Der Aktivist Nikhil Pahwa, der auf seiner Nachrichtenseite MediaNama Analysen zur indischen Technologiepolitik veröffentlicht, betont, dass die Sperrung hunderter Accounts einen weitaus tieferer Einschnitt in die Privatsphäre bedeutet, als einzelne Tweets zu verbieten.

In diesem Fenster soll ein Twitter-Post wiedergeben werden. Hierbei fließen personenbezogene Daten von Dir an Twitter. Aus technischen Gründen muss zum Beispiel Deine IP-Adresse übermittelt werden. Twitter nutzt die Möglichkeit jedoch auch, um Dein Nutzungsverhalten mithilfe von Cookies oder anderen Tracking-Technologien zu Marktforschungs- und Marketingzwecken zu analysieren.

Wir verhindern mit dem WordPress-Plugin „Embed Privacy“ einen Abfluss deiner Daten an Twitter so lange, bis Du aktiv auf diesen Hinweis klickst. Technisch gesehen wird der Inhalt erst nach dem Klick eingebunden. Twitter betrachtet Deinen Klick als Einwilligung in die Nutzung deiner Daten. Weitere Informationen stellt Twitter hoffentlich in der Datenschutzerklärung bereit.

Zur Datenschutzerklärung von Twitter

Zur Datenschutzerklärung von netzpolitik.org

Nach heftiger Kritik von Menschenrechtsorganisationen und Aktivist:innen innerhalb und außerhalb Indiens gab Twitter die Accounts wieder frei. Das Unternehmen sagte, es habe die Vorfälle geprüft – die Aussagen fielen unter die freie Meinungsäußerung. Warum er die Accounts dann überhaupt blockierte, ließ der Konzern offen.

Sängerin Rihanna und Aktivistin Greta Thunberg machten unterdessen auf Internet-Sperren der Regierung aufmerksam, die Teile Neu Delhis trafen.

Twitter schweigt zu Gründen der Sperren

Twitter betonte, es sei es manchmal nötig den Zugang zu bestimmten Inhalten in bestimmten Ländern zu unterbinden, wenn das soziale Netzwerk einen Antrag der Regierung erhalte. Normalerweise veröffentlicht Twitter diese Anfragen auf der Internetseite des unabhängigen Forschungsprojekts Lumen, des Berkman Klein Institus für Internet & Society und auf ihrer eigenen Internetseite, nach Ländern sortiert.

„Transparenz ist unabdingbar für den Schutz des Rechts auf freie Meinungsäußerung, daher versenden wir Benachrichtigungen zu zurückgezogenen Inhalten: (…) benachrichtigen wir die betroffenen Nutzer unverzüglich, sofern uns das nicht ausdrücklich untersagt wird.

Wie Caravan-Chefredakteur Vinod Jose twitterte, ist in diesem Fall nichts davon geschehen. Indien scheine Twitter verboten zu haben, die Gründe für die Kontensperrungen öffentlich zu machen. Die Firma schweigt zu Anfragen.

Das Schweigen Twitters verunmöglicht ein mögliches rechtliches Vorgehen gegen die Sperren. Denn das Internet- und Technologiegesetzes erlaube Nutzer:innen theoretisch, juristisch Einspruch gegen Sperrungen einzulegen, sagt die indische Internet Freedom Foundation. Das sei allerdings nur möglich, wenn Twitter seine Gründe offenlege.

Indien setzt traurige Rekorde bei Netzfreiheit

Blockierte Accounts, gesperrte Apps oder ganze Regionen ohne Internet sind in Indien keine Seltenheit. Das bevölkerungsreichste Land der Welt setzt traurige Rekorde wenn es darum geht, der eigenen Bevölkerung den Zugang zum Internet zu verwehren. Im World Press Freedom Index der NGO Reporter ohne Grenzen ist Indien nach dem längsten Internet-Shutdowns der Geschichte in Kaschmir auf Platz 142 von 180 gelandet.

Auch Twitter veröffentlichte in seinem Transparenzbericht einige Zahlen: Indien stelle von allen Regierungen der Welt die fünftgrößte Anzahl an Anfragen, Inhalte zu entfernen. Die Zahl der Sperr-Anfragen stieg nach letzten verfügbaren Zahlen allein von Januar bis Juni 2020 um 69 Prozent.

Die betroffenen Konten sind fürs Erste freigegeben. Die indische Regierung hat jedoch weitere Maßnahmen angekündigt. Sie erklärte gegenüber Medien, Twitter könne sich nicht zum Gericht aufschwingen und über die öffentliche Ordnung entscheiden. Ein Sprecher sagte der Financial Times, dass die Konten deaktiviert werden müssen, ansonsten drohten Twitter Strafen nach indischem Recht. Angedroht werden nicht nur hohe Geldbußen, sondern auch mehrjährige Haftstrafen für Führungspersonal des Konzerns in Indien.

Deine Spende für digitale Freiheitsrechte

Wir berichten über aktuelle netzpolitische Entwicklungen, decken Skandale auf und stoßen Debatten an. Dabei sind wir vollkommen unabhängig. Denn unser Kampf für digitale Freiheitsrechte finanziert sich zu fast 100 Prozent aus den Spenden unserer Leser:innen.

3 Ergänzungen

  1. Danke für den Artikel, das die Proteste in Indien solche Ausmaße angenommen haben wusste ich nicht.
    Das wird wahrscheinlich überall die Zukunft sein.
    Alles, was nicht diskreditiert, verharmlost oder weggeschrieben werden kann wird der Zugang zur Verbreitung genommen, zensiert oder kastriert.
    Siehe:
    NetzDG
    Hatespeech
    Sendelizenz für mehr als 20 000 Followern
    Sperrung durch private Firmen wie
    Amazon(Server), Google( Youtube), Twitter Facebook und die ganze Mischpoke
    to be continued
    Genug Vorwände wie Kinderpornos, Terrorismus, Frauen – Fremden was weiß ich Feindlichkeit,
    Volkverhetzung usw.
    werden schon noch gefunden werden um eine schöne heile Welt zu etablieren.
    Erinnert sich noch jemand an Truecrypt ?

  2. Lena: Volle Zustimmung.
    Kleine Anmerkung:
    Truecrypt ist Geschichte, wenn schon dann der Nachfolger Veracrypt;-) Aber auch der hat einige Schwächen…

    1. @Bit
      Ich meinte auch die Story dahinter wie die Entwickler Truecrypt aufgegeben haben und BitLocker emphohlen.
      So einfach so ;-)

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.