ForschungsberichtSchockierendes Ausmaß von biometrischer Überwachung in Europa

Ein Netzwerk von Bürgerrechtsorganisationen hat biometrische Überwachungssysteme in Deutschland, den Niederlanden und in Polen untersucht. Die Studie kommt zum Schluss, dass die Systeme vielfach unrechtmäßig genutzt werden.

Stilisierte Gesichtserkennung mit Punkten und Linien
(Symbolbild) CC-BY 2.0 mikemacmarketing / Bearbeitung: netzpolitik.org

Das europäische Netzwerk von digitalen Bürgerrechtsorganisationen EDRi hat zusammen mit der Edinburgh International Justice Initiative (EIJI) biometrische Überwachungsmethoden in Deutschland, den Niederlanden und Polen untersucht.

Der 150-seitige Bericht mit dem Titel „The Rise and Rise of Biometric Mass Surveillance in the EU“ (PDF), beweist laut EDRi, dass Gesichtserkennung und andere Formen der biometrischen Massenüberwachung missbräuchlich in der gesamten Europäischen Union angewendet werden. Die Untersuchung zeige, dass biometrische Massenüberwachungspraktiken von Strafverfolgungsbehörden, anderen öffentlichen Stellen und privaten Unternehmen in Deutschland und den Niederlanden in besorgniserregender Weise normalisiert worden seien. Polen beginne aufzuholen.

Unschuldige wie Verdächtige behandelt

In allen drei Ländern setzen Regierungen und Unternehmen biometrische Massenüberwachungssysteme auf eine Weise ein, die mit dem EU-Datenschutzrecht unvereinbar ist, heißt es in der Pressemitteilung von EDRi. Unschuldige Menschen würden durch die Aufnahme ihrer sensiblen Daten in riesige biometrische Datenbanken wie Verdächtige behandelt.

Für Deutschland beschreibt der Bericht nicht nur den Gesichtserkennungsversuch am Berliner Südkreuz, sondern auch die Anschaffung von Software und Hardware zur Gesichtserkennung durch Sicherheitsbehörden und deren Nutzung beispielsweise im Nachgang zu den Protesten zum G20-Gipfel in Hamburg. Kritisiert wird auch die Praxis, dass in Deutschland Reisepässe und künftig Personalausweise mit einem verpflichtenden Fingerabdruck und einem biometrischen Passbild verbunden sind.

Ella Jakubowska, Policy Advisor bei EDRi, warnt:

Während die EU-Gesetze besagen, dass jeder von uns unschuldig ist, bis seine Schuld bewiesen ist, stellt die Verbreitung biometrischer Massenüberwachungspraktiken in ganz Europa dies auf den Kopf. Jeder von uns wird als verdächtig behandelt, bis seine Unschuld „bewiesen“ ist, und zwar durch den oft diskriminierenden und verfolgenden Einsatz von Systemen, die von vornherein nicht hätten eingeführt werden dürfen.

EDRi setzt sich zusammen mit anderen Organisationen für eine strenge Regulierung von Biometrie ein. Die Initiative „Reclaim your Face“ von 60 zivilgesellschaftlichen Organisationen, die schon 56.000 Personen unterzeichnet haben, setzt sich für ein Verbot von Gesichtserkennung ein.

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5 Ergänzungen

  1. Erneut ein klarer Hinweis dafür, dass wir dringend ein EU-weites Behördenstrafrecht brauchen!

    Wenn Behörden unsere Grundrechte verletzen, hat das für die Täter praktisch nie Folgen. Eine Schande für den Rechtsstaat.

    1. Genau, die Behoerde bezahlt dann ein Bussgeld oder wird zeitweise geschlossen. Denn das schadet ja…wem? Dem Buerger, dumm aber auch. Andererseits voellig zu Recht: die haben ja entsprechend gewaehlt.

  2. Vom 2. August an müssen Bundesbürger mit dem Antrag eines neuen Personalausweises Abdrücke des linken und rechten Zeigefingers abgeben, die auf dem Funkchip des Dokuments gespeichert werden. Das Netzwerk Datenschutzexpertise hat die entsprechende Gesetzesnovelle zum Anlass genommen, den staatlichen Einsatz biometrischer Identifizierungsverfahren zu hinterfragen. Es kommt zu dem Ergebnis, dass einschlägige europäische und deutsche Regeln gegen das nationale Verfassungsrecht und das Europarecht verstoßen.

    https://www.netzwerk-datenschutzexpertise.de/sites/default/files/gut_2021biometrischeidentifizierung.pdf

  3. >>“Schockierendes Ausmaß von biometrischer Überwachung in Europa“

    @Markus, was ist denn daran noch schockierend?
    Sorry, aber das ist nicht mal ein Déjà-vu!
    Das ist Alltag!

    https://netzpolitik.org/2018/eu-und-berlin-planen-mehr-gesichtserkennung-in-polizeilich-genutzten-datenbanken/

    Und weil’s so schön ist, kam doch heute ’ne Meldung im mdr(Fernsehen), das jetzt mittels Lasertechnik die Gesicheter der Insassen eines Fahrzeuges biometrisch beim vorbeifahren erfasst werden.
    Der mdr hat bisher auf seiner Homepage dazu selbst nichts veröffentlicht.

    Nach Kesy also das nächste Aufrüsten.
    Schockierend?

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.